Rente – Grundlagen einer allgemeinen Altersversorgung; Teil 6

7. Dynamisierung der Rente

Die Dynamisierung der Renten gilt heute als fester Bestandteil eines Rentensystems. Nun entstehen aber mit einer Dynamisierung der Renten eine Reihe von Problemen und die sollen hier kurz angerissen werden.
An sich ist die Höhe des einzelnen Rentenzahlbetrages fix. Eine über lange Zeit fixe Rentenhöhe führt bei laufend steigenden Preisen (Inflation) zu einer Minderung der realen Kaufkraft des Rentenbetrages, das heißt, die Rentenbezieher verarmen. Da auch geringe Inflationsraten über die lange Laufzeit einer Rente zu erheblichen Wertverlusten führen, endet ein Rentensystem mit fixen Zahlbeträgen früher oder später in der Sozialfürsorge. Allein aus dieser absehbaren Entwicklung heraus ist es sinnvoll, die Renten zu dynamisieren.
Eine dynamische Rente kennt also nicht mehr einen fixen Rentenzahlbetrag, sondern einen veränderlichen Zahlbetrag. Die Veränderung des Zahlbetrages kann eine Erhöhung aber eben auch eine Senkung des Rentenzahlbetrages sein. Es muss ausdrücklich festgestellt werden, dass die Veränderung nach beiden Seiten möglich ist; der Begriff „dynamische Rente“ schließt eine Senkung des Rentenzahlbetrages nicht aus!

7.1 Anpassungsmodus und -intervall

Die Höhe einer dynamisierten Rente kann in unregelmäßigen oder in regelmäßigen Zeitabständen angepasst werden. Eine Anpassung in unregelmäßigen Zeitabständen bedeutet offensichtlich einen ausdrücklichen diesbezüglichen Beschluss von Regierung und/oder Parlament. Bei einer regelmäßigen Anpassung muss das Zeitintervall festgelegt werden. Sicher ist, dass Anpassungen, insbesondere Erhöhungen, in kurzen Zeitabständen die Inflationsempfindlichkeit der Rente und damit eines erheblichen Teils der Bevölkerung vermindert, das heißt, kurze Zeitintervalle der Rentenanpassung wirken preiserhöhend und damit inflationstreibend. - Im gegenwärtig geltenden Rentenrecht werden die Renten jährlich angepasst.
Die nächste Frage ist, ob die jeweiligen Anpassungsschritte stets einen ausdrücklichen Einzelbeschluss erfordern sollen oder ob die Anpassung, insbesondere wenn sie in festgelegten Intervallen zu feststehenden Zeitpunkten erfolgen soll, automatisch ablaufen soll. Jeweilige Einzelbeschlüsse haben den Vorteil der größeren Flexibilität aber auch zugleich den Nachteil der potentiellen Willkür. Eine Anpassungsautomatik bietet dagegen mehr Sicherheit, wenigstens theoretisch. Im Moment gilt in Deutschland ein Mittelding: Wir haben eine Anpassungsautomatik, die aber zu ihrer Gültigkeit jeweils einen Beschluss der Regierung erfordert.

7.2 Anpassungssätze in der Vergangenheit

Die Rentenanpassungen seit der Rentenreform im Jahr 1957 zeigt folgende Übersicht:

[Tabelle auf dieser Seite nicht darstellbar]

7.3 Nachlaufwirkungen

Eine Anpassungsautomatik setzt eine Regelung der Anpassung, also eine Rechenvorschrift voraus. Lange Zeit galt bei uns die Formel:
R0 = (W-2+W-3+W-4)/3. Es wurde also ein gleitender Dreijahresdurchschnitt beginnend mit dem vor-vergangenen Jahr gebildet. Ein derartiger Dreijahresdurchschnitt gleicht Schwankungen einzelner Jahre gut aus, er führt aber bei über mehrere Jahre laufenden gleichförmigen Veränderungen zu ungewollten Ergebnissen, wie in dem folgenden Zahlenbeispiel gezeigt wird. Dabei sollen die Bezugswerte W in den ersten Jahren sich gleichförmig um jeweils 10% erhöhen, dann einige Jahre auf diesem Niveau verharren, um anschließend wieder auf den Ursprungswert abzusinken:

[Tabelle auf dieser Seite nicht darstellbar]

Es ist leicht erkennbar, dass die Renten R0 während der konstanten Steigerungszeit der Bezugswerte W den zeitgleichen Bezugswerten W0 hinterher laufen, diese in einem längeren Zeitraum der Konstanz einholen und bei längerem Fall der Werte W diese zeitweilig überholen. Dies führt, wenn die Finanzierung der Renten von den Bezugswerten abhängt, wie dies bei uns der Fall war (und ist), zu Finanzierungserleichterungen in Zeiten des ständigen starken Wachstums und zu erheblichen Finanzierungsproblemen in Zeiten des Umbruchs und besonders bei zeitweiligem Schrumpfen der Bezugswerte.
Gegenwärtig wird im geltenden Rentenrecht ein Anpassungsfaktor nach der Formel f0 = W-1/W-2 berechnet und die Anpassung zum 1. Juli des Jahres durchgeführt. Diese Formel führt offensichtlich zu etwas aktuelleren Anpassungen. Völlig ohne Zeitverzögerungen werden die Anpassungen nie sein können, weil die zur Anpassung erforderlichen Daten eben erst nach Ende der Bezugszeiträume vorliegen, so ist die Verzögerung um ein halbes Jahr als technisch bedingt anzusehen.

7.4 Bezugsgröße

Wenn etwas angepasst werden soll, dann muss auch feststehen, woran angepasst werden soll, was ist Bezugsgröße? Im gegenwärtigen Recht waren es zunächst die Bruttolöhne aller nicht selbständig tätigen Versicherten. Dies ging solange gut, wie die Bruttolöhne von Jahr zu Jahr mit hohen Prozentsätzen stiegen. Als die Lohnerhöhungsraten geringer wurden, entstanden die ersten Finanzierungsprobleme der gesetzlichen Rentenversicherung, als deren Folge die Beiträge erhöht wurden. Nun gerieten die Nettolöhne unter Druck: Geringe Steigerungen der Bruttolöhne bei steigenden Zwangsabgaben führen zu noch geringeren Steigerungsraten, ja sogar zum Fallen der Nettolöhne. Die Renten drohten stärker zu steigen als die Nettolöhne. Das Rentenrecht wurde geändert: Bezugsgröße wurden jetzt die Nettolöhne. Diese Bezugsgröße wird aber bei den geplanten Änderungen der Zwangsabgaben (Entlastungen) zu einigen Sprüngen in den angepassten Renten führen. Danach wurde die Bezugsgröße abermals in mal modifizierten Nettolohn, mal in modifizierten Bruttolohn - je nachdem, was einen geringeren Rentenzahlbetrag ergab - geändert.
Nun ist die Anpassung der Renten an die Löhne, gleich ob Brutto- oder Nettolöhne, ja nichts anderes als die Anpassung an einen etwas stümperhaft gebildeten Index. Warum also nicht gleich die Renten an einen Preisindex eines Ein-Personen-Rentner-Haushalts anpassen? Freilich gibt man damit zu, die Renten an einen Index anzubinden - und solange man die Fiktion aufrecht erhält, dass Mark gleich Mark sei (formale Konstanz der Währung, heute: Euro gleich Euro), wird man damit so seine Schwierigkeiten haben. Bisher jedenfalls verbieten das Gesetz und die Bundesbank jeden Indexbezug ganz allgemein. Die Einführung des EURO und der EZB (Europäische Zentralbank) ändern an diesem Sachverhalt nichts.
Die derzeitigen und schon seit Jahren bestehenden Finanzierungsprobleme unseres Rentensystems beruhen auch darauf, dass die Bezugsgröße (Arbeitseinkommen) falsch gewählt ist.
Wir brauchen für die Dynamisierung der gesetzlichen Rente eine neue Bezugsgröße. Dies könnte das zur Einkommensteuer deklarierte Einkommen sein. Will man die Anpassung der Renten an die Entwicklung der Einkommen binden, dann sollten die Renten auch an die Einkommen, nicht nur an einen einzigen Einkommensteil, die Löhne, gebunden werden. Es fehlen hier die Einkünfte aus Kapitalvermögen (Zinsen), Landwirtschaft und Forsten, Vermietung und Verpachtung, selbständiger Tätigkeit, gewerblicher Tätigkeit sowie die „sonstigen Einkünfte“ praktisch also auch die Einkünfte aus Transferzahlungen wie Arbeitslosengeld, Sozialunterstützung und dergleichen mehr. Die Renten könnten also an die Gesamtheit der Einkünfte gekoppelt werden.
Technisch finden sich die erforderlichen Angaben in den Deklarierungen zur Einkommensteuer. Hier geht es um die Deklarierungen nicht um die um Freibeträge und sonstige Abzüge geminderten steuerpflichtigen Einkommen oder gar um die veranlagte Einkommensteuer, denn was von den deklarierten Einkünften tatsächlich der Steuer unterworfen wird, soll nach wie vor alleine Angelegenheit der Steuer sein, sie hat nichts mit der hier gesuchten Messgröße zu tun. Diese Regelung hat den Vorteil, dass das geltende Einkommensteuerrecht nicht geändert zu werden braucht. Die Feststellung der deklarierten Einkünfte ist einfach (keine große Bearbeitungszeit) und bedarf - mindestens für unsere Zwecke - keiner Kontrolle. Selbstverständlich geht es hier nur um die Steuererklärungen der natürlichen Personen. Aus den deklarierten Werten kann - nach Abschneiden der unteren und oberen Extremwerte - leicht ein Durchschnitt errechnet werden, dessen jährliche Veränderungen als Maß einer Dynamisierung genommen werden können.
Die Bezugsgröße „deklarierte Einkünfte in der Einkommensteuer“ hat noch einen erwünschten Nebeneffekt: Die mögliche Steuerhinterziehung durch einfaches Vergessen von Einkünften wird durch eine Minderung der Rentenanwartschaft sofort geahndet.
Wesentlich einfacher ist es, als Anpassungsfaktor den ohnehin zeitnah vom Statistischen Bundesamt berechneten Index zur Messung der Kaufkraft (Inflation) zu nutzen. Gleichzeitig könnte festgelegt werden, dass die Rente in jedem Fall mindestens in unveränderter Höhe gezahlt wird. Diese Klausel soll weniger die Rentner beruhigen als vielmehr in einem Konjunkturabschwung für sichere inländische Nachfrage sorgen, diese Klausel ist also ein Instrument der Konjunkturpolitik.

7.5 Zusammenfassung

Die Renten müssen dynamisiert werden. Als Bezugsgröße könnte ein Durchschnitt der gesamten jährlichen Einkünfte aller natürlichen Personen genommen werden. Technisch wäre diese Forderung durch die deklarierten Einkünfte zur Einkommensteuer ohne besonderen Verwaltungsaufwand realisierbar.
Meine Empfehlung ist jedoch, die Renten über den Preisindex jährlich anzupassen.

01.10.2012
Hermann Müller
Bentieröder Bruch 8
OT Bentierode
D-37547 Kreiensen

Hinweis: Tabellen sowie Hoch- und Tiefstellungen sind in dieser Seite nicht (korrekt) darstellbar.
Unter Verwendung des Buches von Hermann Müller: „Rente – Grundlagen einer allgemeinen Altersversorgung“. Das Manuskript ist bei www.querkopp-mue.de abrufbar.

Bürgerreporter:in:

Hermann Müller aus Einbeck

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