Stellungnahme zur Nutzenbewertung von Perampanel durch das IQWiG
Stellungnahme zur Nutzenbewertung des Antiepileptikums Fycompa® (Wirkstoff: Perampanel) durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) vom 15.08.2014
Wir – die unterzeichnenden Epilepsie-Selbsthilfeverbände Deutschlands – machen uns große Sorgen darüber, dass für Menschen mit schwerbehandelbaren Epilepsien in Deutschland neue, wirksame Medikamente zur Epilepsiebehandlung in Zukunft nicht mehr erhältlich sein werden. Wir fordern alle Entscheidungsträger im Gesundheitswesen – vor allem aber den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) – auf, dieser absehbaren Entwicklung entschieden entgegenzuwirken.
Hintergrund unserer Sorge: der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat bereits zum zweiten Mal den Zusatznutzen für ein neues Medikament zur Epilepsiebehandlung als methodisch nicht belegt und damit nicht gegeben bewertet – 2012 für Trobalt® mit dem Wirkstoff Retigabin (im Folgenden: Retigabin) und 2013 für Fycompa® mit dem Wirkstoff Perampanel (im Folgenden: Perampanel) – obwohl aus unserer Sicht ein Zusatznutzen beider Wirkstoffe eindeutig gegeben ist.
2014 hat der Hersteller von Perampanel – die Firma Eisai – erneut ein Dossier zum Beleg des Zusatznutzens dieses Medikaments vorgelegt. Nach Prüfung dieses Dossiers kam das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) zu dem Schluss, dass ein Zusatznutzen des
Perampanel nicht belegt sei, da der pharmazeutische Unternehmer „keine relevanten Daten für die Bewertung des Zusatznutzens gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie“ vorlege. Eine Entscheidung des G-BA – der auch eine von der Bewertung durch das IQWiG abweichende Position
einnehmen kann – steht derzeit noch aus.
Warum brauchen wir in Deutschland dringend neue Medikamente zur Epilepsiebehandlung?
Epilepsien gelten als gut behandelbare neurologische Erkrankungen, bei denen in vielen Fällen mit Hilfe einer medikamentösen Therapie Anfallsfreiheit erreicht werden kann. Ist dies nicht möglich, stehen für einen Teil der Betreffenden weitere Behandlungsmöglichkeiten (z.B. die Epilepsiechirurgie) zur Verfügung. Mit einer Anfallsfreiheit eröffnet sich die Perspektive, ein von der Epilepsie weitgehend unbeeinträchtigtes Leben zu führen – auch wenn die Medikamente in der Regel weiter eingenommen werden müssen.
Leider gibt es jedoch eine nicht zu vernachlässigende Gruppe (etwa 20 – 30 Prozent der Betreffenden; das entspricht 100.000 – 150.000 anfallskranke Menschen in Deutschland), bei denen keine der verfügbaren Behandlungsoptionen zur Anfallsfreiheit oder zu einer deutlichen Reduktion der Anfälle führt. Die Lebensqualität dieser Menschen ist in der Regel erheblich beeinträchtigt; bei ihnen wurden alle Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft, ohne zu einem zufriedenstellenden Ergebnis zu führen. Diese Menschen gelten als therapieresistent und nehmen dies auch so wahr, da ihnen bisher keiner der vielen Ärzte und Ärztinnen, bei denen sie im Verlaufe ihrer Erkrankung in Behandlung waren, wirksam helfen konnte.
Für einen Teil dieser bisher als therapieresistent geltenden Menschen haben sich durch die in den letzten Jahren neu hinzugekommenen Medikamente zur Epilepsiebehandlung neue Perspektiven eröffnet: eine deutlich bessere Anfallssituation (weniger Anfälle bzw. Anfallsfreiheit) und/oder eine bessere Verträglichkeit (weniger Nebenwirkungen, weniger Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten). Für diejenigen, die von den neuen Medikamenten profitiert haben, sind die Voraussetzungen für eine erhebliche Verbesserung ihrer Lebensqualität (berufliche und soziale Situation, psychische Befindlichkeit) gegeben. Aus diesem Grund ist es zwingend erforderlich, dass in Deutschland auch weiterhin neue Medikamente zur Epilepsiebehandlung zur Verfügung stehen.
Sicherlich führt nicht jedes neue Medikament bei jedem bisher therapieresistenten anfallskranken Menschen zu einer Verbesserung des Behandlungsergebnisses – beim Perampanel jedoch ist aus unserer Sicht ein Zusatznutzen eindeutig gegeben, da uns eine Reihe von anfallskranken Menschen bekannt sind, die von diesem Medikament eindeutig profitiert haben. Diesen Menschen ist schlichtweg nicht zu vermitteln, warum Perampanel keinen Zusatznutzen haben soll – widerspricht diese Einschätzung doch offensichtlich ihrer eigenen Erfahrung.
Warum sieht das IQWiG den Zusatznutzen von Perampanel als nicht belegt an?
Das IQWiG kommt in seiner Dossierbewertung des pharmazeutischen Unternehmers (pU) zu folgendem Schluss: „Der pU legt keine relevanten Daten für die Bewertung des Zusatznutzens von Perampanel gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie vor.“ Das IQWiG macht in seiner Dossierbewertung keinerlei Aussagen zu einem vorhandenen oder nichtvorhandenen Zusatznutzen von Perampanel – es bewertet lediglich das vom pharmazeutischen Unternehmer gewählte Studiendesign als nicht den Vorgaben des G-BA entsprechend.
Die Firma Eisai weist in ihrem Dossier darauf hin, dass der Zusatznutzen von Perampanel für die Gruppe der Epilepsie-Patienten geprüft wird, die an einer pharmakoresistenten und anhaltend aktiven Epilepsie leiden (Kriterium: Krankheitsdauer mehr als fünf Jahre). Es wird erläutert, dass für diese Gruppe von Epilepsiepatienten die vorhandenen medikamentösen Behandlungsmöglichkeiten weitgehend ausgeschöpft sind, „ ... für die also eine Erweiterung oder Umstellung der patientenindividuellen Basistherapie unter Berücksichtigung der momentanen zur Zusatztherapie zugelassenen AEDs vom behandelnden Arzt als aussichtslos betrachtet wird“ (AED = Antiepileptikum).
Dem hält das IQWiG in seiner Dossierbewertung entgegen, dass mit den bisher verfügbaren Medikamenten zur Epilepsiebehandlung (ohne Perampanel) „ ... eine individuelle Optimierung der medikamentösen Behandlung bei Patienten mit Epilepsie, die trotz antiepileptischer Therapie nicht anfallsfrei sind, sowohl sinnvoll als auch möglich ist“. Daraus wird abgleitet, dass – entgegen der Aussagen der Firma Eisai – eine zweckmäßige Vergleichstherapie mit einem der genannten bisher zur Verfügung stehenden Wirkstoffe möglich ist.
Dieser Einschätzung widersprechen wir entschieden, da sie an der Realität vollkommen vorbeigeht. Bei einer fachgerechten Epilepsiebehandlung, die bei der Studienpopulation vorausgesetzt werden kann (alle Studienteilnehmer werden in spezialisierten Zentren behandelt), ist davon auszugehen, dass bei den Probanden mit keiner der für die Epilepsiebehandlung derzeit verfügbaren Substanzen (ob in Kombinations- oder Monotherapie) eine wesentliche Verbesserung der Anfallssituation zu erwarten ist, da schon alle derzeit möglichen Behandlungsoptionen ausgeschöpft sind. Eine Verbesserung der Behandlungssituation bei dieser Gruppe von Patienten ist nur möglich mit einem Präparat, das bisher noch nicht verfügbar war. Dies zu negieren, mag theoretisch plausibel klingen, zeugt allerdings von einer profunden Unkenntnis der Realität der Epilepsiebehandlung.
Wir halten das von der Firma Eisai gewählte Studiendesign zur Bewertung des Zusatznutzens (Test gegen Placebo) für die Studienpopulation für das einzig mögliche. Damit wird das umgesetzt, was die Deutsche Epilepsievereinigung bereits 2013 in ihrer „Stellungnahme zur Bewertung des Zusatznutzens für neue Medikamente zur Epilepsiebehandlung am Beispiel von Retigabin und Perampanel“ gefordert hat (veröffentlicht auf www.epilepsie-vereinigung.de). Dieses Studiendesign wird auch von der Deutschen Gesellschaft für Epileptologie (DGfE) als sinnvoll und geeignet betrachtet, den Zusatznutzen von Perampanel zu prüfen.
Aus unserer Sicht ergibt sich aus den von der Firma vorgelegten Daten eindeutig ein Zusatznutzen, der auch unseren Erfahrungen aus der Praxis entspricht. Wir kennen eine Reihe von Epilepsiepatienten, deren Anfallssituation sich durch den Einsatz von Perampanel als Zusatztherapie deutlich verbessert hat. Anfallskranken Menschen, die von dem Medikament eindeutig profitieren, zu sagen, dass eben dieses Medikament keinen Zusatznutzen hat, erscheint uns unsinnig, ist nicht erklärbar und in keiner Weise nachvollziehbar.
Forderungen
Wir fordern den G-BA auf, den aus unserer Sicht sowohl in der Praxis als auch durch Studien belegten Zusatznutzen von Perampanel anzuerkennen.
Weiterhin müssen die Vorgaben für die Studien zur Bewertung des Zusatznutzens von Medikamenten zur Epilepsiebehandlung so geändert werden, dass mit ihnen eine Prüfung des Zusatznutzens möglich und sinnvoll ist (im Sinne der oben zitierten Stellungnahmen der Deutschen Epilepsievereinigung
und der Deutschen Gesellschaft für Epileptologie).
Darüber hinaus ist es zwingend erforderlich, die Kompetenz der medizinischen Fachgesellschaften – insbesondere die der Deutschen Gesellschaft für Epileptologie (DGfE) – bei der Bewertung und Entscheidungsfindung über den Zusatznutzen neuer Medikamente zur Epilepsiebehandlung stärker als
bisher zu berücksichtigen.
Wir appellieren an alle Entscheidungsträger im Gesundheitswesen, sich gemeinsam mit uns dafür einzusetzen, dass auch die Menschen mit Epilepsie, die bisher als therapieresistent gelten, weiterhin eine Chance bekommen und auch sie von den Fortschritten im Bereich der medikamentösen Epilepsiebehandlung profitieren können.
Berlin, den 18. September 2014
gez.
Deutsche Epilepsievereinigung e.V. (Bundesverband und Landesverbände Berlin-Brandenburg, Niedersachsen, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt)
epilepsie eltern-bundesverband e.V.
Dravet-Syndrom e.V.
Landesverband Epilepsie Bayern e.V.
Landesverband der Epilepsie-Selbsthilfegruppen Baden-Württemberg e.V.
Landesverband für Epilepsie-Selbsthilfe Nordrhein-Westfalen e.V.
Bürgerreporter:in:Franz Ratzinger aus Augsburg |
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