Zweite Stolpersteinverlegung in Gersthofen am Dienstag den 20. Juli ab 14 Uhr

20. Juli 2021
14:00 Uhr
Weiherweg 1, 86368 Gersthofen
Stolperstein für Gino Rossi
10Bilder

Die Stolpersteininitiative verlegt am Dienstag den 20. Juli vier weitere Stolpersteine für Opfer des Nationalsozialismus. 

1. Stolperstein für Gino Rossi, geb. am 01.05.1925 in Galluccio (Italien), verstorben in Gersthofen am 23.01.1945 im Alter von 19 ½ Jahren. Verlegung um 14 Uhr Ludwig-Hermann-Str. 100, Pforte 2 des Industrieparks Gersthofen, Nähe Weiherweg 1

Gino Rossi wird bei einer Razzia der deutschen Wehrmacht und Waffen-SS am 23.09.1943 in Galluccio nördlich von Neapel aufgegriffen und mit 800 Personen aus diesem Ort nach Deutschland deportiert. Gino ist zu diesem Zeitpunkt 18 Jahre und sein Bruder Nicola 19 Jahre alt. 15 Personen aus Galluccio kommen zum Arbeitseinsatz bei der Firma Transehe in Gersthofen, die Raketentreibstoff für die V-2 produzieren soll.
Wie wir aus den Tagebüchern von Anselmo Mazzi und Giorgio Gregori wissen, waren die Lebensbedingungen der 76 Italiener bei der Firma Transehe miserabel.
Die Italienischen Militärinternierten (IMI) und Zivilisten befanden sich in der Hierarchie des nazistischen Lagersystems nur eine Stufe oberhalb der russischen Kriegsgefangenen. Der Historiker Mark Spoerer geht von einer 5-fach höheren Sterblichkeitsrate bei den Italienern aus, als bei den französischen und englischen Kriegsgefangenen.
Von der Gersthofer Bevölkerung wurden sie häufig als „traditore“, Verräter beschimpft. Die Nahrung bestand vornehmlich aus Rüben, ergänzt durch Kartoffelstücke. Häufig wurden geflochtene Körbe oder Bastelsachen zum Tausch gegen Lebensmittel angeboten. Die für die Ernährung der IMIs zuständige Köchin im Gasthof Strasser unterschlug zudem Lebensmittel. Läuse und Wanzen gibt es im Lager zur Genüge, Krankheiten sind an der Tagesordnung.
Am 23.Januar 1945 muss Gino Rossi Säure abladen. Er erleidet einen Ohnmachtsanfall und erstickt im Kesselwagen. Jede Hilfe kommt zu spät.
Pfarrer Rothärmel beerdigt Gino Rossi am 27. Januar auf dem Friedhof bei St. Jakobus, Feld 4, Reihe 30, Grab 84 b. Zum Zeitpunkt des Todes war Gino noch keine 20 Jahre alt.
Wir wollen an Gino Rossi mit dieser Biografie und einem Stolperstein erinnern. Insgesamt kamen 11 Zwangsarbeiter in Gersthofen ums Leben.

Ausführliche Biografie im Online Gedenkbuch unter https://gedenkbuch-augsburg.de/biography/gino-ross...

2. Stolperstein für Johann Mayer, geb. 08.10.1919, zwangssterilisiert am 06.06.1938, ermordet Hartheim/Linz am 04.06.1941, Opfer der Aktion T-4, letzter Wohnsitz Heimstättenweg 3, heute Nr. 6 Verlegung ab 14.45 Uhr

Johann Mayer ist das Kind des Bademeisters Franz Klenner und Maria Mayer aus Augsburg. Seine Mutter heiratet 1923 in Gersthofen Jakob Schaller.
Johann ist kein guter Schüler, seine Zeugnisse weisen auf eine gewisse Lern- und Konzentrationsschwäche hin. Ab dem 14. Lebensjahr arbeitet er zur Zufriedenheit seiner Vorgesetzten in der Ziegelei, dann im Sägewerk in Gersthofen.
Im Alter von 19 Jahren wird er unsittlicher Handlungen bezichtigt. Seine Verfehlung kennen wir nicht und ein Verfahren wird nicht eingeleitet. Aber der Bürgermeister von Gersthofen, Geisser meldet den Vorfall dem Staatlichen Gesundheitsamt, das seine Zwangssterilisierung einleitet. Nach einem Scheingerichtsverfahren beim Erbgesundheitsgericht wird Johann am 6. Juni 1938 im Krankenhaus Augsburg zwangssterilisiert, ein ungeheuerlicher Eingriff!
Ohne rechtliche Basis kommt Johann danach in die psychiatrische Abteilung des Strafgefängnisses München-Stadelheim, von dort im März 1939 in die Heil-und Pflegeanstalt Kaufbeuren „zum Zweck der Sicherheitsverwahrung“.
Über seinen dortigen Aufenthalt sind wir nicht informiert. Eigentlich war Johann kerngesund. Seine „Krankenakte“ ist weder im Bundesarchiv noch im Historischen Archiv des BKH Kaufbeuren.
Als Johann am 4. Juni 1941 mit den Grauen Bussen von Kaufbeuren abgeholt wird, verschwindet auch seine Akte. Gemeinsam mit weiteren 69 Männern aus Kaufbeuren wird Johann Mayer in die Tötungsanstalt nach Hartheim bei Linz verlegt und dort noch am gleichen Tag mit Gas ermordet. Zu diesem Zeitpunkt war Johann noch keine 22 Jahre alt. Wir möchten an Johann Mayer mit einem Stolperstein und einer Biografie erinnern.

Ausführliche Biografie unter: https://gedenkbuch-augsburg.de/biography/johann-ma...

3. Stolperstein für Anna Stögbauer, geb. am 1. Juni 1907 in Gersthofen, ermordet in Auschwitz am 26.8. 1943, letzter Wohnsitz Donauwörtherstr. 19, Verlegung ab 15.30 Uhr 

Anna Stögbauer ist die Tochter des Sudetendeutschen Julius Stögbauer und der Gersthofer Bürgerin Maria Anna Stögbauer, geb. Kapfer. Julius Stögbauer kommt vor der Jahrhundertwende nach Gersthofen. Er ist bei den Farbwerken Gersthofen als Kontorist angestellt und verdient recht ordentlich.
1909 verstirbt Maria Anna Stögbauer im Alter von 37 Jahren an Wassersucht und hinterlässt 5 Kinder, zwei davon aus einer früheren Liaison.
Julius heiratet daraufhin 1910 Kreszenz Schneider aus Mindelheim, die weitere zwei Kinder mit in die Ehe bringt.
Das Zusammenleben der Patchwork Familie verläuft nicht immer reibungslos. Der Vater trinkt viel und gilt als streitsüchtig.
Seit dem 12.Lebensjahr wird Anna von einem Bruder regelmäßig sexuell mißbraucht und vergewaltigt, nach Annas Angaben auch von ihrem Vater. Eine Woche vor ihrem 18. Geburtstag wird Anna vom Amtsgericht Augsburg wegen „Blutschande“ zu 3 Monaten Gefängnis verurteilt, obwohl sie eindeutig Opfer und nicht Täterin ist.
Unter solchen Umständen ist das Abgleiten von Anna Stögbauer auf die schiefe Bahn absehbar. Im Zeitraum zwischen 1926 und 1939 wird sie wegen zahlreicher Kleindiebstähle, Bettelei, Landstreicherei und Unterschlagung zu Gefängnisstrafen verurteilt, zwischen 2 Tagen Gefängnis bis zu 14 Monaten Zuchthaus. Zwei Mal muss sie für jeweils 2 Jahre ins Arbeitshaus St. Georgen und Aichach.
Der Tatbestand des „liederlichen Lebenswandels“ wird immer wieder straferschwerend ins Feld geführt, die Umstände ihrer Sozialisation finden keinerlei Berücksichtigung.
Mitte Oktober steht sie bei zwei harmlosen Diebstählen „Schmiere“ und wird wie der Täter Raimund Oizinger gefasst. Dieser kommt mit einer Gefängnisstrafe von 1 Jahr und 7 Monate davon, Anna Stögbauer erhält als „gefährliche Gewohnheitsverbrecherin“ eine Strafe von 2 Jahren und 7 Monaten Zuchthaus mit anschließender Sicherungsverwahrung. Sie kommt ins Frauengefängnis nach Aichach.
Gemäß einer Vereinbarung des Reichsjustizministers mit dem Reichsminister des Inneren, Heinrich Himmler vom September 1942 können Häftlinge mit langen Haftstrafen oder Sicherungsverwahrung „zur Vernichtung durch Arbeit“ nach Auschwitz geschickt werden.
In gnadenloser Konsequenz laufen von Aichach aus mehrere Transporte ins Vernichtungslager Auschwitz. Anna Stögbauer kommt mit dem 4. Gefangenentransport vom 13. Februar 1943 mit 38 weiteren Frauen nach Auschwitz, wo sie am 26. August 1943 ermordet wird.

Ausführliche Biografie von Anna Stögbauer im Augsburger Online-Gedenkbuch:
https://gedenkbuch-augsburg.de/biography/anna-stoe...

4. Stolperstein für Kreszenz Maria Hartmann, geb. 07.09.1878 in Gersthofen, Augsburgerstr. 14 (Hausnr. 35), ermordet in Grafeneck am 27.08.1940, Verlegung ab 16.15 Uhr

Kreszentia ist in Gersthofen geboren, sie wird in St. Jakobus getauft. Ihre Eltern sind Stephan und Josefa Hartmann, geb. Zeller. Die Familie wohnt im HausNr. 35, der heutigen Augsburgerstr. 14. Später zieht die Familie nach Dinkelscherben.
Ihr Vater arbeitet bei der Reichsbahn als Stationswärter und Weichensteller, er ist 6 Jahre jünger als seine Ehefrau, die bereits 1899 im Alter von 54 Jahren verstirbt.
Nach unseren Unterlagen hat Kreszentia als Haushälterin gearbeitet, was für diese Zeit ein durchaus übliches Berufsbild war. Am 02.09.1916, also im Alter von 38 Jahren wird sie wegen einer psychotischen Erkrankung in die Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren eingewiesen, möglicherweise leidet sie auch unter epileptischen Anfällen. 1925 wird Kreszentia nach Irsee verlegt.
Weshalb wissen wir so wenig über Kreszentia? Die Krankenakte wurde von den nationalsozialistischen Schergen am 27. August 1940 mitgenommen, niemand sollte etwas erfahren. Sie bringen Kreszentia und 74 weitere Frauen in die Tötungsanstalt Grafeneck bei Reutlingen, wo sie noch am gleichen Tag mit Gas ermordet wird. Die weiteren 5 Tötungsanstalten waren Brandenburg an der Havel, Bernburg an der Saale, Hadamar in Hessen, Sonnenstein/Pirna und Hartheim/Linz. Insgesamt wurden im Zuge der Mordaktion, die euphemistisch „Euthanasie“ genannt wurde, 70.273 Menschen ermordet.
Diese Mordaktion war eine von der Zentraldienststelle T-4 (Tiergartenstraße 4) exakt geplante und durchgeführte Aktion. Für diese Mordinstitution arbeiteten in Berlin alleine 300-400 Menschen.
Die Heil- und Pflegeanstalten im gesamten Reich mussten ab Kriegsbeginn auf einem Fragebogen Diagnosen, Pflegebedürftigkeit und Aufenthaltsdauer der Patienten angeben. Diese wurden dann nach Berlin gesandt, wo 3 Gutachter am grünen Tisch über Leben und Tod der Patienten entschieden.
Die Oberbürgermeister und kommunalen Spitzenbeamten waren über die Aktion genauso informiert wie die Oberlandesgerichte und Generalstaatsanwälte.
Dr. Faltlhauser als Anstaltsleiter der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren war einer der Gutachter und dürfte von Kaufbeuren aus Veränderungen an den Todeslisten vorgenommen haben. Von Kaufbeuren aus kamen am 27. August 1940 weitere 26 Frauen aus Augsburg von Kaufbeuren aus mit den Grauen Bussen nach Grafeneck.
Nach der Einstellung der Mordaktion im August 1941 wurden die kranken und pflegebedürftigen Menschen in den Heil-und Pflegeanstalten selbst durch Entzugskost, durch Luminal und Skopolaminspritzen ermordet. Dr. Valentin Faltlhauser hatte die Hungerkost in Kaufbeuren „eingeführt“, die dann von sämtlichen bayerischen Heil-und Pflegeanstalten übernommen wurde.

Die ausführliche Biografie finden Sie unter https://gedenkbuch-augsburg.de/biography/kreszenz-...

Die Texte werden verlesen von: 
Benedikt Hochmuth, Abiturient des Gymnasiums bei St. Stephan, Augsburg
Lea Herfert, Kilian und Johannes Ludsteck, Franziska Kopold und Paula Kahle, alle Paul-Klee-Gymnasium Gersthofen

Die musikalische Gestaltung übernimmt das Klarinettenquartett unter der Leitung von Klaus Türk und Sandra Hochmuth.

Es musizieren:
Celina Schmid
Sina Einmüller
Johanna Wittmann
Korbinian Hochmuth

Das Quartett war 2018 Vizelandesmeister beim Concertino-Wettbewerb und 2020 Verbandssieger beim Concertino-Wettbewerb des Allgäu-Schwäbischen Musikbunds.

Veranstalter: Stolpersteininitiative Gersthofen; alle Texte verfasst von Dr. Bernhard Lehmann, Gegen Vergessen-Für Demokratie, RAG Augsburg-Schwaben

Bürgerreporter:in:

Dr. Bernhard Lehmann aus Gersthofen

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