Ätsch! - schnell die Zunge raus! Über Masken mit heraus gestrecker Zunge im internationalen Maskenmuseum Diedorf
Ätsch - schnell die Zunge raus!
Wer kennt es nicht das allzu bekannte Foto mit dem genialen Herrn Einstein, der hier so gar nicht gutbürgerlich konform und akkurat wie ein Forscher wirken will. Er streckt uns frech die Zunge raus! Da sitzt ihm ja geradezu der Schalk im Nacken und der scheint sich lausbübisch und antiautoritär über alle Gesetze des guten Benehmens hinweg zu setzen.
Ein Vorbild für die Gesellschaft sollte er doch mit all seinem Wissen und seiner verantwortungsvollen Rolle sein ! Die Zunge streckt er raus! Ein Bürgerschreck! Darf das denn wirklich sein? Damals in den Zwanziger Jahren unvorstellbar avantgardistisch - heute gerade mal kaum noch cool in den Augen unserer heutigen ausdrucks- und verhaltens-lockeren Jugend.
Nun kann man ganz sicher auf ganz verschiedenen Ebenen und Wirkungsfeldern über dieses mimische Zeichen: „Zunge-raus“ und seine Bedeutung reflektieren.
1.Strecken sich bei uns die Kinder die Zunge raus, so ist dies allgemein bekannt eine Form der Verhöhnung, ein Auslachen.
2. Bei den Maori der Südsee dient es in den Begrüßungs- und Kriegstänzen als Mittel der Abschreckung, ist es eine Drohgebärde gegenüber dem Feind. Wohl eher aber nicht ließe es sich dort auch mit europäischem Verständnis als Auslachen, als eben “die Zunge raus strecken deuten. Im Gesten- und Mimenkomplex dieser Haltung geht der Krieger etwas in die Hocke, fast so wie ein Rugby-spieler, spannt die Beinmuskulatur wie zum Sprunge an, atmet tief ein, um den Brustkasten zu erweitern und imposant wirken zu lassen , und verzerrt dann das Gesicht wutentbrannt und streckt dabei dann möglichst über einen längeren Zeitpunkt seine Zunge heraus. Sein nackter Körper sollte natürlich möglichst flächendeckend tätowiert sein, um die bösen Geister vor dem Eindringen in den Körper zurück zu halten und den Krieger fremdartig und künstlich gestählt wirken zu lassen.
3. Bei einer ganzen Reihe von Perchten-, und Krampusmasken im Alpengebiet soll in ähnlicher Absicht zur Abschreckung eine lange rote Zunge integriert sein. Oft streckt der Teufel die Zunge raus. circa 30% aller Krampus- und Pertenmasken sind mit diesem Attribut zusätzlich zu Hörnern und Zähnen aus gerüstet.
Auffällig ist oft die Länge der Zunge. So findet man bei fast allen Krampusmasken des Rauris ebenso wie bei den Fellmasken im slovakisch-kärntnerischen Grenzgebiet vor Allem im Rosental bei Latschach, bei anderen osteuropäischen Teufelsmasken, bei den fellgemachten Buttenmandeln des Berchtesgadener Landes und bei einigen Klausen der Schweiz eine besonders lange und dünne rote Stoffzunge aus dem Maul heraushängen .
Inwieweit dies gesichert eher ausschließlich als phallisches Symbol gedeutet werden kann, ist zweifelhaft. „Je länger, je besser“ scheint aber auch hier doppeldeutig mit Prestigegründen verbunden zu sein. Weniger bekannt, aber trotzdem wohl naheliegend, ist die Ähnlichkeit dieser Zunge mit dem langen roten Vogelschnabel von Storch oder Waldrapp. Toten- und Fruchtbarkeitskulte auch mit Masken dieser Vögel sind aus der vorzeitlichen , der keltischen und ostgermanischen Mythologie durchaus verbürgt.
4. Man streckt auch dem Arzt, dem honorablen Herrn Doktor, die Zunge raus – nicht , um ihn zu beleidigen, sondern auf Aufforderung, um die Diagnose von Krankheiten zu ermöglichen.
Wenn ich hier allerdings von der heraus gestreckten Zunge als Bestandteil von Krankheitsmasken in uns fremden Kulturen schreibe, dann nicht von der Zunge als Gegenstand solcher Diagnose.
Die ungesteuert heraus hängende Zunge ( im Gegensatz zum Akt des Herausstreckens)an sich ist in der Vorstellung vieler Natur,-und einiger Kulturvölker selbst Bestandteil des Krankheitsbildes. Sowird ja die Zunge bei bestimmten halbseitigen Lähmungen (oder auch des ganzen Gesichtes) leicht im Mundwinkel sichtbar und ist auch durch manche angeborene motorische oder geistige Beeinträchtigung oft schwer und langsam nur beweglich. Bei nervabtötenden Infektionskrankheiten der Tropen wie Lepra, Frambösie und anderen stirbt oft Gewebe im Bereich des Mundes ab und macht den Blick auf freiliegende Zähne und eben auch die Zunge zum Teil damit frei . Bei Naturvölkern kommt es hier meist natürlich nicht zur exakten Symptombeschreibung, weil ja aus tiefer Angst davor meist eher komplex erlebte und vorgestellte Empfindungen vorherrschen. Die entzündete Zunge tut bis zum Würgekrampf weh: Sie kann deshalb wohl auch als weit heraushängend dargestellt werden. Auf diese ungenaue Beschreibung des Krankheitsbildes bei den Krankheitsmasken der Naturvölker hat auch schon Prof. Dr.. Alfred Steinman von der Uni Zürich in den 30-ger Jahren des letzten Jahrhunderts in seinen Veröffentlichungen öfters hin gewiesen.
Besonders häufig findet man Krankheitsmasken bei den Kulten und Theaterspielen in Bali und Java, den Exorzismen Sri Lankas, den Ibo und ihren Nachbarn in Nigeria, den Pende im Kongo und den Falschgesichtbünden Nordamerikas. Gerade bei den 5 Stämmen , die man im Allgemeinen unter dem Sammelbegriff Iroqois zusammen fasst, gibt es ja jene bekannte Ursprungs-mythe über die Entstehung der Medizinbünde: Der Schöpfergeist soll geplagt von Kopfschmerzen im Wald auf der Suche nach Kräutern herum geirrt sein und dabei mit dem Gesicht gegen einen Baum gestoßen sein. Das Gesicht war völlig verzerrt , der Mund schief , die Zunge hing heraus – aber der Kopfschmerz war weg.
Ganz besonders auffällig, aber schwer in der genauen Bedeutung zu verstehen, sind die exorzistischen Masken in Sri Lanka. Dort kann man tatsächlich recht selten aus der äußeren Erscheinungsform der Maske, die dazu gehörige Krankheit erraten.
Bei einer Maske, aus deren Mund wie eine lange dicke Zunge eine Schlange(Kobra) heraus zu kommen scheint, wird gesagt, sie gehöre zum Krankheitdämon (Sanyah) der Taubheit und wird zur Bekämpfung dieses Leidens eingesetzt. Genauere Zusammenhänge sind nicht mehr heraus zu bekommen. Oft werden nur Ängste als Ursachen des Krankheitskomplexes angesehen. Tinitus mit seinem Zischen und Pfeifen, den man auch besonders im Bereich des Kiefers empfindet (zu hören meint) und dessen einfachste Form durch aufgebauten Druck im Ohr man durch Schluckbewegungen (auch mit der Zunge) und Öffnen des Mundes besänftigt werden kann,- ist das die richtige Diagnose???
Oder ist hier die Schlange, wie schon in der Bibel beim Sündenfall und in den Mythen vieler asiatischer, afrikanischer und ozeanischer Völker hier Synonym für die all umfassende Lebenskraft, im Besonderen die Sexualität - also wieder Phallus ?
Vielleicht gar unkonforme Lebenslust – Ätsch, da ist sie wieder!
Nachtrag: Da gäbe es natürlich noch das Tier und damit auch die Tiermaske mit heraushängender oder gestreckter Zunge: der Hund hechelt, um seinem Körper Kühlung zu verschaffen, der Waran und die Schlange züngelt, um Geruchspartikel aus der Luft auf zu nehmen, das Chamäleon und der Ameisenbär setzen ihre Zunge als Jagdinstrument ein, der Tiger und der Leopard, für die wir in der Ausstellung Maskenbeispiele zeigen, leckt sich hungrig die Lippen. Bei vielen Tieren, so auch der Schleichkatze ( Maske der Tukuna aus Brasilien) erzeugt die Zunge einen zischenden und warnenden Laut. Das mag als Abschreckung genügen. Die Katze leckt sich selbstverliebt den Pelz sauber.
Und bei uns Menschen soll das immer als Ätsch , als gelindes stilles Auslachen gedacht sein? Na ja, wer´s glaubt, der schaut sich´s in Diedorf, im Maskenmuseum an.
Bürgerreporter:in:Haus der Kulturen michael stöhr aus Diedorf |
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