Achterbahn des Lebens (3)

Irgendwann hing mein Hammer an der Wand im Meisterbüro – er war mir so gut gelungen, daß der
Meister ihn jedem zeigte. Als ein Paradestück seiner Ausbildungskunst – wie er dabei zu sagen pflegte. Dem sogleich ein zweites folgen sollte, damit ich nicht aus der Übung käme. Wie Herr Zenglein tiefsinnig bemerkte, als er mir den Auftrag erteilte, ein Windeisen anzufertigen. Natürlich per Hand – und mit der Feile als Werkzeug. Wieder war der Name eines böhmischen Dorfes vor mir aufgetaucht – ein Windeisen? Was war denn das um alles in der Welt? Meister Zenglein gab mir eine Karte in die Hand – Konstruktionsplan nannte er das Stück Papier mit den vielen Strichen und Zahlen. Damit würde ich mich schon zurechtfinden, meinte er. Und wieder war es mein Freund – der Pfadfinder unserer Schuttplatzzeit – Hans-Werner, der mir die Wege durch das Striche- und Zahlengewirr erklärte. Ich muß sagen, der Stolz saß mir in den Knochen, als ich das Prunkstück nach Wochen meinem zufriedenen Meister präsentierte.
Wenn Herr Zenglein auch keine Gesellen bezahlen konnte – seine Lehrlinge durch Lob zu Höchstleistungen anstacheln, das konnte er. Schon wieder war ich ein paar Schritte weiter auf dem Weg zum Werkzeugmacher.
Mit den kalten Handwerkzeugen konnte ich mittlerweile gut umgehen. Die Abteilung Feuer und Schwert wartete auf mich. Die Härterei. Die Bezeichnungen der böhmischen Dörfer meiner kleinen Arbeitswelt schreckten mich auch nicht mehr. Ich fand mich ganz gut in ihnen zurecht.

Die Härterei. Die Begriffe hart und weich waren mir von zu Hause - von den Frühstückseiern her geläufig. Hier füllten sie ein ganzes Universum. Sie eierten zwischen Karbidkesseln – in denen Gas erzeugt wurde – Sauerstofflaschen und ölgefüllten Becken hin und her. Es war sozusagen die Giftküche unseres Zauberers. Hier wurden die Produkte alltagsfähig gemacht. Abgehärtet, damit sie im täglichen Kampf von messen und kontrollieren nicht vorzeitig schlapp machten. Die Art und Weise, wie es geschah – war allerdings – salopp ausgedrückt – vorsintflutlich. Aber die Ergebnisse unserer Arbeit besaßen Charakter, wenn sie uns durch die Werkstattür verließen. Die Kunden wußten das zu schätzen.

Bis es allerdings soweit war, mußten wir noch unzählige male die Feile ansetzen, den Karbidbrenner anschmeißen, zum erhitzen und vergüten, und uns die Finger wundschleifen für den letzten „Schliff“ – wie Meister Zenglein es nannte, wenn sein scharfes Auge seine prüfend darüberhinfahrenden Fingerspitzen begleitete. Während meiner Zeit in Zengleins Wunderschmiede ist nicht ein einziges Stück Werkzeug von den Käufern reklamiert worden. Aus diesem Grunde gab es auch wohl keine Beschwerdeabteilung bei den Zengleins. Mein Freund Hans-Werner verließ ein Jahr vor mir unsere kleine Messwerkzeugschmiede.

Meine Betrübnis darüber konnte sich aber gleich wieder verkriechen. Er blieb mir erhalten, denn nur ein paar Straßenzüge entfernt empfing man ihn in einem anderen Betrieb mit offenen Armen.
Die Gesellen, die Meister Zenglein geformt hatte, waren in der Umgebung begehrte Werkzeugmacher. Bis ein Jahr später mein Abschied von der Lehre vor der Tür stand, verbrachten wir jeden Tag wenigstens die Mittagszeit gemeinsam. Mein Abschied von Meister Zenglein wog gleich doppelt schwer. War er doch verbunden mit der Schließung des Betriebes.

Nicht das jetzt jemand denkt, meine Ausbildung hätte Zenglein & Zenglein zugrunde gerichtet. Nein, nein – die technische Entwicklung hatte seine Fertigungs-methoden lange hinter sich gelassen. Die Konkurrenz aus Fernost setzte den Schlußpunkt. Ich war der letzte Lehrling, den Meister Zenglein berufsfähig machte.
Der Chef klappte seine Bücher zu. Ein Kapitel überlieferter Handwerkskunst war abgeschlossen.
Jetzt mag bitte niemand denken, der Unternehmer Zenglein hätte sich das alles einfach so von der Backe geputzt. Es ging ihm schon nahe, sein Lebenswerk vorzeitig stranden zu sehen. In seinen Vorstellungen sah der Hafen, in dem er vor Anker gehen wollte, sicher auch anders aus. Aber wie es so ist, wenn der Sturm ein Schiff zwingt, den Kurs zu ändern. Und wie ein guter Kapitän auch nach dem Schiffbruch für seine Männer da ist – Meister Zenglein sorgte auch für mich, wie ich nach kurzer Zeit merken sollte.

Der Musik habe ich bis heute die Treue gehalten. Meiner Vernarrtheit in fahrbare Untersätze auch, denn es dauerte keine Ewigkeit, kam Walter auf einem Mofa angerauscht. Für mich war es das Rauschen des Himmels.
Ich stieg in die motorisierte Welt ein. Aus einer Quelle Strassenbiene wurde nicht lange nach überschreiten der Mindestaltersgrenze eine Kreidler-Florett. Eine Kreidler-Florett war für uns Jungen damals etwa so hoch angesiedelt, wie das Kreuz des Südens am nächtlichen Himmelzelt für einsame Bergwanderer.

Den Erwerb des Führerscheins der Klasse vier setzte der Gesetzgeber aber voraus. Papa unterstützte mich. Damit durfte ich neben der Kreidler nun auch Trecker fahren. Auf Grund dieser Tatsache half unser Nachbarbauer Papas Zustimmung wohl so ein wenig auf die Sprünge, denn um seinen Traktor brauchte er sich in Zukunft nicht mehr zu kümmern. War das eine Wucht, mit dem Ungetüm von Trecker durch die Gegend zu gondeln. Für uns war es ein unbeschreibliches Vergnügen – für den Bauern eine gehörige Arbeitserleichterung.
Sich auf vier Rädern fortzubewegen, war nach kurzer Zeit für uns zur Normalität geworden – Alltag im Alltag. Aber wie stets in meinem Leben, drängte es mich auch jetzt wieder zu Höherem.
In der Nachbarschaft drehte seit längerer Zeit eine Knutschkugel ihre Runden.

ee

Fortsetzung folgt

Bürgerreporter:in:

Ewald Eden aus Wilhelmshaven

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