Ein Augenblick nur.....
Ein Augenblick nur .....
Während du mich anlächeltest beschleunigte die Bahn ihr Tempo und es war nur ein kurzer Augenblick, den ich dich ansehen konnte. Das ist nun schon Jahre her. Seitdem habe ich jeden Tag die Bahn genommen, immer die gleiche Strecke und immer in der Hoffnung, dich wiederzusehen.
Was für ein absurdes Unterfangen, doch neigen wir Menschen manchmal zu solchen aberwitzigen Handlungen, wenn sich in uns Träume breit machen, deren Tiefe uns mehr berührt, als wir anfangs zu denken wagen. Immer wieder hoffe ich darauf, dich einmal wiederzusehen, den sanften Blick aus deinen Augen, dein schönes Lächeln, für mich einzufangen, festzuhalten auf der Netzhaut meines Seins. Doch leider, leider ist jeder Blick vergebens. Es sind dort Menschen, große, kleine, dicke, dünne, schöne, armseelige, reiche Menschen, jedoch keiner so wie du. Alle starren sie mit ihren trübseeligen Augen vor sich hin. Wo bist du nur? Gibt es dich überhaupt noch? Nein, diese Frage will ich mir nicht stellen. Du bist existent und irgendwann, ja wirklich, irgendwann, da werde ich dich wiedersehen und du wirst mich anschauen und wissen, wie sehr du mir gefehlt hast. Wie sehr mein Herz jeden Tag aufs Neue geschlagen hat, an der Bahnstrecke, die mit einem Augenblick mein Leben verändert hat. Irgendwie überkam mich das Gefühl von lebenslänglich, lebenslänglich verloren in deinen Blicken, die nur kurz auf mir ruhten.
Wie kann es sein, dass solche Momente das ganze Leben durcheinanderwirbeln können. Bin ich gar verrückt? Sicher bin ich das! Verrückt nach dem einen Augenblick, der meine Seele und mein Herz für immer gefangen halten. Wieder und wieder werde ich die Bahn nehmen, bis zu dem Tag, an dem ich dich wieder für mich lächeln sehe. Oftmals habe ich mich gefragt, ob deine Augen blau, grün, grau oder braun waren. Zu schnell war die Beschleunigung des Zuges um genauer hinzusehen. Es gab da ja auch noch dein Lächeln. Ob du wohl auch an mich denkst? Was für eine stupide Frage, die ich mir da jeden Tag aufs Neue stelle. Natürlich machst du das. Meine Augen sind grün, ich möchte es nur einmal erwähnen. Vielleicht hast du ja angestrengt überlegt, welche Farbe meine Augen haben könnten. Ich weiß es nicht. Traumverloren blicke ich aus meinem Fenster. Das Gitter davor, ich weiß nicht, warum es dort ist. Wortfetzen aus der Ferne: „Alzheimer im fortgeschrittenen Stadium!“ Eine Kirchturmuhr schlägt zwölf. Macht sie das wirklich? Die Bahn kommt gleich, ich muss los. Rüttele an der Tür. Rufe! Irgendwann öffnet sie sich. Ich werde böse, denn ich habe die Bahn verpasst. Nur weil ich nicht hinaus konnte, hinaus in des Tages Kälte. Dabei wollte ich doch nur deinen wärmenden Blick einfangen. Doch immer und immer wieder sagt man mir, ich dürfe nicht gehen. Wieso nicht? War ich nicht erst gestern noch dort draußen? Der Mann mit dem weißen Kittel sagt, ich sei schon seit Jahren nicht mehr draußen gewesen. Ich glaube ihm nicht. Seine Blicke hinter der Brille sind nicht freundlich. Ich mag seine Augen nicht! Nein, ich mag sie nicht. Oder bilde ich mir dies nur ein?
Einen Moment überlege ich, ihm ans Schienbein zu treten. Einfach an ihm vorbei zu laufen und frei zu sein ..... einen Augenblick nur .....
© Elisabeth van Langen
Demenz ist nicht das Ende, jedoch endlos zeitlos! (E.v.Langen,2013)
Bürgerreporter:in:Elisabeth van Langen aus Köln |
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