AfD und Rechtsextremismus
Jetzt formiert sich Widerstand aus der Wirtschaft

"Plötzlich tut sich etwas: Nach dem Bekanntwerden eines Geheimtreffens von AfD-Politikern und Rechtsextremen regt sich Widerstand in der Wirtschaft gegen die Partei. Das sagt die Unternehmenselite des Landes dem SPIEGEL."

Quelle: SPIEGEL online 17.01.2024: "Jetzt wacht auch die Wirtschaft auf" Auszug:

"Lange haben die Chefs der großen deutschen Konzerne bis auf sehr wenige Ausnahmen zum Erstarken der zumindest in Teilen rechtsradikalen AfD und ihrer fremdenfeindlichen Rhetorik geschwiegen. Das scheint sich gerade zu ändern. In der vergangenen Woche war bekannt geworden, dass Ende November in einem Landhotel bei Potsdam AfD-Politiker, Mitglieder der »Werteunion«, Anhänger der »Identitären Bewegung«, aber offenbar auch CDU-Mitglieder einer »Remigration« das Wort redeten.

Vertreter von Dax-Konzernen wie SAP, Infineon, E.on, Deutsche Bank, Uniper und Daimler Truck sowie Mittelständler und andere führende Repräsentanten der deutschen Wirtschaft beziehen nun Stellung.

Bundesbankpräsident Joachim Nagel kündigte sogar an, sich an Gegendemonstrationen zu beteiligen. Das Erstarken rechtspopulistischer Kräfte sorge ihn »als Bundesbankpräsident und als Bürger«, sagte Nagel dem SPIEGEL am Rande des Weltwirtschaftsforums in Davos. Es sei »gut, dass jetzt viele Menschen dagegen auf die Straße gehen, ich werde mich da auch beteiligen«.

Ein tolerantes und offenes Deutschland sei wichtig für die Wirtschaft und für dringend benötigte Investitionen, sagte Nagel »Wir sind eine alternde Gesellschaft, die qualifizierte Zuwanderer braucht. Und dazu müssen diese Leute auch gerne in Deutschland leben.« Derzeit werde er allerdings eher besorgt aus dem Ausland angesprochen. »Ich werde gefragt: Was ist denn in Deutschland los?«

In Unternehmenskreisen heißt es, das Potsdam-Treffen habe in den Chefetagen etwas in Bewegung gebracht, es sei eine Grenze überschritten worden. Allerdings kritisieren die meisten Manager vor allem die Positionen der Partei, in der Regel, ohne die AfD beim Namen zu nennen. »Die Idee einer Remigration ist verstörend und unterwandert die Grundlagen unseres demokratischen Rechtsstaats«, sagte Stefan Schaible, Chef der Unternehmensberatung Roland Berger, dem SPIEGEL.

»Die Idee der sogenannten Remigration ist menschenverachtend«, schrieb Jochen Hanebeck, Chef des Münchner Chipkonzerns Infineon in einem am Mittwoch veröffentlichten Post in dem Business-Netzwerk LinkedIn. Deutschland sei ein kleines Land mit wenig natürlichen Ressourcen, aber dank kluger Köpfe dennoch eine führende Wirtschaftsnation. »Wir mussten schon immer auf die Welt zugehen, um erfolgreich zu sein«, schrieb Hanebeck. Deutschland sei immer dann am stärksten, »wenn wir Veränderung als Chance begriffen haben und als Gesellschaft alle willkommen geheißen haben, die mit uns die Zukunft gestalten wollten«.
Hanebeck zeigte in dem Beitrag auf, wo für ihn die Grenze zwischen politischem Diskurs und Missachtung der demokratischen Grundregeln verläuft. Er halte eine auf Abschottung zielende Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik für »schädlich und wohlstandsgefährdend«, über »Chancen, Risiken, Hoffnungen und Ängste« könne man jedoch demokratisch diskutieren. Nicht verhandelbar seien dagegen die Grundwerte des friedlichen Zusammenlebens. »Hass und Ausgrenzung dürfen in unserer Gesellschaft keinen Platz haben«.

Eine direkte Aussage zur AfD vermied Hanebeck. In seinem Umfeld heißt es, der Infineon-Chef halte es für kontraproduktiv, Menschen für dumm zu erklären, wenn sie die AfD wählen, man müsse die Partei bei konkreten Themen stellen.

Auch SAP, Deutschlands wertvollster Konzern, nennt die Partei nicht beim Namen. Auf Anfrage teilte das Unternehmen mit: »Die deutsche Wirtschaft profitiert von Vielfalt, Offenheit und internationaler Zusammenarbeit, während rechtsextreme Ansichten diese positiven Aspekte untergraben und das internationale Ansehen Deutschlands schädigen.«

Eher indirekt grenzt sich auch der weltgrößte Autozulieferer Bosch von der AfD ab. Als internationales und global agierendes Unternehmen setze Bosch sich dafür ein, »dass Deutschland ein weltoffenes Land bleibt«, sagte Konzernchef Stefan Hartung dem SPIEGEL. Bosch erteile »jeglicher Position zur Ausgrenzung von Teilen der Bevölkerung eine klare Absage«.

Post-Chef Tobias Meyer hebt in einem Statement für den SPIEGEL die Bedeutung der Migration für Deutschland hervor. »Sie spielt eine entscheidende Rolle für den Erhalt unseres Wohlstands und eine gute Versorgung aller Bürger.« Zudem solle man »Diskussionen offen und respektvoll führen können – und dabei keine Rhetorik verwenden, die bewusst Ängste schürt und dem Ansehen Deutschlands und damit dem Wohlstand seiner Bürger schadet«.

Deutlicher in Bezug auf die AfD wird der Chef des verstaatlichten Energiekonzerns Uniper, Michael Lewis. Er persönlich lehne jedes fremdenfeindliche Gedankengut ab, das auch die AfD vertrete, sagte der gebürtige Brite am Dienstagabend. »Uniper ist ein internationales Unternehmen, in dem Menschen aus über 50 Ländern arbeiten«, sagt Lewis. »Toleranz und Respekt sind die Voraussetzung einer erfolgreichen Zusammenarbeit, sonst funktioniert es nicht.«

Ähnlich intoniert E.on-Chef Leonard Birnbaum seine Position. E.on dulde »keine Diskriminierung oder Hassrede. Damit positionieren wir uns auch klar gegen jede Form von Extremismus und Demokratiefeindlichkeit.« Klare Haltung, aber keine direkte Aussage zur AfD."

"Mittlerweile aber sehen mehr und mehr Unternehmen offenbar ihre eigenen Geschäfte durch Radikalisierung und rechtsextreme Tendenzen gefährdet. Sie fürchten insbesondere, dass dringend benötigtes Personal vergrault werden könnte oder gar nicht erst nach Deutschland kommt. Experten wie die Migrationsforscherin Naika Foroutan schätzen, dass Deutschland jährlich mindestens 400.000 Einwanderer brauche, um den Bedarf an Arbeitskräften künftig decken zu können. »Deutschland steht vor einer riesigen demografischen Herausforderung«, sagt auch Unternehmensberater Schaible. Um sie zu meistern und den Wohlstand zu erhalten, brauche das Land Zuwanderung – »und wer will schon in einem Land leben, in dem er oder sie nicht erwünscht ist«?

Christian Sewing, Chef der Deutschen Bank, sieht in rechtsextremen Tendenzen noch aus einem anderen Grund »eine große Gefahr für den Standort«. »Auch Investoren, die Deutschland gerade auch wegen unserer festen demokratischen Werte schätzen, schauen mit Sorge auf die Entwicklungen und zögern mit Investitionen.« Rassismus und Intoleranz dürften auch deshalb »keinen Platz haben in einem offenen Land und einer global ausgerichteten Wirtschaft«. Er plädiert für eine Debattenkultur, »die auf Fakten, Vernunft und Respekt basiert«. Politik und Wirtschaft müssten den Menschen zeigen, dass »ihre Probleme und Sorgen ernst genommen werden und die Lösungen dafür nicht von Rechtsaußen kommen«.

Einer der wenigen Manager, die nicht um den heißen Brei herumreden und die AfD als Demokratie- und Standortrisiko namentlich benennen, ist Martin Daum. Er beobachte den »aufkeimenden Nationalismus« mit großer Sorge, sagt der Chef des Lkw-Herstellers Daimler Truck. »Das Erstarken der AfD schadet nicht nur der deutschen Wirtschaft, sondern vergiftet auch das gesellschaftliche Klima.« Die Partei habe keine Idee, geschweige denn eine Lösung. »Die großen Probleme, die wir haben, sind globale Probleme – ob Klimawandel oder Wohlstandsgefälle, was zu Migration führt – keiner kann dies alleine lösen.« Abschottung und Konflikt vergrößerten die Probleme. Nötig seien Zusammenarbeit, Austausch, Kompromiss und Verständnis. »Das sind Vokabeln, die ich ganz und gar nicht bei der AfD finde.«

»Wirtschaftspolitischer Wahnsinn«

Widerstand gegen die AfD formiert sich auch im Mittelstand, wo die Partei zugleich viele Sympathisanten hat. Dafür steht beispielsweise der Molkereiunternehmer Theo Müller, der Kontakt zu AfD-Chefin Alice Weidel pflegt.

Von solcher Nähe hält Wolfram Hatz, Präsident der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw), nichts. Der mittelständische Verband setze sich »mit niemandem an den Tisch, der rechte Parolen propagiert und vom Verfassungsschutz beobachtet wird«, sagte Hatz. Der Verfassungsschutz in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt stuft die AfD als »gesichert rechtsextremistisch« ein. Mit der AfD drohe »ein Rückfall in nationalstaatliches Denken und Propaganda gegen die EU und den Euro, aber pro Russland«. Das Programm der AfD sei »kurz gesagt wirtschaftspolitischer Wahnsinn«.

Und selbst aus Teilen der Wirtschaft, die der Politik der Ampelkoalition überwiegend kritisch gegenübersteht, kommen nun Stimmen, die sich gegen eine Radikalisierung der politischen Auseinandersetzung wenden. »Es muss möglich sein, die Regierung zu kritisieren, ohne den Feinden der Demokratie Tür und Tor zu öffnen«, sagte Ingemar Bühler, Hauptgeschäftsführer von Plastics Europe Deutschland. Er sei besorgt, dass Industriepolitik zunehmend für Hass und Hetze instrumentalisiert werde, wie zuletzt im Streit um Agrarsubventionen, oder wie es bei den Reaktionen auf die Plastiksteuer zu beobachten gewesen sei.

»Wir dürfen und wir werden uns nicht vor den Karren spannen lassen von denen, die die Demokratie bekämpfen«, sagte Bühler. Als Deutscher mit Migrationshintergrund wünsche er sich von Unternehmen und Verbänden »eine klare Haltung und ein deutliches Bekenntnis zu Demokratie, unseren Grundwerten und unserer freiheitlichen Rechtsordnung.« Es scheint, als erhörten mehr und mehr Wirtschaftsvertreter diesen Wunsch."
 
https://www.spiegel.de/wirtschaft/afd-und-rechtsextremismus-die-wirtschaft-wacht-auf-a-1ecacdeb-9e16-4aa4-9e87-ddb3b063496d

Bürgerreporter:in:

Bea S. aus Gießen

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