Als Rentner nur bedingt geeignet...

Als Rentner nur bedingt geeignet
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Diese Aussage trifft auf einen Mann zu, der beruflich viel von der Welt gesehen hat; Brasilien, USA, Ukraine, um nur einige Stationen zu nennen. Aus familiären Gründen heimwärts strebend nach Deutschland, ließ er sich 1978 an einen neuen Arbeitsplatz bei Hoechst in Langweid Foret versetzen um dort eine leitende Position zu übernehmen. Gersthofen wurde sein Wohnsitz. „Als ich das erste mal durch Gersthofen fuhr, hatte ich schon einen kleinen Schock“, bekennt er freimütig. Einkaufsmöglichkeiten, Kulturangebot und das damalige Ortsbild waren sehr gewöhnungsbedürftig. Es dauerte einige Zeit, bis er sich mit Gersthofen befreundet hatte. Inzwischen fühlt er sich mit seiner Frau Julia in unserer Stadt sehr wohl und genießt seinen Lebensabend im eigenen Haus im Fichtenweg.

Wesentlich zum „Wohlfühlen“ mit beigetragen hat seine ehrenamtliche Tätigkeit als Leiter der Abteilung „Turnen“. Spätestens jetzt werden die Gersthofer TSVler wissen, um wen es sich handelt. Hermann Romankiewicz leitet seit 13 Jahren die Geschicke der Abteilung, die mit 1500 Mitgliedern die größte des Sportvereins ist. Und das, obwohl er zunächst eigentlich keine große Ambitionen zeigte, Nachfolger seiner Vorgängerin Waltraud Böving zu werden. Hier half ein wenig Tochter Julia nach; sie war als Leistungssportlerin erste Bayerische Meisterin im Geräteturnen. Doch er fasste schnell Fuß mit dem ihm eigenen Pflichtbewusstsein. Heute bezeichnet er sich gerne als „Diener der Abteilung“. Vielleicht etwas pathetisch klingend – wer ihn kennt, nimmt ihm das ab. Wobei er immerhin als „Herr“ über 50 Übungsleiter und vier Ärzten in über 50 Angeboten für ca. 1500 Mitglieder agiert. Er ist u. a. verantwortlich für das Aufstellen von Belegungs- und Haushaltsplänen, oder das Aufbauen von neuen attraktiven Kursen. Und immer auf der Suche nach geeigneten Übungsleitern. Klingt nach viel Arbeit. Ist es auch, aber er er ist mit Freude dabei – er betont „Freude“; das Attribut „Spaß“ lehnt er ab. Er freut sich u. a. über gute Wettkampfergebnisse „seiner“ Sportler oder über das jährliche öffentliche Bühnenschauturnen am 2. Advent.

Der agile Endsechziger kommt immer wieder auf seine berufliche Tätigkeit bei Hoechst zur sprechen. „Mein Leben hat sich total verändert, als ich meine Arbeit bei Hoechst begann. Alles was ich erreicht habe, habe ich meiner Firma zu verdanken“, erinnert Romankiewicz sich dankbar. Also „Hoechstleistung“ aus Leidenschaft? Ja, er war immerhin auf dem Höhepunkt seiner beruflichen Karriere für die Produktion von Polyesterfäden verantwortlich. Die Arbeit hat ihm Freude bereitet. Und der Wechsel in das Rentnerleben war und ist für ihn nicht einfach. „Ich bin als Rentner nur bedingt geeignet“, stellt er mit einem weinenden Auge fest.

Natürlich gab es in seinem Berufsleben auch kritische Situationen. Eine davon war die Katastrophe von Tschernobyl, die sich im April 1986 ereignete. Er war damals für zwei Jahre in die Ukraine zum Aufbau einer Produktionsstätte für Polyester von Hoechst abgeordnet worden. Als das Unglück am 26. April geschah, befand sich Romankiewicz mit seinem Team nur 120 km von Tschernobyl entfernt. Eine Woche später erfolgte die Evakuierung nach Deutschland. „Wir hatten damals alle ein mulmiges Gefühl“, erinnert er sich. Gottlob gab es keine gesundheitlichen Schäden. Es packt ihn der Zorn, wenn er an das Ende des Weltkonzerns Hoechst denkt. „Ich könnte die für die Zerschlagung des Konzerns Verantwortlichen kräftig in den A... treten“. Er erzählt von seiner harten Kindheit; Vater im Krieg gefallen, Vertreibung, zuhause ärmliche Verhältnisse usw. Er nimmt auch für sich in Anspruch, nie den Boden unter den Füßen verloren zu haben. Und das im wahrsten Sinn des Wortes. Vor zehn Jahren konnte man ihn noch auf Äckern und in Kiesgruben herum „krauchen“ sehen, auf der Suche nach Funden aus der Vor- und Frühgeschichte. Er war Mitbegründer des Heimatmuseums Gablingen. Der politisch engagierte Hobby-Archäologe liest viel und gerne, vorzugsweise historische Romane und Biographien. Sportlich hält er sich beim TSV -und das ist eine kleine Überraschung- zurück. Er möchte lieber mit seiner Frau joggen oder im Allgäu Bergwandern, wo er einen Großteil seiner Jugend verbrachte. Sobald es die Witterung zulässt sieht man Romankiewicz in die Pedale treten, unterbrochen von längeren kommunikativen Pausen mit Freunden und Bekannten...

Zurück zum TSV. Der Abteilungsleiter sorgt sich; er möchte in zwei Jahren aufhören und sucht einen geeigneten Nachfolger. Bisher erfolglos. „Die meisten Leute wissen gar nicht, wie viel Freude ehrenamtliche Arbeit bieten kann“, wirbt Romankiewicz. Schon wieder „Freude“. Hat er keine Schwächen? „Ich bin ungeduldig und neige zur Unzufriedenheit“ bekennt er etwas verlegen lachend. „Ich halte es mit Oliver Kahn, der nach dem Motto „Immer weiter“ seine Erfolge erzielte“. Kein leichtes Erbe für seinen Nachfolger...

Das Gespräch neigt sich dem Ende zu. Abschließend darf Romankiewicz noch einen Wunsch äußern. Überraschend: „Ich möchte gerne 100 Jahre alt werden“. Warum? „Damit ich sehen kann, welche Prognosen sich erfüllt haben“, erwidert der weit gereiste ehemalige Hoechst-Mann. Er steht den Vorhersagen der Zukunftsforscher skeptisch gegenüber.

Nachdenklich fährt der myheimat-Mann nach Hause. Es überfallen ihn schreckliche Visionen bei dem Gedanken 100 Jahre alt zu werden: Gersthofen hat keinen Bahnhof mehr. Stattdessen wurde beim GVZ ein Personen-Umschlagterminal eingerichtet. Augsburg stellt eine neue Planung für die Mobilitätsdrehscheibe auf – der IKEA-Busshuttle soll miteinbezogen werden. Markus Söder ist Chef der Bayerischen Verbraucherschutzorganisation geworden und schreibt seine Memoiren „Warum gerade ich...“. Nein, der myheimat-Mann möchte keine 100 Jahre alt werden.

Bürgerreporter:in:

Gerhard Fritsch aus Gersthofen

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