Watt 'n Meer ....
Watt’n Meer ….
Diese zwei Worte meines alten Freundes Sepp aus dem süddeutschen Überlingen fielen mir so spontan wieder ein, als wir vor ein paar Tagen erneut nebeneinander an derselben Stelle auf dem Deich unweit der Voslapper Schule standen, an der vor einem halben Jahrhundert der staunende Ausruf: „Watt’n Meer“ aus seinem Munde in den Wind über den Andelgroden geweht war. Jetzt sagte er gar nichts. Wohl nicht, weil ihn ein Gebrechen am Sprechen hinderte, sondern weil er für den Anblick, der sich ihm bot, einfach keine Worte fand.
Ich bemerkte, wie seine Augen etwas suchten – nach wenigen Augenblicken wusste ich, was es war. Wo ist denn der Zinnsoldat geblieben, kam die zögerliche Frage. Und wo ist das Watt mit den Prielen, in denen wir immer so herrlich schlickrutschten, und die Gräben zwischen den Andelwiesen, in denen es von Stichlingen nur so wimmelte, schickte er gleich hinterher. Wo ist der herrliche lange Sandstrand, mit den vielen ebenso langen Mädchenbeinen die ihn des Sommers bevölkerten? Ein bisschen viel Fragen stürmten da auf einmal auf mich ein, fand ich.
In seiner Erinnerung hatte er sich ein völlig anderes Bild von dem Fleckchen Erde jenseits unseres Schuldeiches bewahrt.
Vor fünfzig Jahren konnten wir von der Stelle an der der Sommerdeich zum Voslapper Hafen abzweigte, noch an Enno Janssens Maadesiel vorbei zum gerade in Betrieb genommenen Ölhafen, querab des Heppenser Berges gelegen, schauen. Der Bau der Tankerlöschbrücke Ende der 50er Jahre war für uns eine Großtat der Industrie und eine Glanzleistung der Stadtoberen. Es sollte wieder Leben in den Hafen kommen, und damit Geld in die Stadt und in die Taschen der Menschen. Das anfangs schwachbrüstige Wiedererstehen der militärischen Marine nahmen wir damals gar nicht so recht wahr. Die dem Militär von den US-Freunden aufs Auge gedrückten Schrottkähne, zum Neustart einer Seestreitmacht Deutschland, die im inneren Hafen vor sich hindümpelten, die wurden doch überhaupt nicht recht wahrgenommen. Das Weltkriegs-Szenario war noch nicht weit genug in die Vergangenheit gerutscht.
Was waren die Menschen in der Stadt verblendet von den falschen Hoffnungen auf „Weltstadt werden“, die als Trugbilder von den Verantwortlichen vor Ort unablässig in ihre Köpfe projiziert wurden.
Das nach dem Ende des Kriegsgeschehens von den Siedlern in Voslapp aus kleinsten Anfängen heraus aufgebaute und ohne große Ahnung von „Marketing in der Tourismuswirtschaft“ wie es heute genannt, wird zu haben, zum bescheidenen Erfolg geführte Kur- und Badeleben längs und rings um den Geniusstrand herum, wurde aus einer falschen Euphorie heraus den Industriealisierungsträumen geopfert. Wie schnell sind daraus doch Alpträume geworden.
Christian Eisbein – der vielen sicher in guter Erinnerung gebliebene Wattführer – sagte einmal in einem unserer viel zu seltenen Gespräche, man muß wohl zugewandert sein, um die Schönheit und den Wert dessen erkennen zu können, was die Natur uns Menschen bietet. Er war durch die Nachkriegswirren aus seiner Heimat Ostpreussen nach Ostfriesland verschlagen worden. Dass das „nach hierher zugewandert sein“ aber kein Garant für das Erkennen und die Wertschätzung all der Kostbarkeiten des Wattenmeeres sein muß, das hat er an anderer Stelle einmal mehr als deutlich gemacht – denn was sollte er sonst damit gemeint haben, als er die diversen Marschen- und Meeresorientierten Institutionen und Institute – und da hob er besonders die in der Jadestadt angesiedelten hervor – als geistige „Mausoleen“ bezeichnete. Mag man ihm im Nachhinein auch nicht in jedem seiner Denkzüge zu folgen vermögen – in dieser Einschätzung kann ich ihm aus eigenem negativem Erleben durch die Jahre hindurch nur beipflichten. Wie hat er vorausschauend die zu der Zeit anlaufende und für die Zukunft zu erwartende Steigerung des Großschifffahrtsaufkommens in unmittelbarer Nachbarschaft und sogar mitten hinein in die einmalige Natur des Wattenmeeres und deren immense Negativfolgen für alle Kreatur an, vor und hinter Küste und Deichen benannt. Ein Hellseher war Christian Eisbein bestimmt nicht, aber ein die Realitäten erkennender Mahner und Visionär war er gewiß. Auch in seinen kritischen Bemerkungen, zum Beispiel an die Adresse vieler Experten in Naturschutzbünden und –verbänden, denn wo sind die Wächter unter dem Label Nabu, B.U.N.D. oder Greenpace als Aufrüttler, wenn es um die Verwendung hochgiftiger Substanzen als Brennstoff für die Antriebe der Irrsinnsfrachter auf ihren Wasserwegen rund um den Globus bis hinein in das Herz des jetzt „Naturerbe Wattenmeer“ geht? Sind sie allesamt unwissend, oder halten sie sich aus der Angst um den Verlust ihrer Pfründe so bedeckt?
Ich verspüre eine ganz andere Art von Angst, wenn ich mir den deutschlandinternen Wettlauf um die größten Anlauftiefen zu den jeweiligen Küsten- oder Flusshäfen zwischen Ems und Elbe betrachte.
Auf der einen Seite mutiert ein sich mit der Zeit zur Stadt gemausertes „Moordorf“ am Mittellauf der Ems zur Geburtsstätte der weltweit größten Kreuzfahrtschiffe – auf der anderen Seite versucht eine Flusshafenstadt mit aller Gewalt, und der sträflichen Missachtung jeglicher Naturgesetze, das Tiefwasser der Deutschen Bucht um über hundert Kilometer näher an seine Stadtgrenzen zu bringen, während in der Jademündung, mit dem hineinpressen der ausufernden Massen riesiger Schiffsleibe in ein viel zu enges Korsett, mit den Katastrophen Vabanque gespielt wird. Welch ein Wahnsinn offenbart sich da.
Meinem alten Freund Sepp hat sich angesichts dieser Gegebenheiten und Entwicklungen kein Begreifen erschlossen.
Seine Aufforderung an mich, da auf dem Voslapper Schuldeich, doch einfach mal die Verantwortlichen nach dem Grund ihrer schweigenden Akzeptanz zu fragen, hat sich in mir nahtlos an seinen ein halbes Jahrhundert zuvor getanen Erstaunensruf
„Watt ’n Meer ...“ angefügt.
ewaldeden
Bürgerreporter:in:Ewald Eden aus Wilhelmshaven |
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