Der geschundene Gott – hat sich Jesus neu erfunden?
Im Radio höre ich: "O Haupt voll Blut und Wunden", ein Lied, das sich mir so in allertiefstem Herzen eingeprägt hat, bei dem mir vor 50 Jahren in der Komunikationszeit ständig die Tränen kamen und bei jeder Beerdigungsfeier auch heute noch so richtig mulmig im Bauch wird, auch wenn ich den Pfarrer am liebsten dafür erwürgen möchte , der mit soviel sadomasochistischer Überzeugungsenergie seine Schäflein quält. . Tief setzt dieses wunderschön schaurige Lied von Paul Gerhard, entstanden im Barock zwischen dem "Genieße den Tag der Fürsten" und dem von Siechtum , Krankheit, Tod gezeichneten"Gedenke ,dass Du sterben musst, der gesamten Menscheit" unter unseren Füßen an und hebelt uns gewaltsam aus dem Halt der alltäglichen Norm. Ein gewaltig wirksames Kunstwerk. Weniger ist es da tatsächlich das Mitleid mit diesem Jesus als das Mitleid mit unserem Schicksal, selbst sterben zu müssen, dass uns so abgrundtief traurig macht.
Heute ist wieder Karfreitag, einer der höchsten Feiertage der Christenheit.
Jesus von Nazareth , der sich König der Juden und Sohn Gottes (JHW) nannte, wurde nach den vier öffentlich zugänglichen Evangelien mehrfach ausgepeitscht und wie es unter römischer Herrschaft für Nichtrömer üblich war am Kreuz zu Tode gebracht und ausgestellt. Damals eines von vielen ähnlichen Schicksalen für alle Nonkonformisten mit der römischen Politik .
Nach Aussage dieser 4 Evangelien war das Grab nach 3 Tagen wieder leer, als die 3 Frauen ihn dort salben wollten. Der Glaube an die Auferstehung des von mehreren vorherigen Propheten angekündigten Messias hat über 2 Jahrtausende einer vielmillionenfachen Zahl an Gläubigen Zuversicht auf eine Verlängerung des individuellen Lebens über den Tod hinaus unter veränderten Bedingungen gegeben.
Sicherlich zeugt es von allerhöchster Moral, für die Verwirklichung seiner Ideen sogar notfalls das Leben zu lassen: So wie z.B. Madame Curie bei der Erforschung der Radioaktivität unbewusst oder die unzähligen Helfer, die sich beim Säubern des radioaktiven Outputs in Tschernobyl und Fukushima dem sicheren Tode bewusst aus lieferten.
Die Volkszählung in Israel, zu dem auch das Elternpaar mit dem noch ungeborenen Jesus auf den Weg war, fand nach römischer Geschichtsschreibung allerdings 40 Jahre nach der gestzten Hinrichtung statt.
Der Geburtstag Christi wurde von der christlichen Kirche über viele Jahrhunderte natürlich zusammen mit der Ankunft der heiligen 3 Könige gefeiert, nicht an Weihnachten: Um die Weihnachtszeit herum lagen viele Festtage anderer Religionen, die in Ihrem Grundgedanken schon Jahrhunderte vor Christus die Auferstehung und Wiedergeburt Ihrer Götter und Idole vorweg genommen hatten. Der gregorianische Kalender (Papst Gregor , der 4.) und auch andere spätere Päpste positionierten bestehende christliche Festtage auf wichtige „heidnische“ Feiern wie beim Mensch-ärgere-dich-nicht-spiel, zerstörten andere Glaubensplätze und überbauten alte Heiligtümer mit christlichen Kirchen. Nur so ist natürlich Missionierung völlig erfolgreich.
Angehörige anderer Glaubensrichtungen und schon geringfügige Nonkonfirmisten, manchmal sogar nur Menschen, deren Tod für andere einen kleinen wirtschaftlichen Vorteil erbrachte, wurden in Hexenprozessen von der christlichen Kirche nach unvorstellbar schlimmen Foltern schuldlos zum Verbrennen bei lebendigem Leib verurteilt. Haben sie dadurch Märtyrerstatus oder gar Göttlichkeit erlangt?
Andere Religionen und ihre Anhänger , die ja auch an ihren Weg zur Auferstehung glaubten, wurden seit dem 4. Jhdt. nach Christus (hier zunächst z.b.die alte Naturreligion der Sarden) gemäß päpstlichem Dekret vom Christentum je nach wirtschaftlichem Gutdünken bedenkenlos ausgemerzt. Tausende, Millionen von Schicksalen meist weit schlimmer als das von Jesus von Nazareth, ausgelöst durch seine späteren Gefolgsleute.
Im Lauf der Jahrhunderte vor unserer Zeitrechnung war aus der Verehrung des monotheistischen Wind,- und Unwettergottes JHW, der sich vor langer Zeit aus der patriarchalen Ideologie nomadisierender und raubender Kurganvölker aus den Steppen Südrusslands entwickelt hatte und der in der Levante herangereift war, im Judentum ein gnadenloser unbarmherziger Gott mit Alleinanspruch geworden. Verständlich, dass sich da unter vielen das Bedürfnis zeigte, diese rein patriarchal monotheistische Doktrin wieder stärker in Richtung alter Religionsansätze, die auch für Frauen Platz bot und demokratischer aufgebaut war, zu öffnen.
Viele Religionsgründer tauchten auf, so wie z.B. Johannes der Täufer, der mit der Taufe in Wasser an die alte Mitrasreligion (Tanz um das goldene Sonnenkalb) anknüpfte, die ja auch Wiedergeburt versprach.
Viele der in diesen Tagen in Hochkultur stehenden Kulte wie der Isis-Osiris-kult, der Dionysoskult und die eleusinischen Mysterien um Demeter und Persephone waren, schaut man auf Ähnlichkeiten, Weiterentwicklungen des Kults der Magna Mater aus der Jungsteinzeit, bei der der männlich beigeordnete jugendliche Held, geschunden , zerissen wird und in die Unterwelt eingeht, um dann wieder zusammengesetzt und neu wiedergeboren zu werden.
Wie es scheint, hatten auch die ersten Ansätze des Christentum mit dem Thomasevangelium und dem möglicherweise verschollenen Evangelium der Maria Magdalena, deutliche Reminiszenzen an die anderen Kulte und natürlich auf Kulte mit Entsprechung zur Magna mater.
Unter den vielen tausend Ausgrabungstücken, die Marija Gimbutas aus dem Bereich der jungsteinzeitlichen Kulturen des Donauraumes beschreibt (Göttinnen und Götter im alten Europa u. a.) sind auch viele, die den alten Stierkult Europas zum Thema haben. Wie es scheint, wurde das Wirken der großen Mutter (Natur) über einen Zeitraum von mehreren tausend Jahren (5000- 3000 v. Christus) durch das jährliche Opfer eines ausgewählten Jungstieres unterstützt. Dieses männliche Stierkalb war stellvertretend für den männlichen Anteil der Schöpfung und Verkörperung des zeugenden Gottes, ebenso wie der jährlich durch sportliche Geschicklichkeit ausgewählte jugendliche Held/Jahres(zeiten)gott. Die Initiationsfeiern und Mutproben der männlichen Nachkommenschaft führten zur Heiligen Hochzeit (Hierogamie) des Besten mit der großen Muttergöttin in Gestalt einer Priesterin. Beide, Stier wie auserwählter Held, waren nach Jahreszyklus aber stets für Tod, zerstückelung und Opfer bestimmt, um im nächsten Jahr in neuer Gestalt wieder auerstehen zu können.
Inwieweit Stierkalb und junger Mann nach einem Jahr als Opfer sich gegenseitig ersetzen konnten, bleibt in schriftloser vorgeschichtlicher Zeit ungeklärt. Zur Erinnerung gebracht werden diese alten Kultbestandteile einmal durch Funde wie die maskierten Stiermänner in Höhlenmalereien, in Kleinplastiken der Donaukulturen,die Stierplastiken im Mutter-Tempel von Catal Hüjük, in Kreta, wo auch ein sportlicher Stierspringer gefunden wurde und in den etwas antiquierten Stierkämpfen der Neuzeit in Spanien. Stier und jugendlicher Held wurden der großen Mutter in Stellvertretung durch Ihre Priesterinnen in heiliger Hochzeit zu geführt. Nachdem der Jahresgott am Ende des Jahres getötet, zerstückelt und geopfert werden musste, wuchs das neue Kind, die neue Priesterin natürlich auch ohne Vater auf (Jungfrauengeburten sind für Helden und Götter eher schon wieder normal).
Diese alten Rituale scheinen für die Mythologien der geschichtlichen Zeit dann wesentliche archetypische Bruchstücke geschaffen zu haben.
In griechischer Mythologie, die ja auch auf diesen vorgriechischen Ursprung zurück weist und vor der Geschichtsschreibung auch laufend durch mündliche Überlieferung verändert und ergänzt wurde, erscheint das neugeborene Kind z.B. unter Namen wie Erichthonios, Hyakinthos, kretischer Zeus, meist aber nur unter dem Einheitsnamen Kouros.( Der kretische Zeus wurde von der Herrin der Natur und Tiere Artemis oder von der großen Fruchtbarkeitsgöttin Demeter genährt).
Im Kult erscheint das neugeborene Kind Erichthonios in vorbiblischer Zeit übrigens als Schlange. Das Kind wird im Auftrag von Athene von drei Jungfrauen betreut.
Sehr verwirrend, wie sich alter Kult und blühende Erzählkunst dann in den griechischen Sagen zu immer neuen Beziehungen verschlingen.
Bruchstückhaft sind alle Reminiszenzen.
Einer der wichtigsten Kulte, die auf vorgriechisch Vorgeschichtliches zurückgehen, sind die Kulte um Dionysos, die jahreszeitlich auf die Prozesse des Aufwachsens und wieder Sterbens in der Natur ein wirken wollen: die Antherien, Lenäen und Dionysien.
Nicht nur Zeus muss den ewigen Druck von Generationen von gnadenlos herrschenden Göttern: Chronos, Pluto, Uranos durch Vatermord aufhalten, auch Dionysos wird von eben jenen Titanen in Stücke gerissen.
Mysterienkulte sind üblicherweise in der Geschichtsschreibung als Geheimkulte nicht sonderlich gut beschrieben, ist doch ihr wesentlicher Sinn auch den Initianden (Bei den Dionysien: Bacchus) durch geheime Versprechen, eben zum Beispiel das der Wiederauferstehung, zu binden. Sicherlich hat bei den Initiationsfeiern des Dionysos der Wein als Kultgetränk zumindest später eine wichtige Rolle gespielt. (Ob dabei der Initiand nach Vollrausch und Delirium ein Vorgefühl der Auferstehung am nächsten Tag mit nehmen sollte, ist mehr als ungewiss). Dass Stierkalb und Mann als verschiedene Verkörperung des gleichen männlichen Prinzip, des männlichen Gottes, erschienen sind, wird z.B. aus dengeschichtlichen Quellen (z.B. Bacchae des Euripides) klar.
Auch bei den orphischen Mysterien wird die Auferstehung als gewünschtes Ziel des Kultes gesehen. Orpheus versucht seine von der Schlange gebissene Gattin aus der Unterwelt heraus zu holen - sie wendet sich zurück (von ihm ab), kann den Lauf der Natur nicht verändern. Orpheus, ("der erste Popstar auf der Leier") wird möglicherweise in Reminiszenz zu noch viel älteren Kulten von seinen Verehrerinnen in Stücke gerissen. Der Initiand ass bei den orphischen Mysterien ebenso wie der Initiand der Mithrasmysterien das rohe Fleisch und trank das Blut des geopferten Stieres (letztes Abendmahl?).
Beim Kult um die große Fruchtbarkeitsgöttin Demeter, den eleusinischen Mysterien, muss die Göttin Ihre von Hades in die Unterwelt entführte Tochter Persephone zur Wiederherstellung der jahreszeitlichen Ordnung wieder für ein halbes Jahr nach oben holen.
Beim Kult um Isis und Osiris in der ägyptischen Welt, wird sicher auch in Reminiszenz an Älteres, der Gott vom missgünstigen Bruder Seth getötet zerstückelt und über die Erde verstreut, Isis, das große weibliche Prinzip, setzt unter Mithilfe des Falkenkindes Horus die Teile wieder zusammen.
Die Satyrn, bockshörnige und ziegenbeinige Wesen aus dem Gefolge Dionysos mussten in Zeiten nach der Völkerwanderung das Bild des Teufels abgeben. Es geschah zu einer Zeit, als Franken und andere germanische Stämme, zum einen das Christentum annahmen, zum anderen auch den feinen Naturalismus antiker Kunstwerke ( z. B. auf Vasenmalerei ) wieder schätzen lernten. (Ist Ihnen eigentlich schon aufgefallen, dass vor 700 n.Chr. gar keine Teufelsdarstellungen existieren, weil man ja gar nicht wusste, wie Teufel aus zu sehen haben. Die Bibel beschreibt das nicht.). Damit war wieder ein schweres Geschütz gegen antike Kulte aufgefahren.
Marsyas, ein Satyr und Meister des Panflötenspiels, forderte den Sonnengott ,Sol invictus, Apoll im Musizieren heraus. Zur Strafe wurde ihm die Haut abgezogen. Viele frühe christliche Kirchen setzten Christus mit Apoll und Mithras, dem persischen Sonnenstiergott, gleich und übernahmen auch Ihre oft unterirdisch versteckt liegenden Kultstätten (Die nächste im Übrigen nördlich von Augsburg in Lauingen und im Süden in Königsbrunn auf dem alten Friedhof).
Seltsam auch, dass selbst im für damalige Zeit unerreichbar fernen Mexiko Xipe Totec, der Vegetationsgott, der Gott der keimenden Saat, mit der Haut eines Geopferten gezeigt wird, Xipe Totec, der geschundene Gott. Aus Tod soll Leben entstehen, wie es seit Jahrtausenden so war. Jede Beziehung wäre auf Grund der Distanz abstrus, aber berühren wir hier ein überkulturelles archetypisches Bild?
Mir scheint:
Christus, gleichzeitig jugendlicher Held und kultisches Opfer, scheint sich selbst als Religionsgründer gar nicht ins Zentrum gesetzt zu haben, auch nicht den unbarmherzigen Vater, der aus seiner alleinigen Machtrolle ja verdrängt werden sollte. Im Visier der neuen Religion standen mit Maria Magdalena, der Gefährtin an seiner Seite, und den anderen Frauen, die wir vom Grabbesuch kennen, wiederum die Priesterinnen der alten Magna Mater, die in weit zurück liegenden Zeiten in matriarchaler Gesellschaft demokratisch beratend das Gemeinwohl der Siedlungen regelten.
Waren es seine immer noch patriarchal denkenden Jünger oder spätere Evangelienschreiber, die diesen Teil der neuen (oder wiederaufbereiteten) Religion im Nachhinein bewusst überarbeiteten?
Der Kult der großen Mutter wollte Kraft zur Akzeptanz der Gesetze der Natur vermitteln, vor Allem des Prinzips des Sterbens, um Platz und Nahrungsgrundlage für Nachfolgendes zu schaffen. Liebe, Sex und Lebensfreude waren in jeder Hinsicht eben auch ein wichtiger sicher schöner Teil der Schöpfung in den Augen des Matriarchats. Der Tod war aber eben aber auch nichts Schlimmes.
Fürsten, Kaiser und Päpste brauchen im Patriarchat aber die Unterordnung der sie versorgenden Arbeitermassen. So verspricht man dem guten Arbeiter das Himmelreich und droht dem Kritiker mit der Hölle, die man mit öffentlichen Ketzerprozessen und -Verbrennungen auch publikumswirksam deutlich macht.
Von Liebe ist weit weniger konkret die Rede als von all den grausam beschriebenen Bestrafungen.
Liebe, Sex und Lebensfreude nämlich dagegen ist zeitaufwändig und für die Arbeitsleistung damit meist kontraproduktiv.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Zielsetzung einer patriarchalen Machtgesellschaft für den Mann namens Jesus Halt genug gegeben hätte, den Kreuzestod zu erleiden. Das Leben in Einklang mit der Natur enthält das Sterben dagegen ohnedies in sich. Sterben, um den alten Kult der Liebe wieder zu beleben, scheint mir für einen wirklich Überzeugten, eher nachvollziehbar.
Bürgerreporter:in:Haus der Kulturen michael stöhr aus Diedorf |
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