Tagebuch eines Obdachlosen - Tour gegen Ausgrenzung wird selbst zum Ausgrenzer
Er wollte sich den „Respekt der Gruppe verdienen“, sagt der Hamburger Obdachlose Max Bryan, der nach seiner Rückkehr in der Hansestadt einen ergreifenden Reisebericht veröffentlicht. „Armut fließt durchs ganze Land“, so der Titel der Veranstaltung, die Bryan als Mitfahrer spontan begleitet hat und was er berichtet ist zweischneidig. Zum einen die wunderbarer Geschichte eines Obdachlosen, der aus der Niederlage Kraft schöpft und über sich hinaus wächst und andererseits die ruhmlose Geschichte einer trickreichen Ausgrenzung, sogar von Lüge und Verleumdung ist die Rede, ausgehend vom Hamburger „Cafee mit Herz“ einer Sozialstation, „die sich berühmt gegen Armut und Ausgrenzung zu kämpfen und dabei selbst zum größten Ausgrenzer wird“, schreibt Bryan in seinem zweiteiligen Bericht, der vor wenigen Tagen im Internet erschien.
http://www.facebook.com/notes/max-bryan/cafee-mit-...
(TNN) Die Geschichte beginnt heldenhaft. Bryan, der kein eigenes Fahrrad besitzt, bewirbt sich beim Hamburger „Cafee mit Herz“ für eine Stelle als Mitfahrer. Die von Sponsoren zur Verfügung gestellten Fahrräder sind aber nur für offizielle Mitglieder der „Gruppe“ vorgesehen, also für Leute, die monatelang für die Aktion trainiert haben. In dem Fall für eine Radtour vom Bodensee nach Hamburg. 10 Obdachlose und/oder Arbeitslose fahren mit dem Rad 1300 km quer durch Deutschland und wollen ein „Zeichen setzen gegen Armut und Ausgrenzung“, so das Motto der Veranstaltung. Max Bryan, der selbst seit 16 Monaten obdachlos ist, schreibt daraufhin 20 Fahrradhändler in Hamburg an und bittet um ein Fahrrad, um bei der Aktion mitfahren zu können. Fünf sagen ab, andere melden sich erst gar nicht zurück und eine will helfen, eine Geschäftsfrau aus Hamburg Bergedorf und sie versorgt den Wohnungslosen mit allem was er braucht, um an der Radtour teilnehmen zu können. Ein Tourenrad der Marke KTM mit 18 Gängen Kettenschaltung, eine Radlerhose, Fahrradtaschen, Fahrradhelm, sogar ein Trikot und Proviant für unterwegs war noch dabei.
Dank der Spende eines Freundes fährt Bryan dann bis Kassel mit dem Zug, von wo aus er die verbliebenen 7 Etappen der Tour bis Hamburg mitfährt. Unterwegs trifft er Hannes, ein Mitfahrer wie er, der sich spontan der Gruppe anschließt. Zusammen verbringen sie drei wunderschöne Tage auf dem Weserradweg von Beverungen nach Verden. Eine herrliche Geschichte, auch weil der Jüngere die Vaterfunktion übernimmt, denn Bryan ist furchtbar unerfahren, was Kartenlesen angeht (er hat 15 Jahre in einer Dachkammer gelebt, TNN hatte berichtet).
Als der „Vater“ den „Sohn“ dann schließlich verlässt und Bryan sich dem Rest der Gruppe anschließen will, kommt es zum Eklat und das eigentlich schon von Beginn an. Denn einige aus der Gruppe mögen den bärtigen Mann so gar nicht, dessen Anwesenheit vielen ein Dorn im Auge ist.
„Ich hatte gehofft, mir den Respekt der Gruppe noch verdienen zu können. Indem ich zeige, dass ich als Mitfahrer mit eigenem Rad durchhalte, dass auch ich im Stande bin etwas zu leisten, wenn man mich nur lässt und mir die Chance dazu auch gibt“, schreibt Bryan in seinem Tagebuch.
Die Gruppe aber hatte gar kein Interesse diese Chance zu vergeben. Sie wollte unter sich bleiben und betrachtet den Mitfahrer als lästigen Anhang und nicht nur das.
Schon bei Ankunft in Beverungen (Bryan´s erster Etappe) macht Margot Glunz - die Chefin der Tour - deutlich,.dass in der Turnhalle kein Platz für Bryan sei und er sich draußen irgendwo außerhalb der Gruppenunterbringung etwas suchen müsse. Zitat: „Du hast 16 Monate draußen geschlafen, dann kannst Du jetzt auch draußen schlafen“ (Gedächtnisprotokoll Max Bryan / Quelle: Facebook.com).
Angeblich durfte er sich im Quartier der Gruppe - in besagter Turnhalle - nicht einmal die Hände waschen und das obwohl dem Veranstalter bekannt war, dass Bryan unter Pathophobie leidet, einer gesteigerten Angst vor Schmutz und Bakterien. Ein Mitglied der Gruppe hatte dann doch noch Erbarmen und brachte dem verstoßenen Mitfahrer einen Eimer heißes Wasser vor die Tür. „Egal was war und was ist, hier geht es um Menschsein“, soll der Betreffende zum Rest der Gruppe gesagt haben.
Eine Gruppe die gegen Ausgrenzung demonstriert wird selbst zum größten Ausgrenzer?
Laut Werbeprospekt hatte der Veranstalter zum Mitfahren aufgerufen, Zitat: „Wir freuen uns über viele Interessierte, die ein oder mehrere Etappen mitfahren“. Bryan war so ein Mitfahrer und er ist obdachlos und mittellos, wie jeder andere in der Gruppe auch. Wäre es nicht ein Akt der Menschlichkeit gewesen, ihn mit in der Turnhalle übernachten zu lassen? Warum muss ein Obdachloser, auf einer Tour, die gegen Ausgrenzung demonstriert, selbst noch diese Ausgrenzung erfahren?
Frau Margot Glunz - die Verantwortliche - hat sich bislang dazu nicht geäußert und schlimmer noch: Angeblich gab es Leute, die wollten aber nicht durften und gegenüber der Südwest Presse sagte Glunz: „Wer die Abfahrt verpasst ist raus“. Gab es kurz vor Abreise noch mehr Streit? Mussten auch andere gehen, nur weil sie irgendwelche völlig überzogenen Regeln verletzt hatten?
Angekündigt waren 10 Teilnehmer, gefahren sind dann nur acht, „wovon allein drei Teilnehmer Mitarbeiter vom Cafee mit Herz waren: Rainer, Heiko und Margot“ (Quelle: MaxBryan.com). Wenn das stimmt, wären es sogar nur fünf tatsächlich Betroffene gewesen, die nicht zum näheren Umfeld des Veranstalters gehörten. Wo waren die anderen geblieben? Wo war Rudolf Scharping, der Schirmherr der Aktion und andere Prominente, die sich für die Tour angeblich mal interessiert hatten? Max Bryan stellt diese Fragen couragiert und sein jüngster Blogbericht gleicht einem Brandbrief an die Adresse der Verantwortlichen.
Angeblich hat der Veranstalter ihn sogar „ausgetrickst und stehen gelassen“ und er habe sich „noch nie so ausgegrenzt gefühlt, wie auf dieser Tour“, berichtet Max Bryan, der offenbar wohlüberlegt nicht ins Detail geht. Nur so viel: „Ich hatte das Gefühl, dass Margot Glunz sich nicht wirklich für Obdachlose interessiert, dass sie den Job wegen aller möglichen Gründe macht, nur nicht aus Nächstenliebe oder dem Verständnis für Obdachlose“, schreibt der in Hamburg gestrandete Wissenschaftsautor bei Facebook.com.
Max Bryan lebt seit 16 Monaten auf der Straße. Er selbst sagt, er habe „keine andere Wahl“, er müsse draußen schlafen und es sei „kompliziert“. Aufgrund seiner Behinderung sei es nur schwer, eine Arbeit und eine Wohnung zu finden, in der er auch leben kann. Die Teilnahme an der Tour sollte das alles verändern, „aber manchmal lassen die Menschen das nicht zu“, schreibt er abschließend in seinem Bericht und erinnert damit auch an die schönen Momente der Tour, die er mit anderen Mitfahrern hatte.
Tourbericht (Fotos):
http://www.facebook.com/media/set/?set=a.265019406...
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Bürgerreporter:in:TV Newsdesk aus Köln |
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