Mind. 48 Porträts - Rede zur Vernissage des Künstlers R.F. Myller

R.F. Myller - Mind. 48 Porträts

Rede zur Ausstellungseröffnung im Kunstkreis Laatzen, 02. Oktober 2022

Laut Brockhaus Kunst ist ein Porträt die künstlerische Darstellung eines Menschen mit allen seinen individuellen Merkmalen seines Aussehens und seines Charakters zu einem bestimmten Zeitpunkt seines Lebens, damit sein Bild seinen Zeitgenossen und der Nachwelt über seinen Tod hinaus erhalten bleibt.

Porträts können mehrere Funktionen haben; diese hängen immer davon ab, in welchem Kontext sie benutzt werden. Viele Gebrauchsweisen sind durch den Erinnerungsaspekt des Porträts bestimmt, sind also mit der Erinnerung an einen individuellen Menschen verbunden, der durch seinen sozialen Rang, seine Persönlichkeit oder seine besonderen Taten für uns persönlich oder für eine Gesellschaft als bildniswürdig erscheint. Beispiele dafür sind ägyptische Mumienporträts, Stifterbilder in der mittelalterlichen Kunst bis zur Renaissance, Totenmasken und Porträts mit zeremoniellem Bezug wie etwa Hochzeitsfotos oder Inthronisationsporträts.

In der Politik wird ein Herrscherbild oder das Porträt eines Regierungschefs oft als staatliches Symbol gebraucht, es ziert öffentliche Gebäude, Münzen, Banknoten oder auch Briefmarken und kann auch Ziel oder Mittel eines Personenkults sein. So findet man gerade in Diktaturen oft noch in jedem öffentlichen Gebäude ein Porträt des jeweiligen Herrschers, wobei es nicht beliebig sein darf, sondern immer das gleiche staatlich legitimierte Bild.

Ein Porträt kann einen nicht anwesenden Menschen repräsentieren oder aber auch die Erinnerung an einen Menschen bewahren.

Porträts gewöhnlicher Menschen - keine Herrscher, Künstler, Feldherren etc.- kamen erst durch die technischen Neuerungen der Fotographie und die damit einhergehende Bezahlbarkeit und dadurch auch Demokratisierung von Porträts auf. Bis dahin waren Porträts nur bestimmten Bevölkerungsschichten vorbehalten.

Im weiteren Sinn kann man jede Abbildung eines Menschen, auch ohne künstlerischen Charakter, als Porträt bezeichnen, wichtig ist, dass der Abgebildete gut erkennbar gemacht ist, z. B. ein Fahndungsfoto, ein gewöhnliches Passbild, ein Schnappschuss – oder auch ein Selfie als moderne Form des Selbstporträts.

Der Begriff Porträt kommt aus dem Lateinischen „protahere“ und bedeutet „hervorziehen“. Ein Porträt zu malen bedeutet für mich in diesem Sinn, das Wesen eines Menschen hervorzuziehen, aus dem Dunkeln herauszuschälen. Den Kern hinter der Hülle freizulegen.

Mit dem Gedanken, Frauenpersönlichkeiten zu malen, die in meinem Leben durch ihren Einfluss und ihr Wirken einen großen Einfluss auf mich und mein Leben ausgeübt haben, spielte ich bereits einige Jahre. Vorher habe ich nur Porträts von Familienmitgliedern gemalt - ein für mich persönlich sehr wichtiges meiner Mutter sehen sie hier in der Ausstellung.

Im Herbst 2018 malte ich einige erste Porträts, ganz ohne Hintergedanken an einen Zyklus. Das erste Bild von Bettina Wegner entstand im Zusammenhang mit dem Thema Kindesmisshandlung und im weiteren Sinne auch mit der Geschichte der DDR-Diktatur. Dann folgte die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte: die Lippen von der Blondie-Sängerin Debbie Harry und meine Deutschlehrerin Christa Ohnesorg, meine persönliche Verbindung zur bundesrepublikanischen Nachkriegsgeschichte.

Nach einigen weiteren Bildern entstand dann die Idee zu einem Zyklus, noch ganz
ohne irgendeine Ahnung zu haben, in welche Richtung und zu welcher Dimension sich dieser entwickeln würde.

Nach insgesamt ca. 15 Bildern entstand die Idee, mich mit dem Zyklus "48 Porträts" von Gerhard Richter zu befassen, den ich vor einigen Jahren in der Hamburger Kunsthalle im Original gesehen habe. In diesem hat er 48 Porträts wegweisender Personen aus den Bereichen Kultur und Wissenschaft des 20. Jahrhunderts in Schwarz-Weiß gemalt, immer im selben Format. Die Vorlagen suchte er aus Lexika und verband mit seiner Malweise das gleichmacherische dieser Aufnahmen. Leider kommen in diesem Zyklus nur Männer vor, weshalb der Maler Gottfried Hellnwein kurz danach einen ähnlichen Zyklus im identischen Format und in identischer Malweise nochmal in Brauntönen gemalt hat. Dieses Mal nur Frauen.

Beide Zyklen fand und finde ich bis heute weiterhin völlig unzureichend, da sie nicht das Wesen und die Einzigartigkeit der dargestellten Personen herausarbeiten. Das jedoch soll das Anliegen meiner eigenen Arbeit sein. Ich wählte für mich einen Ansatz, der Bezug nimmt auf diverse Fragestellungen: Was ist die besondere Leistung dieser Frauen? Was ist für mich wichtig bzw. im Laufe meines Lebens wichtig gewesen? Was verbinde ich gefühlsmäßig oder rational mit diesen Frauen? Wer oder was war mir in welcher Lebensphase wichtig? Nicht alle Fragestellungen werden in allen Bildern gleichermaßen behandelt. Zum Teil kommen dabei sehr subjektive Bilder zustande, die für den Außenstehenden nur schwer zu entschlüsseln sind. Dies zeigt sich durch Symbole auf einzelnen Bildern, die mich mit der dargestellten Person verbinden aber auch in der Maltechnik (wie bei Marlene Dumas) oder dem Malmaterial. Das Porträt der Malerin Cornelia Schleime ist komplett mit Asphaltlack gemalt, ein Material, welches sie selbst auch oft in ihren Porträts einsetzt.

Für mich ist es wichtig, die Individualität aller Abgebildeten zu wahren und dabei aber ein komplett subjektives Bild meiner eigenen Erinnerung an diese Person zu erfassen.

Es geht in meiner Kunst sehr häufig um das Thema Erinnerung, wobei man sich immer bewusst machen muss, dass die Erinnerung einiges kleiner und anderes dafür umso größer macht, als es tatsächlich gewesen ist. Die Distanz der Erinnerung verklärt und verändert vieles. So geht es mir auch mit diesen Porträts, alle können deshalb nur einen subjektiven Stand aus meiner heutigen Sicht abbilden.

Nicht alle Frauen haben mich positiv beeinflusst, auch negative Gefühle spielen eine Rolle, zu sehen bei Maggie Thatcher, die für mich als junger Mensch eine Zielscheibe politischen Hasses war. Erst heute sehe ich sie mit anderen, milderen Augen.

Manche besonders starke Persönlichkeiten wie die Musikerin und Dichterin Patti Smith oder die ikonische Aretha Franklin sind mehrfach, auch in anderen Formaten, vertreten. Auch Ulrike Meinhof mit ihrer widersprüchlichen Rolle und ihrem widersprüchlichen Leben ist mehrfach vertreten. Diese Widersprüche der bundesrepublikanischen und unserer eigenen Geschichte sollten uns heute wieder diskussionswürdig erscheinen und diese Diskussion sollten wir aushalten.

Bis heute habe ich in diesem Zyklus über 120 Frauen aus Sport, Kunst, Musik, Politik, Philosophie, Wissenschaft gemalt. Der Zyklus ist als never ending gedacht, ich erweitere meine Liste immer weiter. Einzelne sind verkauft, so dass dieser Zyklus in jeder Ausstellung anders aussieht, aber immer mind. 48 Porträts zeigt.

Vielen Dank.

Bürgerreporter:in:

R.F. Myller aus Hannover-List-Oststadt

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