Alois Dureder, geb. am 25.3.1899 in Engelmannsberg, verstorben am 1.1.1985 in Friedberg, wohnhaft in Gersthofen, Fabrikstraße 55, Opfer des Nationalsozialistischen Rassenwahns, zwangssterilisiert am 11. April 1935
Familie und Ausbildung
Alois Dureder ist am 25. März 1899 in Engelmannsberg/Reisbach (Bezirksamt Dingolfing/Landau) geboren. Er ist das ledige Kind seiner Mutter Maria Haas, geb. Dureder (geb.1872). Sein leiblicher Vater verunglückt im Alter von 40 Jahren.
Alois Dureder wird bis zum 4. Lebensjahr bei seinen Großeltern Josef und Maria Dureder in Reisbach aufgezogen. Im Alter von 3 Jahren erleidet er eine Ohreiterung.
Alois stürzt bei den Großeltern die Treppe hinunter, aber er hat keine zerebralen Schäden oder Lähmungen. 1903 wird er in der Universitäts-Ohrenklinik München untersucht. Das Ergebnis ist niederschmetternd und ergibt vollständige Taubheit.
Im gleichen Jahr heiratet seine Mutter Maria den aus Ambach Kreis Neuburg/Donau stammenden Anton Haas (geb. 1879). Alois bekommt drei Stiefgeschwister. Eine Stiefschwester bzw.-bruder verstirbt an Keuchhusten im Alter von einem Jahr, die beiden anderen Stiefbrüder Maximilian (geb. 1906) und Anton (geb. 1912) ertrinken beide am 19. Januar 1918 im Stauweiher in Gersthofen. Welch ein Schicksalschlag für die Familie Dureder! Die Familie wohnt seit 1907 in der Kolonie 50 in Gersthofen, die Großeltern väterlicherseits in der Ludwig-Hermann-Straße 67.
Körperliche Beeinträchtigung
Seit dem 8. Lebensjahr besucht Alois die Landestaubstummenanstalt in München und erkrankt dort an Scharlach. Nach der Absolvierung der Schule in München kehrt Alois wieder nach Gersthofen zurück, er absolviert in Augsburg eine vierjährige Lehrzeit. Er ist geistig sehr agil und macht eine vierjährige Ausbildung als Graphiker bei der lithografischen Firma Burger in Augsburg . Er produziert Plakate und Etiketten. Mit kurzen Unterbrechungen wohnt er bis 1935 bei den Eltern in der Kolonie 50 in Gersthofen.
Antrag zur Verehelichung
In Augsburg lernt er die um 5 Jahre jüngere Emma Sophie Walliser kennen. Die beiden möchten heiraten. Als er beim Standesamt den Antrag auf Verehelichung stellt, wird seine Taubheit vom Bezirksarzt beim Gesundheitsamt Augsburg gemeldet oder besser gesagt, denunziert. Ab 1935 fordern die Nazis für die Verehelichung ein Ehetauglichkeitszeugnis.
Die Nazis wollen eine "gesunde arische Volksgemeinschaft" heranzüchten, die ihnen für die geplanten rassisch motivierten Eroberungskriege als essentielle Grundlage erscheint.
Gesundheitsamt stellt Antrag auf Zwangssterilisation beim Erbgesundheitsgericht
Ob dieses Zeugnis bereits verpflichtend war oder nicht, jedenfalls beantragt das Gesundheitsamt Anfang Februar 1935 beim Erbgesundheitsgericht die Unfruchtbarmachung von Alois Dureder. Zur Klärung holt das Erbgesundheitsgericht Augsburg am 22.Februar 1935 in München ein Gutachten der Universitätsklinik ein.
Das Gutachten vom Februar 1935 stellt fest, Alois „macht einen intelligenten Eindruck, sein ganzes Verhalten ist jedoch etwas misstrauisch ablehnend, seine Sprache ist von einer lebhaften Mimik begleitet.“
Die Hörprüfung ergibt eine vollständige Taubheit für Ton- und Sprachgehör. Das Gutachten folgert, dass Alois Dureder beidseitig vollkommen taub sei, nennenswerte Hörreste seien nicht nachweisbar. Er habe eine rechtsseitige Mittelohreiterung durchgemacht, die aber als Ursache für die Taubheit „keinesfalls in Frage komme“. Es sei „mit größter Wahrscheinlichkeit eine rezessive Taubheit anzunehmen, auf die das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses Anwendung finden“ müsse.
Urteil des Erbgesundheitsgerichtes Augsburg
Den Beweis, dass es sich um eine Erbkrankheit handle, bleibt das Gutachten vollständig schuldig. Das Erbgesundheitsgericht unter Vorsitz des Amtsgerichtsrats Anhäusser erlässt gemeinsam mit Landgerichtsarzt Obermedizinalrat Dr. Steidle und Stadtarzt Obermedizinalrat Dr. Keck einstimmig am 15. März 1935 den folgenden Beschluss:
"Dureder Alois, geboren am 25. März 1899 zu Engelmannsberg, Bezirksamt Dingolfing, lediger Lithograph, wohnhaft in Gersthofen, Fabrikstrasse 55, ist unfruchtbar zu machen"
.
Das Erbgesundheitsgericht stützt sich in seiner Urteilsbegründung vor allem auf das fachärztliche Gutachten der Universitätsklinik in München. Das Gericht sei zu der Überzeugung gekommen, dass Alois Dureder an erblicher Taubheit leide. An der Erblichkeit des Leidens könne nach Ansicht des Gerichts kein Zweifel bestehen.
Daher sei „nach den Erfahrungen der ärztlichen Wissenschaft …. mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass auch etwaige Nachkommen des Kranken an schweren körperlichen Erbschäden leiden werden. Da der Kranke im fortpflanzungsfähigen Alter steht und Gründe, die seine Unfruchtbarmachung hindern würden, nicht vorhanden sind, war dem gestellten Antrage statt zu geben und die Unfruchtbarmachung des Alois Dureder anzuordnen.“
Alois Dureder wird gemäß des Beschlusses des Erbgesundheitsgerichtes am 11. April 1935 im Krankenhaus Augsburg zwangssterilisiert.
Die Lebensentwürfe von Alois Dureder sind damit zerstört. Der nationalsozialistische Staat hat unwiderruflich und in nicht revidierbarer Weise in sein Leben und seine Lebensplanung eingegriffen.
Verehelichung und Scheidung
Trotz der Zwangssterilisierung heiraten Alois und Emma Sophie am 18. Mai 1935.
7 Jahre später, am 28.11.1942, wird die Ehe mit Emma Sophie Walliser durch das Amtsgericht Augsburg rechtsgültig geschieden. Wir wissen nicht, ob die Scheidung mit der Zwangssterilisierung in direktem oder indirektem Zusammenhang steht, müssen es aber annehmen.
Ab 30. Juni 1944 ist Alois mit kurzen Unterbrechungen bis 1983 in Gersthofen in der Ludwig Hermann Straße 67, dem Wohnsitz seiner Großeltern väterlicherseits gemeldet. Vermutlich hat er irgendwann das Haus gekauft.
Über das weitere Leben von Alois Dureder ist uns nichts bekannt. Ab Ende November 1942 ist er wieder alleinstehend, seine Mutter verstirbt 1941, sein Stiefvater 1957. Alois Dureder verlässt 1983 Gersthofen und zieht aus eigenen Stücken ins Seniorenheim nach Friedberg.
Am 1. Januar 1985 verstirbt er dort. Alois Dureders Leiche wird anonym auf dem Friedhof Herrgottsruh, Feld XIII, Nr. 66 wegen Fehlens von Angehörigen bestattet.
Das Grab ist mittlerweile aufgelöst, aber Alois Dureder ist nicht vergessen.
Wir wollen mit einem Stolperstein und einer Biografie an ihn erinnern.
Zu den Zwangssterilisationen im Nationalsozialismus
Die wahnhaft rassistisch-sozialdarwinistischen Vorstellungen bilden die Grundlage für die Zwangssterilisation von bis zu 400.000 Menschen im sog. III. Reich. Betroffen sind vor allem Fürsorgeempfänger, Langzeitarbeitslose, Alkoholiker, „Asoziale“, Geisteskranke, körperlich Beeinträchtigte und andere. Nach Meinung der nationalsozialistischen Machthaber sollen sich diese „Ballastexistenzen“, wie sie von vielen Eugenik-Befürwortern genannt werden, nicht fortpflanzen dürfen. Ärzte, Sozialarbeiter und Lehrer haben im Fall „erblich bedingter“ Auffälligkeiten und Krankheitsbilder die gesetzliche Pflicht zur Anzeige beim Gesundheitsamt, welches dann nach Erstellung eines Gutachtens beim Erbgesundheitsgericht die Sterilisation der angezeigten Personen beantragt .
§ 1 des Gesetzes lautet:
Wer erbkrank ist, kann durch chirurgischen Eingriff unfruchtbar gemacht (sterilisiert) werden, wenn nach den Erfahrungen der ärztlichen Wissenschaft mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass seine Nachkommen an schweren körperlichen oder geistigen Erbschäden leiden werden.
(2) Erbkrank im Sinne dieses Gesetzes ist, wer an einer der folgenden Krankheiten leidet:
1. angeborenem Schwachsinn,
2. Schizophrenie,
3. zirkulärem (manisch-depressivem) Irresein,
4. erblicher Fallsucht,
5. erblichem Veitstanz (Huntingtonsche Chorea),
6. erblicher Blindheit,
7. erblicher Taubheit,
8. schwerer erblicher körperlicher Missbildung.
(3) Ferner kann unfruchtbar gemacht werden, wer an schwerem Alkoholismus leidet .
Eigens dafür geschaffene Erbgesundheitsgerichte sollen darüber entscheiden, wer als „erbkrank“ im Sinne der Nationalsozialisten zu gelten habe . Anträge zur Unfruchtbarmachung können die Bezirksärzte, die Leiter von Heil- und Pflegeanstalten oder von Strafanstalten bei den Erbgesundheitsgerichten stellen, die den Amtsgerichten angegliedert sind .
Mit Recht ist darauf hingewiesen worden, dass die Frage der Erblichkeit einer bestimmten Erkrankung oder Einschränkung sich in den 1930-er und 1940-er Jahren sich kaum beantworten ließ, stand doch eine genetische Diagnostik damals noch nicht zur Verfügung. .
Das Gesetz war die Grundlage zu einer breit angelegten rassistischen "Auslese", die mit den Krankenmorden, der sog. "Euthanasie" von Kindern und Erwachsenen fortgesetzt wurde und mit Kriegsbeginn im Holocaust, in der Vernichtung ganzer Bevölkerungsgruppen insbesondere der Juden, Sinti und Roma und vielen anderen in den besetzten Gebieten im Osten ihre Fortsetzung fand.
Biografie erstellt von: Dr. Bernhard Lehmann, 86368 Gersthofen, Haydnstraße 53, Gegen Vergessen-Für Demokratie, RAG Augsburg-Schwaben, Tel. 0821/497856; bernhard.lehmann@gmx.de
Quellen und Literatur:
Staatsarchiv Augsburg, AZ 484/34 Nr. 11 Alois Dureder
Stadtarchiv Gersthofen, Dureder Alois
Bock Gisela, Zwangssterilisation im Nationalsozialismus. Studien zur Rassenpolitik und Frauenpolitik, Opladen 1986
Hamm, Margret (Hrsg.), Ausgegrenzt! Warum? Zwangssterilisierte und Geschädigte der NS-„Euthanasie“ in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 2017
Fischer, Moritz, Zwangssterilisation und "Euthanasie" in Landshut: das Erbgesundheitsgericht Landshut und die Opfer der nationalsozialistischen "Euthanasie"-Morde; Landshut 2018
Inschrift Stolperstein Ludwig Hermann Str. 55:
HIER WOHNTE
ALOIS DUREDER
JG. 1899
EINGEWIESEN 11.4.1935
ZWANGSSTERILISIERT
KRANKENHAUS AUGSBURG
ENTLASSEN 19.4.1935
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bei der VR Bank Augsburg-Ostallgäu eG
Bürgerreporter:in:Dr. Bernhard Lehmann aus Gersthofen |
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