Schloss GOTTORF: Der BRÜCKE-Maler Erich HECKEL & dessen expressionistisch-pantheistisches Weltbild
Die Frage „Wie gut war Kirchner?“ versuchte der Feuilletonist Florian ILLIES in DIE ZEIT Nr. 18/2010 zu beantworten. Auf dem Prüfstand stand Ernst Ludwig KIRCHNER auch beim STÄDEL: „Das Städel fragt, ob unser größter Expressionist uns hundert Jahre lang an der Nase herumgeführt hat“, schreibt F.I., der von Frankfurt als „Kunsthauptstadt“ sprach. Ich kommentierte den Artikel so:
Die KUNST-Hauptstadt der BRD ist FRANKFURT
Die SCHIRN mit z.B. mit dem großen Moderne-Star Georges SEURAT und der DARWIN-Schau sowie nach Boticelli jetzt mit E.L.KIRCHNER (im Städel Museum): wo gibt’s das sonst in deutschen Landen? Hut ab außer vor Max Hollein auch vor den Kuratoren Dr. Felix KRÄMER (Kirchner-Schau) und Dr. Pamela KORT (Darwin. Kunst und die Suche nach den Ursprüngen; DIE ZEIT berichtete seltsamerweise NICHT darüber!).
JA Herr ILLIES: „unbestechlichen Neubewertung und (…) Qualitätskontrolle“ tun der Evolutionisierung von Kunst & einer geforderten neuen Kunst(geschichte) gut.
Dass die Frankfurter Ausstellung also gründlich den Selbstaussagen des Künstlers misstraut, gehört sich so für seriöse Kunstwissenschaftler. Kirchner arbeitete wie ein "Spät/Post-Moderner", wenn er Leinwände vordatiert hat und seine eigene „künstlerische Biografie stets, wie heute einen Eintrag bei Wikipedia, aktualisieren“ konnte. „Postmodern“ - besser NEU-MODERN m.E.- ist auch, dass E.L.K. sich Artikel in einer Kunstzeitschrift, die seine Werke zeigen wollte, zur Autorisierung vorlegen ließ und sie selbstbewusst redigierte. Auch erfand er ein Pseudonym: unter Louis von Marsalle schrieb er Selbstkritiken. Eine Reaktion auf den damaligen Kunstbetrieb!
E.L.K. wollte "stete Verwandlung" (Evolution; Brief an Will Grohmann 1927): so entwickelte er in den 20er und besonders stürmischen 30er Jahren (als NAZI-Entarteter) noch einmal einen »neuen Stil« - eine "Neue Moderne"! Mehr siehe auch in 2 bebilderten Beiträgen von mir im WEB. (1)
Für uns Heutige sei bei der Beurteilung E.L.K.s entscheidend: „Der Qualität seines Frühwerkes können all die neuen Erkenntnisse nichts anhaben. Wer durch die ersten Räume der Frankfurter Ausstellung geht, gerät angesichts der Nähe zu anderen Malern, angesichts von inszenierter Spontaneität und angesichts seiner offenkundigen ‚Markenstrategie’ nie ins Zweifeln über Kirchners Qualität. Nein, es ist sogar so: Kirchners Fähigkeiten als Regisseur unserer Erwartungen steigert die Bewunderung für ihn noch mehr.“
KIRCHNER sei ein besessener Zeichner, ein rauschhaft Getriebener, gewesen, der 1905 in Dresden die Künstlergruppe Brücke mitgründete, „der in seinem Atelier und an den Moritzburger Seen Bilder befreiter, spontaner Körperlichkeit einfing“ (…).
Im Krieg wurde E.L.K. seelisch zutiefst verwundet, wanderte 1918 in die Berge von Davos aus, wo er dann zwanzig Jahre lang in Vergessenheit und Abgeschiedenheit lebte, bis er sich 1938, tief verzweifelt, zweimal ins Herz schoss.
Die KIRCHNER-Ausstellung mit einem „exzellenten Katalog“ (DIE ZEIT) geht am 27. Juli zu Ende: Wer sie nicht sehen konnte, hat die Möglichkeit sich umfassen zu informieren mittels des Kataloges. Auch ich – analog den Frankfurter Ausstellungsmachern mit Kurator Felix KRÄMER – habe in den umfassenden Artikeln mit Bilder-Galerie nahegelegt, dass die Kunst-Fachwelt die besonderen Qualitäten des Spätwerkes doch endlich anzuerkennen habe. Es ist in der Tat interessant, „dass Kirchner nicht in einem müden Expressionismus verleppert (wie seine Brücke-Kollegen Pechstein und Heckel), sondern immer weiter will und auch in den zwanziger und dreißiger Jahren noch einmal einen »neuen Stil« entwickelt“! (F.I. a.a.O.)
Zu den Brücke-Kollegen PECHSTEIN und HECKEL:
Ernst Ludwig Kirchner erschuf den Mythos von Ernst Ludwig Kirchner, weil er wusste, dass sein zeitgenössisches und sein künftiges Publikum so sehr darauf gewartet hatten, dass sich das romantische Künstlerbild des 19. Jahrhunderts endlich einmal auch bei einem Deutschen mit Rausch, Sinnenfreude und farblicher und technischer Disziplinlosigkeit verbinden möge. Und dafür tat er fast alles: z.B. die Erfindung des Pseudonym Louis von Marsalle, der mehrere Jahre lang sehr viele lobende Texte über Kirchners Werk schrieb und der – so F.I. - „noch bis in die siebziger, achtziger Jahre hinein als wichtigste Quelle für fast alle kunsthistorischen Abhandlungen über ihn zurate gezogen wurde“!
Geschichte eines „kunsthistorischer Glücksfalls"
Verglichen mit PECHSTEIN und HECKEL war der Ex-Expressionist Ernst Ludwig KIRCHNER, der originellere und innovativere BRÜCKE-Star. Die Feuilleton-&-Kultur-Seiten der Presse verbreiteten mit Bildmaterial eine spannende Geschichte: Für STÄDEL-Kurator Krämer und andere Experten wie Wolfgang Henze vom Kirchner-Archiv in Bern war es ein "kunsthistorischer Glücksfall", dass eine aus Kirchners Dresdner Brücke-Zeit (1905-1911) stammende Leinwand auf der VORDER-Seite eine „Szene im Wald (Moritzburger Teiche)“ gezeigt hat und zusätzlich auf der RÜCK-Seite einen „Akt im Atelier. Beide Bilder datieren vermutlich aus dem Jahr 1910.
Das Bemalen der Rückseite war für E.L.K. nicht untypisch; mit rund zehn Prozent seiner Gemälde machte er das so. Aber gerade dieses Rückseiten-Werk „Akt im Atelier“ – einer von den typischen Frauen-Akten Kirchners – macht den Fund kunsthistorisch kostbar: Weil hier eines der seltenen Werke Kirchners aus der frühen Zeit vorliegt. Man weiß: Eine große Anzahl seiner Bilder hat der Künstler später überarbeitet. So auch die Vorderseite „Szene im Wald (Moritzburger Teiche)“: Die Experten gehen heute davon aus, dass Kirchner es Anfang der 1920er Jahre großflächig übermalt hat. Darauf lassen etwa Infrarotaufnahmen schließen. Auch die auf der Überarbeitung liegende Signatur stamme demnach aus den zwanziger Jahren.
Motivisch ähnliche Bilder einer am nahen Seeufer zwischen Bäumen gelagerten Gruppe gibt es von 2 BRÜCKE-Freunden. Bilder-Übermalung nannte E.L.K. „Restaurieren“ – so wollte er Frühwerken in späteren Jahren neuen Schliff geben. Dies sei ihm in diesem Fall gründlich misslungen, findet Wolfgang Henze vom Ernst-Ludwig-Kirchner-Archiv und Mitinhaber der Berner Galerie Henze & Ketterer und mutmaßt, es könnte für ihn «eine Art Übungsobjekt» gewesen sein.
Interessant ist das Bild, weil die dargestellte Szene bisher bereits durch Werke von Erich HECKEL und Max PECHSTEIN bekannt war. Man weiß, dass E.L.K. seine beiden BRÜCKE-Kollegen an diesem Sommertag 1910 begleitete. Nur ein Werk von ihm dazu fehlte bislang. Städel-Leiter Max HOLLEIN will nun die beiden Bilder konservieren und das Rückseitenwerk restaurieren lassen. Pünktlich zur Eröffnung des umgebauten STÄDEL - im Herbst 2011 - soll es dann (wohl zunächst mit dem „Akt im Atelier“ zum Betrachter gedreht), die Sammlung schmücken.
GOTTORF & der BRÜCKE-Maler Erich HECKEL
Es war seit langem ein Wunsch des Berliner Brücke-Museums, endlich einmal wieder den „ganzen Heckel“ zu zeigen. Die Stiftung GOTTORF (Schleswig) ist diesem Wunsch gern nachgekommen und präsentiert momentan eine große Retrospektive unter dem Titel "Aufbruch und Tradition" als erste Station in der „Reithalle“ – siehe Bilder; Schau im Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Schloss Gottorf. Anschließend geht die Ausstellung mit 75 Gemälden, die aus Anlass des 40. Todesjahrs des Malers entstand, nach Berlin.
http://de.wikipedia.org/wiki/Erich_Heckel
Historisch-programmatisches in Kürze zur „BRÜCKE“ & Erich HECKEL
E.L.K. ist als einer der Namen bekannt, die im Jahr 1905 die Künstlervereinigung die „Brücke“ gründeten. Neben E.L.K. gehörten Erich HECKEL, Karl SCHMIDT-ROTTLUFF und Fritz BLEYEL zu den wichtigsten Repräsentanten des deutschen Expressionismus. 1902 lernten sich Bleyl & E.L.K. kennen, schreibt KIRCHNER in seiner „Chronik“, die Werner HOFMANN in seinen „Grundlagen der Modernen Kunst“ zitiert (Stuttgart 1966 S. 262 ff.).1905 erfolgte die 1. Brücke-Ausstellung in Leipzig; in der Buchhandlung P.H. Beyer & Sohn. Eine Ausstellung in eigenen Räumen hatte „keine Anerkennung“ gefunden, so E.L.K. in seiner Chronik. 1905 folgte auch Emil NOLDE der „Brücke“ - der „bereicherte“ durch seine „phantastische Eigenart (…) unsere Ausstellungen“ (ebenda Chronik). 1907-1909 malte E.L.K. im Sommer Moritzburger Teiche bei Dresden. Es kam zur Entwicklung eines eigenen Stils. 1911 zieht die Künstlergruppe "Brücke" von Dresden nach Berlin. Und 1912/1913 erhält Kirchner den Auftrag zur Chronik, die er 1913 verfasste, wonach es zur Auflösung der Künstlergruppe "Brücke" gekommen ist.
E.L. KIRCHNER stellte in der „Chronik“ abschließend als Fazit fest: „Unbeeinflusst durch die heutigen Strömungen Kubismus, Futurismus usw. kämpfte sie (die Brücke-Gruppe; W.H.) für eine menschliche Kultur, die der Boden einer wirklichen Kunst ist. Diesen Bestrebungen verdankt ‚Brücke’ ihre heutige Stellung im Kunstleben.“ Und: „Jeder gehört zu uns, der unmittelbar und unverfälscht das wiedergibt, was ihn zum Schaffen drängt“, steht im Programm des Jahres 1906.
1904 begann Erich HECKEL ein Architekturstudium an der Technischen Universität Dresden. Dort lernte er Ernst Ludwig Kirchner kennen und die Entdeckung des gemeinsamen Kunst-Wollens kulminierte 1905 in der Gründung der Künstlergruppe „Brücke“. Heckel übernahm die Geschäftsführung und engagierte sich stark im Bereich des Organisatorischen. Er gab im Gegensatz zu E.L.K. sein Architekturstudium auf. Wie die anderen „Brücke“-Maler suchte er die von der Zivilisation weitgehend unberührte Natur und verbrachte die Sommermonate 1907 und 08 mit Schmidt-Rottluff an der Nordsee in Dangast, 1909 und 10 mit Kirchner und auch PECHSTEIN an den Moritzburger Teichen.
Im Internet schreibt www.museen-sh.de zur schloss-gottorf-Retrospektive:“ Die jungen Künstler malten Bilder unmittelbarer Lebensfreude, die das subjektive Erleben und Fühlen sichtbar machen und noch heute begeistern. Der entscheidende Impuls war die Abkehr von der akademischen Tradition, der Aufbruch zu neuen Ufern, wobei man sich an Vorbildern wie van Gogh oder Edvard Munch orientierte.“
Im Sommer 1907 reiste HECKEL erstmals nach Dangast am Jadebusen, wo er zusammen mit dem Freund Karl Schmidt-Rottluff mehrere Monate blieb. Auch in den folgenden Jahren verbrachten sie die Sommer an der Ostfriesischen Küste bei Dangast: „Beim Malen in der Natur suchten die jungen Künstler, ihren Empfindungen unmittelbaren spontanen Ausdruck zu verleihen. Die raue, karge Landschaft der Nordseeküste beeinflusste sie dabei ganz wesentlich – hier entwickelten sie ihren Stil der großen Formen und leuchtenden Farben.“ Beispiele dafür sind Bilder wie „Mittag in der Marsch“, 1907 oder die Gemälde „Rote Häuser“ und die „Mühle“. (Siehe Bildergalerie.)
Nach dem Umzug aller „Brücke“-Mitglieder nach Berlin (1911) reagierte HECKEL – im Gegensatz zu E.L.K. (siehe Bilder aus der Zeit) - melancholisch auf die Eindrücke der Großstadt: „seine Farben werden gedämpfter, das Motiv melancholischer, sinnender, nachdenklicher oder krank im Bett leidender Figuren kommt hinzu“.
Auch beschäftigte sich E.H. vermehrt mit Illustrationen zu literarischen Werken. Höhepunkt des Jahres 1912 war die Teilnahme an der Kölner Sonderbundausstellung und die dortige Arbeit an der Dekoration einer Kapelle gemeinsam mit KIRCHNER. Er machte in dieser Zeit die Bekanntschaft zahlreicher Künstler wie beispielsweise Wilhelm Lehmbruck, Christian Rohlfs, Lyonel Feininger, August Macke und Franz Marc.
Im Ersten Weltkrieg ist Heckel als Sanitäter in Flandern, wo er für den Rücktransport verletzter Soldaten zuständig war. Aus dieser Zeit stammt eine Reihe von Zeichnungen und Skizzen, in denen er das Erlebte verarbeitete sowie landschaftliche Eindrücke festhielt. Auch ergab sich ein Besuch bei dem in Ostende lebenden James Ensor. Im Juni 1916 heiratete er Milda Frieda Georgi (Sidi).
Im Juni 1913 zog es HECKEL nach Norden: Kurz zuvor, im Mai, hatte sich die BRÜCKE aufgelöst. Bestehende Spannungen entzündeten sich vollends an Unstimmigkeiten über die geplante „Brücke“-Chronik. So war ein wichtiges Kapitel für Heckel abgeschlossen, als er in Osterholz an der Flensburger Förde bei dem Bootsbauer Peter Hansen ein Sommerquartier mietet und die Landschaft lieben lernt. Nach dem Krieg kaufte der Maler dort ein Haus direkt an der Steilküste.
„Ich glaube, es ist wohl auch in meinen Arbeiten hier mehr von dem Wind und den bewegten Büschen und den gebogenen Bäumen und dem bewölkten Himmel darin als heitere Sommerruhe“, schreibt Heckel im August 1913 an seinen Freund Walter Kaesbach. Eben dieses Aufgewühlte, dieses Flirrende von Wasser und Himmel ist den Ostseebildern eigen.
Nach der BRÜCKE-Zeit machte E.H. in den Sommermonaten gerne Reisen durch ganz Europa: So entdeckt er die Berge für sich: Alpen - Bodensee - Schwarzwald. Die Strenge und Monumentalität der Berge gewinnt damit erstmals auch Eingang in seine Landschaftsgemälde.
Die Zeit des Nationalsozialismus bedeutete auch für HECKEL die Diffamierung als „entarteter“ Künstler; der Krieg zerstörte einen großen Teil seiner Arbeiten. Zu KIRCHNER & NAZI-Zeit siehe ausführlich Teil 2 meines KIRCHNER-Doppel-Essays: Teil 2 mit 36 Bildern: http://www.myheimat.de/gladenbach/kultur/nazi-enta...
Ernst HECKEL verlegte 1944 seinen Lebensmittelpunkt nach Hemmenhofen am Bodensee. Nach dem Krieg lehrte er an der Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe. Mit zahlreichen Ausstellungen in ganz Deutschland und vielen Auszeichnungen (Verdienstkreuzes der Bundesrepublik Deutschland 1956, Kunstpreis des Landes Nordrhein-Westfalen 1961, u.a.) gehörte er bis zu seinem Tod 1970 zu den wichtigen Künstlern Deutschlands. Er starb am 27. Januar 1970 in Radolfzell am Bodensee.
(Quelle u.a.: http://www.bruecke-museum.de/heckel.htm )
Landesmuseum Schloss GOTTORF: mit zwei großen HECKEL-Ausstellungen und nahezu 200 Werken
Erich Heckel in diesem Sommer gleich zwei große Ausstellungen mit fast 200 Werken. In einer neuerlichen Kooperation mit dem Brücke-Museum Berlin gelingt es, bis 29. August in der Reithalle die erste große Retrospektive zu Heckel seit mehr als zwei Jahrzehnten zu zeigen.
Die Ausstellung „Aufbruch und Tradition“ zeigt im größten Ausstellungstrakt auf der Schleswiger Schlossinsel mehr als 70 Gemälde aus allen Schaffensperioden des BRÜCKE-Mitbegründers. Der Schwerpunkt liegt dabei auf Werken der »Brücke-Zeit« – allein 30 Gemälde stammen aus den Jahren 1905–1913. Darunter so berühmte Meisterwerke wie „Rote Häuser“ von 1908 oder die „Mühle“ aus Dangast, von 1909; siehe Bildergalerie. Mit der Leuchtkraft ihrer Farben und der Vitalität ihres Ausdrucks stehen sie exemplarisch für den Aufbruch des Expressionismus, heißt es. Weitere Akzente liegen auf Werken der Jahre 1914 bis in die frühen 20er Jahre. Seit 1913 verbrachte Heckel jahrzehntelang seine Sommer in Osterholz an der Flensburger Förde.
Derart umfassend wurde das Werk Heckels zuletzt in einer Retrospektive aus Anlass seines 100. Geburtstages 1983/84 in München und Essen präsentiert.
„Eine Ausstellung, die den ganzen Heckel zeigt, war ein Desiderat und schon seit langem überfällig“, schreibt Prof. Magdalena M. MOELLER vom Brücke-Museum Berlin in ihrem Vorwort zum Katalog der Retrospektive 2010. (2)
EMOTIONEN: HECKELs Weltsicht – pantheistisch – „von einer pantheistischen Naturauffassung“ geprägt.
Komplettiert wird der große Heckel-Sommer auf Schloss Gottorf durch die Präsentation von über 100 Aquarellen, die das Brücke-Museum vor 40 Jahren nach dem Tod des Künstlers aus der Hand der Witwe Siddi HECKEL erhalten hatte. Auf zahlreichen Reisen durch Europa in den 1920 und 1930er Jahren schlugen entstanden neben Gemälden vor allem viele Aquarelle. Unter dem Titel »Erich Heckel – Der stille Expressionist« sind sie parallel zur Retrospektive in den Räumen der Galerie der Klassischen Moderne zu sehen (2).
Es heißt: „Die Blätter bilden Vorstudien zu Gemälden, sind aber von hohem eigenem Rang.“
Beide Ausstellungen gehen zurück auf das Brücke-Museum Berlin und wurden auf Schloss Gottorf wie bereits im Fall der erfolgreichen „Brücke Highlights“ (Frühjahr 2008) von Dr. Uta KUHL als Kuratorin (3) organisiert und betreut.
Im Artikel „ERICH HECKEL – AUFBRUCH UND TRADITION“ (3) schreibt KUHL, dass auch das Licht Thema von HECKELs Kunst gewesen sei: „des Lichts am Meer, das sich so schnell wandelt und in unendlichen Variationen immer neu zeigt“ (S. 60). Das besondere Kennzeichen später Landschaftsgemälde sei „ de fest gefügte Komposition, in die ihr Reichtum an Details eingebunden ist. Nun sind es keine spontanen Momentaufnahmen mehr, vielmehr entstehen die Gemälde nach Zeichnungen und vorbereiteten Aquarellen.“ Aber: „Immer noch sind sie Ausdruck von Emotionen bzw. Heckels Weltsicht, die von einer pantheistischen Weltsicht, die von einer pantheistischen Naturauffassung geprägt ist“. (S. 62.)
In den „Kieler Nachrichten“ liest man: Eine „uneingeschränkte Bewunderung“ habe „schon dem Werk Ende der zwanziger und der dreißiger Jahre nicht mehr“ gegolten: „Vor allem die Figurenbilder und Porträts finden nicht immer die Balance zwischen neusachlicher Strenge und naiver Haltung.“ Und für Kuratorin Uta KUHL seien „es deshalb zu Recht die Landschaften, die den Blick lohnen“ würden: Zwei Reisebilder aus Südfrankreich (1928/29) belegten den souveränen Umgang mit Komposition und südlichen Farbvaleurs. Der „ganze Heckel“, das seien „aber eben auch die braven Küstenlandschaften der sechziger Jahre in eigenartig trüber Farbigkeit.“ Dort oben auf der Empore der Reithalle seien aber mit den Gletscherlandschaften (1955) auch „Entdeckungen“ zu machen.
Werner HOFMANN betont in seinen „Grundlagen“ der Moderne “ (s. oben), dass die Maler der BRÜCKE „kein Verlangen nach theoretischer Verkündung ihrer Absichten“ zeigten (analog den Fauves). Auch die „intellektuelle Vertiefung des Gestaltungsaktes war ihnen fremd“, stellt HOFMANN fest. Zum „Ertrag“ der Brücke konstatiert W.H. kunstkritisch „dass das Verlangen nach Ursprünglichket sich auch der jüngsten Vergangenheit (van Gogh, Gauguin, Munch) zu bedienen wusste“.
Richtig sieht es W.H. m.E. so: Zwar habe der expressionistische „Aufbruch“ (der „sensualistische Expressionismus“) „den traditionellen Bildbegriff im wesentlichen unangetastet gelassen, den Primat des Tafelbildes anerkannt und sich spekulativer Neuerungen enthalten“. Dennoch habe diese Bewegung „auf mehrstimmige Art fortgewirkt“.
Im heutigen Vergleich - E. HECKEL mit E.L. KIRCHNER- scheint mir KIRCHNER der Bekanntere, Erfolgreichere, Innovativere, Originellere mit mehr "Star-Evergreen"-Gemälden, der Kunst-Markt-Teuerere und Sammler-Händler-Begehrteste sowie (?) auch der „Talentiertere (?)“ zu sein. Siehe auch z.B. das Bild im Bundeskanzler(innen)-Amt (…): Siehe beweisendes Bildmaterial der beiden Bilderserien zu meinem Doppel-Artikel (myheimat.de) über E.L.K. – Bild mit der Legende.
„Heute erinnert (nach der documenta-1-Rehabilitierung) das Gemälde ‚Sonntag der Bergbauern’ im Kabinettsaal des BRD-Kanzleramtes an die Angriffe der Nazis auf die Kunst. Ob sich die Kabinetts-Mitglieder eines mutierten Deutschland an die ‚causa Kirchner’.“
(http://www.myheimat.de/gladenbach/kultur/heute-eri...)
Empfehlung: Beim Besuch der beiden HECKEL-Ausstellungen zuerst die Aquarelle aufsuchen und danach die Gemälde-Schau; damit eine Steigerung möglich ist.
Schlussbemerkung
Bildforschung: Erkenntnisästhetik & EVOLUTIONÄRE BILD-WISSENSCHAFT
Über die „Evolutionisierung der Kunstgeschichte – Evolutionäre Kunstwissenschaft“ schrieb ich in http://www.kunstgeschichte-ejournal.net/kommentare...
Die Kompetenz in Kunst-Bild-Dingen der Kunstgeschichte – Kunstwerke auf ihre Vergangenheit - die Funktionen und Bedeutungen hin – abzuklopfen, muss evolutionisiert werden. Eine „Evolutionäre Ästhetik“ – ERKENNTNIS-Ästhetik – forderte ich in Sachen Bild- und Kunstforschung, also eine modernere Kunstgeschichtsschreibung, die den Namen Kunstwissenschaft verdient hat.
Meine zahlreichen Artikel zur Malerei im Internet – mit beweisendem Bildmaterial versehen – können helfen, den Zustand zu verbessern: aktuelle Positionen der „Kusntgeschichte“ sind verlässlicher zu umreißen, wenn der Begriff der EVOLUTION in die Kunst-Debatte eingeführt wird. EVOLUTIONÄRE BILD-WISSENSCHAFT sollte das Stichwort lauten statt der „klassischen“ alten und überholten Benennung „Kunstgeschichte“. Der neue Begriff weist den Weg für eine inter- und transdisziplinär ausgerichtete Bild-Forschung.
Die Selbstausgrenzung der „Kunst“ (mit Dauer-Erweiterung des Kunstbegriffs) ist zu überwinden, das STIL-Prinzip darf wieder diskutiert werden: http://community.zeit.de/user/wernerhahn/beitrag/2...
Zur Diskussion einer Überwindung des in die Enge führenden Begriffspaares „Kunstgeschichte“ & „Kunstwissenschaft“ siehe auch Matthias Weiß in DIE KUNSTZEITUNG Nr. 167 (Juli 2010), S. 023 – „Impulsgeber in Bilddingen“.
LITERATUR & Anmerkungen
(1) HAHN, Werner: Doppel-Artikel zu Ernst Ludwig KIRCHNER:
Teil 1mit 37 Bildern: http://www.myheimat.de/gladenbach/kultur/ernst-lud...
Teil 2 mit 36 Bildern: http://www.myheimat.de/gladenbach/kultur/nazi-enta...
(2) Doppel-Ausstellung GOTTORF:
A: Erich HECKEL „Aufbruch und Tradition“ – Eine Retrospektive. Im Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Schloss Gottorf, Reithalle 25. April – 29. August 2010
B: Erich HECKEL „Der stille Expressionist“ – Die Aquarelle. Im Schloss Gottorf, Galerie der Klassischen Moderne 16. Mai – 29. August 2010.
Der KATALOG zur Retrospektive ist als Monographie zum malerischen Werk Heckels angelegt. Die Publikation ist im Hirmer-Verlag erschienen und kostet auf Schloss Gottorf 29,90 Euro.
Öffnungszeiten: täglich von 10 bis 18 Uhr.
Weitere Auskünfte: Kasse/Info 04621 – 813 222 / www.schloss-gottorf.de
Interessant: Expressionismus zwischen den Meeren
Im Rahmen einer Kooperation mit den Lübecker Museen legt man allen Gästen auf Schloss Gottorf auch den Besuch der zwei Ausstellungen „Ostseebilder“ von Karl Schmidt-Rottluff (vom 13. Juni bis 5. September) im Museum Behnhaus Drägerhaus und in der Kunsthalle St. Annen ans Herz. Bei Vorlage der Gottorfer Heckel-Eintrittskarte wird dem Besucher in den zwei Lübecker Museen für die Dauer der Schmidt-Rottluff-Ausstellung beim Kauf der Eintrittskarte ein Rabatt in Höhe von 50 Prozent gewährt. (Quelle http://www.gottorf.termine-regional.de/aktuelles/l...)
(3) KUHL, Uta: ERICH HECKEL – AUFBRUCH UND TRADITION. In: VERNISSAGE Ausstellungen Heft 04/10 – S. 56 bis 63 – mit 11 Bildern. An der Kasse in Schloss Gottorf verbilligt zu kaufen.
Bürgerreporter:in:W. H. aus Gladenbach |
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