Zur EVOLUTION von „Kunst“-Kulturellem: Eiszeit-Steinzeit-Kunst
Geht man von der These einer „Evolutionisierung“ der „Kunst“ aus – will Stammbäume für Malerei- und Skupturen-Entwicklung aufstellen – so sind „Evolutionsprinzipien“ (Auslese, Anpassung etc.) zu diskutieren. Derartige biologisch relevante Prinzipien gelten auch in Kunst und Kunstgeschichte; sind KUNST-kompatibel. Sie dienen der Erkenntnis des Wesens der Welt und unseres Selbst. Alle Bildenden Künstler (auch die FRÜH-Menschen der Eiszeit) waren (sind) als Neugeborene NICHT per se - von „Natur“ aus - bereits „festgelegte“ Wesen. Ihr Erbgut (Genom-Funktion) war/ist existentiell auf KUNST (KULTUR) und/oder auf „Geistiges“ (z.B. Religion) nicht angewiesen. Ob sich ein potentieller (eiszeitlicher oder „moderner“) Künstler als künstlerisches oder (un)musikalisches Wesen entwickeln wird (bzw. kann) – sich vom sog. „Tierischen” in sich kulturell evolutionär „befreien“ konnte/kann -, stand/steht nicht ab ovo in seiner „Geburtsurkunde“ geschrieben.
Um später als „Künstler“ den „Geist seiner Zeit“ (mit „KUNST“) erfassen zu können, bedarf es der Anpassungs- und Wechselwirkungsprozesse des potentiell musischen Organismus mit seiner Umwelt. Besonders Spiegelzellen-geprägte Beziehungs-Erfahrungen im Erziehungs-Umfeld machen „Künstler“ „tauglich“ für KUNST-Experimente und Gespräche mit „KUNST“-Zeitgenossen.
„Kunst“-Kulturelles und Eiszeitkunst
Bildende KUNST als spezieller KULTUR-Bereich ist eine fundamentale Dimension menschlicher KULTUR-Äußerung. Schön, dass in Stuttgart in einer Ausstellung (1) die „Venus“ als älteste bekannte Darstellung eines Menschen – umgeben von ihren Zeitgenossen und Nachfahren – gezeigt wurde. Die FAZ-These - „Zum Künstler wurde der Mensch offenbar nicht erst nach und nach. Sobald er schuf, schuf er richtig“ – bezweifelte ich: Durch die Verschränkung von EVOLUTIONs-Biologie (mit Neuro-Wissenschaften) und KUNST - auch „Kunst“ der Frühmenschen - sind neurobiologisch und evolutionspsychologisch inspirierte Einsichten nutzbar auch für Erkenntnisse in der Kunstwissenschaft.
Was Naturwissenschaftler entdecken – z. B. SPIEGEL-Zellen als das neurobiologische Fundament für Resonanz- und Spiegelphänomene – ist relevant für Kinder-Kunst-Entwicklung und allgemein eine Evolutionäre Bildwissenschaft (Ästhetik-Meme, Memetik-Theorie der Kunst). „Man bedenke, dass ein Gemälde, bevor es ein Schlachtross, eine nackte Frau oder irgendeine Anekdote wird, grundsätzlich erst einmal eine ebene, in einer bestimmten Anordnung mit Farben bedeckte Fläche ist.“ (Maurice Denis.) Und: Erst nach und nach lernt ein Kind - ontogenetisch und phylogenetisch betrachtet – Zeichnen und plastisches Formen. (2)
Genesis des Gottesbildes & Denkgegenstände der ‚Kunst’
In (3) schrieb ich hierzu: Man kann die Geschichte der Kunst und Religion(en) auch als Geschichte der allmählichen (evolutionären) Entdeckung der Erscheinung der Umwelt betrachten. Zur Erkenntnis der Dinge selbst sind Ordnung und Sinn (Denken) in unsere visuellen Erlebnisse zu bringen. Es dauerte lange Zeit, bis prähistorische „KünstlerInnen“ Beutetiere realistisch darstellen konnten. Bis ein Menschen-Kind mit Zeichen, die Vorstellungen symbolisch darstellen, umgehen kann (Punkt, Strich, Kreis; Gesicht), vergehen 2-3 Jahre Entwicklungszeit. (SB – (2).)
Für manche Menschen war das „Göttliche“ in der Umwelt enthalten (Natur, Himmel etc.), das im „Kunstwerk“ darzustellen war (Tempel, Pyramiden, Kirchen, Moscheen, christliche Malerei). Genesis der Theologie, Kultus, absolute Idee sind erst nach und nach ins Blickfeld (Bewusstsein, Reflexion) geraten; als Ergänzung der Realität. Vor den Vorkämpfern der perspektivischen Darstellung (vgl. ALBERTI; LEONARDOs Abendmahl) füllte frühe christliche Kultur das Fenster zur Welt mit biblischen Inhalten. Man malte mit Symbolen, bloße Abschriften der Natur (illusionistische Naturwiedergabe) erfolgten später (mit DÜRER z.B.). Schon in der Steinzeit gab es mutmaßlich kulturelle Konflikte: „primitive“ erste „Kämpfe der Kulturen“; Streit mit „Atheisten“.
Richard DAWKINS Mem-Begriff und das „GOTT-Mem“- Unterstützung durch KUNST
DAWKINS sprach vom Mem-Begriff als „Einheit der Imitation“ und kulturellen Vererbung und leitete das Wort MEM vom griechischen „Mimem“ ab (als Verkürzung). So wie Gene sich im Genpool vermehren (Fortbewegung mit Hilfe von Spermien & Eizellen von Körper zu Körper), verbreiteten sich Meme im MEMPOOL, indem sie von Gehirn zu Gehirn überspringen, vermittelt durch einen Prozess, den man im weitesten Sinne als IMITATION bezeichnen kann. (Dawkins 2007.) Die „wirklich sehr alte“ Idee „Gott“ sei wahrscheinlich „viele Male durch voneinander unabhängige ‚Mutationen’ geboren“ worden. Sie repliziere sich „durch das gesprochene und geschriebene Wort, unterstützt von großer Musik und großer Kunst“. Der Überlebenswert des GOTT-Mems im Mempool ergebe sich aus seiner großen psychologischen Anziehungskraft. Dawkins glaubt: Gott existiert, und sei es auch nur in der Gestalt eines Mems, das in der von der meschlichen Kultur geschaffenen Umwelt einen hohen Überlebenswert oder eine hohe Ansteckungsfähigkeit besitzt. Primäre Traditionsbildung erfolgte durch Theologie und Kunst; mit sekundärer Verselbständigung der Disziplinen - „Variationen“ (= EVOLUTION von „KULTUR“).
RELIGIONEN-EVOLUTION zusammen mit KUNST- und Spiegelzellen-EVOLUTION
Am 27.12.2008 kommentierte ich mit dieser RELIGION-&-KUNST-Genesis-Hypothese einen FAZ-Artikel zum DARWIN-Jahr (4): Die biologischen „Wurzeln“, die zu einer kulturübergreifenden „Veranlagung“ des Menschen zu Religiosität und Moralität geführt haben, werden natürlich evolutionsbiologische Ursachen haben, die in kultureller Evolution (Meme-Evolution) gewachsen sind; durch „Transformationen“ würden LEONARDO und DARWIN heute sagen. Ein gutes Erklärungsmodell scheint es mir zu sein, wenn wir KUNST & RELIGION & EVOLUTIONSBIOLOGIE zusammen denken. Eine „neue evolutionäre Anthropologie“ interessiert den Kulturkampf Gott und/oder Darwin weniger. „Gen-Gruppen“ zur Entwicklung künstlerischen & religiösen Tuns haben sich sicher parallel mit der evolutionären Entwicklung der Spiegelneurone herausgebildet, den SPIEGELZELLEN des Gehirns als evolutionsbiologisch sehr wichtigen Grundlagen des Menschseins. Siehe WEB-Beiträge hierzu von mir – googeln bitte. Als ich mein Symmetriebuch (2) in 1989 veröffentlichte, gab es die wichtige Entdeckung der Spiegel-Neurone noch nicht.
Der Hang des Menschen zum Glauben an höhere Mächte ist parallel zur Kunst-Evolution (mit „Schamanen“ und ersten „Kunstwerken“ der frühen Steinzeit) als evolutionäre ANPASSUNG zu verstehen: KUNST & „RELIGION“ haben einen veritablen Überlebensvorteil geboten. Kunst- & Gottes-Fürchtigkeit entwickelten sich in Bifurkationen stufenweise. Während künstlerische „Prädispositionen" im Tierreich nachweisbar sind, muss nach „religiösen“ beim Tier noch weiter gesucht werden.
Das Thema Kunst-Geistiges diskutierte ich bereits in meinem leicht zu googelnden ESSAY: „Zur EVOLUTION einer (anti)„modernen“ KUNST- Bewusstseinsverfassung: Über SPIEGELZELLEN, Kunst-GEISTIGES und die (Post)MODERNE“ (ZEIT Online (5)).
Zur Evolution des KUNST-Geistigen: Hervorragende und einmalige Ausstellung zur „Eiszeit“-Steinzeit-Kunst-Entwicklung (Stuttgart). Kunst erobert die Welt
Merkmale kulturell modernen Verhaltens wie planendes Handeln und die systematische Herstellung von Werkzeugen finden wir schon vor bis zu 300.000 Jahren bei Homo erectus und Neandertalern. Steinwerkzeuge & Werkzeug-Gebrauch wurden immer mehr verbessert, d.h. spezifisch „menschlicher“: Evolution von Rohsteinen-Knochen über Geröllgeräte, Schaber zu Faustkeilen, die feiner bearbeitet als Hand- und Blattspitzen, Schmalklingen erfunden wurden. Abstrakte (!) Kunstäußerungen (oft Punkt- und Strichzeichen, Zickzacklinien 70.000 Jahre alt) und die Verwendung von Farbpigmenten waren ebenso schon lange Zeit Usus. Die abstrahierte Auseinadersetzung mit sich und der Umwelt war die Voraussetzung für künstlerisch „höherentwickeltere“ Aktivitäten („Kunst“).
Kulturelle Fähigkeiten der „Kunst“ zeigen sich in der „Modernen Kunst“ bei einigen sog. „KünstlerInnen“ nicht grundsätzlich in höherer Begabung (Qualität), vergleicht man sie mit „Kunst“ von „Künstlern“ der Jüngeren Steinzeit; dazu (1).
Mit der Entwicklung von technischen Neuerungen der Steinbearbeitung (Evolution zu formschönen, sehr symmetrischen Faustkeilen!) konnte leichter figürliche Kunst (ideenreiche Plastiken) gestaltet werden.
Die Evolution menschliche Kreativität offenbart sich anschaulich in der Wand- und Klein-Kunst (an Höhlenwänden z. B. Südfrankreichs/Nordspaniens - in Miniplastiken, bemalten Steinen, gravierten Knochen) der EISZEIT (Beweise in (1)).
Inhaltlich sticht in der Eiszeitkunst besonders das Thema „TIERE“ hervor; nicht nur Jagdtiere (kleine und große). Abbildungen von („schönen“) Pflanzen sind erstaunlicherweise sehr selten. Weit verbreitet sind aber Menschen-Darstellungen; oft symbolhaft-entfremdet mit fehlenden Köpfen (auch winzigem Kopf – Venus; siehe Bildergalerie) und/oder ohne Gesichtszüge. Sie wurden immer mehr meisterlich gefertigt und ausdrucksstärker. In meinen Symmetriebüchern habe ich dargestellt, dass schon die Mammut-Jäger eine Ornamentik mit Symmetrie entwickelt haben: vgl. erster Teil, Abb. 1 – Gravur eines Armbandes um 11.000 Jahre v. Chr.(2).
Das älteste Kunstwerk der Welt ist heute eine Frau mit üppigen Rundungen und noch üppigerem Busen - gerade einmal sechs Zentimeter groß; siehe die kopflose Venus in der Bildergalerie und w.u. dazu mehr. Ausgestellt war diese „Venus“ in der Landesausstellung "Eiszeit - Kunst und Kultur" im Kunstgebäude Stuttgart (bis 10.01.2010 – (1); der Katalog zur Ausstellung hat 396 Seiten; Cover vgl. Bildserie). Der Blick auf die „Venus vom Hohlen Fels“ und andere frühe Kunstwerke war außerordentlich lohnend, d.h. sehr erkenntnisreich für mich. „Am Anfang war die Kunst“ titelte in Nr.27 (Juli 2007) DER SPIEGEL mit schönen Bildern, in denen die Hohen-Fels-Venus noch nicht zu sehen war (siehe Abb.) Auch noch nicht in einem umfassenden Artikel der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung: „Versteh’ einer die Eiszeit-Frauen“ (Sonja Kastilan, 3.08.08; S 60/61 – s. Abb.).
Ein Rauschen ging erst im Mai 2009 durch den deutschen Blätterwald. Es wurde bekannt, dass im Herbst 2008 bei Ausgrabungen auf der schwäbischen Alb Teile einer uralten menschlichen Darstellung gefunden und zusammengesetzt worden waren. Die Medien haben sich darin überboten, die üppigen Formen der neu entdeckten Venus sexistisch zu interpretieren. Diese Sichtweise haben viele Frauen heftig angeprangert.
Im Herzen der Ausstellung, dem leicht abgedunkelten Raum mit den Schnitzereien und Malereien der Steinzeit, konnte man nun lange vor einer der vielen Venus-Frauen oder auch vor dem einzigartigen Löwen-Menschen verharren. Super: Noch nie konnte man so viele Kunstwerke der Steinzeit gemeinsam an einem Ort bewundern. Die „Venus vom Hohlen Fels“ war ebenso wie viele andere Schnitzereien das erste Mal öffentlich zu sehen. Bevor man die Kunstwerke-Schatzkammer betreten hat, konnten die BesucherInnen die raue Natur der Eiszeit kennenlernen; man wurde eingeführt in die Lebensweise und Kultur der damaligen Menschen.
In der Ausstellung waren überraschend viele Familien mit Kindern zu sehen. Beeindruckend für alle waren auch die großen Skelette eines Wollnashorns und eines Riesenhirsches. Wer wollte, konnte eine Jurte aus Fellen betreten und in einer Werkstatt aus Speckstein ein Amulett schnitzen. Extra für sie gab es einen Audioguide: Klein „Wolli“ führte Kinder für 2 Euro mit dem Audioguide durch die Ausstellung und erzählte ihnen alles Wichtige und Spannende über die Eiszeit. In Verbindung mit Themenführungen gibt es verschiedene Kinderaktionen. So können die kleinen Hobby-Archäologen ihre eigene Höhlenmalerei gestalten, Schieferplatten mit Ritzzeichnungen verzieren, Figuren aus Speckstein schnitzen oder Feuersteinklingen und einen Lederbeutel herstellen. Lobenswert! Empfehlenswert für Kinder ist auch das 44-Seiten-„Entdeckungsbuch für Kinder“, anlässlich der Ausstellung EISZEIT – zu Kunst und Kultur – vom Archäologischen Landesmuseum herausgegeben. (Siehe Bild.)
Die EISZEIT-Ausstellung dokumentierte Kunstschaffen durch die Jahrzehntausende: Im Mittelpunkt stand natürlich die „Venus vom Hohlen Fels“. Im Katalog sehen wir mehrere Ansichten der „schwäbischen Eva“ (S. 269). Dort wo der Kopf vermutet wird, ist in Wirklichkeit eine kopfartig wirkende Öse (zum Aufhängen an einer Schnur) geschnitzt – etwas asymmetrisch auf den breiten Schultern der kopf- und halslosen Figur platziert. Frage: Warum wird nicht die Öse von den Ausstellungsmachern als „Ösen-Kopf“ interpretiert?! Eine Deutung, die m.E. nahe liegt. Fruchtbarkeit und Sexualität drücke die Eva aus, ist zu lesen: im Gegensatz zu „gängigen Hypothesen“ seither zur Aurignacien-Kunst: „Kraft und Aggression-Hypothese“ oder „Schamanismus-Hypothese“. (A.a.O. S. 271.)
Der Fund des so genannten Löwen-Menschen, der ca. 32.000 Jahre alt ist, beeindruckt als Mischwesen aus Mammut-Elfenbein. Der Löwenmensch aus dem Hohlenstein-Stadel ist aus dem Stoßzahn eines Mammuts gefertigt. Kopf, Rumpf und Arme sind löwenähnlich; die Beine, Füße und die aufrechte Haltung ähneln einem Menschen. Bei der Interpretation des Geschlechts des 29,6 cm hohen Löwenmenschen aus dem Hohlenstein-Stadel im Lonetal gehe es „letztlich um die Frage Schamane oder Schamanin“, war in der Ausstellung zu lesen. (Geschlechterrollen – Wer macht was?; Katalog S. 258.) Es ei die „bislang größte und geheimnisvollste Plastik“ des frühen Jungpaläolithicums – um 300.000 v. Chr. – laut Katalog. Die Statuette mit Raubkatzenkopf und menschlichen Zügen (in aufrechter Haltung) finde als Tier-Mensch-Mischwesen in der Wandkunst Westeuropas Parallelen und sei „als Ausdruck ausgeprägter mythologischer Vorstellungen“ zu werten. (Ebenda im Katalog.)
Natürlich ist in der Schau auch das älteste Musikinstrument der Menschheit von Interesse für die kulturelle Evolution der Musik: Eine Schwanenflügelknochen-Flöte aus der Eiszeit.
"Eiszeit - Kunst und Kultur" hat als weitere Höhepunkte ein kleines Elfenbein-Mammut aus der Vogelherdhöhle Katalog S. 228 ff. – S. 262f. mehrere Ansichten. Knapp 5 Zentimeter lang ist die plastische Darstellung eines Wildpferds, gefunden in der Vogelherd-Höhle im Lonetal. Vermutlich stellt die Plastik einen Hengst in Droh- oder Imponierhaltung dar. Ein Wasservogel, entdeckt im Hohlen Fels bei Schelklingen, zeigt den gestreckten Hals des Tieres mit den am Körper liegenden Flügeln; wahrscheinlich taucht oder fliegt der Vogel.
Neben noch 50 weiteren Skulpturen wird in Stuttgart auch jüngst gefundene einfache Malerei gezeigt: freilich nicht vergleichbar mit den Meisterwerken aus der Höhle von Lascaux. (Katalog S. 228-241.) Dazu kommen auch altsteinzeitliche Objekte aus anderen Ländern. Der älteste Alb-Fund ist 40.000 Jahre alt. Weltweit die frühesten figürlichen Kunstwerke der Menschheit sind zu sehen. Dazu gehören auch die ältesten erhaltenen Musikinstrumente. Wer auf einen im Kunstgebäude auf einen Knopf drückt, dem werden sogar die Flötentöne aus nachgebauten Instrumenten beigebracht.
Ein Mammut aus Mammut-Elfenbein ist die einzige vollständig erhaltene Figur unter den aurignacienzeitlichen Kleinkunstwerken der Schwäbischen Alb. Wie die meisten anderen Elfenbeinfiguren ist sie sehr klein. Sie misst nur 3,7 cm und wiegt 7,5 g. (Fundort Vogelherd-Höhle, ca. 35 000 Jahre). Die älteste vollständige Plastik der Welt war bei Ausgrabungen im Jahr 1931 übersehen worden. Man entdeckten das Mammut erst im Jahr 2006: Prähistoriker der Universität Tübingen, die systematisch den Aushub der alten Grabungen durchsuchten, fanden die kleine Plastik, die keine Stoßzähne zeigt. Sie konnten vom Künstler in der 3,7cm-Plastik wohl nicht geschnitzt werden.
Kunsthistorische Betrachtungen – Evolution des Sinnes für Schönheit
Über „Kunst und Musik“ schreiben die Ausstellungsmacher für die Presse: „Der moderne Mensch entwickelte mit Kunst und Musik neue Ausdrucksformen, deren ältesten Zeugnisse in Form von geschnitzten Figuren aus Mammutelfenbein und Knochenflöten aus den berühmten Höhlen der Schwäbischen Alb stammen. Abgebildet wurden im Jung-Paläolithikum hauptsächlich Tiere, aber auch Menschen wie zahlreiche Frauenfiguren bezeugen. Viele verzierte und skulptierte Gebrauchsgegenstände zeigen, dass Kunst ein wesentlicher Bestandteil des Lebens der Menschen war. Diese Kunstwerke könnten Ausdruck eines Jagdzaubers gewesen oder bei Initiationsriten und anderen schamanistischen Bräuchen verwendet worden sein.“ (Quelle Link „Presse“ in: http://www.eiszeit-2009.de/ - die „Startseite“ zeigt eine Bilderserie.)
Dass die Neandertaler(innen) der mittleren Altsteinzeit keineswegs dumm waren, sondern fürsorglich und Sinn für Schönheit hatten, beweist die Ausstellung:
Kunst aber kannten sie nicht. Die „schönen Künste“ kamen erst mit dem aus Afrika vor etwa 40.000 Jahren zugewanderten Homo sapiens sapiens. Ihm ist der Hauptteil der „Eiszeit“-Ausstellung gewidmet. Gezeigt wird: Mit ihm beginnt die Kulturstufe „Aurignacien“, die von vielen Innovationen geprägt ist. Damals entstanden auch die weltberühmten Kunstwerke aus den Höhlen, in denen die Menschen meist nur im Frühjahr und Herbst gewohnt haben. Im Winter waren sie zu kalt – so bevorzugte man Rundhütten aus Fell; in der Schau ist eine aufgebaut zu sehen.
Aus der nächsten Kulturstufe, dem „Gravettien“, stammen auch wieder viele Frauenfiguren, oft gesichtslos, aber sexbetont. Männer sind zu Phalli (wie aus dem Hohlen Fels) reduziert. Und im folgenden „Magdalénien“ sind Frauen auf ein "gebärfreudiges Becken" reduziert. Aus der Altsteinzeit gibt es auch Darstellungen von Frauenkörpern wie die bekannte 26.000 Jahre alte "Venus von Willendorf". Eine "Venus von Saviagno" der Schau wurde in der Nähe von Modena gefunden und ist 18.000 bis 25.000 Jahre alt. Die "Venus vom Hohle Fels" (mit oder ohne Kopf?) ist also deutlich älter als diese beiden Figuren. Die bei Schelklingen gefundene Venus ist nach Einschätzung der Archäologen mindestens 35.000 Jahre alt. Zur Deutung der sechs Zentimeter hohe Elfenbein-Plastik siehe weiter oben.
In Wien konnte ich die ungefähr 26 Tausend Jahre alte "Venus von Willendorf" schon einmal bewundern und fotografieren, die ein Mann oder eine Frau in der Größe von nur knapp elf Zentimetern Höhe aus Kalkstein einmal modelliert hat. Wahrscheinlich mit scharf geschlagenen Steinklingen und spitzen Steinwerkzeugen, die die Wellen, Linien und Punkte auf den Figuren hervorbrachten und so Frisuren, Schmuck und vor allem die Körper-Rundungen versinnbildlichen.
Bei vielen der Plastiken sind Brüste, Bauch, Oberschenkel und Gesäß stark betont. Wozu die Figuren dienten, werden wir vermutlich nie genau wissen. Wahrscheinlich waren sie Darstellungen von Göttinnen und/oder Fruchtbarkeitssymbole.
Die Macher der sensationell guten Stuttgarter Ausstellung zeigen nicht nur die berühmten Funde aus Baden-Württemberg. Frauenfiguren aus dem französischen Laussel oder aus Mainz-Linsenberg haben die Ausstellungsmacher ebenso nach Stuttgart gebracht: so den bekannten Frauenkopf aus Dolní Vstonice (Tschechien) und die stark stilisierten Frauenfiguren aus Nebra.
Meine These, dass die Anfänge religiösen Bewusstseins in der Altsteinzeit (Eiszeit) sehr eng mit der evolutionären Entwicklung des Kunst-Schaffens sowie der Bewusstseins-Evolution verknüpft zu denken sind, sehe ich in der Stuttgarter Schau bestätigt. Für einen „einzigen“ Erklärungs- und Deutungsansatz ist die Eiszeit-SteinzeitKunst wohl sicherlich zu komplex. „Und keiner weiß warum…“ stand (resignierend?) auf einer Austellungs-Wand der Stuttgarter Schau geschrieben.
Einen mythisch-religiösen Zusammenhang vermuten die Stuttgarter Ausstellungsmacher in den Vereinfachungstendenzen der Spätphase der Jüngeren Altsteinzeit: Sie wird in Frankreich nach dem Fundort Le Mas d’ Azil auch „Azilien“ genannt wird. Höhepunkt mit geometrisch verzierten Kieseln – auch in der Höhlenstein-Höhle gefunden. In einer Höhle bei Basel hat man zerschlagen Bruchstücke solcher Kiesel gefunden; nach der Bemalung offenbar zerschlagene „Kunstwerke“.
Kleiner Exkurs: Siehe hierzu heute Kunst- Zerschlagungs- & Zerstörungs-Tendenzen - „moderne“ Kunst und die Antikunst-Bewegung sowie Nicht-Kunst-als-„Kunst“-art. „Dada & Co“, „kunstlose“ Performance, Fluxus, Happening. Und: Kunstverachter Arnulf Reiner mit seinen kunstlosen „Übermalungen“.
Statuetten-Entwicklung – Kunstevolution – Doppelauge/Gehirn-Evolution
Die ältesten (!) figürlichen Kunstwerke der Welt stammen bisher (!) aus den Höhlen der Schwäbischen Alb. Interessant ist, dass die ausgestellten Figuren oft wie moderne Kleinplastiken aussehen: schnörkellos und formvollendet, was weiterentwickeltes stereoskopisches Sehen (Doppelauge/Gehirn-Evolution) vermuten lässt. Während die Plastiken in der Altsteinzeit aus ausgesprochen runden Teilen bestehen, wirken ihre Körper in der Jungsteinzeit eher kubistisch und schlank bis dürr. Die Fundorte erstrecken sich bis heute von Südwestfrankreich bis an den Baikal-See und den Vorderen Orient. Besonders erstaunlich ist auch für die Kunst-Evolution, dass sich die Klein-Plastiken in den Grundformen über diese weiten geographischen Räume gleichen!
Die berühmte "Venus von Willendorf" zum Beispiel wurde in Österreich gefunden, ihre "Schwester", gleiches Alter, gleiche Größe, die eine verblüffende Ähnlichkeit in den Proportionen und ihrer Körperhaltung aufweist und ebenso aus Kalkstein ist, fand man in Kostienki am Don in Russland, etwa 2.000 Kilometer weiter östlich. Das offenbart, dass sich in diesen Figuren mutmaßlich „Kunst“ UND ein spiritueller Gedanke („Religiosität“) ausdrückt. Und: Religiosität, die Frage nach dem Woher und Wohin des Lebens, ist in der der Altsteinzeit in den Figuren der "Großen Mutter", der Frau als dem "Symbol des Lebens" repräsentiert.
Die Statuetten nehmen gegen Ende der Eiszeit - vor rund 11.500 Jahren - abstraktere Formen an: Oft sind ihre Leiber („picasso-artig“) zu Gefäßen geformt, die in der Realität zur Aufbewahrung von Nahrung oder als Trank-Opfergefäß dienten. "Erdmutter" und "Muttergöttin" symbolisieren Schöpfungskraft und Regenerationsfähigkeit. Auch Toten-Kulte bekommen nunmehr große Bedeutung. Rituale des An-Betens, der Gesänge und (Kreis-)Tänze spiegeln Glaubens-Vorstellungen. In der Jungsteinzeit fanden sie in der Verehrung von Göttinnen ihren Ausdruck. Somit können die (schamanistischen) Figuren nicht nur als Abbilder realen Frauen-Daseins gedeutet werden, sondern auch als KUNST-Archetypen für den Zyklus von Leben, Tod und Wiedergeburt.
Die letzte Eiszeit endete vor etwa 10.000 Jahren. Es wird wärmer, Wälder wachsen, wo zuvor Steppe war. Holz wird zum bevorzugten Material in der „Mittelsteinzeit“, die vor 6500 Jahren von der „Jungsteinzeit“ der Ackerbauern abgelöst wird. Der große Bogen einer sehenswerten Ausstellung, die viele Überraschungen und Sensationen bietet, endete damit. Die Website der Macher der Ausstellung wurde auf 1 Seite minimiert; leider: http://www.eiszeit-2009.de/
LITERATUR & Anmerkungen
(1) Die Ausstellung "Eiszeit - Kunst und Kultur" lief bis zum 10. Januar 2010 im Kunstgebäude am Schlossplatz in Stuttgart. Sie hatte 98.000 BesucherInnen. Archäologisches Landesmuseum Baden-Wüttemberg.
(2) HAHN, Werner (1989): Symmetrie als Entwicklungsprinzip in Natur und Kunst. Königstein. Gladenbach: Art & Science, 1995. HAHN, Werner (1998): Symmetry as a developmental principle in nature and art. Singapore. (Übersetzung des Originalwerkes von 1989, ergänzt durch ein 13. Kapitel – mit erweitertem Sach- und Personenregister sowie Literatur- und Abbildungsverzeichnis.). Ebenda Kapitel 11.8.7. und 11.9.2. - 11.9.5.
(3) HAHN, Werner (2009): DARWIN-Jahr 2009: SCHÖNES und UNSCHÖNES (…) 2. Teil: Über Gestalt-Geheimnisse, RELIGIONEN-EVOLUTION & Biologie-Unterricht. In: ZEIT Online v. 25.01.2009. http://community.zeit.de/user/wernerhahn/beitrag/2...
(4) MÜLLER-JUNG, Joachim (2008): Die Gottesfürchtigkeit im Genpool. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 25.12.2008.
(5) HAHN, Werner (29.09.2008): http://community.zeit.de/user/wernerhahn/beitrag/2...
Anmerkung:
Eine längere „Bildergalerie: Kunstwerke der Altsteinzeit“ zum Blättern siehe in
http://www.swr.de/wissen/technik-forschung/eiszeit...
Bürgerreporter:in:W. H. aus Gladenbach |
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