Bericht aus einer „Wohlfühlstadt“
Was dieser Bericht nicht sein soll: Eine Schilderung des derzeit in Gersthofen herrschenden politischen „Ausnahmezustandes“ der die Bezeichnung „Wohlfühlstadt“ in den Augen vieler Bürger ad absurdum erscheinen lässt. Für den Stadtrat von Gersthofen eine fast unerträgliche Situation, die dem Wirken zum Wohle der Kommune kaum noch Zeit lässt. Wie kann in dieser schwierigen Zeit der einzelne Stadtrat seinem Wählerauftrag gerecht werden? Diese Frage stellte der myheimat-Mann der Stadträtin Julia Romakiewicz-Döll. Sie war bereit, Einblicke in ihre Erfahrungen und Erwartungen zu geben, die sich seit 2002 bei ihrer Stadtratstätigkeit angesammelt haben.
Das Interview findet in ihrem Haus in der Stiftersiedlung statt. Dem Pressemann sitzt eine zierliche lebhafte und sympathische Frau gegenüber, der man den Stress etwas ansieht. Gleich zum Einstieg: Hat sie den Aufwand für ihr Mandat unterschätzt? Ein klares „Ja“. Und warum tut sie sich das überhaupt an? „Ich wurde von Parteifreunden angesprochen, mich für die Stadtratswahl aufstellen zu lassen. Außerdem war ich neugierig auf das Amt und wollte die Herausforderung annehmen, an einer dauerhaften Gestaltung unserer Stadt mitzuwirken“ kommt freimütig zur Antwort. Der Preis dafür ist hoch – ca. acht Stunden wöchentlich für Sitzungen im Stadtrat mit Vorbereitungszeit und Abstimmungsgesprächen. Dazu noch die obligatorischen Besuche bei Vereinsveranstaltungen und sonstigen Festivitäten. Die Teilnahme am öffentlichen Leben ist notwendig, denn hier bekommt sie die Stimmung in der Bürgerschaft hautnah mit. Da bleibt nicht viel Spielraum für private Dinge. Aber da gibt es ja noch die Sitzungsgelder, ist das nicht auch ein Anreiz? Ein müdes Lächeln. „Ich bekomme durchschnittlich monatlich ca. 500 Euro, davon „wandern“ etwa 10 Prozent in die örtliche Parteikasse.“Als Mitglied des Personal- und Hauptausschusses versucht sie ihren „Job“ zu machen, neben Familie und Beruf – sie ist als Mitarbeiterin des Heimatpflegers Prof. Dr. Walter Pötzl im Landratsamt Augsburg tätig. Nicht zu vergessen: sie ist ehrenamtliche Referentin für Straßen, Verkehrsangelegenheiten, Verkehrsüberwachung, Umwelt und Naturschutz, Landschaftspflege, Haus- und Grundbesitz, öffentliche Anlagen, Land- und Forstwirtschaft. Der myheimat-Mann versucht den Umfang dieser Aufgabe zu ermessen und schweift ab. Mit einem energischen "Halt, jetzt aber Bahnhof" ruft er sich selbst zur Ordnung... Wie gelingt der Spagat zwischen Haushalt, Beruf und Stadrat? Was kommt zu kurz? Die 42-Jährige, Mutter eines 3-jährigen Sohnes: „Ohne der Unterstützung von meinen Eltern und meinem Mann könnte ich es nicht schaffen. Sie halten mir den Rücken frei.“ Das Privatleben mit ihrem Mann Alexander, der sich selbst augenzwinkernd als „alleinerziehender Vater“ bezeichnet, sowie mit Eltern und Freunden kommt trotzdem zu kurz.
Ganz lässt sich bei dem Gespräch die politische Situation nicht ausklammern. Wie ist denn so die Stimmung im Gremium? „Sehr angespannt – ich leide darunter“, sagt sie bekümmert. Es fällt schwer sich zu konzentrieren, jedes Wort muss auf die Goldwaage gelegt werden, die Streitkultur hat sich verschlechtert. Das freimütige Bekenntnis: „Es ist vieles falsch gelaufen.“ Die Bürger fühlten sich bei den Planungen für das neue Stadtzentrum ausgeschlossen, andere waren bei der Beurteilung der einzelnen Varianten wahrscheinlich überfordert. Es ist ihr anzusehen – viel Frust hat sich angesammelt. Frust, der nicht abgeladen werden kann. Die Zusammenarbeit mit ihren männlichen Kollegen -sie ist eine der acht Frauen unter 30 Stadträten- beschreibt sie vieldeutig: „Ich werde gehört und meine Arbeit wird respektiert.“ Man spürt, dass sie es sich selbst nicht leicht macht; sie kann ihre Gefühle nur schlecht verbergen. Zuhause vermeidet sie, sich über die Sitzungen im Stadtrat zu äußern. Es gibt wichtigere, erfreulichere Dinge zu besprechen. Klingt nicht unbedingt wie eine Erfolgsgeschichte. Da sucht man gerne eine Leitfigur oder ein Idol, zu dem man aufblicken kann. Gibt`s da jemand? Nach längerem Überlegen – ja. Es ist die Bundeskanzlerin Merkel. Oha. Warum gerade sie? „Sie hat sich in einer Männerwelt behauptet und das ohne Skandale oder Affären. Sie wird von allen namhaften Politikern wegen ihrer klaren Linie geachtet und respektiert.“ Romankiewicz-Döll bewundert weiter: „Sie hat ein dickes „Fell“ und schützt ihr Privatleben.“ Unschwer zu erkennen, dass sie sich auch ein dickeres Fell wünscht.
Das Interview nähert sich dem Ende und die Zeit drängt etwas. Familie Romakiewicz-Döll will am Wochenende in den Urlaub fahren und steckt mitten in den Vorbereitungen. Noch eine letzte Frage: Will sie 2016 bei den Stadtratswahlen wieder in den Ring steigen? Langes Überlegen, dann die Antwort: „Ich warte ab, ich weiß es noch nicht.“ Auf dem Heimweg kommt der Pressemann an einer Werbetafel für den Augsburger Zoo vorbei. Sie zeigt einen rüsselschwingenden Elefanten. Fragen steigen auf. Könnte es sein, dass ein Elefant in dem berühmten Porzellanladen gewütet hat? Ein Elefant? Nein, das war schon eine ganze Herde von Dickhäutern, die dem Porzellanladen „Gersthofen“ einen Besuch abgestattet hat. Es wurde jede Menge Porzellan zerbrochen. Wohin mit den Scherben? Halt, da gibt es doch mitten im Ortszentrum eine „Vertiefung“. Aber das ist eine andere Geschichte. Oder doch die gleiche...?