Echte Inklusion

Echte Inklusion

Kolumne vom 24.12.2013

In unserem Nacbarort hat eine neue Tankstelle aufgemacht. Diese Tatsache für sich rechtfertigt noch keine eigene Kolumne. Die Tanke hat noch nicht mal eine Waschhalle. Aber sie hat eine andere kleine Besonderheit. An einer Zapfsäule ist genügend Platz, damit ich mit dem Rollstuhl zwischen Säule und Auto fahren kann.

von Robert Schneider (Ein Betroffener des MMB e.V.)

Gleichzeitig ist rechts noch so viel frei, dass ich meinen Lifter ausfahren kann. An dieser Tankstelle klebt kein Aufkleber an den Zapfsäulen: "Wir helfen gerne". Hier kann ich ohne fremde Hilfe mein Auto selbst betanken.

Vor den Feiertagen ist immer viel Betrieb. Jeder will noch den Tank füllen, bevor an Weihnachten die Preise wieder hoch schießen. So stellte auch ich mein Auto in die Schlange vor den Zapfsäulen.

Als ich an der Reihe war, winkte ich der Dame im Kassenhäuschen zu. Sie winkte fröhlich zurück und widmete sich wieder ihrer Kasse. Diesmal rief ich nicht um Hilfe, sondern liftete selbst heraus, fuhr mit dem Rollstuhl um mein Auto herum und genoß es, einmal selbst ganz normal das zu tun, was für andere Autofahrer selbstverständlich ist, nämlich mein Auto ganz allein selbst zu tanken. Die Blicke der anderen Kunden, teils interessiert, oft neugiereig, selten gleichgültig, gelegentlich ablehnend - ich interpretierte sie einfach alle als anerkennend.

Tankdeckel zu, Auto abschließen, rüber zum Kassenhäuschen mit ebenerdigem Eingang rollen. Dort reihte ich mich in die Schlange vor der Kasse ein - in Augenhöhe das, was Einzelhändler als Quengelware bezeichnen. Gummibärchen, Lakritz, Konfekt - all das, was Mütter ihren Kindern so in die Hand drücken, damit sie ruhig bleiben, bis der Einkauf erledigt ist - auch für Erwachsene eine ziemlich gemeine Herausforderung an die Selbstbeherrschung.

Niemand sagte, ich möge doch vorgehen, armer, bedauernswerter Rollifahrer. Nein, genauso wenig, wie mir jemand mein Auto betankte, bekam ich an der Kasse eine Vorzugsbehandlung. Außer vielleicht, dass die Kassiererin sich tief zu mir herunter bücken musste - ich mag ja gelähmt sein, aber blind bin ich nicht. Sie hat es mir nicht übel genommen, dass ich bei diesem Dekolletee nicht sofort die Augen fest zugepetzt habe. Das kleine Augenzwinkern galt definitiv dem Mann, nicht dem Rollstuhlfahrer.

Als ich mit einem leisen Lächeln wieder zu meinem Auto rollte, fiel mir etwas auf: Ich habe mein Auto selbst betankt, mich dann in der Schlange an der Kasse eingereiht, sogar ein bisschen mit der Kassiererin geflirtet. Ganz selbstverständlich, ein ganz normaler Kunde, wie alle anderen auch.

Kein großes Brimborium, keine Vorzugsbehandlung, lediglich mit einer schlichten Baumaßnahme hat der Tankstellenbetreiber es mir ermöglicht, mich wie alle anderen zu verhalten.

Und genau das ist es, was ich unter Inklusion verstehe. Dieser Tankstellenbetreiber hat begriffen, worum es geht. Ohne große Politik, ohne Zuschüsse oder Aktionen, vielleicht sogar ohne Absicht.

Ich wünsche uns allen gesegnete Feiertage und dass wir im neuen Jahr noch mehr Gelegenheiten bekommen, ganz normal einfach mitzumachen - einfach inklusiv.

Allen eine gesegnete Weihnacht und einen guten Rutsch nach 2014. Bleiben Sie gesund.

Bürgerreporter:in:

Klaus-Dieter Dingel aus Bad Wildungen

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