Russland im Schnee - Arbeiten in der Taiga 1994

Mit dem Scooter durch die Taiga
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In Russland war 1993/94 eine Art Goldgräberstimmung. Es gab neue Rubel und es wurde mit US $ bezahlt. Man durfte in Moskau nirgendwo alleine hingehen. Zur Erinnerung, die XVII. Olympischen Winterspiele wurden vom 12. bis 27. Februar 1994 in Lillehammer in Norwegen ausgetragen. Etwa zur gleichen Zeit im ersten Quartal des Jahres befand ich mich in der Nähe des Polarkreises in der Taiga bei Pechora an der Pechora in der Komi Republik Russlands.
(Pechora wird Petschora ausgesprochen)

Das Timan- Pechora Becken ist etwa so groß wie Deutschland und liegt noch in Europa, d.h. westlich vom Ural und weist große Kohle, Gas und Ölvorkommen auf.

Die Pechora, der 7. Größte Fluss Europas, entspringt im Ural und fließt nach etwa 1809 km in das Nordpolarmeer. Zum Vergleich, der Rhein ist nur 1320 km lang.

Die Stadt Pechora, benannt nach dem Fluss, wurde 1942 gegründet (Stadtrechte) und hatte 2002 46-Tausend Einwohner.

Das stalinistische GULag-System gilt bis heute als Synonym für Workuta und Pechora. Neben dem Kohlebergbau und der Erdölförderung ist das Gulag- Lagerverbundssystem am Bau der 1.100 Kilometer langen Eisenbahnlinie Ktlas-Workuta in den Jahren 1938 bis 1941/42 beteiligt gewesen. Die Zahlen der eingesetzten GULag Häftlinge und der Toten sind nicht genau zu benennen. Es sollen mehrere Millionen gewesen sein, von denen hunderttausende gestorben sein sollen. Nach Stalins Tod am 5. März 1953 wurde die Situation etwas anders. Erst nach Konrad Adenauers Besuch und Verhandlungen in Moskau wurden 1955 die letzten deutschen Kriegsgefangenen freigelassen. Um 1960 wurden die letzten Lager geschlossen.

Pechora hat einen kleinen Flugplatz (PEX) Breitengrad / Längengrad: 65°7'0"N / 57°8'0"E der aber nicht mit Linienmaschinen angeflogen wird. Im Januar geht die Sonne etwa um 9h15 Uhr auf und um 13h30 Uhr wieder unter.

Im Herbst 2004 brach eine marode Pipeline und brachte Pechora wieder in die negativen Schlagzeilen wegen der riesigen Ölverschmutzung in der Nähe von Usinsk. Die Angaben schwanken zwischen 14.000 Tonnen und mehr als 200.000 Tonnen. Teile der Tundra-Region und der angrenzenden Flüsse sind über Jahre durch das Öl verseucht.

Zu unserer Forschungsstation konnte man über eine Eisbrücke, die über die Pechora mittels Wasserpumpen angelegt wurde, mit Spezialfahrzeugen nur im Winter gelangen. Im Sommer war in diesem Sumpfgebiet kein Durchkommen. So bauten auch Spezialisten aus Finnland mit Mi-6 (schwerer Lastenhubschrauber), Mi-8 (Für Personentransporte und Luftrettung) und der Mi-26 (der schwerste, stärkste und größte in Serie gebaute Hubschrauber der Welt) Helikoptern unser Basislager auf 1 Meter hohen Platform mit Stelzen auf einer kleinen Anhöhe in der Tundra. Der Grund war der kommende Schnee. Wir wurden trotzdem eingeschneit.

Es wurde bei uns bis -40 Grad (abhängig vom Wind- Chill Faktor) draußen gearbeitet. Das kälteste was ich erlebt habe waren -46 Grad Celsius. Zwischen unserem Weihnachtsfest (römisch) und Neujahr ruhte die Arbeit, da -56 Grad Celsius gemessen wurde. Die Arbeitskleidung hatten wir aus Kanada. Das waren spezielle Overalls, Schuhe in Schuhen und Handschuhe in Handschuhen. Für das Gesicht brauchte man eine Maske (Balaklava) und einen Integralhelm. Trotzdem ist es bei einigen Mitarbeitern zu leichten Erfrierungen an der Nasenspitze und an den Wangen gekommen. Jemand, der in der Kälte seinen Integralhelm abnahm weil er zu sehr darunter schwitzte und eine Zigarette rauchen wollte, bekam ihn nicht wieder auf seinen Kopf gesetzt, weil der Helm mittlerweile in der Kälte zu sehr geschrumpft war. Unsere normalen Feuerlöscher sind nur bis -20 Grad einsatzbereit. So mussten extra Pulverlöscher aus Kanada eingeführt werden. Bestimmte Fahrzeuge liefen dauernd Tag und Nacht um Frostschäden vorzubeugen.

Entscheidend für das Überleben waren die zwei großen Stromgeneratoren. Wir verbrauchten vier weitere. Unsere Basisstation wurde elektrisch beheizt. Für die Computeranlage hatten wir zusätzlich große Batterien (USV) um die Stromzufuhr für weitere 4 Stunden zu gewährleisten. Für den Fall eines Stromausfalls würde nach 4 Stunden ein Evakuierungsplan eingeleitet. Es war einmal knapp davor. Ein Höhepunkt war unsere finnische Sauna. Hier konnte man sich abends wieder richtig aufwärmen und durch ein Fenster das Polarlicht bewundern. Ganz harte wälzten sich zum abschrecken dann einmal im Schnee. Die minus 38 Grad an diesem Abend habe ich in den 5 Minuten draußen nicht gemerkt.

Die kleine transportable Messstation war auf großen Schlitten montiert und wurde von Raupenschleppern gezogen. Messkabel und Sonden waren in Separaten Containern auf Schlitten. Die russischen Bohrgeräte und die Arbeitsbrigaden hatten ihre eigenen Aufwärmwagen waren ebenso wie das Dynamit und die Zünder in einem separaten Lager untergebracht . Nach einer Stunde in der Kälte musste man sich immer wieder aufwärmen. Die besten Brigaden wurden Übrigends von Frauen geführt.

Man durfte nie allein in die Taiga und neben dem Funkgerät hatte man immer einen Überlebensrucksack mit dabei. Darin waren neben einer Isolierdecke, Signalraketen, Streichhölzern, Erste Hilfe Kissen auch Notverpflegung. Bei dieser sehr erträglichen trockenen Kälte war der Schnee wie Pulver und es gab immer wieder Schneelöcher, die man nicht an der Oberfläche erkennen konnte. So bin ich einmal von einem Schritt zum anderen bis zur Hüfte eingesackt. Zur weiteren Sicherheit zum Strahlenschutz wurden sogenannte Dosimeter am Körper getragen, die abends überprüft wurden. Diese sind auch im Bergbau eingesetzt.

Aus den USA kamen die Snow-Scooter, einige hatten auch einen Rückwärtsgang und man konnte fast 80 Sachen damit erreichen. Damit sie über den Schnee fahren konnten, musste erst die weiße Pracht durch unsere Transportpanzer verdichtet werden. Diese Art Bergepanzer legten dann auch die Wege an, die wir benutzen konnten. Da in der Taiga die Bäume sehr langsam wachsen, wurde der Wegeplan mit der Forstverwaltung abgesprochen um den Waldbestand zu schonen. Wir durften keinen Müll zurücklassen und im Camp wurde eine strickte Mülltrennung durchgeführt. Die wenigen Stunden Tageslicht hatten auf unsere Produktion kaum Einfluss. Es wurde Tag und Nacht 24 Stunden kontinuierlich gearbeitet. Der Mond und das Polarlicht waren im Schnee auch meist hell genug. Das Polarlicht störte aber unseren Funk- und Satellietenempfang. Trotz erheblicher Bemühungen konnten wir die Olympiade in Norwegen nur sehr vergrieselt auf dem einen verfügbaren Fernsehsender empfangen. Internet gab es noch nicht, und Briefe in die Heimat wurden Kollegen mitgegeben, damit diese sie in Frankfurt oder London in die Post gaben. Satellietentelefon kostete damals 19 $ pro Minute und die zählte ab dem wählen der Nummer. Ein medizinischer Notfall wurde mit einer Chartermaschine nach Moskau geflogen.

Ohne Mampf kein Kampf, so lautet ein alter Spruch. Das Catering war also sehr wichtig, und unser portugiesischer Chefkoch und seine Crew gaben sich große Mühe. Das Wasser hatten wir selber erbohrt und gefiltert. Wie auf jedem Forschungsschiff und jeder Bohrplattform gab es in unserem Basislager auch ein striktes Alkoholverbot. Auch deshalb hatten die Russen ihr eigenes Lager.

Gelegentlich wurden wir von den sehr Gastfreundlichen Russen in ihr Lager eingeladen. So ein russischer Abend hat seine eigenen Gesetze. Ich habe immer behauptet, meine Leber sei kaputt und ich dürfte nur Wasser trinken. Das wurde akzeptiert. Es ist für einen normalen Europäer nicht möglich mit ihrem Wodkaverbrauch mitzuhalten. Wenn nach allen offiziellen Reden, nach jeder Rede wird ein Glas getrunken, gesungen wird, dann fließen auch bei einer Russischen Seele die Tränen und man hat die Neigung sich zu verbrüdern. Deshalb muss es Willy Brandt und Helmut Kohl so gefallen haben, und ich kann das verstehen.

Ziel unserer Messungen war ein möglichst gutes 3-Dimensionales Abbild des Erduntergrundes mittels seismischer Meßverfahren in einem vorgegebenen Areal zu erreichen, was uns auch gelang. Die dabei gemessenen Daten mussten separat nach Fortschritt an den Auftraggeber verschickt werden. Das bot Gelegenheit in die Stadt Pechora zu fahren. Eine Tagesreise, denn man brauchte bei geräumten Wegen gut 3 Stunden für eine Strecke. Nach einer halben Stunde sieht die Taiga immer gleich aus. Abwechslung bot nur die Eisenbahnstrecke nach Workuta und die Überquerung der Pechora. Viele Leute nutzten die Uferböschung des mehr als 1 km breiten Flusses zum Skifahren. Auf dem Fluss waren Löcher durch das Eis gebohrt und Männer versuchten Fische zu angeln. Die konnte man dann auf dem Markt in der Stadt tiefgefroren kaufen. Pechora selber sieht aus wie jede andere Ostblockstadt. Plattenbauten mit einem Heizkraftwerk. Das erinnerte mich an Gera-Lusan.

Nun kann man aber in den ehemaligen Ostblockländern nicht so einfach mit dem Auto fahren. Es gibt immer Kontrollstellen die man passieren muss. Also immer Papiere etc. bereithalten. Genauso ist das mit dem Visum. Neben Impfdokumenten musste ich auch wie in Saudi Arabien einen aktuellen negativen Aids-Test vorweisen. Einer unserer Techniker, der den Putsch in Moskau im August 1991 mit dem Beschuss des Weissen Hauses, dem russischen Parlamentssitz, von seinem Hotel aus miterlebte, gab mir den guten Rat, nach Russland immer mit genügend Verpflegung zu reisen. Ich folgte diesem Rat und hatte stets zwei gute Calenberger Mettwürste im Gepäck. Einmal waren die Mäuse allerdings schneller. Bevor ich es merkte, hatten sie einen Tunnel durch meine Reisetasche gebohrt und die Wurst von unten aufgefressen.

Bürgerreporter:in:

Karl-Heinz Mücke aus Pattensen

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