Das Lächeln am Fuße der Leiter

Das Lächeln am Fuße der Leiter

Wenn ich mich heute noch einmal mit diesem Thema beschäftige, dann tue ich es aus zwei Gründen: erstens, weil ich mich langweile und ich gar keine Lust habe, mich mit dem noch langweiligeren Zimmer zu beschäftigen, an dessen einziger Tür die Warnung steht: Wenn Sie dieses Zimmer verlassen, verlassen Sie die Wirklichkeit – und zweitens, weil mich Ilse dazu genötigt hat. Allerdings mit einem so ungeheuchelten, zweifelsfreien Interesse, dass ich mich dazu hofiert fühlte und ich mich nun, ganz entgegen meiner Gepflogenheit, nichts zweimal zu schreiben, zumal, wenn ich es x-mal erzählt habe, dazu bemüßigt sehe, ein weiteres Mal meine Phantasie dem Clown zu widmen, dem irgendwie sein Lächeln abhanden gekommen war, und er es doch unter recht merkwürdigen Umständen wiederfand.
Zuerst erscheint es gar nicht so verwunderlich, dass er sein Lächeln verloren hatte, denn wenn man weiß, dass er viele Namen hatte und genauso viele Geburtstage, wenn nicht sogar noch mehr, dann ist es überhaupt nicht mehr so ungewöhnlich, dass er an manchen Tagen etwas durcheinander war und an einem dieser wunderlichen Tage sein Lächeln verlor.
Aber gerade dieses Lächeln, das er immer so sorgfältig in der tiefen Tasche seiner buntkarierten, viel zu weiten Hose versteckt hatte. Keiner sollte es entdecken. Er wollte sich auch selber eines Tages damit überraschen und ein wenig glücklich machen. Er hatte es selber erst einmal gesehen.
Das war an dem Tag gewesen, als er zum ersten Mal allein in der Manege auftreten durfte. Unter seinem breiten, roten Lachen, das er sich noch ungeübt in sein Gesicht geschminkt hatte, schimmerte es ein wenig hindurch. Aber auch nur so zart, dass er es selber sehen konnte. Ja, und da hatte er eben beschlossen, es für einen ganz besonderen tag aufzuheben, weil es eben ein ganz ungewöhnliches Lächeln gewesen war.
Und wie gesagt, dann war es weg und einfach nicht aufzufinden. Und umso verzweifelter er es suchte, vor allem als er dazu immer wieder die Hosentasche herauskrempelte und wie verloren auf das riesige, graue Elefantenohr starrte, das an seinem bunten Hosenbein herunterbaumelte, desto komischer wurde er.
Und geradezu ekstatisch trampelte und randalierte das Publikum, wenn er das breite, schiefe, rote Lachen einfach so, wie es nun einmal war, im Gesicht stehen ließ und in sich hinein sah, um dort vielleicht etwas von dem wie eine Wolke verflogenen Lächeln wiederzuentdecken.
Aber schließlich wurde er auch sehr schnell langweilig, denn wer sich einmal krankgelacht hat, der möchte sich bei nächsten Mal wenigstens totlachen. Aber das konnte der Clown nicht mehr bewirken.
Und so gab er sein Lachen seinem Bruder, dem es auch gleich genau ins Gesicht passte, und zog davon, ohne zu wissen, wohin er wollte. Doch er ging sehr genügsam mit seinen Ersparnissen um und kam in der Welt kreuz und quer doch viel herum.
Aber selbst im Land des Lächelns konnte er das seine nicht finden. Und eben deshalb, weil er (dort) nicht lächeln konnte, galt er bald als unhöflich. Und da er sich nicht richtig mit einer Sprache, sondern immer nur mit einem Lachen, das er ja nun auch nicht mehr besaß, verständlich machen konnte, wurde er noch trauriger als er es ohnehin schon war, und mied die Menschen immer mehr.
Nur schreibe ich diese Geschichte nicht, um zu erzählen, wie und wo und warum der Clown sein Lächeln nicht wiederfinden konnte.
Nein, ich erzähle sie deshalb, weil ich doch selbst in mir ein Lächeln fühlte, als ich hörte, dass er es dann doch wiederbekam.
Er saß eines sternenklaren, warmen Tages in einem kleinen Restaurant, nippte an einem lila funkelnden Saft und sah versonnen in den Himmel hinauf. Seine Gedanken schweiften über die Milchstraße und stießen ganz plötzlich an den vollen Mond, der dort oben ganz gelassen herum schwebte. Ja, und in dem breiten, runden Gesicht des Mondes entdeckte der Clown sein Lächeln. Dachte er jedenfalls. Vielleicht erinnerte er sich auch nicht mehr so ganz genau an sein eigenes. Aber dies da oben, das schien es ihm doch zu sein. Und deshalb wollte er es sich schnurstracks wiederholen, denn, so sagte er, war man ja auch schon lange genug hinter ihm her gewesen.
So trank er rasch seinen lila Saft aus, fand, wie zufällig an die Gaststube gelehnt, eine lange Leiter, nahm sie mit, mit dem ehrlichen Vorsatz, sie sogleich, nachdem er sein Lächeln wiederhaben würde, zurück zu bringen.
Eilig, so schnell es die lange, schwere Leiter zuließ, auf eine große Wiese, die von dem Mond, zu dem er die Leiter hinaufstellte, beschienen wurde.
Mutig stieg er die erste Sprosse hinauf, vorsichtig kletterte er auf den nächsten weiter, und schließlich, verschwitzt vor Anstrengung und ‚Ängstlichkeit, aber mit dem festen Willen, dem Mond das Lächeln abzutrotzen, kam er bis zur Hälfte hinauf. Dort bekam er zu wackelige Knie , weil er versehentlich, wenn auch nur ganz flüchtig, hinunter gesehen hatte und sich nun ganz festklammern musste, um ja nicht hinab zu stürzen. Dazu fing die Leiter auch noch bedenklich an zu wackeln, denn es war von ihm unbemerkt, schon längst Tag geworden, und der Mond, gegen den die Leiter gestellt war, war irgendwo hinter den Schäfchenwolken verschwunden, die einen schönen Tag ankündigten und von denen die eine die Leiter noch stützte.
Der Clown, dem die Kraft dazu fehlte, die Leiter wieder hinunter zu steigen, schaute ich hilflos um und empfand um sich herum das schenkelklatschende Gelächter, das ihn bei seiner gespielten Hilflosigkeit in der Manege begleitet hatte.
Und mit einem Mal sah er einen roten Papierdrachen zu ihm hinauf fliegen, den ein Mädchen unten auf der Wiese steigen ließ. Der Drachen kam immer näher, und gerade im richtigen Moment ließ der Clown mit dem Mute der Verzweiflung die Leiter los, ergriff die Leiste des Drachens und segelte sanft an der Leiter mit ihm hinunter. Kurz vor dem Boden kam der Drachen jedoch ein bisschen ins Trudeln, und der Clown landete etwas unsanft am Fuße der Leiter im Gras.
Er lag noch erschrocken auf der Wiese und versuchte in seiner Verstörung heraus zu finden, ob er nun noch am Leben sei oder (schon) im großen Vielleicht, was er sich allerdings nicht als Wiese vorgestellt hatte, als auch schon das Mädchen heran geeilt war, um ihm zu helfen.
Etwas verwundert stellte der Clown fest, dass sich das, was ihm von dort oben auf der Leiter wie ein Mädchen erschienen war, sich als eine junge Frau entpuppte, die dazu mit munteren, freundlichen Augen ansah, als sie feststellte, dass er unverletzt geblieben war.
Alles dies war ihm für einen zeitlosen Augenblick wie ein Traum, in dem sein breites, schiefes, rotaufgetragenes Lachen zu einem ungeschminkten, feinen Lächeln zusammenfloss.
Allerdings zu einem doch noch ziemlich verlegenen, was die hübsche junge Frau dem Erzähler gegenüber heiter und mit einem Augenzwinkern feststellte.

Bürgerreporter:in:

Doc Grille aus Hannover-Mitte

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