Ein kleiner König, wilde Räuber, mutige Frauen und viele Krokodile - in Südäthiopien
Diesesmal mussten wir leider die vielen Alt-Brillen in Deutschland zurücklassen, die uns Optikermeister Dotterweich zur Übergabe an eine Augenklinik im Süden des Sudan und Äthiopiens mit gegeben hatten. Die freundliche Dame an der Gepäckregistrierung von Lufthansa in Frankfurt wies uns unbeugsam auf die 22 kg Freigepäck hin, welches einem beim Flug in den Osten Afrikas zustünde. Zurück damit ins Auto und dann eben beim nächsten Mal zu einem Neuen Ziel in Entwicklungsländern wieder versuchen!! Air afrique und andere Fluglinien waren dabei immer großzügiger gewesen. Arztpraxen in Diedorf und Neusäss hatten uns für die Tropen wichtige Medikamente aus Ihrem Bestand zur Weitergabe an äthiopische Gesundheitsposten aus sortiert. Die gingen mit –auch gut!
Viel Verbandsmaterial war dabei. Die kleinen Stämme im Süden Äthiopiens und im Südsudan sind früher für ihre Raubzüge berühmt geworden. Vorwiegend als Viehzüchter herum ziehend mussten Sie Ihre Herden nicht nur schützen , sondern wollten diesen Besitz auch mehren und das vorwiegend natürlich aus dem Viehbestand anderer Stämme. Die Männer sind also fast alle mit Gewehren neuerer aber vor Allem älterer Bauart bewaffnet und ganz ohne Speere oder zumindest Schlagstöcke geht hier gar nichts. Heute sollte man sich also durchaus auch noch hüten, ihren Unmut zu wecken: Die Fäuste sitzen locker.
Auch die Frauen scheinen hier gänzlich gegen Schmerzen unempfindlich, ja geradezu begierig darauf erzogen worden zu sein. Wird einer der Hamarburschen zum heiratsfähigen Mann erklärt und vollzieht er seine Reifeprüfung durch den Sprung über eine Reihe hinter einander aufgereihter Bullen, so werden auch die jüngeren Frauen seiner Sippe mit einer Mutprobe mit einbezogen. Sie erhalten am Vorabend ihr sogenanntes „ Liebespfand“: Sie hüpfen mit Spottliedern auf den Lippen vor den anderen Jungmännern herum und fordern diese auf, ihnen mit lagen biegsamen Baumruten auf brutal anmutende Weise blutig auf platzende Striemen bei zu fügen .
Stolz tragen die älteren Frauen später diese daraus resultierenden „Schmuck“narben zur Schau und vermitteln damit den noch nicht so „misshandelten“ jüngeren Frauen, das Besondere dieser „Auszeichnung“. Ansonsten außer aus dem Gruppenzwang ist es kaum verständlich, warum sich jedes Jahr immer wieder Mädchen freiwillig und enthusiastisch dieser schmerzhaften Prozedur unterziehen.
Viel schlimmer und von internationalen Frauen- und Menschenrechtsbewegungen geoutet ist bei vielen Stämmen im Süden Äthiopiens und des Sudan die Beschneidung der Frauen. Für die christliche und aufgeklärte Welt unvorstellbar aber im Geheimen immer noch gerade von der Geheimbund der älteren Frauen praktiziert ist das grausame Verfahren der Totalexcision der weiblichen Geschlechtsorgane. Nach dieser Tortur wird bis auf eine kleine Öffnung für den Harnfluß vernäht. Alles erfolgt ohne schmerzlindernde Mittel . So ist, eine lustvoll-liebevolle Körperbeziehung nie mehr möglich, ein vorehelicher Verkehr unbemerkt kaum sinnvoll. Was in Hinsicht auf solch sinnlos grausame Verstümmelung kaum verständlich scheint, liegt damit der Sinn ausschliesslich darin, künftige Ehepartner nur nach Wahl der beiden Elternpaare zusammen zu bringen. Nach der ersten Hochzeitsnacht wird das blutgetränkte Leintuch stolz den Eltern des Bräutigams gezeigt. Es ist zu wünschen, daß die schwierige Aufklärungsarbeit gegen diesen unmenschlichen Brauch hoffentlich bald noch schnelleren Erfolg zeigt.
Die meisten dieser in Südäthiopien und dem Südsudan lebenden Stämme sind Rinder-, Dromedar- oder Ziegenzüchter. Die Männer sind es gewohnt, Streitigkeiten um Weideland oder Tiere mit Waffengewalt, früher Speer, dann selbergebastelte Vorderlader, heute Kalaschnikow aus zu tragen. Sie erweiterten ihren Tierbestand durch wiederholte gegenseitige Raubzüge zu den Nachbarstämmen. Als besonders aggressiv gelten die Afar und Hamar. Bei fremder Einmischung in Stammesangelegenheiten ( so eben auch der Beschneidung) manchmal aber allein sogar schon bei touristischen Fotos wird mit schmerzhaften Schlägen , aggressiver Gewaltandrohung und teuren Reparationsforderungen gegen Fremde vor gegangen.
Besonders das Fotographieren solch malerisch geschmückter oder durch Narbentatooes und Lippenpflöcke verunstalteter Körper geht ins Geld. Nicht, daß besonders viel verlangt würde. 3-5 Birr (12-15 Cent) in Landeswährung ist pro Person und Aufnahme ja eigentlich mehr als billig. Aber: 1- und 5- Birrscheine oder -Münzen sind rar zu bekommen und so zahlt man oft viel zu schnell entweder mit Dollarscheinen, T-shirts oder Kugelschreibern. Das lässt die Preise aus ufern und das Fotographieren zur Qual werden. Verweigert man gar das Fotographieren ganz, werden die Leute aggressiv.
Keine Fotos der weiss auf schwarz bemalten Karo, der mitbreitflächigem Perlenschmuck geschmückten Arbore, der durch Ihre Tellerlippen bekannten Mursifrauen. Aus: kein Foto mehr, dieses aggressive Anbieten nervt: Prostitution fürs Auge: Aus!!!
Wie herrlich erscheinen fürs Künstlerauge die schmückend getragenen Farbtupfer der Natur: wilde Orangen, bunte Blüten oder leuchtendgrüne Farnrispen auf schokobrauner Haut! Nein aus!! No foto-no money! Gibt es doch ohnedies schon herrliche Bildbände über die geschmückten Menschen des Omo-tales wie die Karo und Mursi: Kleider aus der Natur.
Hat sich der in diesen Stämmen über lange Entwicklungsjahre hin aus geübte aggressive Viehdiebstahl untereinander mittlerweile umgewandelt in aggressives Eintreiben von Fotogebühren und tatkräftig zulangendes Bettlertum? Man könnte meinen!
Unser braver Guide, der sich sicher auch ein wenig zu tatkräftig gegen eine Bettlerbande auf bringen ließ, wurde von aufgebrachter Menschenmenge im Gebiet schlimm verprügelt, beinahe gelyncht und konnte von uns nur durch die Polizei aus der Rauferei heraus bekommen werden. Allerdings nur, um damit zunächst für geraume Zeit hinter den Hasengittern und den unkonventionell einfachen Ziegenzäunen des Gefängnisses zu verschwinden. Die Zeugenlaussagen der konträren Menge waren für ihn zu ungünstig aus gefallen und nur durch konsularische Vermittlung im fernen Adisabeba war der örtliche Polizeivorstand überhaupt bereit, sich ohne weitere Verzögerung der Sache überhaupt an zu nehmen. Zeit beruhigt die Gemüter. Hier durch die Zahlung einer Konventionalstrafe an die örtliche Polizei. Gerechtigkeit ernährt ganze Beamtenfamilien.
Allmählich wird es Zeit für den Auftritt unseres kleinen Königs: Damit das wilde Viehräuberblut nicht zu sehr in Wallung gerät, haben viele der Stämme einen Ältestenrat mit Dorfchef, der kleinere Konflikte regeln kann. Größere Konflikte gehen an das staatliche Regionalgericht. Das kostet viel Zeit, Nerven und Geld. Damit bemüht sich natürlich jeder die Konflikte möglichst schnell, und einvernehmlich gleich im Dorf zu lösen. Nicht immer ist das Urteil dann aber salomonisch weise.
Unser kleiner König regiert als momentan letzter Abkömmling einer generationenlangen Reihe von salomonisch gerechten Herrschern und königlichen Richtern über eine Schar von annähernd 1000 Konso. Geduld und Verständnis haben aus diesem ehemals sicher auch wilden Völkchen einen Vorzeige-Kleinststaat in Afrika gemacht. Unser kleiner Regent lebt für europäisches Verständnis einfach bis karg in ein paar kleinen Hütten mit der Königsmutter, der Mumie des Altkönigs, drei Kindern und einer einziger Gattin in ruhiger Harmonie, besucht auch immer mal wieder von europäischen Politikern . Trotz aller materiellen Bescheidenheit des Königspalastes ist unser König selbstbewusst aber diplomatisch bescheiden und ein höflicher Gastgeber. Da seine ruhig überlegten und klugen Antworten und Lösungsstrategien nicht nur bei seinen Untertanen besonders gut ankommen, wird er auch in der Vermittlung für andere politische Konflikte afrikaweit konsultiert. Kleiner, weiser König mit großem Herz!
Diese Weltoffenheit würde man seinem kleinen Palast und seinem Staat im Staat gar nicht zu trauen, betrachtet man die hinter dichten hohen Zäunen und Barrikaden aus derb zugehauenen Bäumen bestens geschützten und versteckten Dörfer. Das ist ein Volk, das sich gegen die Übergriffe seiner Nachbarn bestens zu schützen wußte, so dass kriegerische Auseinandersetzungen vermieden werden konnten. Dem war wohl aber nicht immer so. Getöteten Feinden wurden kurzerhand mit scharfem Messer die wertvollsten Teile männlicher Kraft ab geschnitten und zu weiterer Warnung entweder auf die spitzen Hölzer der Palisaden gesteckt oder im Siegestriumpf als getrockneter Stirnschmuck zur Schlacht getragen. Anscheinend hat dies ja auch gewirkt und das kleine Völkchen vor größeren Belagerungen frei gehalten. Gedörrt hält für die Ewigkeit: So befindet sich in jedem Königspalast neben den Zimmern für die noch lebenden Bewohner auch eine Mummifizierungs-behausung, in der der verstorbene Altkönig nach vor geschriebenem Ritual regelmässig über 10 Jahre lang bequalmt und seiner Körperfeuchtigkeit beraubt wird. Wenn Geld für die teuren Räucherhölzer fehlt, muss es wie beim vorigen Königsvater manchmal schon nach 5 Jahren vollbracht sein. Dann erst wird die Mumie mit allen Ehren zur Schau gestellt und schließlich in der Erde bestattet. Solange und noch darüber hinaus vertreten hölzerne Kultfiguren die gestorbenen Könige und Familienangehörigen auf den Gräbern. Für diesen außergewöhnlichen Brauch wurden die Gehöfte der Konso in s Weltkulturerbe übernommen. Leider fast zu spät: in den 60-ger Jahren mit auf kommender Leidenschaft für afrikanische Kunst, für die Kunst der vorher so geschimpften „ Primitiven“, die als Wertanlage jetzt selbst für alle betuchten Nonkonformisten interessant wurde, wurden die Königsfiguren rigoros und brutal einfach von den Gräbern geklaut und im Kunsthandel hochkarätig verscherbelt. Wenig blieb im Lande und wird verständlicherweise seither nur ungern dem Touristen gezeigt. Nicht immer ist allerdings der gute Preis auf dem Kunstmarkt für solche Diebstähle von Kulturgut durch fremde Stämme und Kunsthändler ausschlaggebend. Viel stärker wirkt sich vor allem das bilderverbot des Islam zu dem viele Stämme langsam von der Ahnenverehrung weg „bekehrt“ werden. Altüberliefertes figürliches Kulturgut muß dabei verbrannt werden. Was wunderts, wenn dann die Eigentümer ihre Grabfiguren lieber noch ein bisschen gewinnbringend weiter verkaufen und sie so zumindest in internationalen Museen noch betrachtet werden können.
Bürgerreporter:in:Haus der Kulturen michael stöhr aus Diedorf |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.