Landsberg – Berlin – Istanbul – und zurück

Trainingsgruppe in Mardin | Foto: Copyright Wolfgang Hauck
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In kultureller Flüchtlings- und Jugendarbeit lehrt der Landsberger Kulturverein «dieKunstBauStelle e.V.» in Kooperation mit dem Theater «Die Stelzer» Techniken der Kulturvermittlung auf nationaler und internationaler Ebene.

Der Landsberger Kulturverein «dieKunstBauStelle e.V.» bündelt als organisatorischer Träger sein Knowhow und seine Fachkenntnisse im Bereich der kulturellen Jugendarbeit immer mehr und ist mit der Vermittlung von Kulturtechniken auf nationaler und internationaler Ebene aktiv. Das Prinzip, Trainer zu trainieren, um einen Multiplikationseffekt zu erlangen, steht dabei stets im Vordergrund: Lokale Trainer werden unter professioneller Leitung als Multiplikatoren ausgebildet, die wiederum weitere Trainer ausbilden und Kinder mit kulturellen Angeboten betreuen sollen.


Das Format hat der Theaterleiter des Theaters «Die Stelzer», Wolfgang Hauck, entwickelt und setzt es zusammen mit Mitgliedern des Ensembles seit 2014 in der Türkei um. Die Arbeit mit Stelzen bildet die Basis, die mit anderen Tätigkeiten wie Kostümbau, Musik oder Zirkustechniken als „Social Circus“ verbunden werden. Speziell die Arbeit mit Stelzen hat sich als hervorragendes Mittel der Traumapädagogik erwiesen.

Begonnen hat alles in Landsberg am Lech mit Stelzenkursen. Bereits 2008 haben «Die Stelzer» mit Straßenkindern in Marokko Erfahrungen im Auslandseinsatz gesammelt. Danach folgten Kurse an Schulen und, im Rahmen des Freilichttheaters «Licca Line», der Aufbau einer Jugendgruppe über mehr als vier Jahre. Das Modell der Stelzen, das damals ursprünglich mit der Berufsschule Landsberg für das Stück «Licca Line» konstruiert wurde, ist mittlerweile weltweit im Einsatz – in Österreich, Nordirland, Italien, Irak und der Türkei.

Kultur als Perspektive: Internationale Arbeit in der Türkei

Seit 2014 arbeiten «Die Stelzer» im Rahmen ihres „Cultural Relief Program“ mit Flüchtlingen in der Türkei. Zum Teil direkt an der türkisch-syrischen Grenze in Flüchtlingslagern und in der Stadt Mardin. Nun wurde die Tätigkeit auch auf Istanbul ausgeweitet. Da allein rund 250.000 Flüchtlinge in der türkischen Metropole leben, wird das Modellprojekt dort übertragen, um den Multiplikationseffekt zu vervielfältigen. Dabei wird mit Hilfsorganisationen zusammen gearbeitet, die in der Türkei Flüchtlingsbetreuung unterschiedlichster Art anbieten, etwa „Foundation for the Refugee Education Trust – RET“ – in Kiziltepe, oder „Roter Halbmond“ in Istanbul. Das Goethe-Institut Istanbul ist als Organisator und Träger beteiligt, und die NGO „Her Yerde Sanat Derneği“ aus Mardin fungiert als lokaler Partner zu den jeweiligen Flüchtlingscamps und der türkischen Verwaltung. Mit dieser Kooperation können «Die Stelzer» die entsprechenden Schulungen anbieten und durchführen.

Die oft traumatisierten jugendlichen Flüchtlinge brauchen nicht nur eine humanitäre Grundversorgung, sondern Perspektiven und Lichtblicke in ihrem Alltag voller Entbehrungen. „Je länger sich die Flüchtlinge an einem Ort aufhalten – und das gilt auch für die Situation bei uns – desto mehr entsteht hier ein Bedarf an Kultur und Bildung“, erklärt Wolfgang Hauck, Initiator des „Cultural Relief Programs“. „Kultur, Theater, Tanz und Musik werden immens wichtig für die Jugendlichen. Zum einen, um ihre Lebenssituation zu verbessern, zum anderen, um die eigenständige Teilhabe am Leben vorzubereiten und zu begleiten.“

„Einfache Stelzen oder Hammerstiele als Percussioninstrumente reichen schon aus, um hier etwas zu bewirken“, so Hauck weiter. „Für die Kinder ist es eine wichtige Erfahrung, dass sie trotz allem, was sie erlebt haben, auch wieder in einem Alltagsleben ankommen, in dem es so etwas wie Spaß, Freude und Freunde gibt.“

Gerade vor wenigen Tagen ist er von einem neuntägigen Aufenthalt in Istanbul zurückgekehrt. Unterstützt wurde er erneut von den Landsbergern Leonard Mandl aus dem Stelzer-Ensemble und Anselm Kirsch (Percussionlehrer). Anlass der Reise war dieses Mal der World Refugee Day am 20. Juni 2016 – und das Team war sehr gefragt:

„In Esenler – einem Stadtteil in Istanbul, der allein 500.000 Einwohner hat – haben wir auf der Kinderstraße, in Zusammenarbeit mit der Stiftung „Insan Kaynaklari Gelistirme Vakfi“ unsere Workshops angeboten, berichtet Hauck. „Einen Tag später waren wir in Bakirköy – auf dem Hipodrom. Hier wurden Hilfsorganisationen und 500 Kinder, in Kooperation mit Project Lift, eingeladen, an verschiedenen Kursen teilzunehmen. Am nächsten Tag fuhren wir schließlich nach Kücükcekmece , ebenfalls ein Stadtteil von Istanbul – für einen Stelzen- und Zirkusworkshop für Erzieher der sozialen Einrichtung des „Roten Halbmond“.

Das Auswärtige Amt holt «Die Stelzer» nach Berlin

Aufgrund der internationalen Erfahrungen aus der Kulturarbeit mit jugendlichen Flüchtlingen in der Türkei wird die Arbeit der Stelzer mittlerweile auch auf Bundesebene angefragt. „In Berlin haben wir zweimal vor Bundestagsabgeordneten und Fachleuten aus verschiedenen Gremien unser „Cultural Relief Program“ vorgestellt“, berichtet Hauck. Etwa anlässlich des Forums «Menschen Bewegen» im April dieses Jahres: Drei Tage lang wurde das gesamte Spektrum der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik der Bundesrepublik präsentiert.

Schon im August geht es wieder, anlässlich des Tags der Offenen Tür des Auswärtigen Amtes, zu einer Präsentation nach Berlin. „Dabei werden mehrstündige Workshops durchgeführt, in denen Jugendliche aus dem Irak als Trainer für uns tätig sind“, erzählt Hauck. Und das sind gute Bekannte der Stelzer, denn es handelt sich genau um die Jugendlichen, die einst in den Flüchtlingslagern in der Türkei geschult wurden. „Mittlerweile sind sie nach Deutschland geflüchtet, leben in Berlin und unterstützen uns als Trainer“, freut sich Hauck.

Förderungen durch den Freistaat Bayern

Auch bayernweit sind die Kulturprojekte des Vereins dieKunstBauStelle und der Stelzer gefragt und anerkannt:

DieKunstBauStelle führt in Glonn gemeinsam mit den Stelzern und in Kooperation mit der Jugendhilfeeinrichtung Schloss Zinneberg eine außerschulische Bildungsmaßnahme zur Förderung der sprachlichen und kulturellen Integration von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen zusammen mit deutschen Schülerinnen und Schülern durch. „Mit der Verknüpfung von körperlichen und künstlerischen Tätigkeiten ist eine besondere Förderung im Hörverstehen und Sprechen möglich“, betont Hauck. „Bildung und Spracherwerb ist der erste Schritt zu einer gelingenden Integration in die Gesellschaft.“

Dieses Bildungsprojekt „KIDZ Zinneberg“ hat auch das Ministerium überzeugt und erhält nun Fördermittel aus dem Kulturfonds 2016 des Freistaats Bayern, damit es schulbegleitend im Schuljahr 2016-2017 fortgeführt werden kann.

„Back to the roots“: Fokus auch wieder auf Landsberg und Umgebung

Durch die Erfolge der Projekte wie „KIDZ Zinneberg“ und unter anderem durch Filmberichte des Auswärtigen Amtes, haben sich immer mehr Organisationen und Institutionen bei Hauck gemeldet, um mit ähnlichen Modellen aktiv zu werden: So ist im Landkreis Landsberg nun eine Kooperation mit „Sternenwünsche“, einem Projekt des Rotary Clubs Ammersee-Römerstraße für Kinder und Jugendliche im Alter von fünf bis 17 Jahren in Vorbereitung. Schon in den kommenden Sommerferien könnte ein spezielles Kulturprogramm für Jugendliche durchgeführt werden. Dazu ist eine Projektwoche mit Jugendhilfeeinrichtungen im Landkreis Landsberg und im Ammerseegebiet geplant.

„Es ist uns wichtig, Vereine oder Projekte zu fördern, bei denen wir sehen, dass das Geld auch gespürt wird und nicht nur ‚Sand im Getriebe’ ist“, erläutert Silvie Braun, eine der „Sternenwünsche“-Botschafterinnen, die Motivation, dieKunstBauStelle zu unterstützen. „Wir schätzen den Verein sehr und finden es toll, wie er mit seinen Projekten ganz unterschiedliche Kulturen und Menschen zusammenführt. Gerade für Kinder und Jugendliche muss viel mehr getan werden, denn schließlich sind die Kinder die Zukunft – unsere Zukunft.“

Und das gilt für überall auf Welt, egal ob sie aus Syrien, dem Irak, der Türkei, aus Berlin oder Landsberg kommen.

Bürgerreporter:in:

Andrea Schmelzle aus Landsberg am Lech

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