„Die städtischen Finanzen sind gesund“: Ein Interview mit Oberbürgermeister Ingo Lehmann (SPD)

OB Lehmann: "Die Derivatgeschäfte waren ein einmaliger atypischer Vorgang"
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Landsbergs Oberbürgermeister Ingo Lehmann (SPD) will es noch einmal wissen. Trotz Finanzaffäre und wachsender öffentlicher Kritik stellt sich das Stadtoberhaupt am 11. März 2012 erneut zur Wahl. myheimat-Chefredakteur Joachim Meyer unterhielt sich mit dem SPD-Politiker über die Neugestaltung des Landsberger Hauptplatzes, die Unwägbarkeiten riskanter Zinstauschgeschäfte und den Beginn der neuen Tennissaison.

myheimat: Herr Lehmann, die Neugestaltung des Landsberger Hauptplatzes wird das Jahr 2012 sicher prägen. In welcher zeitlichen Reihenfolge werden die einzelnen Baumaßnahmen in Angriff genommen?

Lehmann: Es wird sicher keine einfache Baumaßnahme. Zum einen müssen die Kanal- und Wasserleitungen erneuert werden, nachdem in den letzten Jahren dreimal die Leitungen gebrochen und die Keller voll gelaufen sind. Zum anderen müssen Sie bedenken, dass der Hauptplatz ursprünglich unter dem Gesichtspunkt der „autogerechten Stadt“ und des Autoverkehrs in den 1930er Jahren angelegt wurde. Im Jahr 1974 wurde der Platz das letzte Mal umgebaut. Dementsprechend sind aktuell ungefähr 80 Prozent der Flächen dem Auto zugewiesen. Wenn wir den Hauptplatz nun wegen der technischen Infrastruktur eh „anpacken“ müssen, dann können wir auch gleich die Chance zu einer Umgestaltung nutzen. Die Baumaßnahmen beginnen Ende März/Anfang April auf der Südseite, an der Anbindung zur Lechbrücke, und dauern bis ca. Oktober 2012. Im Jahr 2013 werden die Arbeiten in einem ähnlichen Zeitraum über die Bühne gehen, wobei ich dann im zweiten Jahr mit deutlich weniger Einschränkungen rechne, weil wir uns dann auf einem „offenen Platz“ befinden.

myheimat: Eine „Dauerbaustelle“ bringt für die Geschäftswelt unweigerlich negative Begleiterscheinungen wie Straßensperrungen, Baulärm und schlechte Erreichbarkeit der Geschäfte mit sich. Haben Sie inzwischen konkrete Pläne, Maßnahmen oder Aktionen ins Auge gefasst, um die beschriebenen Auswirkungen abzumildern?

Lehmann: Wir bereiten derzeit Informationen vor, die die Ärzte in die Praxis legen können und die über die Frage Auskunft geben: „Wann bin ich von welcher Seite wie erreichbar?“. Darüber hinaus wird die fußläufige Erreichbarkeit ständig gewährleistet sein. Das gilt für Geschäftsleute, Bewohner und Dienstleister. Eine eigens eingerichtete Homepage und ein Newsletter werden die Bürger mit allen notwendigen Informationen versorgen. Zusätzlich zu den genannten Maßnahmen wird es in Abstimmung mit der Geschäftswelt noch einzelne besondere Aktionen geben. Unter anderem verlängern wir das Stadtfest um einen Tag, um die Besucher in die Innenstadt zu locken. Schließlich wird auch immer ein Mitarbeiter des Bauamtes vor Ort sein, wenn die Baustelle eröffnet ist. Auch ich selbst habe vor, einmal pro Woche zu einer festgelegten Zeit quasi als „Kummerkasten“ zur Verfügung zu stehen. Damit will ich dokumentieren: Der Hauptplatz-Umbau ist Chefsache.

myheimat: Verlassen wir die Hauptplatz-Baustelle und wenden uns den städtischen Finanzen zu. Stets legten Sie ein besonderes Augenmerk auf die Haushaltskonsolidierung. Wie sieht Ihre Bilanz der letzten 6 Jahre aus?

Lehmann: Wir hatten im Jahr 2004 den Schulden-Höchststand mit über 40 Millionen Euro. Dazu kamen 10 Millionen Euro bei der Fa. Bayerngrund. Heute stehen wir bei 20 bis 25 Millionen Euro Schulden – die Stadtwerke Landsberg nicht mit eingerechnet. Eigentlich sind unsere Schulden im Vergleich sogar noch 6 Millionen Euro niedriger, weil wir aktuell die Seniorenwohnanlage noch in den städtischen Haushalt mit aufgenommen haben. Wir haben pro Jahr ungefähr 3 Millionen Euro Schulden abgebaut. Dieser gute Wert erleidet durch die Derivatgeschäfte jetzt zwar einen Dämpfer, aber wir werden im Jahr 2012 immer noch rund 2 Millionen Euro Schulden abbauen.

myheimat: Diese Erfolge wären aber ohne das Mitwirken der anderen Stadtratsfraktionen nicht möglich gewesen, denn Sie verfügen mit Ihrer Fraktion nur über 7 Stimmen. Wie sind Sie mit der „partei- und fraktionsübergreifenden“ Zusammenarbeit im Landsberger Stadtrat zufrieden?

Lehmann: Der Schuldenabbau und die positive wirtschaftliche Entwicklung sind selbstverständlich nicht allein mein Verdienst. So wurden in der Verwaltung und im Stadtrat entsprechende Prozesse eingeleitet, die zur finanziellen Gesundung der Stadt wesentlich beitrugen. Als Stichwörter für wegweisende, gemeinsam getragene Entscheidungen seien hier nur das Industrie- und Gewerbegebiet, das Fachmarktzentrum oder die Entwicklung der ehemaligen Kasernen zu Wohn- und Industriegebieten genannt. Ich nehme für mich lediglich in Anspruch, der Vorbereiter und Motor dieser Entscheidungen gewesen zu sein.

myheimat: Die Bilanz wird nun allerdings getrübt durch riskante Zinsgeschäfte, die einen Verlust von rund zwei Millionen Euro zur Folge hatten. Die Bürger sind verständlicherweise aufgebracht. Inzwischen sagen Sie selbst, dass „früheres Misstrauen“ angebracht gewesen wäre. Ab welchem Zeitpunkt genau hätte die Skepsis einsetzen sollen?

Lehmann: Lassen Sie es mich so sagen: Die Derivatgeschäfte waren ein einmaliger atypischer Vorgang. Zwei Dinge werfe ich mir im Nachhinein selbst vor. Ich hätte dem Kämmerer nicht die uneingeschränkte Vollmacht erteilen dürfen. Dies geschah allerdings vor dem Hintergrund, dass ich damals nicht den geringsten Anlass hatte, an seiner Arbeit zu zweifeln. Ich habe hier eine umfassende Stellungnahme des Kämmerers vom Oktober 2009 vorliegen, als die Spekulationsgeschäfte bereits abgeschlossen waren und begannen ins Minus zu drehen. In diesem Dokument wird anhand von 9 Punkten aufgeführt, dass die Richtlinien eingehalten werden und es keinen Grund für Bedenken gäbe. Im Sommer 2010 hätte ich vielleicht zum ersten Mal skeptischer werden sollen. Damals konzentrierten sich die Fragen allerdings nicht auf den Punkt „unrechtmäßige Geschäfte“, sondern darauf, ob unsere Derivate ins Minus drehen. Dass dies der Fall war, überraschte mich damals nicht, denn so etwas kann auch bei korrekt abgeschlossenen Derivaten passieren. Ich hatte seiner Zeit aber keinen Grund zu vermuten, dass unrechtmäßig abgeschlossen wurde. Aus heutiger Sicht wäre schon zu diesem Zeitpunkt größere Skepsis angebracht gewesen. Endgültig misstrauisch wurde ich dann im April 2011. Dann habe ich die Angelegenheit auch sofort der Münchner Wirtschaftskanzlei zur Überprüfung übergeben. Auf eines lege ich an dieser Stelle aber Wert. Ich habe keines dieser riskanten Geschäfte unterschrieben und mir wurde auch kein interner Vermerk diesbezüglich vorgelegt.

myheimat: Sollte das Hantieren und Jonglieren mit modernen, hochkomplexen Finanzinstrumenten im öffentlichen Sektor nicht gänzlich unterbleiben?

Lehmann: Diese Frage muss sehr differenziert beantwortet werden. Der Landkreis setzt die Instrumente konservativ und erfolgreich ein. In dem Rahmen halte ich es für sinnvoll. Behutsam eingesetzte Derivate sind eine Möglichkeit, das Zinsportfolio der Stadt im Sinne des Steuerzahlers zu optimieren.

myheimat: Gerade einem Sozialdemokraten muss doch das Herz bluten, wenn durch Spekulationen öffentliche Gelder verloren gehen. Wie wollen Sie in Zukunft solche Vorkommnisse vermeiden?

Lehmann: Nicht nur einem Sozialdemokraten. Für mich persönlich ist der ganze Vorgang bitter. Nicht zuletzt, weil ich mit dem Kämmerer bis zu diesem Zeitpunkt gut zusammengearbeitet habe. Eines ist mir aber wichtig zu betonen: Die Verluste durch die Derivatgeschäfte beeinträchtigen nicht die Leistungsfähigkeit der Stadt. Soziale Projekte und Investitionen im Bereich „Schule & Bildung“ sind durch die Vorkommnisse nicht gefährdet. Ein zweiter Punkt sei an dieser Stelle auch noch erwähnt. Wir haben in den vergangenen Jahren – auch mit Hilfe des Kämmerers – bei bestimmten Projekten mehr Geld eingenommen, als wir ursprünglich veranschlagt hatten. Ich erinnere in diesem Zusammenhang nur an die Abwicklung eines Geschäftes, das mit dem Industriegebiet Frauenwald zu tun hatte.

myheimat: Sie haben es gerade angesprochen: Wichtige richtungweisende Investitionen stehen in den nächsten Jahren im Bereich Schule & Bildung an. Welche Akzente wollen Sie hier setzen und wie wollen Sie die Rahmenbedingungen für Schule und Unterricht in Landsberg verbessern?

Lehmann: Wir müssen die Grundschule im Stadtteil Erpfting modernisieren. Dort weiten wir die Mittagsbetreuung aus und sanieren Stück für Stück. In der Stadt Landsberg selbst ist das Thema „Ganztagesklasse“ an einer von drei Schulen offen. Bei der Grundschule an der Platanenstraße werden wir deutlich über 1 Million Euro in den Ausbau der Ganztagesklasse investieren. Ich sehe das auch als Projekt für den Wirtschaftsstandort Landsberg.

myheimat: Kommen wir zu einem erfreulichen Gesprächsgegenstand. Am 1. Januar 2011 ging das Stromnetz auf die Stadtwerke Landsberg über. Welche Vorteile bietet der neue StadtStrom für die Landsberger Bürger?

Lehmann: Wir sind die erste Kommune in Bayern, die das Stromnetz seit der Deregulierung der Strommärkte im Jahr 2000 übernommen hat. Mit dem StadtStrom verkaufen wir ausschließlich Ökostrom. Für mich war die „Stromfrage“ auch immer eine politische: Sehe ich die Stadt als einen Akteur, der wichtige Bereiche und Politikfelder privaten Anbietern überlässt oder als Träger der kommunalen Infrastruktur? Hier habe ich eine klare Position: Die Bereiche Wasser, Strom, Gas und Breitbandversorgung gehören - was die Netze betrifft - in kommunale Hand. Dies erleichtert auch die Vorgehensweise bei öffentlichen Bauvorhaben. Ein vernünftiges langfristiges Energiekonzept können Sie nur zustande bringen, wenn die wichtigsten Energieträger in städtischer Verfügungsgewalt sind. Davon bin ich zutiefst überzeugt.

myheimat: Trotz Finanzaffäre und wachsender öffentlicher Kritik treten Sie bei der OB-Wahl am 11. März 2012 noch einmal an. Welche Motivation treibt Sie dazu?

Lehmann: Ich will verschiedene wichtige Prozesse wie Hauptplatz-Umbau oder Stadtwerke-Umwandlung noch eine Weile begleiten. Um die OB-Wahl und die Stadtratswahl im Jahr 2020 wieder zusammenzuführen, wird der am 11. März gewählte Kandidat eigentlich für 8 Jahre gewählt. Sollte ich jedoch gewählt werden, dann werde ich mein Amt nach zwei Jahren zur Verfügung stellen, wenn der Stadtrat diesem Vorhaben zustimmt.

myheimat: Auf welche Herausforderung bereiten Sie sich am 1. Mai 2012 vor: die neue Tennissaison oder den Arbeitstag eines Oberbürgermeisters?

Lehmann: (lacht) Auf beides. Ich habe im letzten Jahr an fünf oder sechs Tennis-Spieltagen teilnehmen müssen, obwohl ich „nur“ als Ersatzspieler vorgesehen war. Insofern werde ich versuchen, das Amt des Oberbürgermeisters und die Anforderungen einer Tennissaison miteinander in Einklang zu bringen.

Bilder: Redaktion, Stadt Landsberg

myheimat-Team:

Joachim Meyer aus Friedberg

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