Der Narr von Landau

Relief im Büro der Küchenabtelilung
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Ein unbekanntes Renaissance-Relief im Landauer Schloß

Von Michael Neumann, Waldeckischer Landeskalender 1991, Abschrift und neue Bilder durch Ralph Busch, fotografiert im Januar 2007

Als Graf Johann I. von Waldeck im Jahre 1549 seine Burg in Landau zu einer modernen Schlossanlage mit repräsentativem Treppenhaus und Küchentrakt umbauen ließ, gab er bemerkenswerte und symbolbefrachtete Bildhauerarbeiten in Auftrag.
Diese von unbekannter Hand geschaffenen Werke wurden unter anderem auch bei späteren Umbauten, vermutlich aufgrund ihres künstlerischen Wertes, als bauplastische Besonderheiten übernommen. Das kuriose Sandsteinrelief aus der Umbauphase von 1549 – dem Vermählungsjahr des Grafen Johann I. mit Gräfin Anna zu Lippe – ist indes vielen regionalen Kunstkennern noch unbekannt, zumal sich der Standort des Bildwerkes im historischen, heute noch als Küche genutzten Nordtrakt befindet.[Berichtigung: wird heute nicht mehr als Küche genutzt]
Das Bildwerk ist trotz der zahlreich folgenden Umbaumaßnahmen immer an seinem ursprünglichen Standort geblieben, da es einerseits zu allen Zeiten seinem statischen Zweck als Türsturz gerecht geworden ist, andererseits seiner ortsbezogenen Bildbotschaft außerhalb des Küchenbereiches seine Aussagekraft verloren hätte. – Immerhin geht es auf dem Steinrelief seit [über 450] Jahren sprichwörtlich um die Wurst bzw. um die Entwendung derselben.

Zwei in höfische Garderobe des 16.Jahrhunderts gekleidete, bärtige Gestalten machen sich mit einer wohlproportionierten, appetitlich auf einem Teller angerichteten Wurst nach rechts aus dem Staub und erdreisten sich noch im Davoneilen, einem völlig aus der Fassung geratenem Hofnarren an der Schellenkappe zu ziehen. Auf den ersten Blick mag die banale, aber turbulente und witzige Küchenszene lediglich erzählerischen Charakter haben; doch bald wird der Betrachter, zunächst noch über das gestenreiche Ereignis belustigt, über den tieferen Zusammenhang – insofern er einen solchen zu ergründen sucht – ins Grübeln geraten. Welchen symbolischen Hinweis der Schlossherr mit der Reliefdarstellung geben wollte, ist schwer zu ergründen und zu allem Übel noch durch eine, alle Inschriften überdeckende, speckige Lackfarbe erschwert. Ein Grund mehr, dieses seltene Kunstwerk nicht nur aus künstlerischen, sondern auch aus ikonographischen Gründen einer restauratorischen Behandlung in Form einer Freilegung unterziehen zu lassen. [die Freilegung des Reliefs in Form von Farbentfernung und vorsichtiger Wiederherstellung der Schriften ist inzwischen geschehen, leider weiß ich nichts über das Ergebnis etwaiger Nachforschungen]
Vielleicht könnte manch ein von Farbschichten befreiter Schriftzug die verschlüsselte und symbolgeladene Darstellung dieses Zwischenfalls zur verständlichen Botschaft des Schlossherrn an das Küchenpersonal werden lassen. Denn ohne eine gewisse Absicht hätte man wohl kaum ein derart gewichtiges Werk in Auftrag gegeben.

Immerhin zeigt ein ähnlich groß dimensioniertes Bildwerk über dem Hauptportal den Grafen selbst mit seiner Gemahlin im Jahre der Eheschließung.

Dort allerdings mit leichter deutbaren Attributen wie Stundenglas und Blume; hier sicher wohl mit der Absicht, den Eintretenden sowohl an die Vergänglichkeit des Lebens (Sanduhr) als auch an ein Wiedersehen nach dem Tode (Blume) zu erinnern.

Den Sinngehalt der Landauer Küchenszene annähernd hinterleuchten zu können, hieße, sich mit der Geschichte des Hofnarren seit dem späten Mittelalter zu beschäftigen. Dies umso mehr als das seltsame Amt des Narren in seiner symbolischen Vielschichtigkeit uns heute genauso fremd wie geheimnisvoll ist. Als Symbolträger für Schläue, Tollheit, Gewitztheit oder gar für menschliche Unzulänglichkeiten konnte er mitunter zum Staussymbol seines Ernährers werden.
Er hatte – sofern er ein „natürlicher Narr“ mit körperlichen oder gar geistigen Defekten war – den Hofstaat durch seine eigene Lächerlichkeit zu belustigen oder hatte – insofern er ein „künstlicher Narr“ war – mit geistreichen Possen und frechen Wahrheiten aufzuwarten. Als „Palastgewürm“ mit Narrenfreiheit waren diese sonderbaren Geschöpfe seit dem späten 15. Jahrhundert bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts aus dem höfischen Leben kaum noch wegzudenken.
Als fester Bestandteil des Hofes hatte der Narr, nunmehr als Hofnarr geadelt, als unberechenbarer Gegenpol zur statischen Festigkeit seines Ernährers aufzutreten. Er agierte als lebender Hinweis auf die Gratwanderung zwischen Aufstieg und Fall, zwischen Weisheit und Schwachsinn, fungierte als Warner vor Gefahren, deutete rätselhafte Zeichen, bekundete frappierende Weisheiten und blieb schließlich – wie zum Beispiel Shakespeares „König Lear“ – als einsamer Weiser inmitten einer Welt voller Toren zurück. Mitunter sollte er mit seinen körperlichen Gebrechen die Größe seines Herrschers bewusst machen und wurde – insofern er mit Geist und Sensibilität ausgestattet war – zu einer von allen am Hof geliebten „Kreatürlichkeit“.
In dieser Beziehung wäre die tragische Rolle der zwergwüchsigen Hofnarren von Mantua zu erwähnen, die unter anderem mit ihren körperlichen Defekten von der erblichen Bucklichkeit ihrer Herrscherfamilie ablenken sollten. Ein kleinwüchsiger Hofnarr, wie der berühmte Matello im Besitz der Isabella d`Este wurde zum verhätschelten Liebling des gelangweilten Hofstaates, wenn er in ereignislosen Zeiten mit seinen Purzelbäumen oder der Nachahmung von kirchlichen Würdenträgern aufwartete. Ein Zwerg wie jener Hannino von Mantua, der mit seinen geistreichen Witzen dem schwermütigen Herzog Maximilian von Mailand ein Lächeln abgewinnen konnte, wurde notgedrungen zu einem hochgeadelten Luxusgegenstand, den man nur ungern auslieh.
Zu dem seltsamen Amt des Hofnarren gehörte unter anderem der Hinweis auf die vanitas – die Erinnerung an die Vergänglichkeit des Lebens, die durch die erste Narretei – den Sündenfall – unter die Menschheit gekommen war. So verkörpert der Narr den Sündenfall, und er hat hierfür gehörig zu büßen. Er ist der Sündenbock, den man ohne Reue quälen und treten darf.

Auch auf dem Landauer Sandsteinrelief scheint der Narr für etwas büßen zu müssen, für das er nicht verantwortlich ist. Wird er doch dort von zwei höfischen Spitzbuben sprichwörtlich „zum Narren gehalten“.
Zur Interpretation der Bildaussage ist es vielleicht hilfreich zu wissen, das sich das Relief über dem [ehemaligen] Ausgang zum Küchengarten befindet. Ein Nebeneingang, der vielleicht immer mal wieder dem unbefugt herumlungernden Mundräuber Anlaß gegeben haben könnte, mit der schmackhaften Beute unbemerkt davonzuschlüpfen. Auch die über der Schellenkappe erkennbare Inschrift „Koch“ kann zur besseren Interpretation des Bildgeschehens beitragen und erlaubt die Vermutung, dass die in Aufregung geratene Gestalt den genarrten Koch darstellt.
Immerhin verweisen der Schlüssel am Bund und die Schöpfkelle unter dem Arm auf den Herrschaftsbereich über Küche und Keller.

Die schlüssige Antwort jedoch auf die Frage nach dem genauen Sinngehalt muß durch Vermutungen ersetzt werden: - Der Koch als Prügelknabe für alle Diebereien in Küche und Keller? Der genarrte Koch, der für alles den Kopf hinhalten muß? Eine längst vergessene Landauer Eulenspiegelei?-
Die Freilegung der Inschrift könnte mehr verraten.[die Freilegung des Reliefs in Form von Farbentfernung und vorsichtiger Wiederherstellung der Schriften ist inzwischen geschehen]

Bürgerreporter:in:

R. B. aus Bad Arolsen

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