Geschichten die das Leben schrieb ...


Große Freuden kleiner Freundschaften …

… oder "das Gipfelfest im Piratenamüseum"

Am Samstagabend war ich der Einladung eines Freundes gefolgt. Da er fest davon überzeugt ist einhundert Jahre alt zu werden, war dieser 12.Juli für ihn ein Tag mit besonderer Bedeutung. Ein paar Tage vorher lud er seinen Freundeskreis ein mit ihm das Gipfelfest zu feiern. Nach fünfzig Jahren Erdendasein hatte er seines Lebens Gipfel erreicht. Einen passenden Ort für das Jubilieren hatte er auch gefunden – das ‚Piratenamüseum’ zwischen Rhein- und Ebertstrasse. Ehrlich – mir sagte die Bezeichnung gar nichts. Erst als er mir wortreich und wegen meiner Begriffsstutzigkeit schon leicht verzweifelt die Lage der Lokalität erklärte, fiel langsam bei mir der Groschen. Das helle Pling, als er endlich den Boden der Erkenntnis erreichte, klingt heute noch in meinen Ohren nach.
Ich muß wohl ziemlich doof aus der Wäsche gepliert haben, als ich ihn erstaunt fragte, ob er die alte Augendoktorsbaracke im Schatten der Elisabethkirche meine. Jetzt sah er so aus, wie ich von mir glaube ausgesehen zu haben – nämlich reichlich verstört. Da ich mir nicht erklären konnte, warum er mit meiner Beschreibung nichts anfangen konnte, versuchte ich es andersherum. Nach meiner Frage, ob es das langgestreckte niedrige weiße Gebäude zwischen dem freigemauerten Andachtstempel und der großen Prothesenschusterei unweit des ehemaligen Bullenklosters sei, war ich ob seines leeren Blickes fast der Verzweiflung nahe. Bis mir dann eine hilfreiche Natur aus der Runde süffisant ins Ohr flüsterte: Mit den Bezeichnungen kann Walther doch nichts anfangen – die sind doch alle von Gestern. Hätte nur noch gefehlt, mich als von Gestern zu bezeichnen. Aber so denke ich, der Flüsterer meinte es gut mit mir, weil ich ihn gleich darauf laut in Walthers Richtung meine Aussagen übersetzen hörte. Aus meiner Elisabethkirche wurde die Christuskirche – aus dem freigemauerten Andachtstempel das Logenhaus ‚Wilhelm zum goldenen Anker’ – aus der Prothesenschusterei das ‚Sanitätshaus Gebauer’ und aus dem Bullenkloster das ehemalige Polizeikommissariat längs der Gökerstrasse.
Walthers Miene lichtete sich. Gott sei Dank – das war geklärt.
Wir meinten tatsächlich alle das gleiche Gebäude. Letzte Sicherheit bekam ich natürlich erst, als ich am frühen Abend vor dem ‚Piratenamüseum’ stand.
Mit leichtem Grummeln im Bauch enterte ich die Korvette. Wer begibt sich schon gerne und leichten Herzens in eine Spelunke in der sich augenscheinlich Piraten amüsieren?
Ich ärgerte mich, zu Hause nicht an eine passende Ausstattung gedacht zu haben. Jetzt würden mir gleich wahrscheinlich Augenklappe und Hakenhand fehlen. Und um mir in der benachbarten Prothesenschusterei noch schnell die passenden Requisiten zu besorgen, dazu war es zu spät.
Nach Überwindung des inneren Schweinehundes ein beherzter Schritt durch die Eingangstür – und ich stellte erleichtert fest, dass ich mich völlig grundlos gesorgt hatte. Ich war in etwas völlig anderes als in eine Spelunke reingeschneit. Eine tolle Mischung von kuriosen, absonderlichen, und ausgefallenen neuen und alten Raritäten nahm mich sofort gefangen. Einzig der Bart des guten Hausgeistes Roland weckte in mir verschwommene Kindheitserinnerungen an John Silver und seine Kumpane.
In der Kombüse glänzte alles blitzblank, die Vorratskammern waren bis zum Bersten mit edlen Tropfen und den feinsten Schlemmereien angefüllt – es fehlte schlicht gesagt an nichts.
In der Messe auf den Backen hatte der Smutje für reichlich Vor- und Nachspeisen gesorgt – Becher und Kannen standen bereit – kurzum, es war einfach perfekt angerichtet. Dem Gelage stand nichts mehr im Wege. Von draußen, vom Oberdeck herkommend, zog leichter Geruch von glimmendem Holz die hungrigen Bankettgäste in seinen Bann. John Silver hatte offenbar für alles gesorgt. In der Gluthitze über der Feuerstelle hätte sich sogar ein Spanferkel wohlgefühlt, wenn die Köstlichkeiten, die dort unter der Regie des Smutje ihre verlockende Bräune bekamen, dafür noch Platz gelassen hätten. Auf jeden Fall ließ sich nach dem Kommando ’Backen und Banken’ keiner der Anwesenden lange bitten. Es war eine wahre Freude, die Schlemmer, bei ihrem redlichen Mühen die Platte zu putzen, zu beobachten. Trotz aller Anstrengung, das Dargebotene restlos zu vertilgen, schaffte es die Gästeschar nicht, den Koch in seiner Leibhaftigkeit auf den Tisch zu bekommen. Um dieses Ziel zu erreichen, hätte die Mehrzahl der Esser sich schon den Magen verrenken, und damit auf den nachfolgenden gemütlichen Teil mit literarischen Tupfern verzichten müssen. Bei Anbruch des neuen Tages – kurz nach Mitternacht – hatte sich auch der letzte Gast wieder soweit von Schlemmen und Schlabbern erholt, dass er dem ‚Piratenamüseum’ schweren Herzens Adjöh sagen, und auf eigenem Kiel heimwärts segeln konnte. Ein Gast konnte es sich beim Abschied nicht verkneifen zu fragen: Walther – wann wirst du denn das nächste Mal fünfzig?

ewaldeden

Bürgerreporter:in:

Ewald Eden aus Wilhelmshaven

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