"In Deutschland wird mit Schülern zu wenig veranstaltet"
Am 14. März 2007 gab es eine Schülervorstellung des Dokumentarfilms "Der unbekannte Soldat" von Michael Verhoeven im Kino "Mephisto" in Augsburg bei der der Regisseur selbst anwesend war, um sich den Fragen der Schüler zu stellen. Veranstaltet wurde die Vorführung von Bernhard Lehmann vom Paul-Klee-Gymnasium Gersthofen, der mit seinen Recherchen zur Zwangsarbeit in der Region für Aufsehen gesorgt hat.
Verhoeven nahm sich in seinem Film wieder einem zeitgeschichtlichen Thema an. Zufällig gelang er vor einigen Jahren in die Proteste für und gegen die "Wehrmachtsausstellung" in München. Schockiert und gleichzeitig neugierig gemacht von den Kontroversen beleuchtet er in seinem Film die Rolle der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg und fuhr mit seinem Filmteam bis in die Ukraine und nach Weißrussland, um Zeitzeugen zu interviewen. Dabei versucht Verhoeven, der mit dem ebenfalls politischen Film "Das schreckliche Mädchen" bereits für den Oscar nominiert war, seine eigenen Wissenslücken zu schließen. Bei dem Gespräch mit den Schülern machte er deshalb auch keinen Hehl daraus, dass er vor diesem Film nur wenig über das Thema wusste und für ihn selbst jetzt noch nicht alle Fragen beantwortet sind. Dennoch stellte er sich bereitwillig den Fragen der Schüler und danach auch der Journalisten.
myheimat: Was denken Sie über das Projekt für die Entschädigung früherer Zwangsarbeiter von Herrn Lehmann und seinen Schülern?
Verhoeven: Da darf ich jetzt den Mund nicht zu weit aufreißen, weil ich das Projekt ja nicht wirklich kennen gelernt, sondern nur davon gehört habe. Ich finde es aber toll, wenn ein Pädagoge seinen Schülern so etwas ermöglicht. Denn nur in den seltensten Fällen können Schüler so ein Projekt von sich heraus auf die Beine stellen. Ich finde generell, dass mit den Schülern in Deutschland zu wenig veranstaltet wird. Ich finde den Unterricht zu einseitig. Da gibt es Jemanden, der vorne steht und etwas erzählt und die Anderen hören zu und schreiben mit und dann geht man irgendwann heim. Während meiner Zeit als Arzt in Amerika habe ich festgestellt, dass zumindest in den höheren privaten Schulen, denn die staatlichen Schulen sind katastrophal, viel mit den Schülern gemacht wird. Es werden Exkursionen durchgeführt, man geht mit ihnen ins Theater oder macht selbst Theateraufführungen. Es wird auch mal ins Kino gegangen oder die Schüler drehen selbst Filme. Das vermisse ich in Deutschland.
myheimat: Wie könnte man aber Kinder und Jugendliche auch in den Hauptschulen erreichen?
Verhoeven: Sicher nicht mit einzelnen Veranstaltungen. Die Lehrer haben oft an diesen Schulen eine enorme Aufgabe zu bewältigen, die nicht leicht zu erfüllen ist. Die Eltern unterstützen oft die Lehrer nicht und die Schüler hassen die Schule und wollen bloß ihre Ruhe haben. Ich habe in einem anderen Interview schon mal erzählt, dass ich bei der Aufführung von Bernhard Wickis Film „Die Brücke“ in einer Hauptschule war. Es ist ein Standardwerk über Jugendliche, die vom System missbraucht werden. Da saßen nun aber die jungen Leute und nahmen das gar nicht als Thema auf, sondern ballerten rum, wenn auf der Leinwand Kriegsszenen waren und lachten sich über den Film tot. Wir haben die Jugendlichen natürlich danach zur Rede gestellt und wollten wissen, warum sie die ganze Zeit lachen mussten. Als Antwort bekamen wir, dass der Film so langweilig sei und es keine Action gäbe. Ich glaube, dass die Geschäftemacherei mit diesen Computerspielen die Psyche der Jugendlichen verdirbt. Ganze Industrien leben ja davon, dass die Psyche der Jugendlichen mit Videospielen verdorben wird.
myheimat: Gerade Schüler auf Hauptschulen sind sehr anfällig.
Verhoeven: Ich glaube, dass sie anfällig sein können, wenn man es schafft sie auf eine gewisse Art zu packen. Um das zu verhindern, muss man ganz unten anfangen und auch die Familie miteinbeziehen. Die Schule muss da schwere Arbeit leisten. Wenn ein Lehrer es schafft, einen Draht für diese Schüler zu entwickeln, dann ist das ganz toll.
myheimat: Einige Szenen aus Ihrem Film erinnern an Bilder aus Abu Ghraib und dem Einmarsch der Amerikaner und Briten in Bagdad, als die Statuen von Saddam Hussein zerstört wurden. Kann man mit dem Film einen Bogen spannen, der zu heutigen Ereignissen reicht?
Verhoeven: Ich denke, dass diese Assoziationen die Zuschauer selbst herstellen. Ich spiele dieses Spiel eigentlich nicht so gerne mit, weil das auch leicht eine Ablenkung sein kann. Ich finde es nicht gut, wenn man auf Fehler anderer Länder und Gesellschaftsordnungen hinweist und dann sagt, dass das was man selbst gemacht hat auch nicht so schlimm sein kann. Amerika ist ja ein beliebtes Ablenkungsbeispiel. Normalerweise lasse ich so was nicht zu. Wenn aber jemand, der meinen Film sieht, Assoziationen hat, dann ist das in Ordnung. Das soll er ja. Der Zuschauer soll ja mit offenen und vor allem auch kritischen Augen seine Gegenwart erleben.
myheimat: Herr Verhoeven, vielen Dank für das Gespräch.
Bürgerreporter:in:Sven Mesch aus München |
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