Interview
Jahresrückblick mit Bürgermeister Michael Wörle
Zum Jahresausklang sprachen wir mit Gersthofens Bürgermeister Michael Wörle über das Jahr 2023. Bürgermeister Wörle freut sich besonders über einen starken Wirtschaftsstandort Gersthofen, der sich in Rekord-Gewerbesteuereinnahmen niederschlägt und damit der Stadt Handlungsspielräume für Investitionen Infrastruktur, Nachhaltigkeit und das gesellschaftliche Leben ermöglichen.
myheimat: Herr Bürgermeister Wörle, die letzten Jahre waren geprägt von Krisenbewältigung. Ist der Krisenmodus der neue Normalzustand oder ist wieder der politische Alltag eingekehrt?
Bürgermeister Michael Wörle: Die Corona-Krise war für uns alle eine Herausforderung, wie wir es uns niemals vorstellen konnten. Nun ist mit dem Krieg in der Ukraine auf einmal Krieg direkt vor unserer Haustür und ein Ende ist nicht absehbar. Mit dem Krieg in Israel merken wir ganz direkt und erneut, dass Frieden auf unserem Planeten nichts Selbstverständliches ist. Vermutlich müssen wir daraus lernen, dass „vermeintlich“ lokale Auseinandersetzungen in unserer globalisierten Welt immer näher an uns heranrücken und uns auch in Gersthofen direkt betreffen.
Ich befürchte, dass sich künftige Krisen schon abzeichnen. Die nicht-stattfindende Bekämpfung der Fluchtursachen im Globalen Süden, der Rechtsruck Europas usw. Keiner von uns weiß, was auf uns zukommt. Was jedoch nie passieren darf ist, dass wir diese Situation als „normal“ bezeichnen oder empfinden. Das kann und darf nicht als politischer Alltag akzeptiert werden.
myheimat: Der Ukraine-Krieg dauert nun fast schon zwei Jahre. Wie viele Ukrainer sind seitdem nach Gersthofen gekommen und wie funktioniert die Integration?
Bürgermeister Wörle: Aktuell sind 350 Ukrainer in Gersthofen. Rund 200 davon leben in privaten Unterkünften. Insgesamt kommen wir trotz der hohen Zahlen mit der Situation einigermaßen zurecht. Dennoch müssen die verantwortlichen Stellen im Bund, Land und Landkreis sich darum kümmern, dass die Anreizsysteme zur Flucht nach Deutschland reduziert werden, dass eine Gleichverteilung in der EU, aber auch in der Region, funktioniert und dass wir bei den Bearbeitungsprozessen deutlich schneller und in der Umsetzung sichtbar konsequenter werden.
myheimat: Sind die Folgen des Energiepreisschocks mittlerweile verdaut oder dauert der Anpassungsprozess nach wie vor an?
Bürgermeister Wörle: Die Stadt Gersthofen hatte sehr langfristige Verträge mit Energie-Lieferanten abgeschlossen, sodass der Energiepreisschock gut abgefedert werden konnte. Bei vielen Bürgern war dies nicht der Fall, diese leiden noch heute darunter.
myheimat: Corona spielt aktuell in Gersthofen...
Bürgermeister Wörle: ... keine hervorgehobene Rolle. Aktuell ist es eine Infektionskrankheit wie andere auch. Die jetzige Variante ist im Gegensatz zu früher nicht mehr tödlich, auch wenn es natürlich immer wieder schwere Verläufe gibt. Eine richtige Grippe ist für bestimmte Patientengruppen mindestens ebenso gefährlich.
myheimat: Geben Sie uns einen Einblick in die aktuelle wirtschaftliche Lage und mit welcher Entwicklung rechnen Sie? Wird es auch 2024 wieder einen Bürgerhaushalt geben?
Bürgermeister Wörle: Im Jahr 2023 werden wir Einnahmen aus der Gewerbesteuer wie noch nie verzeichnen können. Geplant wurden 35,5 Mio. Euro, aktuell sind wir bei nahezu 45 Mio. Euro. Gersthofen ist und bleibt ein starker Wirtschaftsstandort mit überregionaler Bedeutung. Das darf natürlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass es eine große Verunsicherung in der Wirtschaft gibt. In das Jahr 2024 gehen wir deshalb mit einer eher konservativen Planung. Von einem substanziellen Einbruch unserer Einnahmen ist nicht auszugehen. Unsere Ausgaben haben wir langfristig geplant. Alleine in 2024 stehen Investitionen von ca. 36 Millionen Euro an.
Im kommenden Jahr werden zunächst die Projekte aus dem Bürgerhaushalt umgesetzt, die dieses Jahr beschlossen wurden. Ich gehe fest davon aus, dass der Stadtrat auch für 2025 wieder einen Bürgerhaushalt zur Verfügung stellen wird.
myheimat: Hinter Sammelbegriffen wie Umweltschutz, Artenschutz und CO²-Reduzierung können sich die Menschen schnell versammeln. Diese Themen stehen jedoch häufig in einem Spannungsverhältnis zu anderen Interessen. So kritisieren Naturschutzverbände oft den Flächenverbrauch oder Baumfällaktionen. Wie sind diese Gegenläufigen Interessen unter einen Hut zu bringen und wie erfolgt die Abwägung welche Interessen Vorrang haben?
Bürgermeister Wörle: Im Rahmen unserer Nachhaltigkeitsstrategie versuchen wir immer die drei grundlegen Prinzipien Ökologie, Ökonomie und Soziales zusammenzubringen. Dass uns dies in der Vergangenheit hervorragend gelungen ist, sieht man an den Ergebnissen.
Keine Kommune in vergleichbarer Größe investiert in dem Bereich Ökologie und Klimaschutz so viel wie Gersthofen, wir sind nachweislich der stärkste Wirtschaftsstandort mit einem Top-Ergebnis im Ranking der Kommunen. Wir erfüllen den Wunsch nach Krippen, Kindergarten-, Mittagsbetreuungs- und Hortplätzen zu 100 Prozent. Wir bauen ein neues Jugendzentrum und haben ein vorbildliches Seniorenangebot, nur um ein paar Beispiele zu nennen.
Selbstverständlich kann man in einzelnen Punkten immer noch besser sein, aber der Ausgleich der unterschiedlichsten Interessen gelingt uns nach meiner Meinung sehr gut. Es ist auch klar, dass man als Verwaltung und auch als Politiker niemals jedem alles recht machen kann.
myheimat: Wie kommt die Stadt Gersthofen bei der Erstellung des Wärmeplans voran und auf welche Technologien setzen Sie bei der Wärme- und Energiewende?
Bürgermeister Wörle: Wir sind aktuell in der Beauftragung zur Erstellung unseres kommunalen Wärmeplans. Ich gehe von ersten konkreten Ergebnissen bis Ende 2024 aus. Fester Bestandteil werden neben den energieautarken Systemen unter anderem auch (kalte und warme) Nahwärmenetze, Biogas und Wasserstoff sein. Die Ergebnisse müssen dann noch mit den dann geltenden rechtlichen Rahmenbedingungen (z.B. Förderungen) abgeglichen werden, dann könnte der Stadtrat dies 2025 verabschieden.
myheimat: Welche Rolle spielt die Klimapartnerschaft mit Kenia für die Erreichung der Gersthofer Klimaziele?
Bürgermeister Wörle: Die Partnerschaft mit Kenia hat verschiedene Blickwinkel.
▶ Zum einen helfen unsere durchgeführten Wasser- und Energieprojekte den Bürgern unmittelbar vor Ort. Durch die Kombination und Durchführung mit Berufsschülern schaffen wir einen dauerhaften Rahmen für den Betrieb.
▶ Unsere beteiligten deutschen Unternehmen aus den Bereichen Bildung, Fachkräftezuwanderung, Erneuerbare Energien, Wasserstoff und Zertifizierung von CO2-Projekten erkennen inzwischen konkrete Marktchancen in Kenia.
▶ Bei den Gesprächen mit der kenianischen Regierung forcieren wir aktiv notwendige nationale und internationale Regelwerke und Verträge. Wir haben es geschafft, dass Kenia in den Fokus der Bayerischen Staatsregierung gerückt ist.
▶ Nicht zuletzt deshalb und aufgrund unserer pragmatischen Herangehensweise wurden wir zu einer deutsch-ukrainischen Städtekonferenz für die Unterstützung beim Wiederaufbau in der Ukraine als Referent eingeladen.
All diese Aktivitäten haben keine schnellen, messbaren Erfolge. Aber in den nächsten drei Jahren werden sich unsere Bemühungen, neben der moralischen Verpflichtung, auch in Zahlen messen lassen.
myheimat: Das Stadtbild hat sich in den letzten Jahren durch viele Baumaßnahmen verändert. Wo liegen aktuell die größten Baustellen der Stadt und welche Projekte werden als nächstes angegangen?
Bürgermeister Wörle: Selbstverständlich hat die Umsetzung unseres Grünen Herzens eine herausragende Bedeutung für Gersthofen. Die Schaffung eines großen Rathausplatzes ohne Durchgangsverkehr ist zwingend notwendig für die Überlebensfähigkeit unserer Innenstadt.
Das aktuell größte Bauprojekt in Gersthofen ist das Paul-Klee-Gymnasium, welches vom Landkreis Augsburg errichtet wird. Die Stadt Gersthofen baut die Goetheschule komplett neu und erweitert das Raumangebot an der Mozartschule. Im Rahmen der Baumaßnahmen werden auch ausreichend Flächen für die Mittagsbetreuungen und Horte direkt in den Schulgebäuden geschaffen.
Bereits im November haben die Erdarbeiten für unsere Multifunktionsfläche begonnen. Hier wird die Kirchweih am 11. Oktober 2024 erstmals am neuen Standort eröffnet. Mit dem Neubau des Jugendzentrums, der Internationalen Schule im alten Gymnasium und der Erweiterung der Förderschule wird unser Schulzentrum weitgehend fertiggestellt sein.
myheimat: Kirchweih, Wintermärchen und bald auch der Silvesterlauf – es konnte 2023 wieder ausgelassen und unbeschwert gefeiert werden. Was war ihr persönliches Highlight und wie fällt Ihr Fazit zum kulturellen Jahr 2023 aus?
Bürgermeister Wörle: Das Ballonmusical und die Aufführungen des Brandner Kaspars waren für alle Gäste Highlight-Veranstaltungen in 2023. Und nach dem riesen Erfolg der KOLLA 2023 freue ich mich schon jetzt auf die erste KOLLA-Sitzung am 26. Januar 2024. Die vielfältigen Angebote unserer Musikvereine aus Gersthofen und aus den Ortsteilen sind über das ganze Jahr hinweg einfach unverzichtbar. In Verbindung mit dem hochklassigen Angebot unserer Stadthalle mit den inzwischen etablierten Rasenkonzerten kann ich keine einzelne Veranstaltung hervorheben. Das Jahr 2023 war ganzjährig ein kulturelles Highlight!
myheimat: Auch in diesem Jahr haben die Vereine mit Ihren Aktivitäten das Stadtleben bereichert. Welchen Stellenwert haben diese für die Gemeinschaft?
Bürgermeister Wörle: Vereine haben in erster Linie für ihre Mitglieder eine ganzjährig wichtige Funktion. Ob beim Sport, der Feuerwehr, den Musikvereinen oder im sozialen und kulturellen Bereich, dies alles bereichert erst einmal jeden für sich. Gersthofer Vereine tragen aber auch dazu bei, dass unsere Stadt nicht nur ein Ort zum Leben, sondern ein Zuhause ist. Die Hingabe, die Ideen und der unermüdliche Einsatz sind die Basis dafür, dass unsere Gemeinschaft lebendig ist. Daher fördert die Stadt Gersthofen die Vereine auch in 2023 mit rund 600.000 Euro.
myheimat: Können Sie uns abschließend noch einen Ausblick auf 2024 geben. Worauf können sich die Gersthofer und Gersthoferinnen im nächsten Jahr freuen?
Bürgermeister Wörle: Wir haben in 2023 wichtige wegweisende Entscheidungen für die Zukunft getroffen, jetzt geht es an die Umsetzung. Hier wird in 2024 nicht alles sichtbar, was wir dann 2025 und 2026 umgesetzt bekommen.
Die Baumaßnahmen an den Schulen, unser erster Waldkindergarten, der Neubau des Feuerwehrhauses in Edenbergen, ein vielfältiges ganzjähriges Kulturprogramm, die KOLLA-Sitzungen, die Kirchweih am neuen Standort , …
Leider reicht der Platz nicht für eine umfängliche Aufzählung.
Ich danke Ihnen für das ausführliche Gespräch! Das Interview führte Florian Handl