Eine Maulwurfsgeschichte
Der Maulwurf bohrte seine spitze Schnauze in das dunkle Erdreich und schob es dann nach oben über die Erde. "Heute habe ich aber einen langen Tunnel gegraben," sagte er zu sich. "Nun habe ich mehr Tunnel in der Erde als alle anderen, die ich kenne." Dann drehte er sich um, schob noch den Boden und die Wände glatt mit seinen breiten Schaufeln und wollte in seine Wohnung zurück, eine große Höhle, tief in der Erde, mit Gras und Moos gepolstert. "Nanu," sagte er zu sich, " was riecht meine empfindliche Nase? Da ist doch jemand in meinen Tunnel eingedrungen." Ärgerlich schob er sich vorwärts. "Quick" machte erschrocken der Eindringling, denn es war eine Maus. "Hast du mich aber erschreckt, du großes Ungetüm. Ich habe dich gar nicht kommen sehen." "Sehen? Was ist denn das?" fragte der Maulwurf. "Ich habe dich gerochen und gefühlt. Bist du zu dumm dazu? Dann verschwinde aus meinen Gängen! Sonst stoßen wir nur zusammen." "Sicher," sagte die Maus, " ich kann nicht so gut fühlen und riechen wie du, aber dafür kann ich gut sehen; das brauchst du, wenn die Katze hinter dir her ist und du schnell in dein Loch schlüpfen musst oder wenn der Speck so hoch liegt, daß du eine Leiter brauchst." "Katze, Speck, Leiter! So ein Blödsinn!" sagte der Maulwurf, " das gibt es nicht. Bleib unter der Erde, dann brauchst du nicht zu sehen." "Ach, sehen ist etwas so Schönes", sagte die Maus. " Es ist herrlich, die wogenden Gräser in der Sonne zu sehen oder den glitzernden Schnee im Winter. Dann besehe ich mein schönes seidiges Fell im spiegelglatten Wasser oder wir spielen Fangen, meine Freunde und ich. Es ist etwas Herrliches über der Erde zu sein." "Ich bin noch nie über der Erde gewesen", brummte der Maulwurf. "Wieso kann man da sehen und hier nicht?" "Komm mit ", sagte die Maus, " ich zeige dir das Licht." Flink huschte sie durch die breiten Maulwurfsgänge, schwerfällig schob sich der Maulwurf hinterher. "Komm hier heraus," hörte er die Maus piepsen, " es ist gerade keine Katze da und die Sonne scheint hell und warm." Der Maulwurf schob sich nach oben und steckte seine Schnauze zum ersten Mal in die freie Luft. Im nächsten Augenblick durchzuckte ihn ein furchtbarer Schmerz. "Au, Au," schrie er. "Was ist das? Es beißt mich als wenn ich durch einen Salzklumpen buddelte. Das soll das Licht sein, von dem du so schwärmst? Nein, danke, ich verzichte! Da bleibe ich lieber in meiner dunklen Höhle." "Komm heraus, du wirst dich daran gewöhnen," piepste die Maus. Aber der Maulwurf hörte nicht mehr zu. Grunzend und schnaufend buddelte er sich tief in die Erde hinein. "So ein Unsinn!" brummte er vor sich hin. "Sehen! Licht! Sonne! Ich bleibe im Dunkeln unter der Erde. Da gibt es diese scheußlichen Dinge nicht."
Die Maus aber erzählte ihren Freunden: "Der arme Maulwurf! Er kann nie die Gräser sehen und den Schnee. Er kann sich nie selbst im Spiegel sehen oder mit uns Fangen spielen. Eine ganze Welt ist ihm verschlossen. - Der arme Maulwurf! "
Verfasser unbekannt
Bürgerreporter:in:Karin Franzisky aus Bad Arolsen |
13 Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.