Der Hinübersche Garten am Kloster Marienwerder - Grünanlagen in und um Hannover
Unterhalb von Hannover schlängelt sich die Leine in vielen Mäandern durch eine Auenlandschaft. Heute nur noch selten, aber in früheren Zeiten oft, führte der Fluss große Wassermengen mit sich. Gerade im Frühjahr, wenn im Harz die Schneeschmelze einsetzte, wurde das Leinetal dann auf seiner gesamten Breite überschwemmt. Wer dort an der Leine siedeln wollte, war sie doch ein attraktiver Wasserweg, musste sich einen erhöhten Standpunkt aussuchen, um keine nassen Füße zu bekommen.
Wie in Hannover auch, das damals im 13. Jahrhundert 1500 Einwohner zählte und das an einem Werder entstanden ist, gab es auch sechs Kilometer nordwestlich der Stadt ein solches. Nacheiszeitliche Sanddünen hatten das Land angehoben. Die Leine konnte an einer Furth überquert werden. Und so hatte die Natur an dieser Stelle günstige Bedingungen für eine Besiedlung geschaffen.
So kam es, dass der Augustinerorden gerade dort ein Kloster anlegte, das im Jahr 1200 eingeweiht wurde. Zu der Klosteranlage gehörten Äcker und Wiesen, Gemüse- und Obstgärten, ein Klosterforst und Fischereien.
Nach der Reformation im 16. Jahrhundert wurde das Nonnenkloster in ein evangelisches Damenstift umgewandelt.
Im Dreißigjährigen Krieg fiel es Plünderungen zum Opfer. Auch Brände setzten den Anlagen zu, so dass 1724 ein neues Klostergebäude errichtet werden musste, dass noch heute steht. Erhalten geblieben ist aber die im Stile einer Basilika errichtete ursprüngliche Kirche, das älteste aller hannoverschen Gotteshäuser.
Einen Einschnitt gab es im Jahr 1760. Jobst Anton von Hinüber, Sohn des Ernst Andreas Hinüber, der Königlich Großbritannisch und Kurfürstlich Braunschweig-Lüneburger Oberpostkommissar und Postmeister zu Hannover war, bedingt durch die Personalunion mit England, trat seinen Dienst als Amtmann in Kloster Marienwerder an. Georg III., König von Großbritannien und Irland, Kurfürst von Braunschweig Lüneburg und ab 1814 auch König von Hannover, hatte ihn dazu berufen. In seinem Amt war er auch Pächter der zum Kloster gehörenden Ländereien.
Nachdem Hinüber zuvor in Göttingen Jura studiert hatte, trat er eine zweijährigen Bildungsreise an. Sie führte ihn in die Niederlande, nach Frankreich und nach England. Dort lernte er, nachdem die Zeit zunächst der Renaissancegärten aus dem 15. und 16. Jahrhundert zu Ende gegangen war und nun auch die der Barockgärten nicht mehr als modern galt, die neuen Englischen Gärten kennen. Die waren so ganz anders als die streng geometrisch angelegten mit schnurgeraden Wegen und gestutzten Buchsbaumhecken und beschnittenen Bäumen versehenen bisherigen Gartenanlagen. Sie sollten der wirklichen Natur nahekommen, sollten wie natürliche Landschaften wirken.
Nach deren Vorbild ließ nun Hinüber, sieben Jahre nachdem er sein neues Amt in Marienwerder übernommen hatte, in Verbindung mit dem Kloster, dessen Ländereien, der Auenlandschaft der Leine und einer Sanddüne einen englischen Garten anlegen, einen der ersten dieser Art in Deutschland. Kleine Wäldchen, Wiesengelände, geschwungene Wege, mehrere Teiche, die durch Bäche mit kleinen Wasserfällen und von Brücken überspannt verbunden waren und überall lauschige Ecken prägten diesen neuartigen Landschaftstyp. Es gab Sichtachsen zu besonderen Objekten wie zum Beispiel dem einer Ruine nachempfundenen Hexenturm, dem Chinesischen Pavillon, zu einem Obelisken oder einer Einsiedlerhütte. Unter einer alten Eiche gab es einen Druidenaltar, es gab eine künstliche Begräbnisstätte mit Gräbern von Romanfiguren, sogar ein offenes Grab und es wurden an mehreren Stellen Gedenkurnen zu Ehren verschiedener Persönlichkeiten aufgestellt. Mit Sinnsprüchen auf Tafeln oder an Bänken sollten auch moralische Gedankengänge und Emotionen geweckt werden.
Dass dieser Garten wegen seiner Neuartigkeit damals etwas ganz Besonderes war, kann man sich denken. Er wurde als ein Musterbeispiel eines englischen Landschaftgartens angesehen und dementsprechend gern besucht. Durch diese schöne Landschaft zu spazieren, war ein Highlight der Gesellschaft. Auch Charlotte Kestner, die Goethe im "Werther" als Lotte verewigt hat, wandelte auf den gewundenen Wegen.
Ab etwa 1860 verfiel die Gartenanlage so nach und nach und wurde auch verkleinert, da in ihrem nördlichen Bereich ein Friedhof angelegt wurde. 1927 übernahm die Stadt Hannover Kloster und Garten. Und ab den Sechzigerjahren wurde er, wenn auch nicht so wie er ursprünglich war, wieder instand gesetzt. 1997 wurde er dann unter Denkmalschutz gestellt, und zwei Jahre später, zur Expo hin, die das Thema "Die Stadt als Garten" hatte, unter Naturschutz und gehört damit zum Landschaftsschutzgebiet Mittlere Leine.
Auch wenn der Hinübersche Garten seine einstige Pracht verloren hat, so ist er doch in seinen Grundstrukturen erhalten. 250 Jahre ist er in diesem Jahr alt geworden. Und natürlich wurde das auch mit einem kleinen Fest gewürdigt.
Und wie früher ist er auch heute noch ein beliebtes Ziel. Zum Spazierengehen, zum Ausruhen auf einer der vielen Bänke, zum Betrachten einer schönen Landschaft oder zum Picknicken am Teich oder auf der Bleiche unter Obstbäumen, wo die Früchte auch gepflückt werden dürfen. Natürlich lohnt auch ein Blick auf die Klosteranlage und ein Besuch von Hannovers ältester Kirche. Wer Ruhe, Entspannung und einfach eine schöne Umgebung haben möchte, der ist im Hinüberschen Garten am richtigen Ort. Immer mal wieder und zu den verschiedenen Jahreszeiten ist er einen Besuch wert. Und dabei kann man sich zumindest noch etwas in die Zeit hinein versetzten, als Jobst Anton von Hinüber mit seiner Frau Anna Justine durch diese schönen Grünanlagen wandelte.
Siehe auch: Parkanlagen und Grüngebiete in und um Hannover
Bürgerreporter:in:Kurt Wolter aus Hannover-Bemerode-Kirchrode-Wülferode |
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