Ich bin eine Kämpfernatur

Nick, Nena und Alex mit Papa (von links)
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Wir berichten in dieser myheimat-Ausgabe über einen Mann, der unauffällig und abseits vom großen Trubel „seinen Mann“ steht. Die meisten Gersthofer werden ihn gar nicht kennen. Und wenn man ihn sieht, dann meist als schnellen Radler. Oder man hört ihn. Er hat eine kräftige Stimme, die er gut zu gebrauchen weiß. Sie rührt von seinem ehemaligen Job als Stahlwerker in einem Stahlwerk in Rheinland-Pfalz her. Und da ging es laut zu; man brauchte eine gute Stimme. Neugierig geworden?

Ralf Gartler, 44 Jahre alt , wohnt seit sechs Jahren in einer Wohnanlage des Ulrichswerkes in Gersthofen. Als der myheimat-Mann ihn aufsucht, empfängt ihn fröhlicher Kinderlärm. Nick, Alex und Nena umringen ihn neugierig. Ihr Vater baut gerade einen Wohnzimmerschrank zusammen. Es schaut ein wenig nach Männer-Haushalt aus. Und jetzt kommen wir dem Grund des Besuches bei Gartler schon etwas näher.

Unser Interview-Partner ist verheiratet und hat mit seiner Frau Christiana zwei Söhne und eine Tochter. Die derzeitige Situation der fünfköpfigen Familie lässt sie nicht gerade auf der Sonnenseite des Lebens stehen. Ehefrau Christiana leidet an einer langwierigen Krankheit und wird durch sie zu längeren Krankenhausaufenthalten gezwungen. Der 8-jährige Nick hat eine Wachstumsstörung und braucht jeden Tag eine Hormonspritze. Bisher wohnten die beiden Söhne Nick und Alex in der elterlichen Wohnung. Seit kurzem besucht Nick die Fritz-Felsenstein-Schule in Königsbrunn und wohnt dort im Internat. Alex, 10 Jahre alt, geht in Fischach zur Schule und wird im Betreuten Wohnen in Reitenbuch versorgt. Die Kosten hierfür trägt der Bezirk Schwaben. Freitags kommen beide Jungen wieder nach Hause. Ihre 5-jährige Schwester Nena wird vom Vater jeden Tag in den Blumenwiese-Kindergarten gebracht und um 16:00 Uhr wieder abgeholt. Eigentlich findet nur am Wochenende eine „Familienzusammenführung“ statt.

„Hört sich eigentlich ja gar nicht so schlimm an“, wird nun mancher denken. Wochentags nur für Nena zu sorgen, erst am Wochenende die Rolle eines Familienoberhauptes wahr nehmen, das lässt sich doch machen. Stimmt, wenn nicht das liebe Geld da wäre, bzw. fehlen würde. Gartler ist Hartz-IV Empfänger und muss jeden Euro zweimal umdrehen. Er arbeitet stundenweise bei einer Logistikfirma in Gersthofen, um die Haushaltskasse aufzubessern. Das heißt für ihn: um 4 Uhr früh aufstehen, damit er von 5 bis 8 Uhr arbeiten kann. Bevor er geht, bringt er Nena zu einer Frau, die auf sie aufpasst. Nach Beendigung der Frühschicht wird Nena in den Kindergarten gebracht. Dort holt er sie um 16:00 Uhr wieder ab. In der Zwischenzeit kümmert er sich um den Haushalt, geht Einkaufen und besucht seine Frau im Krankenhaus. Wenn möglich verteilt er noch Reklamezettel. Früher trug er Zeitungen aus; was jetzt aber zeitlich nicht mehr geht. „Ich repariere auch gerne Fahrräder“, verrät er. Was zusätzlich einige Euros einbringt. Wenn Nena wieder daheim ist, spielt er mit ihr oder geht zum Spielplatz. Nach dem Abendbrot bleibt sie bis 20:30 Uhr etwa auf und wird dann ins Bett gebracht. Papa liest noch vor, bis sie einschläft. Gartler selbst geht erst spät ins Bett; fünf Stunden Schlaf reichen ihm aus.

Es scheint einiges in seinem Leben schief gelaufen zu sein. Ob selbst verschuldet oder nicht – der Pressemann fragt nicht nach. Fakt ist jedenfalls, dass Gartler ca. 13 Jahre seiner Jugend in Kinderheimen verbrachte, sich auf Schulden durch Ratenkäufe einließ, diese nun abtragen muss und seine Frau krank ist. Die Zeit in den Heimen hat ihn geprägt. „Ich bin eine Kämpfernatur“ sagt Gartler selbstbewusst. Den Schwierigkeiten ins Auge sehen, nicht den Kopf in den Sand stecken. „Und ich setze auch meine Ellenbogen ein, um Recht zu bekommen“. „Aber natürlich nur mit legalen Mitteln“, fügt er schnell hinzu. Ein Gutes brachte der Heimaufenthalt mit sich. Er lernte in den letzten beiden Jahren Hauswirtschaft. „Als hätte ich es geahnt“, meint er nachdenklich. Er ist froh, dass er sich diverse Fähigkeiten aneignen konnte. Waschen, Bügeln, Kochen ist kein Problem für ihn. Am Wochenende gibt es Zitronen- oder Marmorkuchen, die bei den Kindern heiß begehrt sind. „Meist ist die Verbrauchszeit kürzer als die Herstellung“, grinst der Hausmann.

Sparen heißt bei den Gartler's auch, dass einmal wöchentlich von der „Augsburger Tafel“ Lebensmittel wie Brot, Gemüse, Joghurt und Fleisch geholt wird. „Ohne diese Unterstützung käme ich mit meinem wöchentlichen Budget nicht zurecht“, erklärt Gartler. Er konnte sich auch schon zweimal über Zuwendungen des Gersthofer Hilfswerks „Hilfe in Not“ freuen. Mit Rat und Tat steht ihm auch die Katholische Jugendfürsorge (KJF) und Caritas zur Seite. Sie beraten den Familienvater in finanziellen und behördlichen Angelegenheiten. Samstags kommt für zwei Stunden eine Frau von der KJF und beschäftigt sich mit den Kindern; in dieser Zeit kümmert er sich um den Haushalt. Er ist dankbar für die Hilfe. Dankbar auch dem Arbeitskollegen, der ihm wöchentlich zwei Stunden seine Hilfe anbietet. Er versucht seine Haushaltsführung zu optimieren. „Ich bin ständig auf der Suche nach Einsparmöglichkeiten.“ Er repariert vieles deshalb selber.

Gartler hat natürlich etliche Wünsche für die Zukunft. Zu aller erst, dass seine Frau bald gesund wird. Sie hat eine günstige Prognose und darf stundenweise nach Hause. Dann würde er sich wieder mehr finanziellen Spielraum wünschen. Nicht zuletzt für seine Kinder, denen er einen Urlaub auf dem Bauernhof gönnen möchte. Bis dahin muss er wahrscheinlich noch lange Zeit die Ärmel hoch krempeln. Aber er ist optimistisch und fest überzeugt, dass wieder bessere Zeiten anbrechen. Und es ist ihm zuzutrauen, dass er es wieder schafft, Boden unter die Füße zu kriegen.

Bürgerreporter:in:

Gerhard Fritsch aus Gersthofen

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