Wem nutzt, wem schadet‘s? Naturschützer und Ornithologen streiten über Sinn und Zweck der ganzjährigen Vogelfütterung
Youh, das ist auch so eine Glaubensfrage, ein Punkt, an dem Meinungen, Ideologien und Philosophien im Ringen um den richtigen, guten Weg (unversöhnlich) aufeinander prallen. Gut, es geht jetzt nicht um so existentielle Dinge wie Sein oder Nichtsein, Krieg und Frieden, Klimaerwärmung, Hartz IV oder Uli Hoeneß. Das profane Thema lautet: Vogelfütterung. Da scheiden sich die Geister, widersprechen sich die Experten. Erst Recht, wenn es um die Frage geht, ob „wir“ die Piepmätze in unserem Garten über die zuletzt gar nicht mal so kargen Winter hinaus ganzjährig päppeln sollen/dürfen. Die Antworten sind widersprüchlich und gegensätzlich, was unter Laien und gemeinen Tierfreunden zunehmend für Verwirrung sorgt. Von den Hardcore-Darwinisten, die immer noch einer „natürlichen Auslese“ das Wort reden, soll hier in diesem Zusammenhang erst gar nicht die Rede sein.
Zwischen 15 und 20 Millionen Euronen investiert der Deutsche Michel derzeit schon Jahr für Jahr in den Kauf von Meisenknödeln, Sonnenblumenkernen und Fertigmischungen für’s zwitschernde Volk da draußen vor dem Fenster und im Garten. Und er freut sich über den Appetit der fidelen, farbenfrohen Schar. Tut er der am Ende gar keinen Gefallen damit? Ist die Fütterung wildlebender Piepmätze gar schädlich für selbige? Nein, das mitnichten. Aber: Wer viel fragt, bekommt viele Antworten. Das war schon immer so. Da kann man/frau sich dann die genehme uns ins eigene Weltbild passende schon aussuchen.
Rezepte der Vergangenheit?
Der Naturschutzbund Deutschland (NABU) sieht für eine jahreszeitliche Rundumversorgung keine Notwendigkeit und in der Winterfütterung allenfalls eine kleine unterstützende Maßnahme fürs fliegende Volk, die aber eher der Erbauung der Menschen diene: http://www.nabu.de/tiereundpflanzen/voegel/tippsfu... Das habe mit Bestands- und Artenschutz nichts oder kaum etwas zu tun und komme allenfalls Spezies zugute, bei denen die Population sowieso stabil oder gar wachsend sei. Seltene bzw. bedrohte Arten hingegen erreiche man damit nicht. Was hier als moderner Vogelschutz propagiert werde, sei in Wirklichkeit ein Rezept aus der Vergangenheit. Harte Worte. Und derer gibt es noch mehr. Der NABU stellt in diesem Zusammenhang die provozierende Frage, welche Natur wir eigentlich wollten? Etwa eine Natur, die mehr einem Zoologischen Garten mit stets gefüllten Futterbehältern gleiche? Und: Wie hilfreich sei überhaupt ein Aufruf zu unbegrenzten Fütterungen in einer Zeit, die weiterhin von hemmungslosem Flächen- und Strukturverlust in der Landschaft geprägt ist?
Upps, so ganz von der Hand zu weisen ist diese Argumentationslinie ja nicht. Andererseits: Ihr haftet in ihrer Radikalität eine leicht inquisitorische Note an. Es geht hier doch nicht um das Entweder und Oder, sondern um das Sowohl als Auch. Man/frau kann doch das eine tun, ohne das andere zu lassen, aber bitteschön ohne zwangliche Verpflichtung und ohne gleich ein schlechtes Gewissen haben zu müssen bzw. eingeredet zu bekommen, es dann auch einfach beim Lassen zu belassen. Klar, man kann sicherlich immer noch mehr tun und eins draufsatteln, muss aber nicht. Um im leicht verfremdeten ornithologischen Duktus zu bleiben: Da ist der Spatz in der Hand doch allemal besser als die Taube auf dem Dach!
Derjenige, der in seinem (Zier-)Garten eine Vogeltränke aufstellt, ist mir immer noch lieber, als jemand, der auf die Gefiederten schießt, oder sie gar frisst, wie es nicht nur die Malteser in großem Stil zu tun pflegen. Und muss dieser Gartenbesitzer dann, bevor er besagte Tränke erstellt, erst zur Legitimation seines Handels den von der Gemeinde begradigten Bachlauf an der Grundstücksgrenze renaturieren? Lassen wir die Kirche doch mal im Dorf!
Den Thesen des Naturschutzbundes widerspricht die Heinz-Sielmann-Stiftung. Deren Stiftungsratsmitglied Professor Peter Berthold, selbst ein anerkannter Ornithologe, hat unlängst ein viel beachtetes Buch vorgelegt, in dem er eine Ganzjahresfütterung propagiert: „Vögel füttern – aber richtig“. In unserer durch intensive Landwirtschaft geprägten und durch viele „Saubermann-Aktionen“ ausgeräumten Landschaft fänden die Vögel nämlich auch im Sommerhalbjahr zunehmend weniger Nahrung: https://www.sielmann-stiftung.de/aktuelles/vogelfu...
Ergänzender Beitrag zum Bestandserhalt
Der ehemalige Direktor der Vogelschutzwarte Radolfzell und Co-Autorin Gabriele Mohr, seine Frau, verweisen auf wissenschaftliche Untersuchungen, denen zufolge das ganzjährige Ausbringen von Vogelfutter sehr wohl einen ergänzenden Beitrag zum Erhalt der Vielfalt leisten könne. Viele Arten könnten früher brüten, mehr und höherwertigere Eier legen und ihre Jungen besser aufziehen. Der Bruterfolg sei höher, die Brutdichte nehme zu. Bis zu 50 verschiedene Vogelarten könnten unterstützt werden, darunter auch viele im Zuge der Klimaerwärmung immer früher heimkehrende Zugvögel wie Rotschwänze, Grasmücken, Laubsänger oder Goldhähnchen.
Auch die deutsche Wildvogelhilfe kann der ganzjährigen Fütterung mehr positive als negative Seiten abgewinnen. Die Argumente dafür seien schlüssig, sofern bestimmte Voraussetzungen eingehalten würden: Das angebotene Futter müsse hochwertig und artgerecht sein, die „Hardware“ in Gestalt von Futtersilos entsprechend. Auch eine Kontinuität der Versorgung sei zu gewährleisten. Dann wäre nicht nur der Bruterfolg besser. Alt und Jungvögel könnten, weil optimal ernährt, zudem mit wesentlich besseren (körperlichen) Voraussetzungen in den Winter starten: http://www.wildvogelhilfe.org/winterfuetterung/gan...
Keine negativen Auswirkungen
Es gibt keine Beweise dafür, dass Zufütterungen negative Auswirkungen haben, weder auf die Jung- noch auf die Altvögel. Wissenschaftliche Beobachtungen haben ergeben, dass letztere sowieso nur dann vom Menschen gereichtes Futter an ihre Nachkommen verfüttern, wenn sie selbst überhaupt keine natürliche Nahrung finden. Um selbst satt zu werden, müsse sie in diesem Fall jedoch keine weiten Strecken fliegen, weil die Futterstelle ja in der Nähe ist. Das heißt, die Fütterung durch den Menschen bringt ihnen leicht verfügbare Energie, was obendrein Zeit spart. Zeit, die sie in die Nahrungssuche für ihren Nachwuchs investieren können, ohne selbst an einer Mangelernährung zu leiden. Hinzu kommt, dass in einer solchen Situation die Nestlingssterblichkeit verringert ist, weil der Nachwuchs nicht hungern muss. Sowohl die Altvögel als auch die Jungtiere starten mit besten Voraussetzungen in den nächsten Winter, weil sie sich optimal ernähren konnten.
Bei allen Differenzen in Detailfragen sind sich die meisten Verbände und Organisationen jedoch in einem einig: Die Vogelfütterung kann letztendlich nur ein Kurieren am Symptom sein und rüttelt nicht an den Ursachen für den zunehmenden Artenrückgang, von dem ja nicht nur die Gefiederten betroffen sind. Um selbigen aufzuhalten, bedarf es weit größerer Anstrengungen. Und das fängt bei gezielten Agrarumweltprogrammen an, impliziert die drastische Verringerung des Pestizideinsatzes und hört bei der Propagierung angepasster Mahdtermine noch lange nicht auf. Schon mit einem zeitweiligen Belassen von Stoppelfeldern nach der Getreideernte oder gezielt unbewirtschaftetet gelassenenAckerrandstreifen lässt sich viel bewirken. Solches aber auch vor bzw. hinter der eigenen Haustüre, im Garten. Statt eintöniger Thujahecken und Einheitsrasen könnte auch hier lebendige Vielfalt mit einem reichen, natürlichen Nahrungsangebot geschaffen werden, sagt der Naturschutzbund und plädiert dafür, Unkrautvernichtungsmittel wie auch Schneckenkorn auf die persönliche No-Go-Liste zu setzen. Aber das ist wieder ein ganz anderes Thema.
FAZIT:
Die ganzjährige Vogelfütterung ist ein ergänzender Beitrag zum Schutz der Vögel. Die Betonung liegt auf „ergänzen“ Dass sie ein probates Mittel gegen den Artenschwund sei, wird auch von ihren Befürwortern gar nicht behauptet. Sie sind sich bewusst, dass sich dadurch keine Populationen, die auf dem Rückmarsch sind oder die gar als gefährdet gelten, wieder „aufrüsten“ lassen. Dazu bedarf es weitaus größerer Anstrengungen, solche von gesamt-gesellschaftlicher und politischer Dimensionen. Aber den vorhandenen Beständen können die Menschen auf diese Weise das Leben etwas leichter machen. Und das ist doch auch schon etwas. Das Grundstück des Nachbarn, eine ehemalige Streuobstwiese und von diesem mit viel Chemie und Radikalschnitt ihres Charakters beraubt, besetze ich dann später.
Bürgerreporter:in:Jürgen Heimann aus Eschenburg |
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