Freiherr Franz von Dingelstedt, sechster Teil
Nach seiner Zeit in Fulda tritt Franz Dingelstedt am 1. April 1841 in den Hofdienst des Königs Wilhelm von Württemberg ein und erreicht einen entscheidenden Wendepunkt in seinem Leben. Er wird zunächst Vorleser und Leiter der königlichen Privatbibliothek und erhielt den Titel eines "Hofrats". Später, im Jahre 1846, folgte dann die Ernennung zum Dramaturgen des Stuttgarter Hoftheaters.
Seine liberalen Gesinnungsgenossen fielen nun über ihn her und überschütteten ihn, den „politischen Nachtwächter" und jetzigen Fürstendiener, mit bitterem Spott und bezeichneten ihn als „Verhofräther“. Die eigentlichen Gründe für seine innerliche Wandlung waren jedoch nicht in den politischen, sondern in seinen persönlichen Verhältnissen zu suchen. Er hatte inzwischen Jenny Lutzer geheiratet und wollte seiner Gemahlin eine äußerlich glänzende Stellung bieten und sich nicht von ihr ernähren lassen.
Ende 1842 besucht er Wien und schreibt am "Christtag-Morgen 1842" einen Brief an seinen Vater in Rinteln: "Lobe meine Regelmäßigkeit, lieber Vater; das vorige Mal gratulirte ich Dir von Paris zum neuen Jahre, heuer von Wien, über’s Jahr - Gott weiß woher? (...) Mir geht es gut, gefällt es auch besser; ich werde mit vieler Liebe behandelt, sogar ausgezeichnet, wo ich es am wenigsten erwarten durfte, bin gesund, so weit ich’s sein kann, existiere äußerst bequem in den Tag hinein und schreibe, was ich eben schreiben muß. Du nimmst es nicht für Prahlerei, wenn ich Dir erzähle, daß ich laut meiner Abrechnung (...) vom October 1841 bis dahin 1842 (...) 12.000 Francs verdient habe. Freilich auch 14.000 verzehrt. Es ist die alte Geschichte. Ich lasse mir’s eben wohl sein, bewohne ein äußerst standesgemäßes Quartier und halte einen eigenen Bedienten für meine lange Person (...).“ Am Ende des Briefes bemerkt er noch: "Mein Schuhmacher ist aus Kirchhain, eine rührende Geschichte. Er weinte Freudenthränen, als er hörte, ich sei aus Halsdorf. Nicht übel. Er liest alles, was ich hier drucken und drücken lasse, dafür drückt er mich wieder mit seinen lackirten Stiefeln und gefirnißten Rechnungen. Lieber Alter! Hast Du denn gar keene Sehnsucht nich, mich mal zu sehen? Ich bin auf Ehre ein sehr hübscher Kerl geworden, seit mich die heßischen Bartkratzer und Schulmeister nicht mehr tyrannisiren. (...) Ich bin frei, Herr meiner Zeit und meines Zieles. Nichts über ein bischen Talent, ein bischen Sprachkenntniß, ein bischen Persönlichkeit! Alle drei dank ich Dir und von ganzer Seele!"
Seine Zeit in Stuttgart sah Dingelstedt von Anfang an als "Sprungbrett" für größere Aufgaben. So war für ihn die Berufung nach München als Intendant des dortigen Hoftheaters im Oktober 1850 eine Freudenbotschaft. Aber auch in München machte er sich im Laufe der Jahre unbeliebt und fiel im Jahre 1855 an allerhöchster Stelle in Ungnade. Schließlich entließ ihn König Maximilian am 28. Januar 1857 und Dingelstedt war froh, dass er sogleich Unterschlupf in Weimar fand.
So kam eines Tages ein Brief seines berühmten Freundes Franz Liszt aus Weimar an, der ihm im Namen des Großherzogs die rettende Hand bot. Nach einigem Zögern nahm er das Angebot an, reiste in der Karwoche des Jahres 1857 nach Weimar und schloss nach einer einstündigen Unterhaltung einen Vertrag als Generalintendant des Weimarer Hoftheaters ab. Über sein Jahrzehnt in Weimar schreibt er im "Münchner Bilderbogen": "Ich hatte ein Amt zu verwalten, nicht das leichteste und lohnendste der Hofämter, und bin dieser Führung nicht einmal immer ein nach oben sehr bequemer und gefügiger Diener gewesen. Des ungeachtet hat mich der Großherzog nicht bloß als Generalintendanten seines Hoftheaters gehalten, sondern auch persönlich durch sein Vertrauen, mit Stolz darf ich es sagen, durch seine Freundschaft ausgezeichnet". So verlief sein Jahrzehnt in Weimar recht ruhig und diente rückblickend betrachtet als Vorbereitung für seine Zeit in Wien. Ein besonderes Verdienst erwarb er sich, als er zu Schillers 100. Geburtstag einen ganzen Zyklus der größeren Dramen des Dichters zur Uraufführung und die Wallenstein-Trilogie an einem einzigen Tag zur Darstellung brachte. "Das Lager" vormittags um 11 Uhr, die "Piccolomini" um 2 Uhr nachmittags und "Wallensteins Tod" um 6 Uhr abends. Der Höhepunkt seines Schaffens in Weimar aber war die Festwoche vom 24. bis 29. April 1864 anlässlich der 300-jährigen Shakespeare-Feier, als er eine große Anzahl der historischen Dramen bearbeitete und in Szene setzte. Diese Festspielwoche war ein großer Erfolg und Anlass zur Gründung der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft am 25.04.1864 in Weimar, zu dessen Mitbegründer auch Franz Dingelstedt zählt.
Darüber hinaus förderte Dingelstedt den bis dahin noch wenig bekannten Hebbel, indem er seine Dramen "Genoveva", "Judith" und "Nibelungen" aufführte und zum Durchbruch verhalf. Durch die Vermittlung von Dingelstedt wurde sein damaliger Freund, der Schriftsteller Karl Gutzkow als Generalsekretär an die deutsche Schiller-Stiftung berufen.
Über diese Zeit berichtet ein Aufsatz im Feuilleton des "Deutschen Montagsblattes" aus dem Jahre 1881 unter dem Titel "Am runden Tische zu Weimar". Darin heißt es: "In Weimar - vor zwanzig Jahren! Am Markte wohnte der Kaufmann Meyer, bei dem eine beliebte Weinstube war. Durch den Laden betrat man einen kleinen dunklen Raum, in dem fast Tag und Nacht das Gaslicht brannte. Ein runder Tisch stand zimmlich in der Mitte, ein Sopha, mit Leder überzogen, war an den Tisch gerückt. Berühmte Leute, erzählte Meyer mit stolzen Augen, hatten oft an diesem Tisch gesessen: Freiligrath, Geibel, Hoffmann von Fallersleben, Hackländer, Saphir, Liszt, Bülow und Raff. Vor zwanzig Jahren, um die Mittagszeit, wenn die Musik der Wachtparade bis in die Weinstube drang, pflegte zuweilen ein gleichfalls berühmter Mann an diesen Tisch zu kommen: Karl Gutzkow (...). Der Wirt machte ihm sein tiefstes Kompliment, die jüngeren Leute sprangen natürlich auf, um ihm den besten Platz zu bieten. (...) Wer beschreibt aber das Entzücken des guten Meyer, als plötzlich Dingelstedt an diesem Tische erschien. Franz Dingelstedt, Generalintendant des Großherzoglichen Hoftheaters und der Hofkapelle, Ritter erster Klasse des Großherzoglichen Hausordens der Wachsamkeit oder vom weißen Falken, Ritter des Herzoglich-Sachsen-Ernestinischen Hausordens dritter Klasse und Ritter des Bayerischen Maximiliansordens, Ritter des Bayerischen Zivil-Ordens usw.! Nur im "Erbprinz" pflegte er zu verkehren, dort nur spielte er L´Hombre und trank Erlanger Bier. Und jetzt trat er in diese Stube, setzte sich an diesen oft klebrigen Tisch, auf dieses wurmstichige Sofa (...). Nicht wie Gutzkow, der lieber schwieg und sich über die "kleine Narrenwelt" im Stillen lustig machte, saß Dingelstedt da. Alles in ihm war Leben und Bewegung; seine markige Stimme übertönte jedes Geräusch. Wer ihn zum ersten Mal sah, den "langen Franz", die Wangen gerötet, den "Kotelettenbart" und das Halstuch im Winde flatternd, verglich ihn trefflich mit einem Jongleur. (...)."
Aufgrund seiner guten Kontakte zu Wiener Theaterkreise wurde er 1867 als Direktor an die Wiener Hofoper berufen und wurde 1870 auch Leiter des Burgtheaters in Wien. Im Jahre 1876 wurde er in den erblichen Freiherrenstand erhoben. Franz von Dingelstedt galt in dieser Zeit als größter deutscher Regisseur.
Fortsetzung folgt
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Bürgerreporter:in:Horst Becker aus Wohratal |
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