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Besprechung
Krieg aber auch Flucht vor Kriegsdienst macht nicht immer glücklicher

Stellvertreterkriege gibt es seit der Zeit des Kalten Krieges. Durch den aktuellen Stellvertreterkrieg in der Ukraine ist neuerliche Gefahr eines dritten Weltkrieges gegeben. Bereits in Eisners Graphic Novel „Last Day in Vietnam“ (2000) wird die Veränderung der Kriegsabsichten der USA deutlich. Es handelt sich um sechs Geschichten, die in Korea und Vietnam spielen, basierend auf Eisners Fotos während seiner Besuche vor Ort. Eisner war Soldat, sein Vater hat Auswege gesucht und gefunden. Es könnte momentan ein stärkeres Interesse an einer deutsch übersetzten Veröffentlichung dieses Buches geben. Den Vorschlag dazu habe ich einem der Graphic Novel Verlage gemacht.

Krieg macht niemand glücklich –
auch die Flucht vor Kriegsdienst macht nicht unbedingt glücklicher

„Eisner war seiner Zeit nicht nur voraus; unsere heutige Zeit hat ihn noch immer nicht eingeholt.“ John Updike, Rückseite

In dem Sammelband „Lebensbilder“ des amerikanischen Zeichners Will Eisner (1917 – 2005) bietet dieser in der Geschichte „Zum Herzen des Sturms“ die ausführlichsten autobiografischen Einblicke in sein Leben. In seinem im Jahr 1990 formulierten Vorwort zu der Geschichte fragte er sich: Gibt es die Vorurteile, die es schon immer gab, noch immer? Obwohl die USA schon seit langem Integrationsfördererin sei? Obwohl sie sich als „Weltmeister“ (S. 89)1 der Menschenrechte ansehe? Gab es in den USA ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung? Eisner behielt trotz allem seinen Glauben an die kommende Generation.2
Die Bahnreise zum nicht genannten Ausbildungsort für junge Rekruten im Jahr 1942 bildet den zeichnerischen Rahmen für diese Geschichte. Will Eisner schaut meist aus dem Fenster hinaus, aber zugleich auch nach innen. In dieser Geschichte zieht er eine Bestandsaufnahme seines bisherigen Lebens, Kindheit und Jugend (hell gezeichnet), inklusive der Leben seiner Eltern (dunkelbraun gehalten). Die Einzelgeschichten sind nicht chronologisch angeordnet. In den acht gezeichneten Zwischenschüben im Bahnabteil bildet sich im Fenster immer das einführende Panel der jeweils kommenden Geschichte ab. Diese Panel sind bis zum Blattrand dunkelbraun umrahmt.

Auf der Bahnreise sitzt der 25-jährige Rekrut Will Eisner neben dem gemütlichen Muslim Mamid, Redakteur einer türkischen Zeitung in New York. Er sagt während der Bahnfahrt nicht viel. In allen Rückblenden fallen immer wieder die antisemitischen Vorurteile auf. Die Familie von Eisners Mutter Fannie Wolf stammt aus Rumänien. Vater Sam Eisner aus dem Dorf „Kollmei oben im Norden“ (S. 170) lebte in Wien, als der erste Weltkrieg begann. Er wollte nicht eingezogen werden. Wie viele schwierige Entscheidungen Menschen wohl aus Angst vor den persönlichen Gefahren in einem Krieg treffen – und welche nicht rückgängig zu machenden Folgen diese Entscheidungen haben können ... Ein Rabbi bot Hilfe an: mit einer Nadel ein Auge „blind machen“. Aber dieser „heiße Tipp“ war für den Künstler Shmuel denn doch zu schockierend (S. 187). Also wanderte er in die USA aus. Aus Shmuel wurde Sam (S. 189). Eine böse Überraschung war für ihn, dass die USA kurze Zeit später in den ersten Weltkrieg verwickelt wurde. Es hieß, Verheiratete würden „zuletzt“ (S. 160, Fett im Orig.) eingezogen. Daher umwarb und heiratete er ein „einfaches Mädchen“ (S. 193). Fannie war Single und Fabrikarbeiterin. War seine Entscheidung schon vor dem Kennenlernen gefallen? Die Zeit drängte ihn. Die Ehe verlief nicht glücklich. (Fannie: „Du bist Familienvater, kein Künstler! Sei ein Mann, Sam!“ (S. 197)) Sams berufliche Versuche brachten mehrere Umzüge mit sich. Alle Berufsversuche endeten unglücklich. Auch den guten Job in der Eisenbettenfabrik musste er wegen seiner durch das Benzol ruinierten Lungen aufgeben. Unglücklich wirkt Sam dennoch nie. In allen Erinnerungen Eisners‘ bewältigt der Vater mit klugem Köpfchen (S. 100) die bitteren diskriminierenden Situationen als Jude. Kluges Argumentieren sei zum „Überleben!“ (S. 106) notwendig.3 Der Vater verstand den Wunsch des Sohnes, Zeichner zu werden. Er hatte seine Bühnenmalerei in Wien nie vergessen! Sams Lebensentscheidungen – waren sie freiwillig? „Vom Künstler zum Geschäftsmann (…)“ „So ein Weg verändert einen Menschen!“ (beide S. 202) Sams Entscheidungen, den Kriegsdienst zu umgehen, waren das, was zu der Zeit gut möglich war. Auch Deserteure4 hat es wohl schon immer gegeben.5

Aufgrund von Armut6, der Großen Depression und Non-Stopp-Arbeit war Will Eisner vor dem Jahre 1942 nie aus New York herausgekommen. Nach fünf Jahren als Zeichner, in denen er „Träume“ (S. 288) gezeichnet habe, fand er den „Musterungsbescheid in der Post“ (S. 284). Er wollte den Wehrdienst als Chance nutzen, die „reale Welt“ (S. 288) zu betreten. Der (scheinbar) wohlmeinende Medien-Tycoon Everett, der ihn vor der Einziehung „retten“ wollte, war mehr daran interessiert, seinen guten, treuen Zeichner nicht zu verlieren. Er schimpfte auf „Juden“ (S. 289), als Eisner sich nicht umstimmen ließ.
Eisner lässt seine Familiengeschichte in „Zum Herzen des Sturms“ an dem Punkt enden, wo der Truppentransport im Grundausbildungsort Baltimore ankommt. Für ihn war damals nicht absehbar, dass seine Entscheidung so glimpflich, nicht in Selbstgefährdung und Kriegstourismus7 enden würde. Eisners Haltung gegenüber dem Krieg war „ambivalent“ (S. 81)8. Einerseits hatte er sich bereits dagegen geäußert. Andererseits wäre er sogar lieber ins Feld9 als ins Büro gegangen. Aber: Der von ihm kreierte SPIRIT, einer der ersten bescheidenen Superhelden, war bereits aus Zeitungsbeilagen bekannt. Entsprechend seinem Talent leistete Eisner „Kreativdienst in amerikanischen Militärcamps“ (S. 83). Er zeichnete dreieinhalb Jahre lang wöchentlich Strips mit Tipps zur besseren Pflege der Waffen der Soldaten für das Monatsmagazin „Army Motors“. Dazu schuf er den „beschränkten“ Private10 Joe Dope. Eisners Kriegsdienst bis Herbst 1945 ermöglichte ihm, ohne Todesrisiko diszipliniert viel zu zeichnen und seine Technik zu verfeinern.

Will Eisner heiratete kurz nach dem Krieg Ann Weingarten Eisner und wurde Vater von zwei Kindern. Im Jahr 1948 gründete er die Firma „American Visuals Corporation“. Das Angebot, weiterhin zeichnerisch für den Staat/die Armee zu arbeiten, kam ihm gelegen. Für den Koreakrieg ab dem Jahr 1950 waren die Kampfgeräte entweder zu alt oder zu neu. Der 34-jährige Eisner schuf das 18x12 cm kleine, erst 48, dann 64 Seiten umfassende Heft „PS – The Preventive Maintenance Monthly“. Er nutzte darin den Slang der Soldaten. Zwischen den Jahren 1951 und 1971 schuf er 227 Ausgaben. Die acht Comic-Innenseiten der Hefte wurden oftmals herausgetrennt.

(Den) Krieg an sich konnte Will Eisner nicht verhindern. Weder dass die USA seit dem Jahr 1941 aktiver Kriegsteilnehmer im zweiten Weltkrieg gewesen war, noch dass später durch die USA die Kriege gegen Korea (1950 – 1953) und Vietnam (ca. 1955 – 1975) geführt wurden, konnte er beeinflussen. Eisner wurde in die bekriegten Länder und dort in Reparaturwerkstätten geschickt. Im Jahr 1954 war er in Seoul, Süd-Korea, im Jahr 1967 in Vietnam – glücklicherweise bevor es ab Januar 1968 für die USA in die Defensive ging. Als Liberaler eher links von der Mitte, war Eisner in seinen Zeichnungen immer auf der Seite der Soldaten. Nie verunglimpfte er Feinde. Er hatte immer die Gesundheit und das Leben der Soldaten im Blick. „Herstellungsmängel“ wurden gerne den Soldaten in die Schuhe geschoben. Eisner empfand „das immer als eine der größten Abscheulichkeiten des Militärs.“ (beide S. 186) Er wurde in den 1970er Jahren öfter aus der eher linken Comic-Gemeinschaft heraus angegriffen: Warum er sein Talent dem kriegsführenden Pentagon leihe? Seine Entgegnung war: Er habe „keine Leute im Töten unterrichtet“. Die eingezogenen Soldaten wurden von ihm im Selbstschutz durch Erhalt ihrer Maschinen unterstützt. Ihm war schon deutlich die veränderte Motivation für die Kriege aufgefallen: In Vietnam „merkte [man], dass etwas nicht stimmte. Die US-Fahne war selten zu sehen.“ (beide S. 190)11

In „Zum Herzen des Sturms“ erzählt die Romanfigur Mamid bei der Ankunft vom Weisen Hodscha, der auf seinem Esel rückwärts reite. Er wolle sehen, wo er gewesen sei. Die Zukunft liege eh in Allahs Händen (S. 293). Sein kurz erzähltes Leben schließt Mamid mit: „Was am Ende dabei herausgekommen ist, ist ein Flickenteppich aus Erinnerungen und einer zwanghaften ewigen Hoffnung.“ (S. 291) Das scheint mir wie eine einem anderen in den Mund gelegte Beschreibung seiner selbst. Das Leben bestehe aus einer „Kaskade von Anfängen“ (S. VII), sagte Eisner noch 87-jährig kurz vor seinem Tod. Bei der Ankunft im Grundausbildungsort begrüßte die Rekruten ein Gewitter. „Es war eine Zeit von Blitz und Donner.“, wie Eisner einleitend schrieb.

Heike Oldenburg, März 2023

Quellen:
Eisner, Will, „Lebensbilder, Autobiografische Geschichten“, Hamburg 2011 (darin „Zum Herzen des Sturms“, Orig. „To the Heart of the Storm“, 1991)
Braun, Alexander, „WILL EISNER, GRAPHIC NOVEL GODFATHER“, Berlin 2021, Kapitel: „Krieg mit Tusche“ (S. 81 – 92) und „American Visuals“ (S. 171 – 200)
https://en.wikipedia.org/wiki/Will_Eisner#cite_ref-47, Zugriff 13. März 2023
https://de.wikipedia.org/wiki/Will_Eisner, Zugriff 13. März 2023
Spottorno, Carlos, Guillermo Abril, Der Riss, Übersetzung aus dem Spanischen: André Höchemer, Berlin 2017 Orig. 2016, S. 131 und S. 166

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