Madagaskar - wo die Nacht riesige Augen hat und die Toten fröhlich mitfeiern
Klappriger Flieger von Paris nach Tana: Air Madagascar - kommt er? Kommt er nicht, kommt er morgen oder übermorgen.
Antananarivo- klingender Name und selbst für die Einheimischen zu kompliziert –also einfach Tana, quirrliger Umschlagplatz jugendlicher Träume .
Früher als die Schiffsreise dorthin ums Horn von Afrika herum noch mit Skorbut und Pest belohnt wurde („Wir lagen vor Madagaskar….“) ein kleines Nest im Nirgendwo, heute Sprungfeder surf-, suff- und tauchwütiger Franzosen und Italiener zum touristischen Norden.
„Bloß weg da“ für uns auf der Suche nach seltsamen afro-indonesischen Totenriten, die so tief im Leben wurzeln.
Scheue Stämme, wie die Betsi, die Antanosy, Mahafaly und Sakalava, mit denen wir in Berührung kamen. Weise erfahrene Alte und angsterfüllte Kinder ,die in panischer Flucht vor uns Weisen, den bleichen Toten davon rennen oder war es kollektive Erinnerung,weil Ihre Väter und Großväter noch vor 20 Jahren von den Franzosen mit dem Auto gejagt und in die Fremdenlegion gesteckt wurden.
In den Süden verfahren sich keine Franzosen mehr - nur die Angst vor den Weisen, den verdammten schwatzhaften Toten ist geblieben. Schwarze Tote sind stumm aber fröhlich.
Ihosy und Ranomafana :Scheue nachtaktive Aliens sehen wir in den Naturpark in Hochland und Savanne, die Affengruppe der Lemuren, die nach giechischer Mythologie weder tot noch lebendig im Schattenreich leben. Wenn die Guides des Nachts Bananen an die Büsche schmieren, kann man sich vor den durch die Luft huschenden-springenden Zwergen kaum retten. Auch Chamäleons gibt es in jeder Form und in bekanntermaßen stets wechselnder Farbe . Trotz intensiver Suche sah ich nur immer dann eines, wenn der Finger des Dschungel-guides schon direkt darauf ruhte. Tierisch interessant plötzlich aus dem Nichts heraus beim Gang in die Urwald-toilette Auge in Auge mit einer fast leopardengroßen - na ja meine damalige Angst lässt mich da vielleicht etwas übertreiben – unbekannten Kreatur mit zähnenbewehrtem geifernden Kiefer, wild grollend und zischend, die sich dann aber um die eigene Achse dreht und vor mir davon läuft: eine Fossa, die größte lebende Schleichkatze, ein Ding groß und fremd wie eine Höhlenhyäne. Vielleicht hat mein Foto sie erschreckt? Sie mich auch - das Foto ist völlig verwackelt.
Antsirabe: Lange Fanfaren tönen schon von Weitem hörbar, im Hintergrund die mit schräg angeblasenen Trompeten und Posaunen zu wildem Trommeln an- und wieder abschwellende Geräuschkulisse einer wilden Dorfkapelle. Kanister mit Palmschnaps werden geschwenkt, während das gesamte Dorf im Takt wiegend und schwankend über die ganze Straßenbreite verteilt der Straße den Fanfaren bis zum Friedhof folgt.
Das Dorf der Betsi feiert Umbettung mit den Toten. Einmal alle paar Jahre werden die Steingrüfte am Rande des Dorfes geöffnet, die mittlerweile verwesten Leichen in Ihren Tüchern aus der Gruft geholt . Die Alten Männer und männlichen Familienangehörigen, denen diese Aufgabe zufällt, bewegen sich und die Toten dabei freudevoll wie beim Tanz. Nachdem die Männer die neuen und alten Leichenbündel dann höchst ehrfurchtsvoll auf der Fläche vor den Gräbern abgesetzt haben, beginnen die älteren Frauen dann die Toten aus Ihren Tüchern zu wickeln. Während der oder die Tote dabei auf dem Schoss einer verschleierten hübschen jungen Frau ruht, entfernen die Älteren Reste von Haaren und vertrocknete Fleischpartien, um die Knochen frei zu legen. Diese werden anschließend im Palmwein gewaschen, abgetrocknet und in neue teure Tücher gehüllt. Dann beginnt das Fest mit den Ahnen, das ausgelassen und ein wenig feucht-fröhlich gefeiert wird.
Ampanihy: Stirbt ein bedeutender Mann oder eine wohlhabende alte Frau der Mahafaly wird vor dem Dorf ein großer Platz am Rande des Familienbesitzes gereinigt . Um den Platz herum wird eine glatte Mauer aus Natursteinen hochgezogen. Das Totengeviert ist geschaffen. Der Leichnam wird in der Mitte auf gebahrt und das gesamte große Flächenstück meterhoch mit Feldsteinen bedeckt. Auf dieses Monument werden brettförmige, fein ornamental beschnitzte Planken hochkant aufgestellt, deren Spitze mit einer Figurengruppe aus dem Leben des Verstorbenen gekrönt ist. Das gesamte Dorf, die weitverstreute gesamte Bekanntschaft und Verwandtschaft des Verstorbenen , auch aus Übersee wird telegraphisch eingeladen. Meist weit mehr als das gesamte Vermögen der Familie wird zum Ankauf von Büffeln und zur Versorgung der Gäste auf gebracht. Schulden werden manchmal auf viele Jahre im Voraus gemacht. Zur Eröffnung des Festes werden alle Büffel geschlachtet, ihr Blut über dem Grab vergossen, das Fleisch an die Anwesenden und auch an die Nachbardörfer verschenkt. Die Hörner als Statussymbol auf den Gräbern zur Schau gestellt.
Kirindi bei Morondava: Auf den hölzernen Schacht-Gräbern der Sakalava findet man vor allem in den Eckpositionen bis auf Augenhöhe große Ahnen- und Sklavenplastiken in deftig erotischer Position, ein afrikanisch-indonesisches Kamasutra. Pfauenfiguren, Häuser und Affen scheinen solch erotischen Lebensquell eher symbolisch zu verkörpern. Genau den identisch gleichen Figuren und der gleichen Grabarchitektur sind wir im Hochland von Zentral-vietnam bei den Jorai und Jom-pre begegnet. Daß die Bevölkerung Madagaskars von Sumatra aus mit dem Auslegerboot über den indischen Ozean kam, ist bekannt und lässt sich anscheinend deutlich anhand der gleichen Ikat-techniken bei den Totentüchern nachweisen.
Viel prägnanter erscheint uns jedoch die Übereinstimmung mit den Totenkulten der unter dem Begriff Montainards von den Franzosen in Vietnam bezeichneten Völkern , die im Übrigen ja auch über Taiwan und die Phillipinen bei der polynesischen Wanderung in der Gegenrichtung nach Osten wieder auftauchen. Es ist im Einzelnen also eine Besiedlung Indonesiens aus dem Süden Chinas und Vietnams und eine Besiedlung Madagaskars von Indonesien her bekannt. Jetzt bekommt die ganze Siedlungsroute des Ostens hier einen sichtbaren auch dem Laien verständlichen Zusammenhang.
Einige dieser Eroten werden wir in einer Ausstellung namens : 1+1=1 (Paar) im Diedorfer Haus der Kulturen zeigen. Einige der wild gestikulierenden Grabesstatuen werden in der Ausstellung: "Hands up" ihre Geschichte erzählen
Bürgerreporter:in:Haus der Kulturen michael stöhr aus Diedorf |
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