Vom psychosozialen Wert und Unsinn des Karnevals/der Fastnacht
Chaos und Ordnung im sozialen Gefüge
Wer immer nur das tut, wofür er Lust verspürt, poltert aus jeder Gruppe, aus unserer gesamten Gesellschaft hinaus. Wer zu oft aus den sozialen Verpflichtungen ausbricht, wird gemieden.
Genauso ergeht es aber auch dem totalen Ordnungsfanatiker im sozialen und gesellschaftlichen Gewebe.
Wer verlässlich eingeordnet werden kann und trotzdem locker seine Eigenarten bewahren kann, hat Erfolg.
Wer tagtäglich festgebunden in sozialer Verpflichtung seine Rolle in der Gesellschaft erfüllen muss, ohne sich selbst auch einmal „Auszeit“ geben zu dürfen, unterdrückt laufend seine eigenen Ansprüche an das Leben und erstarrt äußerlich bald zur Maske.
Hat man seine selbst - oder fremdgewählte Rolle in der Gesellschaft bisher leidlich gut gelernt und füllt sie allmählich auch immer besser aus, so pendelt sich die Erwartungshaltung des sozialen Umfeldes verständlicherweise wie ein Korsett immer enger um das Individuum, das eigene Ich.
Da dieser Prozess aber jedem von uns auch aus eigenem Erfahren klar wird, haben wir volles Verständnis für die kleinen Aussetzer , die kurzen Ausbrüche unserer Mitmenschen und Kollegen aus dem Verpflichtungskanon, so wie es diese ja auch für unsere kleinen Fehler haben.
Nicht immer perfekt seine Rolle erfüllen, ist ja auch menschlich ganz normal: Es „menschelt“ halt überall.
Andererseits versuchen wir alle aber, uns gegenseitig in mehr oder minder regelmäßigem Abstand in ebensolche „ Auszeit“ des „Zwangs“ hinüber zu animieren, ja sogar hinüber zu drängen. Der damit verbundene „ Zwang in geregelten Bahnen und bei sozial festgeschriebenen Gelegenheiten und manchmal sogar kalendarisch eingetragenen „ Feiertagen“ aus der Rolle zu fallen “, befreit uns also nicht, sondern schafft nur ein weiteres Korsett, das das an mancher Stelle schon dünn und brüchig darunter liegende Kostüm aus Verpflichtungen weiter kaschiert und zu einer nach innen gerichteten Rüstung verfestigt.
In manchen Gesellschaftsformen ist das sogar so perfektioniert, das für den Einzelnen kein Abstecher in die Privatsphäre und individuelle Verwirklichung mehr möglich ist.
Von der japanischen Sozialkultur erzählt man sich heute, dass nach einem intensiven team- und leistungsorientierten Arbeitstag auch die Teilnahme an einem „Feierabend“, bei dem im Kreise aller Kollegen auch immer gemeinsam gefeiert werden soll, ein gesellschaftlich absolut notwendiges Muss darstellt.
Gemeinsam etwas zu unternehmen, erhöht unzweifelhaft für ein sozial entwickeltes und mit unterschiedlichen intersozialen Vermittlungsformen ausgestattetes Lebewesen den Lebenswert und die Freude daran. Geht diese Erlebensfähigkeit, der Genuss an der Gemeinschaft nicht aber verloren, wenn sie unter Zwang und als Dauerzustand konsumiert wird.
Eine Gruppe feiert. Ein oder zwei Gläschen Alkohol sollen die gesellschaftlich eingeübte Distanz überwinden und die mögliche Gehemmtheit am Gesprächsbeginn lockern helfen. Na gut!
Am Ende der Feier sitzen ein oder mehrere Teilnehmer stumm vornübergebeugt mit glasigem Blick, unfähig, unwillig(?) jeder Kommunikation. Sie haben sich durch „übermäßigen“ Alkohol/Drogenkonsum längst aus der Geselligkeit ausgeklinkt. Sind sie vor den Ansprüchen der kleinen Gruppe an interessante , gemeinsame Gestaltung der „ Freizeit von gesellschaftlichen Verpflichtungen“, sind sie im Bewusstsein Ihrer gebundenen Rolle geflüchtet?
Man ist Fan eines Fussballteams und freut sich am Wochenende auf ein „Spiel“ (?). Einmal nicht mehr wie im Arbeitsalltag selbst für den Erfolg seiner Firma zuständig zu sein, sondern einfach Andere mal machen lassen und genüsslich anderen einfach beim Erfolgskampf zusehen zu dürfen. Gut so!
Muss man sich dann wirklich am Ende des Spiels , dem Gruppenzwang verpflichtet, mitten unter den Ultras wieder finden, die sich mit den Fans der gegnerischen Mannschaft eine Schlägerei liefern? So ein Stress !!
Vom Wesen der Karnevalszeit, von Fasching und Fasnet:
(zur Erweiterung und Vertiefung auch:https://www.deutschlandfunk.de/karneval-masken-der...)
Die römischen Sklaven durften am letzten Tag des römischen Kalenders, den Saturnalien, für ein paar Stunden in die Gewänder ihrer Herren schlüpfen, wurden sogar von diesen bedient und konnten , soweit sie das wollten, den Herren sogar die Meinung sagen. Ungut, wenn diese Herren aber Spielverderber waren und den Sklaven dieses einmalige Verhalten dann über ein weiteres Dienstjahr mit Rute und Strafen spüren ließen.
Im christlich orientierten Kirchenjahr früherer Jahrhunderte sollte den Menschen, die ab Aschermittwoch zum Fasten, zum Verzicht auf alle angenehmen Dinge, angehalten waren, noch einmal der Luxus der kurzfristig „ungehemmten“(?) Freude, der teilweise etwas gelockerten Sittenkodices erlaubt sein. Hinter der mit einfachen Mitteln gestalteten Verkleidung, der bemalten, mimisch veränderten Tuchmaske , sollte man ein paar wenige Erleichterungen erfahren, für die man während des gesamten anderen Jahres, soziale Konsequenzen im Dorfleben oder in der Verpflichtung gegenüber Adel und Kirche befürchten musste. Nach dieser kurzen Zeit des Ausbruchs kehrte jeder Arbeiter, Bauer und sogar der Leibeigene wieder fast gerne in die alltägliche Ordnung, das Joch der fleißigen Arbeit für Adel und Klerus zurück. Im Besonderen, da man ja jetzt ja am eigenen Körper erlebt hatte, dass dieses freie Leben auch seine Tücken hatte, wenn der Kopf voll des Bieres oder gepanschten Alkohols übel schmerzte oder man trotz Maskierung vom Vater der im Rausch Umworbenen trotz Freizügigkeitsanspruch eine heftige Tracht Prügel „unbekannterweise“ aber trotzdem treffend erhalten hatte.
Da sitzen sie nun , die Befreiten, die modernen Menschen in Reih und Glied auf den Bierzeltbänken, schunkeln in stetem Rhythmus gemeinsam nach rechts und dann eng aneinander gehackt nach links. Ein vertrautes Bild, denn es ist ja Karneval..
Da laufen Sie in braver Reihe in festgeschriebenem Kostüm hinter identisch gefrästen Holzmasken zwischen dicht gestaffelten Reihen gezwungen fröhlicher Zuschauer hindurch, die Ordnungshüter hinter rotweissen Banderolen oder gerade gezogenen Kreidestrichen in glatter Linie zurück halten, denn es ist ja Fasnet.
Da stehen sie stark schwankend aber dennoch von gemeinsam schwankender Masse gehalten am Straßenrand und grölen gemeinsame Sauf,- und Schunkellieder, die vom träge vorwärts schaukelnden Korso der Lastwagen mit ebenso schwankenden Kostümträgern über dumpf pulsierende Lautsprecher auf die Menge geklopft werden:
Jetzt ist doch Fasching:
Einmal im Jahr wollen wir wenigstens lustig sein.
Bürgerreporter:in:Maskenmuseum Michael Stöhr aus Diedorf |
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