Sind pflegende Angehörige Menschen 3. Klasse?
Mobil mit Behinderung e.V.
Verein zur Unterstützung behinderter Menschen
zum Erreichen und Erhalt der individuellen Mobilität
Sind pflegende Angehörige Menschen 3. Klasse?
Kolumne vom 15.01.2011
Da werden Preise für alle möglichen sozialen Engagements verliehen. Es gibt Fördertöpfe, die besondere Kosten abdecken. Wer behindert ist, kann ein behindertengerechtes Fahrzeug beantragen, wohlgemerkt - beantragen.
Aber was ist denn mit den Menschen, die tagein, tagaus ohne Murren dafür sorgen, dass unser Alltag einigermaßen erträglich ist. Diejenigen, die neben der Doppelbelastung Beruf und Haushalt noch all die kleinen Dinge erledigen, zu denen wir selbst nicht oder nicht mehr in der Lage sind?
von Robert Schneider
Als meine Frau selbst einmal wegen Krankheit ausfiel, da merkte ich sehr schnell, wie viele Kleinigkeiten sie so ganz nebenher und selbstverständlich "mal eben" mit erledigte.
Oder was ist mit den Eltern, die jedes Opfer aufbringen, damit ihr behindertes Kind nicht in ein Heim muss? Es ist unglaublich, was viele von ihnen tagtäglich für ein Pensum leisten - meistens sogar noch gut gelaunt.
Und was ist der Dank? Von ihnen spricht nicht nur keiner, wenn sie einmal einen Antrag stellen, bekommen sie oft genug zu hören: "Was wollen Sie denn? Sie sind doch gesund?"
Die Fälle, bei denen von Seiten der Entscheider genau so argumentiert wird, sind beileibe keine Einzelfälle. Und die Typen, die wähnen sich auch noch im Recht! Da ist es auch unerheblich, ob auf deren Parteibuch christlich, sozial, frei oder etwa eine Farbe oder eine Richtung steht. Wie oft bekommen wir zu lesen, dass man den Zuschuss für ein behindertengerechtes Fahrzeug nur deswegen verweigert, weil es vermeintlich die Lebensumstände der Eltern verbessert.
"Das Kind kann doch gar nicht selbst fahren", wenn ich so etwas schon höre, dann packt mich die Wut! Sollen diese Papiertiger mal jeden Tag 40, 50 Kilo aus dem Rollstuhl ins Auto heben. Dann den Rollstuhl selbst zusammenklappen und verladen.
Wenn es kein E-Rolli ist. Mal sehen, wie lange deren Bandscheiben das mitmachen.
Natürlich kann das Kind nicht selbst fahren.
– Auto fahrende KINDER? Die kommen auf Ideen!
Natürlich können die Eltern in einem größeren Auto neben dem Rollstuhl auch schon mal ne Fertigpizza oder eine Getränkekiste transportieren.
Ja und? Dafür sparen sie dem Amt zigtausende an Pflegekosten ein. Die Mutter möchte ich sehen, die erst für die Familie einkauft, dann alles nach Hause bringt, anschließend in das geförderte Fahrzeug einsteigt und die Einkäufe für die "bezugsberechtigte Person" erledigt. So bescheuert ist noch nicht einmal - äh, ja. Ihr wisst schon. Ist doch wahr, Mensch!
Oder die Mutter, die ihr behindertes Kind zu Hause pflegt, neben Haushalt und Beruf. Seit Jahren. Bei jedem Amtsbesuch wird sie wieder aufs Neue mit dem Segen einer Heimunterbringung missioniert.
Dass ihr Vokabular, wenn sie von Behörden spricht, öfter mal ins Militaristische tendiert, wer will es ihr verübeln.
Weil das, was viele von uns und die meisten unserer pflegenden Angehörigen so tagtäglich erleben, das ist der blanke Krieg.
Ein Krieg gegen Arroganz, Borniertheit, Faulheit und Gier. Dummheit zählt für mich nicht zu dieser Liste. Keiner dieser Menschen würde sich auf dem jeweiligen Posten halten können, wenn er oder sie dumm wäre.
Dass das mit sozial noch nicht einmal ansatzweise etwas zu tun hat, das bedarf wohl keiner Erläuterung.
Wie ist es denn mit christlich?
Wer von uns kann sich denn aus dem Religionsunterricht noch an die 7 Todsünden erinnern?
Sünden, für die nicht so einfach durch die Beichte Absolution erteilt wird?
Was das mit den Entscheidern zu tun hat?
Schaun wir mal, wie der Kaiser zu sagen pflegt:
1. Hochmut-> Pack die Blage doch in ein Heim und belästige uns Gesunde nicht damit. Kein Thema, zahlen wir sofort.
2. Neid -> Ich denke da so ganz spontan an ein schönes Haus in Oberhessen
oder:
Wieso soll denn die Familie ein behindertengerechtes Auto bekommen? Da fahren doch bloß die Eltern mit rum.
Und ich kann mir bloß nen alten Golf leisten.
3. Wollust - lassen wir mal außen vor.
4. Trägheit -> Behindertenrechtskonvention? Schon wieder ein neues Gesetz lernen? Oder auch Landräte, die einfach aussitzen, Behindertenbeauftragte, die nicht zuständig sind, ...
5. Zorn -> Schon wieder ein Widerspruch? Euch geb ich!
6. Völlerei: Siehe Wollust
7. Geiz -> Nix gibt‘s, das kostet bloß wieder Geld. Und mein Budget ist ohnehin knapp.
Zu Wollust und Völlerei fällt mir ein, dass man so manche Vorgänge positiv beeinflussen kann, ohne dass gleich Geld fließen muss.
Warum kommt mir jetzt gerade der Betriebsrat eines deutschen Autoherstellers in den Sinn? Das hat doch mit unseren Themen nichts zu tun, oder?
Irgendwo zwischen Geil, Entschuldigung, das muss natürlich Geiz heißen und Neid ist bei mir die Gier angesiedelt, vor der auch nicht jeder gefeit ist.
Nicht ganz uninteressant sind die Gesprächsfetzen, die wir bei Autoumbauern schon mal zu hören bekommen, so ganz aus dem Zusammenhang gerissen:
"Die Frau XY, die bekommt die nächste TÜV-Abnahme für lau, dann klappt das schon mit dem Antrag"
oder noch besser:
"Der Neffe von Herrn Schießmichtot, dem haben wir letztens einen Unfallschaden Instand gesetzt. Der lässt das von seinem Onkel abstempeln, dann geht das alles seinen Gang"
Aber da haben wir uns bestimmt verhört. Welcher Umbauer war das eigentlich? Oder war es auf einer Messe? Jaja, das Alter...
Was das alles mit demokratisch, sozial oder christlich zu tun hat?
Die Preisfrage stelle ich mal einfach so in den Raum.
An der Stelle muss ich nämlich passen. Keine Ahnung.
Ehrlich, kein Plan. Nada. Klarer Fall von Weißnix.
Ja, aber es gibt doch Gesetze?
Stimmt, die gibt's. Sogar dauernd neue. Jetzt müssen wir die Entscheider nur noch dazu bringen, sie zu lesen.
Und wir müssen ihnen endlich mal klar machen, dass es unerheblich ist, ob ein Nachteilsausgleich eventuell auch mal einem pflegenden Angehörigen die Arbeit erleichtert.
Ihre Chefs tun es ja nicht.
Denn diejenigen, die im Hintergrund still dafür sorgen, dass unser Leben ein kleines bisschen normaler ist,
diejenigen, die ihr eigenes Leben bewusst hinten anstellen, ohne je etwas dafür zu fordern, für die ist jede Erleichterung ganz und gar nicht unerheblich.
Im Namen der Kinder, die sich nicht selbst artikulieren können,
im Namen der Partner, die manchmal vergessen, dass es gar nicht selbstverständlich ist,
im Namen all der Menschen, die von ihren Angehörigen betreut, gepflegt oder unterstützt werden.
Danke
Bürgerreporter:in:Klaus-Dieter Dingel aus Bad Wildungen |
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