Ein Gespräch mit Ulrich Zimmermann (Löweneck-Volksschule)

oberhauser : Der Löweneck-Volksschule eilt ein bestimmter Ruf voraus. Trotzdem haben Sie sich um die Stelle als Schulleiter beworben. Was hat Sie an dieser Aufgabe gereizt?
Ulrich Zimmermann: Für mich war ausschlaggebend, dass ich mir hier vor Ort ein eigenes Bild von der Situation machen wollte. Ich habe mich nicht auf die ganzen Klischees und Vorurteile, die über diese Schule im Umlauf sind, eingelassen. Dieser Ruf, von dem Sie sprechen, hat sich ohne Zweifel über Jahrzehnte verfestigt. Er ist aber aus meiner Sicht nicht berechtigt. Ich war von Anfang sehr beeindruckt, was in der Schule an Projekten und Vorhaben lief. Daran kann ich gemeinsam mit meinem Kollegium sehr gut anknüpfen.
oberhauser : Wie hoch ist der Anteil ausländischer Schüler hier an der
Löweneck-Volksschule?
Ulrich Zimmermann: Der Anteil dürfte in etwa bei 55 Prozent liegen. Diese Zahl allein ist allerdings nicht aussagekräftig. Denn wir haben über diese Zahl hinaus sehr viele Kinder bzw. Jugendliche, die zwar formal die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, die aber trotzdem erhebliche sprachliche Defizite mitbringen.
oberhauser : Vergleicht man die im Jahr 2002 vom Bayerischen Sozialministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen für die Jugendarbeit zur Verfügung gestellten Gelder mit den Zahlen des Jahres 2005, dann lässt sich eine Kürzung um 4,5 Millionen Euro feststellen. Von diesen Einsparungen ist vor allem die so genannte „ präventive Jugendarbeit“ betroffen, die sich den „Jugendlichen mit Migrationshintergrund“ widmete. Eine äußerst kurzsichtige Politik der bayerischen Staatsregierung, oder?
Ulrich Zimmermann: Wir an der Löweneck-Schule haben das große Glück,
dass bei uns eine Sozialpädagogin als Vollzeitkraft arbeitet. Damit befinden wir uns fast schon in einer privilegierten Situation, denn Schulsozialarbeit ist zu einer ganz wichtigen Säule geworden. Viele meiner Kollegen klagen allerdings über erhebliche Defizite in diesem Bereich.
oberhauser : Sieht man sich die Ergebnisse des 2. Ländervergleiches PISAE- 2003 genauer an, dann muss man nüchtern feststellen, dass „Jugendliche mit Migrationshintergrund“ in den untersuchten Bereichen Lesen, Mathematik, Naturwissenschaften und Problemlösen deutlich schlechter abschneiden als „Jugendliche ohne Migrationshintergrund“. Wo lässt sich hier ansetzen?
Ulrich Zimmermann: Ich denke, dass man in allererster Linie bei den sprachlichen Defiziten ansetzen muss. Lernen funktioniert zum größten Teil über Sprache. Hier sehen wir den besten Ansatzpunkt. Deshalb muss die Sprachförderung im Mittelpunkt unserer Bemühungen stehen.
oberhauser : Ein weiteres Problem ist die Tatsache, dass in Deutschland die soziale Herkunft häufig über die Bildungschancen der Jugendlichen entscheidet. Wie lässt sich hier eine größere Chancengleichheit herstellen?
Ulrich Zimmermann: Die Schule hat natürlich keinen Einfluss auf die soziale
Herkunft der Jugendlichen. Wir können allenfalls versuchen, die Familien zu begleiten. Wir sollten darum bemüht sein, ein gut funktionierendes Netzwerk aufzubauen, damit sich die Kinder und Jugendlichen nicht allein gelassen fühlen. An den sozialen Strukturen des Stadtteiles werden wir dagegen mittel- und langfristig sicherlich nichts ändern können.
oberhauser: Damit stellt sich die Frage, ob die Schule überhaupt als Reparaturbetrieb der Gesellschaft fungieren kann? Inwieweit können die Versäumnisse des Elternhauses durch gut ausgebildete Lehrkräfte ausgeglichen werden?
Ulrich Zimmermann: Das ist in der Tat eine heikle Frage, denn von der Schule wird gerade in diesem Bereich sehr viel verlangt und erwartet. Man sollte sich aber vor allzu überzogenen Erwartungen hüten. Viele Lehrerkollegen fühlen sich schon eher als Sozialpädagogen. Es wird zunehmend schwieriger, die Kinder über schulische Lerninhalte zu erreichen. Als Lehrer kann man heutzutage nicht mehr ausschließlich darauf setzen, seinen „Stoff durchzuziehen“. Vielmehr ist ein ausgeprägtes pädagogisch-didaktisches Geschick gefragt: Man muss die Schüler dort abholen, wo sie stehen. Das heißt konkret: Man muss einen Bezug zur Lebenswelt der Jugendlichen herstellen. Mit reiner „Paukerei“ bzw. „klassischem Frontalunterricht“ können Sie heute keinen Hauptschüler mehr für den Unterrichtsstoff begeistern.
oberhauser: Ist die Unterrichtsversorgung an der Löweneck-Volksschule
sichergestellt? Ulrich Zimmermann: Natürlich würde ich mir noch zusätzliche Förderangebote für unsere Schüler wünschen. Im Hinblick auf die sprachliche Förderung haben wir in der ersten und zweiten Jahrgangsstufe eine so genannte Sprachlernklasse. Dort wird versucht, den Kindern, die sprachliche Defizite aufweisen, in kleineren Gruppen den Stoff zu vermitteln. Es wird also das didaktische Prinzip der „äußeren Differenzierung“ angewandt. In diesem Schuljahr haben wir auch eine Sprachlerngruppe in der 5. Jahrgangsstufe etabliert. Da Sie mich vorher auf die PISA-Studie angesprochen haben, möchte ich an dieser Stelle - nicht ganz ohne Stolz - darauf hinweisen, dass die Löweneck-Volksschule bei den Orientierungsarbeiten in der zweiten und dritten Jahrgangsstufe im Bereich „Lesen“ ungewöhnlich gut abgeschnitten hat. Ich führe dieses gute Abschneiden unter anderem auch auf die Etablierung der Sprachlernklassen zurück.
oberhauser: Die Hauptschule hat seit mehreren Jahren ein Imageproblem. Sie wird von ehrgeizigen Eltern, die für ihre Kinder die bestmögliche Schulbildung wollen, zunehmend als ein „Auffangbecken“ für „Asoziale, Ausländer und Gescheiterte“ gesehen. Wie kann man diesem Trend entgegenwirken?
Ulrich Zimmermann: Die Hauptschule wurde tatsächlich in der Öffentlichkeit über Jahre hinweg mit diesem negativen Image belegt. Davon wieder wegzukommen ist gar nicht so einfach. Schule allein kann das aber nicht leisten. Es ist eine Anstrengung aller gesellschaftlichen und politischen Kräfte erforderlich, um die Hauptschule von diesem unberechtigten Stigma zu befreien. Als Schule können wir lediglich unser Profil deutlich machen und eine öffentlichkeitswirksame Darstellung anstreben.
oberhauser: Der Philosoph Peter Sloterdijk hat die Chancenlosigkeit junger Menschen folgend beschrieben: „Für die meisten gibt es kein gelungenes Leben mehr, sondern nur noch ein gedehntes Scheitern.“ Welchen Beitrag können Sie hier vor Ort leisten, um den Jugendlichen eine Perspektive aufzuzeigen?
Ulrich Zimmermann: Wir versuchen „unsere“ Jugendlichen gut auf das spätere Berufsleben vorzubereiten. In diesem Zusammenhang möchte ich auf die Betriebserkundungen und -praktika in der 8. und 9. Jahrgangsstufe verweisen. Die Achtklässler gehen dreimal im Schuljahr jeweils eine Woche ins Praktikum, die Neuntklässler zweimal. Wir bieten im Stundenplan dieses Jahr zum ersten Mal eine „AG Berufsfindung“ an. Zusammen mit unserer Sozialpädagogin und einer Kollegin gehen die Schüler zu den Betrieben bzw. Firmen und bekommendort einen Einblick in das Berufsleben. Wir hatten erstmalig einen „Berufsinformationsabend“, zu dem 30 Betriebe ihre Vertreter an unsere Schule schickten. Das sind wichtige Bausteine, die wir anbieten können, um die Jugendlichen fit für ihre berufliche Zukunft zu machen.
oberhauser: Aber das ändert doch nichts an der grundsätzlichen Problematik. Die ökonomischen Verteilungskämpfe werden zunehmend härter, die Arbeitswelt erlebt einen dramatischen Wandel: Eine zunehmende Rationalisierung und Mechanisierung droht den Menschen als Arbeitskraft überflüssig zu machen. Wie kann man den Schülern bzw. den Jugendlichen glaubhaft vermitteln, dass es sich auch heute noch lohnt, einen ordentlichen Hauptschulabschluss zu machen?
Ulrich Zimmermann: Das ist ein nicht ganz unberechtigter Einwand. Wenn
die Perspektive, die man den jungen Leuten vermitteln will, durch die Realität nicht mehr „gedeckt“ ist, dann verliert sie natürlich an Glaubwürdigkeit. So kommt es inzwischen nicht selten vor, dass Schulabgänger mit einem guten Hauptschulabschluss erhebliche Probleme haben, überhaupt eine Stelle zu finden. Vom „Wunschberuf“ kann in vielen Fällen kaum mehr die Rede sein. Auf der anderen Seite muss ich aber auch kritisch anmerken, dass es im einen oder
anderen Fall bei den Jugendlichen an Flexibilität fehlt. Manche konzentrieren sich zu sehr auf bestimmte Berufsbilder und laufen dann mit Scheuklappen durch die Gegend.
oberhauser: Manche Betriebe, gerade in industriellen Ausbildungen,
bemängeln, dass die Schulbildung der Schulabgänger nicht mehr ausreichend sei. Sind die Schüler dümmer geworden oder die Lehrer schlechter?
Ulrich Zimmermann: Weder noch. Die Rahmenbedingungen werden immer
schwieriger. Denken Sie nur an die Integration der „Jugendlichen mit Migrationshintergrund“. Außerdem befinden sich viele Kollegen an der Obergrenze, was die Arbeitsbelastung anbelangt.
oberhauser: Herr Zimmermann, vielen Dank für das informative Gespräch.

myheimat-Team:

Joachim Meyer aus Friedberg

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