Erinnerungen

Auch als Erstklässler in einer Großfamilie hatte man in den Jahren nach dem Zusammenbruch, seine zugeteilten Aufgaben zu erledigen. Bei mir war das so. Wir wohnten damals in einem kleinen Dorf, so wie viele andere Flüchtlingsfamilien auch. Einigermaßen integriert und auf Selbstversorgung eingestellt. Vater war den ganzen Tag in der Kreisstadt als Maurerpolier arbeiten, Mutter hütete die Rasselbande zu Hause und ging zum Bauern aufs Feld. So blieb es nicht aus, dass jeder im Haushalt und Garten seine Aufgaben bekam. Die älteren Geschwister hatten da schon verantwortungsvolle Aufgaben, z.B. unsere Tiere versorgen. Schweine füttern, oder Ziegen hüten kam damals nicht so gut an. Ich war mal wieder mit meinem älteren Bruder zum Grasmähen für die Ziegen eingeteilt.

Es ging schon mit großen Schritten auf den Herbst zu. Vater kam erst nach Hause wenn es schon dämmerte. Ein Auto, solchen Luxus hatten nur wenige Bauern, gab es bei uns noch nicht. Vater fuhr täglich mit dem Autobus zur Arbeit. Unser Dorf lag etwa 600 Meter abseits der Kreisstraße. Eine Haltestelle innerhalb des Ortes gab es nicht. Frühzeitig hatten wir Brüder unseren Leiterhandwagen aus dem Schuppen gezogen. Eine große Plane, die Holzharke, eine Sense und Vaters altes Fahrrad wurde auch bereit gestellt. An die Holzharke hatte erst einige Tage vorher Vater einen neuen Zinken eingeschnitzt. Wir mussten pünktlich an der Bushaltestelle vor dem Ort sein. Als Vater aus dem Bus ausstieg nahm er sein mitgebrachtes Fahrrad, hing sich die Sense um, sagte uns wo er Gras schneiden würde und fuhr los. Wehe wir hätten mal den langen hölzernen Wettstein für die Sense vergessen, das wäre aber was geworden.

Vater fuhr den Waldweg entlang, dann verschwand er in einem Querweg. Hier durfte er für unsere Ziegen Gras schneiden, das wir jetzt holen sollten. Der Himmel wurde schon langsam dunkel, dazu kam noch der finstere Wald. Beide hatten wir Angst, so ganz allein im Wald, auch wenn Vater nicht so weit weg war. Mit einem „kommt Ihr auch schon“ wurden wir begrüßt. Vater hatte schon eine größere Fläche Gras des Waldrandes abgemäht, viel Klee war darin, das nahm er gern. Mit bloßen Händen legten wir Brüder das frische Gras auf die Plane. Wie gut frisch gemähtes Gras riecht, hat uns damals nicht interessiert. Alles Liegengebliebene wurde mit der Harke zusammen geharkt und auf den immer größer werdenden Haufen gelegt. Dann wurde das Bündel an allen 4 Ecken zusammengebunden und mit dem Werkzeug auf den Leiterwagen gepackt. Vater schwang sich auf den Fahrradsattel und fuhr der Dunkelheit entgegen.

Da standen wir nun, ängstlich und verschwitzt. Beide zogen wir nun den hochbeladenen Handwagen aus dem feuchten Waldboden, dabei immer mit einem Ohr auf fremde verräterische Geräusche zu lauschen. Als wir den Feldweg erreichten, sahen wir schon in der Ferne vereinzelte Lichter im Ort. Nun waren es nur noch etwa 2 km bis zum Stall und die Angst verflog langsam. Vater hatte inzwischen zu Hause gegessen und wartete schon auf seine Fuhre Gras. So einfach in die Futterkrippe legen, wollte er das feuchte Gras auch nicht. Auf der Plane wurde es ausgebreitet und erst für den nächsten Tag den Ziegen vorgelegt. Dann drehte Vater die mitgebrachte Stalllaterne runter, erlosch das Licht und machte den Stall zu.

Nun hatten wir Jungs auch Feierabend und nahmen hungrig am Küchentisch Platz.

Bürgerreporter:in:

Helmut Metzner aus Neustadt am Rübenberge

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