Werner SCHMALENBACH: „Der STIL war mir und ist mir merkwürdig unwichtig“!

Werner SCHMALENBACH vor einem Lieblingsbild - Pollock (a&s-mutiert): Als Gründungsdirektor baute er die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen zu einer international anerkannten Institution auf. Die K20-Neueröffnung erlebte er nicht; er ist verstorben. (a&s
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Werner SCHMALENBACH ist gestorben: Was wir als Deutsche über moderne Kunst wissen, hätten wir von Werner Schmalenbach gelernt, meint die FAZ zum Tod des „Grandseigneurs der Kunst“. Dass heiße: „Abschied zu nehmen von jener Generation von Museumsleuten, denen wir verdanken, dass die Jahre zwischen 1933 und 1945 eine Narbe zwar, aber keine Wunde mehr sind (…) – so „WELT Online“. Der legendäre Kunst- und Museums-Experte wurde 89 Jahre. Als Gründungsdirektor baute er die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen zu einer international anerkannten Institution auf. Bis zu seiner Pensionierung arbeitete er in dem Düsseldorfer Museum K20, dessen Wiedereröffnung vor wenigen Tagen der Kurator leider nicht mehr erleben konnte.

Stefan AUST – Ex-Chefredakteur des SPIEGEL – meinte im Katalog zur Ausstellung „Die Kunst des SPIEGEL“, dass es die Originale der Ausstellung „eigentlich verdient haben als Kunst an der Wand namhafter Museen und Galerien“. (1) Die Original-Illustrationen wurden - bis auf Sylt bei den „kunstfreunden - zumeist aber in Häusern für Design und angewandte Kunst gezeigt. Walter GRASSKAMP stellt in seinem Katalog-Beitrag „Alles im Rahmen“ (S. 10 f.) einen Bezug zur Kunstgeschichte her: „Wie ein Buchmaler des Mittelalters in seiner Miniatur ein ganzes Weltbild symbolisieren konnte oder ein Renaissance-Zeichner die Natur im Detail einzufangen suchte, so sind zeitgenössische Illustratoren damit beschäftigt, das Sichtbare verständlich und das Unsichtbare anschaulich zu machen.“ Dafür brauchte es mehr als nur Handwerk, „weil es eine Kunst ist, das Allgemeine im Detail bildhaft werden zu lassen“: Im Buch zur Ausstellung (zu 200 Bildern der Cover-Schau) schreibt der renommierte Kunsthistoriker und engagierte documenta-Kritiker:

„In diesem Buch gibt es zahlreiche Beispiele dafür, wie originell zeitgenössische Illustratoren schwierige und abstrakte Themen so veranschaulichen zu können, dass sie pointiert erscheinen, ohne sich in Karikaturen zu erschöpfen; raffiniert, ohne elitär zu sein; prägnant ohne plakativ zu wirken, und gewitzt, ohne ein ernstes Thema zu verscherzen.“

Da man aber die sog. „zeitgenössische Kunst“ nur aus „komplizierten Werkzusammenhängen heraus verstehen“ könne, bleibe den SPIEGEL-Titel-Illustratoren in der Regel dieses Museumskunst-Privileg vorenthalten, „dass man die Tagesarbeiten einmal im Kontexte einer Werkgruppe oder sogar eines Lebenswerks betrachten kann und ihre Autorenschaft darüber namhaft wird“.

In diesem Zusammenhang diskutierte ich in Verbindung mit der Spiegel-Cover-Kunst das m.E. „beispielhafte Sammeln eines öffentlichen Kunstvermittlers - Werner SCHMALENBACHs „:

War vor 1933 der Bestand der sog. „Modernen Kunst“ in Deutschland beeindruckend, gingen durch den Bildersturm der Nationalsozialisten 1945 die modernen Sammlungen verloren und wurden deren Häuser im Dritten Reich oft zerbombt. Danach kam es zur Wiedereinbürgerung der Moderne und zu einer Wiedergutmachung, wenn man an die erste documenta des Arnold BODE in Kassel denkt. Nach der Verschleuderung der Kunst im Nazi-Reich haben prägende Kunsthistoriker in der nachkriegsdeutschen Museumslandschaft den Deutschen die Moderne durch gezielte Ankäufe für Museen und Publikationen (Literatur) zur Moderne nahegebracht; hierbei denke ich besonders an den kürzlich mit 89 Jahren verstorbenen Werner SCHMALENBACH (geboren 1920 – Leiter Kunstsammlung NRW Düsseldorf „K20“ - seit 1962 bis 1990); aber auch an Werner HOFMANN (Kunsthalle Hamburg), der sich für meine ars evolutoria engagiert hat.

Mit Mut zur Enthaltsamkeit beim „Kunst“-Sammeln für die öffentlichen Häuser wurde der eigensinnige SCHMALENBACH oft in Kunstbetriebs-Kreisen angefeindet: Streitlustig habe SCHMALENBACH „Abstand zu Experimenten, Avantgarden und Aktualitäten“ gehalten und er „scherte sich nicht um kunsthistorische Bezüge“, schreibt Eduard BEAUCAMP in der FAZ (7.7.10, S. 35). „Entwicklungen, Fortschritte, Vollständigkeiten, Gerechtigkeiten, Bedeutsamkeiten“ habe SCHMALENBACH nicht für wichtig erachtet: „Er verbrämte seine Erwerbungen nicht wissenschaftlich oder aufklärerisch, verachtete Richtungen, Theorien, Trends und misstraute jedweder anerkannten und hochgehandelten Kunst“.

Dass der ehemalige Museumsdirektor nicht den Suggestionen des Kunst-Markt-Betriebs erlag und den künstlerischen Wert eines Kunstwerks (nicht den kunstgeschichtlichen Stellenwert) verfochten hat, war typisch für W.S. Von der Kunstszene-Propaganda für die Aufhebung des Tafelbildes und Thesen vom Ende der Malerei hielt der eher konservative institutionelle Sammler nichts. Auch für die Nachkriegs-Moderne und Gegenwartskunst hatte W.S. hohe Qualitäts-Maßstäbe: So lehnte der Museumschef in der Beuys-Stadt Düsseldorf die Anti-Kunst des Joseph BEUYS ab und sammelte dessen Objekte nicht; den BEUYS (mehrfacher documenta-Star) hielt er für einen „nicht talentierten Scharlatan“ (SZ v. 7.7.10.) BEUYS’sche „Kunst“ passte nicht in SCHMALENBACHs Konzept. Angesichts dürftiger „aktueller“ Kunst verließ der Kunstfachmann seinerzeit konsequent den Arbeitsausschuss der documenta 3: „aus Gründen der künstlerischen Überzeugung“.

Penetranz & Unerträglichkeit des Mittelmaßes auf documentas

In einem Interview mit Martina SITT (2) äußerte sich SCHMALENBACH zur DOCUMENTA-Institution: 1959 wurde W.S. Mitglied des Arbeitsausschusses der Documenta II, ab 1964 der Documenta III. Aus „Gründen der künstlerischen Überzeugung“ trat er als documenta-„Haupttäter“ aus (ein „Rieseneklat“ so W.S.), weil jede documenta ein „monumentales Monstrum“ sei, „das die künstlerische Sensibilität eher beleidigt als stimuliert“. Zum Teil sei die Institution auch „eine gigantische Desinformation“ – die Zeit sei „ein großer Künstler-Killer“; daher habe er die IV. Documenta, die ihm immer „unerträglicher“ wurde, verlassen. Darauf hin habe ihn das Fernsehen „misshandelt“, er wurde in die „reaktionäre Ecke“ gestellt. Die „Unerträglichkeit des Mittelmaßes“ auf documentas habe ihn abgestoßen. Frühere „Normen“ seien verloren gegangen, das Mittelmaß sei im Vergleich zum „Bedeutenden“ zunehmend „viel penetranter“ geworden.

Auf die ewige FRAGE: „Ist das KUNST“?“ & Kunst-„Qualität“ reagiert W.S. im Gespräch so (S. 191 f.):

„Natürlich ist das Kunst! Was soll es denn sonst sein? Wenn es sich um eine Kunstausstellung handelt, dann ist das, was da ausgestellt wird, in Gottes Namen Kunst. Ob das Kunst ist oder nicht, ist also die falsche Fragestellung. ‚Kunst’ ist bloß eine Überschrift, eine wertfreie Rubrik. (…)“ – Hier irrt SCHMALENBACH mehrfach!

Wer einen Aschenbecher auf einen Sockel setze und in einer „Kunst“-Schau ausstellt (z.B. als Nr. 27 im Katalog) dann erfolge eine „eigentümliche Transmutation“ und ein „miserables Kunstwerk“ sei entstanden. „Erkenntnistheoretisch“ sei dies eine „ganz einfache Sache“, glaubt W.S. im Interview. Viele Leute „ärgern sich, wenn man so etwas sagt“, bekennt der Ausstellungsmacher und staatlich angestellte Kunstsammler. Und: Er bedauert, dass „in den siebziger Jahren der Qualitätsbegriff allgemein verteufelt wurde“ – und er sei „verteufelt schwierig zu rationalisieren“! „Unsinnig“ sei „die ganze Diskussion über den Qualitätsbegriff und die Legitimität oder Illegitimität von Qualitätsurteilen“. Er diskutiere darüber leider „allein auf weiter Flur“. Der „Wertbegriff“ gehöre aber „definitorisch zur Kunst“ als sie unser Urteil herausfordere. Er habe „Lust, Kunst zu bewerten“ und von dem Bereich des Museums wolle W.S. „die aktuelle Kunst ja weitgehend fernhalten“, sagt der Ex-K20-Chef. Zeitgenössicher Kunst gegenüber sei W.S. „in hohem Maße unsicher“ (S. 193): es fehle „die Distanz für ein weitgehend sicheres Urteil“. Aber er benötige für seine K20-„Kaufentscheidungen“ auf dem „Level der Sammlung“ doch „eine große Sicherheit“. Man frage ja „immer nach ‚objektiven’ Kriterien’“: Diese Fragestellung sei aber „eigentlich weit weg von der Realität des Umgangs mit Kunst“, behauptet der Kunstsammler (ausweichend).

Interessant ist das Bekenntnis: Es könne „gefährlich sein, dass man sich durch die persönliche Bekanntschaft zu einem Künstler in seinem Urteil beeinflussen lässt, positiv, aber gelegentlich auch negativ“ (S. 187).

Ebenso hartnäckig wie gegenüber dem großen Zampano BEUYS verweigerte sich der Museumsdirektor dem heutigen so erfolgreich gehandelten Super-Kunst-Markt-Star Gerhard RICHTER und Sigmar POLKE, in deren „Kunst“ der Museumsmann keine „Einzigartigkeit“ und kein „außergewöhnliches Bild“ ausfindig machen konnte.

Daher zeige sich im Düsseldorfer K20 heute „deutlich, dass die klassische Moderne und ihr Zirkulationssystem mit der Spätmoderne und der Postmoderne, mit deren Konzepten, Formaten und Strategien nur noch wenig zu tun hat, ja durch sie ausgeschwemmt und verwässert wird“, bilanziert der FAZ Kunsthistoriker-Kritiker E.B. sehr zutreffend über die häufig als arrogant gehaltene Führungs-Persönlichkeit des deutschen Kunstbetriebs seit 1945 - W.S..

In der FAZ kommentierte ich einen Artikel zur Düsseldorfer Kunstsammlung-K20-Neu-Eröffnung (10.7.- Swantje Karich): „Warum verweigerte sich Werner SCHMALENBACH dem STIL-Prinzip (GOETHEs)?“ In DIE ZEIT kommentierte ich unter der Überschrift

Werner SCHMALENBACH und das STIL-Prinzip (GOETHEs):

Das K20 ist wiedereröffnet: Ein „Traum-Museum“ (W.S.)? Analog Schmalenbach vertraut K20-Chefin Marion ACKERMANN der visuellen Kraft & „Magie“ der Einzelwerke. Armin ZWEITE hat einst Joseph Beuys installiert. Gerhard Richters „Farbtafeln“ wurden mit Beuys’scher Antikunst ins Depot versetzt! W.S. & M.A. sorgten für „eine (….) gute Stube der Kunstgeschichte“ (FAZ): W.S. verstand sich nicht als „Kunsthistoriker“, erlag nicht den Suggestionen des Kunst-Markt-Betriebs. Dem „KUNST“-lenkenden „Mäzen“ Peter LUDWIG bescheinigte er eine “nicht besonders gute Sammlung“. W.S. sammelte keinen Popismus, zählte weniger zu den Königsmachern des Kunstbetriebs mit Filz-Netzwerken (Galeristen-Sammler-Kuratoren …). W.S. erwarb Etabliertes; verweigerte sich Beuys, Polke und Richter. Dass W.S. 1984 glaubte, STIL sei heute „nicht mehr der Weisheit letzter Schluss“ – er die Autorität von STIL, das Vertrauen in STIL und den Rang und Wert des STIL-Prinzips NICHT thematisiert und reflektiert hat (anders als Werner HOFMANN 1955 mit Bezug zu GOETHEs Definition; Studium Generale Heft 1), ist für mich unerklärlich. GOETHEs Sicht über STIL: „STIL der höchste Grad“ wohin KUNST gelangen kann: „So ruht der STIL auf den tiefsten Grundfesten der ERKENNTNIS, auf dem Wesen der Dinge, in so fern uns erlaubt ist es in sichtbaren und greiflichen Gestalten zu erkennen. (…) Wort STIL (…) ein Ausdruck (…) um den höchsten Grad zu bezeichnen, welchen die Kunst je erreicht hat und je erreichen kann“. (http://www.zeit.de/2010/27/Museumsfuehrer-Duesseld... )

Im Interview mit Martina SITT sagte der verstorbene K20-Mann 1986:

„Der STIL war mir und ist mir merkwürdig unwichtig“! Das habe er in einer Rede über „Das Unbehagen am STIL“ – über STIL-Fragen – den „stilistischen Regelfall“ zum Ausdruck gebracht. Das gelte für „mein Museum“, so W.S. Immer habe ihn der „atemberaubende Sonderfall“ und das „individuelle Kunstwerk“ besonders interessiert – nicht STIL. In das kunstwerk 6/1984 erschien die Rede über „Das Unbehagen am STIL“.

Werner HOFMANN, der in (2) ein mutiges und langes „Plädoyer für den Kunsthistoriker und den Künstler als Grenzgänger und Grenzüberschreiter“ – sein „Ungenügen am Kult des Staffeleibildes“ („Tafelbildes“) – gehalten hat (1986, Kunsthistorikerkongress Berlin, Eröffnungs-Referat), bekannte sich zum „Orientierungsrahmen“, den er 1955 im Studium Generale skizziert hatte: „’Manier’ und ‚Stil’ in der Kunst des 20. Jahrhunderts.“ SCHMALENBACH wird den Aufsatz-Text von 1955 sicherlich gekannt haben als er vom „Unbehagen am STIL“ (1984) gesprochen hat. Ich zitiere HOFMANN, der sich in (2) (S. 102-130, „Produktive Kräfte“) auch mit den Problemen einer „Kunst als ‚Vereinbarungsbegriff’“, „Pluralisierung des Kunstbegriffs“ – Kunstlehre und die Spielarten des Hässlichen & Schönen – „Öffnung zur Multimaterialität“ und „Verengung“ des Kunstbegriffs („art artificiel“) auseinandergesetzt hat:

„In diesem strukturanalytischen Entwurf werden die Höhenlagen der klassischen Rhetorik zum ersten Mal auf das 20.Jahrhundert angewandt – ein Versuch, der nichts Historisierendes bezwecken, sondern die Begriffssprache – STIL versus STILlosigkeit – entemotionalisieren wollte.“ GOETHEs Aufsatz sei „bis heute ein verlässlicher ‚Landvermesser’ geblieben“, konstatiert HOFMANN (ebenda auch Anm. 24); in meinem Symmetriebuch (deutsch 1989, englisch 1998) habe ich auf W.H.s Aufsatz und GOETHEs STIL-Definiton Bezug genommen: im Kapitel 5.3.1. – MANIFEST „Zur Kunst der Zukunft“ (1971) -, das SCHMALENBACH im Gegensatz zu HOFMANN (der interdisziplinär arbeiten konnte) wohl nicht gelesen haben dürfte.

Werner SCHMALENBACHs Hausheilige waren die Kubismus-„Kerntruppe“ PICASSO, BRAQUE und GRIS sowie KLEE und die Surrealisten DE CHIRICO & Max ERNST; u.a. auch MATISSE und POLLOCK (siehe ars-evolutoria-Bild). Bei allen Ankäufen zeigt sich: ein gesammelter Bilderschatz mit schon etablierten, am Markt durchgesetzten Künstlern der Moderne – nur kein Risiko!

W.S.s Motto beim Kunst-Sammeln war, sich nicht vom Markt und dessen Moden hetzen lassen – Nichtkaufen, Abwarten, Verwerfen - und: „Entweder ein Bild packt mich, oder es packt mich nicht.“ Eine Devise, die heute angesichts verarmter öffentlicher Häuser (ohne Ankaufsetats der Museen) sehr modern sein sollte. Sehr positiv zu sehen sind die Provokationen & Attacken des verstorbenen Museumsmanns in Richtung des Kölner „KUNST“-lenkenden Schokoladenfabrikanten und Kunst-„Mäzens “ Peter LUDWIG (1), dem er eine “besonders große aber nicht besonders gute Sammlung“ bescheinigt hatte. Für W.S. galt es, das singuläre zu sammeln: „Wer vor dem Bild andere Gedanken hat als das Bild, steht vor dem falschen: Der Weg dahin interessiert mich wenig. Ich verstehe mich nicht als Kunsthistoriker und frage ungern, aus welchen seelischen Antrieben dieses oder jenes entsteht.“

Der super-reiche LUDWIG – der „Intimfeind Schmalenbachs“ - hat Pop Art gesammelt und subversiven Geist in Museen geschleust (Ludwig-Museum u.a.m.): Popismus hatte sich von der Kunst abgewandt, um sich mit dem zu befassen, was einige damals unter der Welt verstanden: Andy WARHOL malte z.B. Suppendosen, RAUSCHENBERG kleisterte Sperrmüll auf die Leinwand, Jasper JOHNS die amerikanische Flagge. Roy LICHTENSTEIN entdeckte den Comic als „Stil“. Das Malen in Riesen-Formaten – bei PICASSO noch die Ausnahme (Guernica) - setzte sich mehr und mehr durch. R.L.s Frage blieb immer: „Was und wie soll ich malen?” - siehe Lichtensteins „Self Portrait” aus dem Jahr 1978; Mutante der ars evolutoria. Kitsch-Kunst wurde später hoch gehandelt: siehe Jeff KOONS, Damien HIRST u.a.m., über die ich im Internet Artikel schrieb. (Googeln bitte).

Wenn alles „Kunst“ ist, was sich „Kunst“ nennt – sind die Königsmacher des Kunstbetriebs (Filz-Netzwerke der Galeristen-Sammler-Kuratoren …) für Erfolg oder Misserfolg einer Künstlerkarriere von Belang. Um auch als genialer Künstler ganz nach oben zu gelangen, bedarf es heute des Glücks, Zufalls und besonders der Vermarktung; ohne das Knüpfen von Kontakten zu Kunstvermittlern ist es unmöglich zu reüssieren.

Haben sich in den vergangenen Jahrzehnten die Museen kräftig verhoben, was W.S. nicht passieren konnte?

JA – „zweifellos“ meint BEAUCAMP in FAZ-„Kunststücke“ vom 2.7.2010 S.36:

E.B. hebt kritisch hervor, dass die zeitgenössische Kunstszene „nicht mehr den Ideen und Innovationen folgt, nicht nach Verdichtungen und Meisterschaften sucht, sondern sich an den Wachstums- und Wucherungsgesetzen des Marktes orientiert“. Der Kritiker fordert dringend eine „Gewissensforschung“ und eine „offensive Diskussion über Qualitäten und Konzentrationen“. Auch Kulturpolitiker müssten sich „mit den eigenen Fehlern auseinandersetzen“. Museen und deren institutionelle Kunstvermittler „mussten sich übernehmen beim Versuch, eine expansive, sich immer weiter entgrenzende Kunst einzufangen und die vom Markt aufgebauschten Stars an ihre traditionellen Häuser zu binden“. E.B. denkt hier z. B. an das Dresdner Albertinum: Förderung „ubiquitärer Matadoren“, die schon andere Museen der BRD „beherrschen und die Märkte abgegrast haben“; mit „Großauftritt in Einzelsälen“. Ich habe dies ebenfalls kritisch beleuchtet, siehe Beitrag in (2).

Museen in ihrer „Großmannssucht“ sollten wieder „ehrlicher werden“ und „fragwürdige Komplizenschaften aufgeben“; „Kennerschaft“ sei gefragt! Kritisch mit der negativen, nicht-innovativen Zeitgeist-Ästhetik setzte sich E.B. auch in einem anderen „Kunststücke“-Artikel auseinander: Ruf nach „Erneuerung“ und „Bruch“ – vgl. (3). Die „Monokultur zeitgenössischer Kunst“ sei langweilig klagt E.B.: „wenn die Platzhirsche nur unter sich sind“ im FAZ-Artikel „Nützliche Diät – Die Krise als Chance der Museen“.

Die mutierte K20-Schau, die klar die Handschrift ihres ersten und langjährigen Direktors Werner Schmalenbach trägt, der „mit großer Sachkenntnis, absolutem Instinkt und Weitsicht Meisterwerke zuhauf nach Düsseldorf brachte“; so die taz v. 13.7.10. Umso tragischer ist es, dass der Ex-Direktor am 6.7.10 - nur vier Tage vor der offiziellen Eröffnung des neuen K20 - im Alter von 89 Jahren verstarb. Die wichtigste Neuerung konnte er somit gar nicht mehr miterleben.

Miterleben kann/muss W.S. somit auch dies nicht mehr: Ab dem 11. September zeigt das K20 die Joseph-Beuys-Ausstellung "Parallelprozesse" mit 300 Rauminstallationen, Zeichnungen, Objekten, plastischen Bildern und Relikten von Beuys' Fluxus-Aktionen. In der Kunstsammlung NRW, K20, Grabbeplatz, Düsseldorf - www.kunstsammlung.de.

Werner SCHMALENBACH kaufte in seiner Amtszeit rund zweihundert Bilder, eine Menge, die, verglichen mit den Anschaffungs-Orgien heutiger Sammler, nicht allzu umfänglich ist. Um so mehr zählt die Fülle der Meisterwerke, ja der Epochenbilder, darunter das Hochmassiv aus elf Picasso-Gemälden und das unvergleichlich dichte Surrealisten-Ensemble mit de Chirico und Max Ernst als Leitfiguren. Schmalenbach hat 1986 zur Eröffnung des Museumsneubaus am Grabbeplatz ein KATALOG-Buch vorgelegt, das seine Trophäen Bild für Bild kommentiert. Über das Abenteuer des Erwerbs, die Motive der Entscheidung, die Vorlieben und Abneigungen, die wachsenden, auch wechselnden Erfahrungen werden geschildert. Auch gibt W.S. Auskunft über lange geheimgehaltene Ankaufspreise und manche Hintergründe. Selbstkritik und Urteile über Kunst und Künstler sind zu lesen. Der institutionelle „Kunst“-Macher hat sein „Kunst“-Sammeln nie wissenschaftlich verbrämt: er folgte keinen Trends, Theorien und Fortschritten. SCHMALENBACH erlag nicht Clans und ihren Suggestionen - misstraute Entdeckungen, hielt Abstand zu Avantgarden und Aktualitäten. Der STIL-Verweigerer scherte sich nicht um kunsthistorische Bedeutsamkeiten, Gerechtigkeiten und Vollständigkeiten. Er war nur darauf aus, im Markt durchgesetzte „Meisterwerke“ aufzuspüren und zu erwerben.

In Werner Schmalenbachs Buch „Die Lust auf das Bild. Ein Leben mit der Kunst ( Berlin 1997) berichtet der Autor über Kunst vor 1945 und Kunst nach 1945 : In das erste Kapitel gehören 103 Bilder, in das zweite 82. Erwerbungen. Das sind auch Begegnungen mit Künstlern, ihren Witwen, ihren Erben sowie die Geschichten des Ankaufs oder der Schenkung. „Kunstfehler“ sah Wieland SCHMIED in DIE ZEIT bei W.S.: „Aber es gibt in seinem künstlerischen Universum auch blinde Flecken. Otto Dix ist einer, Asger Jorn ein anderer, Joseph Beuys der wohl augenfälligste. Für alle drei war Schmalenbach wohl zu sehr auf die genuin ästhetische Dimension eines Werkes konzentriert.“ (Nr. 30/1997.)

SCHMALENBACH zur HITLER-NAZI-Kunst & dem Ehrentitel „Entartete Kunst“

W.S. fragte in DIE ZEIT (Nr. 43/1986), ob die “malerische Erzeugnisse von Adolf Hitler totgeschwiegen“ würden? „Schließlich waren diese künstlerischen Armseligkeiten nicht einmal Nazikunst. Sie waren bloß belanglos. Es gab auch viele andere Belanglosigkeiten in der NS-Zeit. (…)“. Dass viele Werke, die von den NAZIs ausgestellt und als „Kunst“ gefördert wurden, nicht „alles ‚Nazikunst’“ war, versteht sich, sagt W.S.: „Es gab vieles, das weder dem Regime noch irgend jemand anderem wehtat: harmlose Landschaften, harmlose Stilleben zum Beispiel. Sicher gab es da dann und wann bescheidene Qualitäten. (…).“ Nur „ die Frage nach dem Schund“ stelle sich heute. Es sei „ nichts dagegen einzuwenden, wenn jemand es unternimmt, die damals akzeptierte oder tolerierte Kunst nach übersehenen Qualitäten durchzukämmen“, stellt der Kunst-Direktor fest. Und: „Sollte auf der ästhetischen Scholle von damals irgendwo ein verborgenes Blümchen geblüht haben, dann habe ich nichts dagegen, wenn jemand dieses Blümchen in einen musealen Blumentopf pflanzt.“ (Mein Vorschlag Karl LENZ – siehe Giessener Zeitung: http://www.giessener-zeitung.de/giessen/beitrag/23...

Auch im Licht des Ehrentitels „Entartete Kunst" habe es „Fatales“ gegeben: „Das zeigt sich, wenn man den einschlägigen Katalog von 1937 durchblättert. Was dort wertlos ist, ist zwar nicht ‚entartet’, aber es ist eben ohne Wert. Noch nie habe ich gehört, dass jemand sich empört hätte, diese Belanglosigkeiten würden von den Museen totgeschwiegen.“

Werner SCHMALENBACHs „Bild des Jahrhunderts“ - ein MONDRIAN

Ein Jahrhundertwerk sei das Bild des modernen Krieges „Guernica“ von PICASSO – „die alle überragende Figur des Jahrhunderts“ - „gewiss!“, meint W.S. in „Der kategorische Imperativ“ (am 21/6/1992 in DER TAGESSPIEGEL, S. 21). Als „Spiegelung“ des Jahrhunderts sieht der Autor Piet MONDRIANs „Rhythmus aus schwarzen Linien“ (von 1935/42). Es sei ein „extrem zeitträchtiges Bild“ und „alles andere als zeitlos oder zeitfern“. Anders als die „sinnlosen, geistlosen, inhaltsleeren“ Früchte in Stilleben (Caravaggio, bis zu Manet und Cèzanne). Wenn W.S. MONDRIANs „Vorstellung einer großen, universalen Harmonie“ lobt, meint man er huldige GOETHEs STIL-Definition – siehe oben:

Das ästhetische und geistige Konzept und der „Ernst“ MONDRIANs begeistert W.S., der hier vom „kategorische Imperativ“ spricht: mit einer „wenn auch nicht beweisbaren Gültigkeit“. Auf „Glauben“ und die „Utopie einer besseren Welt“ – „auch auf die Strukturen der realen Wirklichkeit, in der wir leben“, würden MONDRIANs Werke (angeblich) hindeuten; als „emblematische Entwürfe“, die nicht „widerspiegeln“ wollten – Teil der Realität seien. MONDRIAN sei (angeblich) sei in seiner „Radikalität“ kein „Bildermaler“ wie PICASSO gewesen. Die Parole der „Innovationen“ habe „Schiffbruch erlitten“ – obgleich klar sei, „dass es zum Neuen niemals eine Alternative“ gebe. – ein „Dilemma“! Das „Kunstdenken unserer Zeit“ (Artikel von 1992! – vgl. HOETs documenta 9, HOETiade, W.H.) spiegele sich wider in MONDRIAN (formale „Minimalisierung“) & Marcel DUCHAMP (als diametraler Pol). (4)

LITERATUR & Anmerkungen

(1) HAHN, Werner: http://www.myheimat.de/gladenbach/kultur/die-kunst...

(2) SITT, Martina: Kunsthistoriker in eigener Sache. Zehn autobiographische Skizzen. Berlin 1990. Darin Werner Schmalenach - „Das Kunstwerk als Kraftquelle“, S. 168-198.

(3) HAHN, Werner in DIE ZEIT - http://community.zeit.de/user/WernerHahn - v. 29/01/10 - http://community.zeit.de/user/wernerhahn/beitrag/2...

(4) Zur Farbfeld-Malerei siehe mit Bildern & Kommentaren:

http://www.myheimat.de/gladenbach/kultur/farbfeldm... UND http://www.giessener-zeitung.de/giessen/beitrag/25...

Ebenda: Piet MONDRIAN selbst schuf 1911 das Werk „EVOLUTION“ („Evolutie“) – ein Triptychon -, das mit dem naturwissenschaftlichen Begriff der biologischen „Evolution“ überhaupt nichts (!) zu tun hat; viel aber mit Mythos & Mystik. (Vgl. http://www.myheimat.de/gladenbach/kultur/wie-man-d... )

Siehe auch zu VASARELYs Bildwelt: V.V. entwickelte sich als „Nachläufer“-Werk aus der Tradition der Malerei etwa eines Piet MONDRIAN (rechte-Winkel- & Grundfarben-„Spezialist“) und Kasimir MALEWITSCH („Schwarzes Quadrat“-Ideologie). In: http://www.giessener-zeitung.de/giessen/beitrag/21... (mit Bildergalerie).

Zu DUCHAMP bitte googeln mit „Werner Hahn“ – z.B. Readymades

Zu Duchamps Ready-made-Antikunst: Ohne die DUCHAMP-Readymade-Ikone von 1913 wäre der Antikünstler BEUYS nicht in Berlin vertreten, formulierte ich in einem anderen Beitrag: http://www.myheimat.de/gladenbach/kultur/hamburger... . Mit dem einsamen in Berlin derzeit gezeigten DUCHAMP-Anti-Kunstwerk (Schemel & Fahrradreifen, 1913 - "Roue de bicyclette") werde Sammler-Kunst (DADAISMUS z.B.) heute nicht plötzlich SUPER sagte ich. Nicht-Kunst-Interessierte sollten wissen, dass Marcel DUCHAMP die ersten Readymades der Kunstgeschichte ins Museum gebracht hat: Berühmt ist auch M.D.s Fontaine/ Brunnen/Urinoir aus Sanitätsporzellan; sign. R. Mutt, 1917. Der DUCHAMPISMUS wird heute noch als Durchbruch für die moderne Kunst gelobt. Vgl. auch Ai WEIWEIs Antikunst und DUCHAMP-Begeisterung: In: http://www.giessener-zeitung.de/giessen/beitrag/23...

Ai Weiwei arbeitet als bekennender Nachfahre der Ready-made-Anti-Kunst (Duchampismus) und der Dadaismus-Rebellion mit Anti-Kunst und Nicht-Kunst des Protests, Schocks, Skandals (scandal-art). Im Dada-Geist gestaltete Ai Weiwei auch das provozierende Foto-Bild vom aufgerichteten STINKE-Finger: mit langem Arm über der Karlswiese (ohne die 3,5 Mio. teure abzureißende Buergel-Asphalt/Glas-Kathedrale), den S-Finger aufrecht in Richtung Orangerie.

Bürgerreporter:in:

W. H. aus Gladenbach

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