Justinakapelle bei Reinhartshofen
Was ist gerecht?
Auf dem Wanderparkplatz in der Nähe von Reinhartshofen steige ich aus dem Auto. Dort ist das Schild, das ich suche: „Rund um die Justinakapelle 3,6“ km. Dieser leichte Spaziergang führt mich zur Waldkapelle St. Justina. Ich gehe und bin bald von Wald umgeben. Einige Sonnenstrahlen schimmern durch die Zweige. Ich spüre: Ende März kann es noch ziemlich kühl sein. Auf dem Schotterweg geht es leicht bergab, dann wieder bergauf. Vorbei geht es an einer Quelle und dann ist ein Brunnen zu erkennen (Bild 1). Dieser gehörte zu einer ehemaligen Klause, die nicht mehr zu erkennen ist. Jetzt dürfte es nicht mehr weit bis zur Kapelle sein. Dann sehe ich sie auch schon (Bild 2).
Justina – ist aus dem Lateinischen und heißt die Gerechte. Was aber bedeutet Gerechtigkeit? Ist es etwa gerecht, wenn manche Menschen in den vielen Kriegsgebieten der Erde leiden und umkommen? Ich könnte weiterfragen: Will Gott bestimmte Menschen oder gar die ganze Menschheit bestrafen? Wofür? Oder erziehen? Wieso? Nein, solche Überlegungen passen mit einer Vorstellung von einem guten, barmherzigen Gott auch kaum zusammen. Führen diese Gedanken in eine Sackgasse?
Da lese ich zuerst intensiv die Gedenktafeln: „Erste urkundliche Erwähnung bereits im Mittelalter. […] Bei der Kapelle befand sich von Anfang an eine Klause, die meistens von zwei Eremiten bewohnt wurde. Ab 1580 führten Bürger aus dem nahegelegenen Großaitingen jährlich einen Bittgang durch.“ Leicht vorstellbar, um was sie damals baten: gutes Wetter, ausreichend Sonnenschein und Regen, eine große Ernte. Das erbaten sie sicher von Gott. Wofür bitte ich: Mehr Geld auf dem Konto? Ich komme mit meinem Einkommen aus. Bin ich auch damit zufrieden? Ja. Wenn ich zu wenig hätte, würde ich Gott darum bitten? Eher nicht, denn Gott ist für mich kein Wunscherfüllungsautomat. Ich lese weiter: „1802 starb der letzte Einsiedler, und mit der Säkularisation wurde sie 1804, samt Klause abgebrochen…“ – mit der Einsiedelei ist es endgültig vorbei. Wie man überhaupt mitten im Wald leben konnte? Ohne Supermarkt in der Nähe, keinen Strom. Wie war das Leben damals überhaupt, und was war wichtig für das Leben- oder das Überleben? Ich kann es mir nicht vorstellen. – Vielleicht will ich es auch gar nicht? Jetzt betrachte ich das Bild in der Kapelle. Mein erster Eindruck: Es gefällt mir nicht. Warum? Irgendwie rege ich mich darüber auf. Vielleicht weil jemand getötet wird und niemand hilft? Diese Bild muss ich mir jetzt genauer ansehen (Bild 3):
Die Frau im Zentrum wird in einem großen Topf gekocht. Ihren Kopf umgibt ein Heiligenschein. Offensichtlich jammert oder schreit sie nicht um Hilfe, sondern betet. Das muss die Heilige Justina sein. Wer war sie? Als Märtyrerin wird sie dargestellt, weshalb es Justina von Antiochien sein könnte. Allerdings gibt es auch andere Kandidatinnen. Zu sehen ist ein legendarischer Stoff, auf die Szene des Todes verdichtet, obwohl man historisch darüber nichts weiß. Dies bezeichnet man in der Kunst als Historienmalerei. Aber das ist doch ein Widerspruch – oder nicht?
Umgeben ist diese Justina von unterschiedlichen Menschen. Links sieht man zwei Soldaten, die miteinander reden. Was sie wohl reden? Da der eine Soldat auf Justina zu zeigen scheint, unterhalten sie sich wahrscheinlich über die Tötung. Darunter zeigt die Frau auf Justina und sagt vielleicht zu ihrem Ehemann: „Pass auf, dass es dir nicht auch so ergeht!“ Rechts des Feuers sieht man einige Männer. Ist auf den Gesichtern ein Entsetzen eingezeichnet? Unten halten zwei Männer das Feuer am Brennen. Machen sie einfach ihren Job? Alle Menschen im unteren Teil des Bildes beschäftigen sich mit dem Ereignis des Martyriums. Sie sind ganz gefangen von diesem Geschehen. Sie sehen nicht, was Justina sieht: Sie schaut zum Himmel, sieht einen Engel hinter den Wolken. Jetzt erst fallen mir die beiden Männer im Hintergrund vor dem Turm auf. Einer der beiden sieht auch den Engel, den Boten Gottes, der Justina den Siegeskranz zu bringen scheint. Sieht wirklich nur ein Mensch, was hinter der mörderischen Oberfläche verborgen sein könnte? Justina ist innerlich bewegt, vom Himmlischen, von Gott. Dafür lebte sie und dafür stirbt sie jetzt.
Wofür lebe ich eigentlich? Für Arbeit und Urlaub, Besitz und Familie? Was ist mir am Wichtigsten? Natürlich die Familie – oder? Würde ich dafür nicht nur leben, sondern auch mein Leben geben? Ich hoffe diese Wahl bleibt mir erspart. Aber könnte die Hektik, mit der ich lebe, nicht auch vorzeitig tödlich enden? Mir wird schlagartig bewusst: Die äußerliche, fremde und zuerst unverstandene Todesszene, ist mir näher und innerlicher als mir gerade lieb ist. Und dabei muss ich in Deutschland noch nicht einmal fürchten, dass ich aufgrund meines Glaubens sterben muss. Dafür bin ich dankbar und gehe auf dem Weg zum Parkplatz zurück.
Bürgerreporter:in:Manfred Riegger |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.