Gedanken zu Pegida - von Rainer Stankiewitz
Verantwortlich für Text und Inhalt Rainer Stankiewitz Crivitz
Da bin ich noch, mein Land ging in den Westen,
Krieg den Hütten, Friede den Palästen.
Ich selber habe ihm den Tritt versetzt.
Es wirft sich weg und seine magre Zierde.
Dem Winter folgt der Sommer der Begierde.
Und ich kann bleiben wo der Pfeffer wächst.
Und unverständlich wird mein ganzer Text.
Was ich niemals besaß; wird mir entrissen.
Was ich nicht erlebte, werd ich ewig missen.
Die Hoffnung lag im Weg wie eine Falle.
Mein Eigentum, jetzt habt ihrs auf der Kralle.
Wann sag ich wieder mein und meine alle?
Volker Braun
(Volker Braun gehörte zu den 13 Erstunterzeichnern eines Protests von DDR-Schriftstellern
gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann 1976)
Die Worte dieses Schriftstellers schienen mir geeignet für den Eingang in eine Anmerkung über die gescholtenen PEGIDA-Spaziergänge. Zunächst störte mich nur der sonderbare Name, den diese Bewegung sich gab, holprig wie ein Landweg, trifft den Kern der Proteste in keiner Weise. Dass auch Nazis sich darunter mischen, halte ich anfangs lediglich für lästig – schlimm genug, dass es überhaupt welche gibt. Wissen jene armen Irren überhaupt, die sich so nennen, welche Lumpenhunde sie zu sein vorgeben? Die meisten würden vor sich selbst Reißaus nehmen, hätten sie eine blasse Ahnung, welche barbarischen Schandtaten ihre verbrämten Idole eines Tags auch von ihnen verlangen könnten. Die bedenkenlosen faschistischen Nazis dagegen – die gefährlichen, nicht belehrbaren, die weiße Rasse rein zu halten Vorgebenden müssen wir von der Gesellschaft trennen. Gleichzeitig sollten wir die Gesellschaft – also uns alle – fragen, weswegen eignen sich Menschen diese Gesinnung an, die ihren praktischen Höhepunkt in einem neuen Auschwitz haben könnte?
Doch die übrigen Leute, die es auf die Straße drängt, die Mehrheit - was treibt sie? Solange keine echte Bestandsaufnahme über den Zustand Deutschlands in West und Ost zugelassen wird, ist alles noch schlimmer, unberechenbarer, haltloser.
Spätestens, als man nach der sogenannten Wende den Osten unter fadenscheinigen Ausreden ent-industri¬alisierte, bewusst platt machte, war glasklar, dass in den neuen Bundesländern bis zum Jüngsten Tag die ärmeren Deutschen leben. Wo keine Wertschöpfung stattfindet, wohin lediglich ein Mindestmaß von Überlebensmitteln transferiert, wo planmäßig Prekariat geschaffen wird, dort entsteht dumpfer Untergrund auf Dauer und gärendes Brodeln unterm Deckel.
Die Menschen im Osten befleißigten sich einst, trotz ihrer Erfahrungen in der DDR, des aufrechten Gangs, die meisten fühlten sich frei und stolz. Diese Haltung lassen sie sich auch nicht heute durch immer wieder erneuerte Diffamierungen, Hetz- und Schmähreden ausprügeln; im Gegenteil, der Stolz auf ihr damaliges Leben wächst in dem Maß, wie sie heute armgespeist und von Demokratie und Freiheit ohne Geld gedemütigt werden. Wer dies nicht sehen will, weil es ihm in Beamtenstuben und Politikerpalästen an jedweder Nähe zur Not der Menschen mangelt, darf sich nicht wundern, wenn sich aus jenem dumpfen Untergrund Widerstände winden. Wer den Leuten im eigenen Land die Heimat nimmt, darf nicht überrascht sein, wenn einige meinen, Auswärtigen das Leben hier streitig machen zu müssen. Wer die wahren Ursachen negiert und vor lauter Verblendung, Selbstsucht und letztlich ohne innere Teilnahme blöde Sprüche klopft wie: „Wir lassen uns die Demokratie nicht kaputt¬machen“, zerstört die Gesellschaft. Auf ihn oder sie zu hören, werden wir täglich von partei- und damit kapitalhörigen Medien animiert. Aber genau sie sind die falschen! Um es ganz deutlich zu vermelden: Das politische Establishment ist weder willens noch in der Lage, die Spaltung der Gesellschaft in Deutschland aufzuhalten. Es wird allein getragen vom globalisierten Kapitalismus, der sich jedes, auch des infamsten, Mittels bedient, um seine Existenz, nämlich die fortwährende Anwesenheit von Profit, zu sichern. Eines seiner Mittel ist die Zerstückelung der menschlichen Gemeinschaft, die Vereinzelung jedes Individuums, der lange angezettelte Krieg jeder gegen jeden, einer ist des Anderen Feind. Das führt zu völliger Entsolidarisierung; jeder ist sich selbst der nächste – und wird so zum Spielball des Kapitals, das den einzelnen Wehrlosen ohne jede Pietät ausnimmt wie eine Weihnachtsgans. (Schauen Sie sich Reichtums- u. Armutsberichte an!)
Was ich damit meine, wird deutlich durch ein Beispiel in der jungen Welt im Gespräch mit Ayse Demir, Vorstandssprecherin der Türkischen Bundes in Berlin-Brandenburg, bei dem eine Frage lautet: Es heißt aber auch, die rege Teilnahme an derartigen Aufzügen sei ein Ventil für Leute, die unter Niedriglöhnen, Arbeitslosigkeit oder Armut leiden. Wenn es so wäre, hätten Sie Verständnis dafür?
Antwort: Nein. Erstens sind von prekären Arbeitsbedingungen in erster Linie auch Migranten betroffen. Zweitens: Für die schlechte wirtschaftliche und soziale Lage vieler Menschen hierzulande sind nicht wir verantwortlich. (…)
Jeder ist also für sich selbst zuständig, wie es dem armen Hund neben mir geht, ist nicht meine Sache.
Gerade aber hierin sehe ich das Hauptproblem, das bewusst und keinen Aufwand scheuend von den im Sinn des Kapitals Regierenden vernebelt wird. Diese Strategie, zu der auch Zuwanderung aus vielen Staaten und Religionen und daraus resultierende Parallelgesellschaften zählen, wird scheitern – wir sehen es gerade – wenn nicht der Wille besteht, aus allen Bewohnern Deutschlands eine homogene Gesellschaft zu schmieden. Der Kapitalismus hat daran kein Interesse, doch gerade er regiert rücksichtslos; noch. Er pöbelt alle jene an, die endlich beginnen zu erkennen, wie man sie missbraucht, benutzt, ausstößt, ausraubt, entsorgt. Jetzt regen sie sich gottlob und greifen in die Hackordnung ein. Unbequem diese Leute, die Hungerleider: also rechts, also auf sie! Die meckern auch noch auf die Presse, hetzen: Lügenpresse! Das allein macht sie schon zu Feinden der Demokratie, weil doch die Presse, so der sichtlich beleidigte Kleber vom ZDF heute-journal, frei sei und wahrhaft edel und gut und was weiß ich noch, berichte. In Wahrheit manipulieren Kleber und seinesgleichen uns und lachen sich ins Fäustchen.
Solange der Kapitalismus sich frei bewegen kann, können wir wählen, wen wir wollen, wir werden nichts ändern, ob wir nun Plakate malen „bunt statt braun“ oder zum Kampf der Anständigen aufrufen, siegen werden immer, die das Geld besitzen. Wollen wir es anders haben, müssen wir unsere Vereinzelung aufgeben und uns verbünden. Aber mit wem? Und mit wem nicht?
Ich kenne keine Teilnehmer der PEGIDA-Spaziergänger persönlich; trotzdem war mir diese aus lauter Einzelteilchen zusammengeklebte Masse zunächst sympathisch. Dass sich überhaupt Menschen trauen, endlich gegen die verlogene Politik von Regierung und Medien aufzubegehren, stimmt hoffnungsvoll. Doch herauszufinden, wer Freund und wer Feind ist, bedarf längeren Nachdenkens. – Und siehe: seit ich in Schwerin Udo Pastörs (Chef der NPD-Landtagsfraktion) an der Siegessäule gewahrte, weiß ich um die Gefahr, die von Pegida ausgeht.
Rainer Stankiewitz, WiedenVerlag Crivitz
Wieden-Verlag
Bürgerreporter:in:Norbert Höfs aus Schwerin (MV) |
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