"Die Bahnhofstraße lädt wieder zum Flanieren ein": Ein Interview mit Friedbergs Citymanagerin Bianca Roß
myheimat: Die Bahnhofstraße wurde am 21.10.2022 eröffnet. Eine komplexe Baumaßnahme wie in der Bahnhofstraße ist immer mit gewissen Belastungen und Einschränkungen für die Anwohner und Geschäftsleute verbunden. Wie bewerten Sie am Ende des Jahres 2022 den Umbau der Bahnhofstraße und die getroffenen Maßnahmen zur Frequenzsteigerung während der Bauphase?
Roß: Wir sind alle froh, dass wir in dieser Mammutbaustelle endlich den letzten Pflasterstein verlegen konnten. Es war ein immenser Kraftakt für alle anliegenden Geschäfte, Anwohner, Kunden und Beteiligten. Das Ergebnis kann sich sehen lassen und lädt in zentralster Lage endlich wieder zum Schaufensterbummel und Flanieren ein. Die Durststrecke durch Frequenzeinbrüche und Umsatzeinbußen während der Bauphase - zusätzlich erschwert durch Pandemieauswirkungen - konnte wie erwartet nur teilweise durch die geförderten Maßnahmen des Baustellenmarketings aufgefangen werden. Ein Gutscheinheft, der digitale Adventskalender, Schaufensterschulungen, breit angelegte Anzeigenkampagnen und die Aktionswoche zur Eröffnung konnten aber zumindest weiterhin die Aufmerksamkeit auf die Ladengeschäfte richten, die trotz eingeschränkter Zugänglichkeit weiterhin auf ihre Kunden setzten.
myheimat: Die ursprüngliche Idee zur Kampagne „Ich kauf vor Ort“ stammt von Wolfram Grzabka. Das Friedberger Citymanagement hat sie wieder aufgegriffen. Welches Ziel verfolgen Sie damit?
Roß: Das Rad muss nicht immer neu erfunden werden und bewährte Maßnahmen wie diese habe ich sehr gerne in ein nachhaltiges Konzept einer „Buy-Local-Kampagne“ für Friedberg integriert. Vorteil der bereits seit Jahren bekannten, einfachen und sichtbaren Kampagne ist die Wiedererkennung und damit Identifizierung mit der großartigen Idee von Wolfram Grzabka. Die Bedrohungen für Friedbergs Geschäfte waren und sind zahlreich: staatlich angeordneter „Lockdown“, eingeschränkte Zugänglichkeit durch Baumaßnahmen oder der drohende Kaufkraftabfluss in den Onlinehandel. Der pinke Sticker erinnert unsere Kunden an jeder Ladentür, bei jeder kooperativen Marketingmaßnahme daran, dass ihre Kaufentscheidung in Friedberg und für Friedberger Unternehmen eine wichtige Rolle spielt. Egal ob das auffällige „Ich kauf vor Ort“-Logo beim nachhaltigen Porzellan-„Coffee-to-go“-Becher, dem gemeinsamen Pop-up-Schaufenster oder bei der Marktmusik auftaucht, ob es auf dem Winterzauberflyer gedruckt, mit Ortseingangsbannern aufgehängt oder auf Bürgersteige gesprayt ist – es wird erkannt und regt an, wo möglich den Euro in Friedberg zu lassen.
myheimat: Der stationäre Einzelhandel befand sich bundesweit schon vor der Coronakrise in einer schwierigen Situation. Viele Händler begeben sich nicht auf die Online-Schiene, weil das Online-Geschäft ganz anderen Erfolgs- und Anforderungskriterien unterliegt als der stationäre Handel. Ganz auf digitale Sichtbarkeit wird aber auch der stationäre Einzelhandel in den heutigen Zeiten nicht verzichten können. Welchen Rat geben Sie aktuell dem Inhaber eines Einzelhandelsgeschäfts, um im Internet-Zeitalter bestehen zu können?
Roß: Von Anfang an habe ich gemeinsam mit dem Aktiv Ring Friedberg die Themen „Onlinesichtbarkeit“, „digitaler Marktplatz“ und ergänzender Onlinehandel aktiv platziert. Wir hatten 2020 einen Referenten der CIMA zur Schulung in Friedberg, der unseren Händlern die Devise „Im Netz säen – lokal ernten“ ans Herz legte, eine Anwenderschulung zur lokalen Website „einkaufen-in-friedberg“ dockte 2021 ebenso an die Thematik an, wie beworbene Onlineseminare zu „GoogleMyBusiness“ und einem Schulungsangebot der IHK zur digitalen Sichtbarkeit speziell auf Friedberg zugschnitten. Das rückläufige Interesse an den Schulungsangeboten ist sicher der Vielzahl an Herausforderungen in den letzten Monaten geschuldet. Gleichwohl ist es neben den vermeintlich akut dringlichsten Themen wie Energiekosten, Lieferengpässe und Personalknappheit überlebenswichtig, sich auch mit den Faktoren des künftigen Erfolges auseinanderzusetzen. Die Schere zwischen Onlineprofis und von der digitalen Entwicklung überforderten Geschäfte klafft weiter auseinander. Ohne digitale Sichtbarkeit geht manches Ladengeschäft bereits heute am Markt unter und am ergänzenden Onlinehandel werden gewisse Branchen kaum vorbeikommen. Es bedarf keiner Siebenmeilenstiefel, wenn man mit kleinen Entwicklungsschritten am Ball bleibt, sich nicht abhängen lässt. Umso mehr begeistert es mich, dass sich individuelle Initiativen wie die Bestell-App von Körners Hofladen oder das Schaufenster Online by Augensache von lokalen Geschäftsleuten finden.
myheimat: Was versprechen Sie sich in diesem Zusammenhang von dem neuen Einzelhandels- und Innenstadtentwicklungskonzept?
Roß: Das Einzelhandels- und Innenstadtentwicklungskonzept verfolgt auf Basis einer breiten Bestandsanalyse und Kartierung der Ladengeschäfte, ihres Sortiments, der Schaufenstergestaltung und eben auch der digitalen Sichtbarkeit die Bewertung der IST-Situation des Friedberger Einzelhandels im Vergleich mit anderen Standorten ähnlicher Größe. Dieses „Fieberthermometer“ eruiert damit die wichtigsten Handlungsfelder, um im direkten Wettbewerb nicht abgehängt zu werden. Ich hoffe sehr, dass sich sowohl die Geschäftstreibenden einzeln und im Verbund, als auch die politischen Entscheider auf dieses erhebungsdatenbasierte Ergebnis einlassen und weitere Schritte entsprechend im Konsens ergreifen bzw. unterstützen, um Friedberg für die Zukunft zu rüsten.
myheimat: Ihr Tätigkeitsfeld erstreckt sich bei Weitem nicht nur auf die Innenstadt, sondern fordert im Rahmen der Wirtschaftsförderung auch den Auf- und Ausbau von Netzwerkplattformen für die Gewerbetreibenden im ganzen Stadtgebiet. Wie weit sind Sie in diesem Bereich seit Ihrem Amtsantritt schon vorangekommen?
Roß: Diese Position als One-Woman-Show ist kein Kurzstreckenlauf, kein Marathon, sondern kommt einem Triathlon gleich. Ohne Vorgänger oder Team zur Einarbeitung ist die Bestandsanalyse und Netzwerkarbeit in alle Richtungen einer der ersten Schritte, um arbeitsfähig zu sein. Nach zwei Jahren Brandbekämpfung durch Pandemieauswirkungen, Baustellenbegleitung und die vorherige Lücke im Projektmanagement kann ich mich nun endlich auch den Aufgaben der strategischen Wirtschaftsförderung für Friedberg stellen.
myheimat: Inwieweit haben die krisenhaften Entwicklungen mit Materialknappheit, rapide steigenden Energiekosten, unterbrochenen Lieferketten auch Auswirkungen auf die Friedberger Unternehmen?
Roß: Die hohen Energie- und Rohstoffpreise sind laut aktueller Konjunkturumfrage der IHK aus Sicht der Unternehmen das größte Risiko für die wirtschaftliche Entwicklung (Stand Oktober 2022). Viele Unternehmen in der Region leiden unter den gestiegenen Preisen und stark angespannten Lieferketten, wodurch sich auch die Erwartungen für die kommenden Monate nicht besonders optimistisch abzeichnen. Die aktuellen Einbrüche auf der Angebots- und infolge von Preissteigerungen auch auf der Nachfrageseite überblenden allerdings ein weitaus nachhaltigeres und schon lange schwelendes Problem: den Fachkräftemangel. Was mit neuen Herausforderungen bei der Azubigewinnung beginnt, endet in fehlenden geeigneten Bewerbern für erfolgsentscheidende Geschäftsfelder. Laut IHK ist der Fachkräftemangel für 60% der Unternehmen ein großes Risiko für die weitere Unternehmensentwicklung, gleich nach aktuell 82% der Unternehmen, denen die Energie- und Rohstoffpreise zu schaffen machen.
myheimat: Können Sie uns einen Ausblick auf geplante Aktionen und Maßnahmen der Wirtschaftsförderung im Jahr 2023 geben?
Roß: Wie anhand der Situationsbeschreibung vorab skizziert, möchte ich insbesondere die Unternehmen am Standort unterstützen. Vernetzungsformate, wie letztes Jahr bereits erfolgreich mit dem Wirtschaftsdialog: Azubi-Recruiting bei mobiheat - zusammen mit der Regio Augsburg Wirtschaft - begonnen, gehören vermehrt zu den drängendsten Themen in Planung. Die Präsentation von aktuellen, stark nachgefragten Gewebeentwicklungsflächen und der Bedarf an Energieberatung und Ressourceneffizienz für Unternehmen etwa, soll inhaltlich eines der ersten Netzwerktreffen 2023 in den Räumlichkeiten des ehemaligen Baldwin-Komplexes füllen. Zahlreiche Branchen-Netzwerke und Förderpartner stehen im Wirtschaftsraum zur Verfügung, um bedarfsorientierte Austauschplattformen und Information zu Förderprojekten und Best-Practice-Beispielen zu schaffen. Neben dem Auf- und Ausbau persönlicher Unternehmenskontakte liegt mir besonders die Vernetzung von Wissensträgern am Herzen – so bin ich auch im kontinuierlichen Austausch mit dem Wirtschaftsbeirat Friedberg.
myheimat: Frau Roß, vielen Dank für dieses Gespräch.
myheimat-Team:Joachim Meyer aus Friedberg |
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