UHUs in Riga - Reisebericht aus Lettland
Sieben UHU-MitarbeiterInnen waren unter den 21 Teilnehmern aus der Marien-Petri-Gemeinde Wennigsen, die im Herbst nach Lettland fuhren. Eine Woche lang entdeckten sie Riga und einen Teil Lettlands. Begleitet wurden sie zeitweise von Einars Alpe, dem Bischof der Diözese Daugavpils oder von Matthias Knoll, Autor und Übersetzer lettischer Literatur. Hier lesen Sie Auszüge aus einem ihrer Reiseberichte und sehen Fotos von Brigitte Gödeke, Achim Klang, Kristine Schlonski und Dirk Steffens:
Auf einem ersten Gang durch die Stadt fallen uns bunt geschmückte Weihnachtsbäume aus Kunststoffen auf. Und das Mitte September in der romantischen Altstadt von Riga. Die Temperaturen liegen bei gefühlten Null Grad und lassen zwar winterliche Gefühle aufkommen aber auch an die Kampagne unserer Landeskirche denken: „Advent ist (doch erst) im Dezember“!
Matthias Knoll erzählt uns während eines Literarischen Stadtrundgangs, dass in Riga das 500jährige Jubiläum des Weihnachtsbaumes gefeiert werde und man wohl mit dem Erinnern schon früh im Herbst anfange. Im Jahre 1510 nämlich holte die Bruderschaft der Schwarzhäupter aus dem Wald einen riesigen Tannenbaum und stellte ihn auf den Rathausplatz in die Altstadt Rigas. Er sollte zerteilt werden und einigen Häusern in der Stadt Wärme spenden. Kinder verhinderten die Verbrennung des Baumes. Sie versahen ihn mit bunten Kugeln und allerlei Schmuck. So blieb er als Weihnachtsgruß unversehrt stehen.
Matthias Knoll lässt während seiner „LiteraTour“ mittelalterliche Gassen, Tore, Häuser, Kirchen, sogar einen Lindenbaum für uns in Gedichten und Romanauszügen lettischer Dichter lebendig werden. Humorvolle, kabarettreife Beobachtungen gegenwärtiger Entwicklungen und in Gedichten aus den 70er Jahren versteckte Kritiken am sowjetischen Unterdrückungsapparat wechseln dabei einander ab.
Mitten in der Altstadt entdecken wir hinter der Petrikirche die Bronzeplastik der „Bremer Stadtmusikanten“. Die Bremer Bürgerschaft hat nach der politischen Wende viel für die Erneuerung der Stadt getan.
Vielleicht ist das aber auch ein Akt der Wiedergutmachung durch die Bremer? Denn es war ein Bremer, nämlich der Domherr Albert, der dort, wo heute der Dom steht, Anfang des 13. Jhds. ein Lager für die Kreuzritter errichten ließ. Die sollten Letten und Liven mit Schwert und Kreuz zum Christentum bekehren. Und das haben sie mit äußerster Brutalität gegen den jahrelangen Widerstand der Urbevölkerung getan. In ihrem Gefolge siedelten sich Kaufleute und Händler in der 1201 gegründeten Stadt Riga an. Im Herzen der Altstadt stehen das Schwarzhäupterhaus und die Gildehäuser der Kaufleute und Handwerker als steinerne Zeugen der jahrhundertelang währenden Macht der deutschen Bürgerschaft. Seit dem 14. Jahrhundert hatten Letten und Liven nur Zugang zu bestimmten Gewerken; die meisten genossen kein Bürgerrecht und verrichteten niedere Arbeiten.
Noch 1797 fasste Johann Gottfried Herder die Erfahrungen, die Letten mit Deutschen in Riga gemacht hatten, zusammen mit den Worten: Der Neger malt den Teufel weiß, und der Lette will nicht in den Himmel, sobald Deutsche da sind!
Riga erleben wir als lebendige Großstadt. Sie hat 750 000 Einwohner (von ca. 2.245.000 Einwohnern in Lettland), davon etwa die Hälfte sind Russen, Ukrainer, Weißrussen. In dem prunkvollen Opernhaus begeistert uns das Balett „Schwanensee“, in den Einkaufsstraßen die Boutiquen, Läden mit Kunsthandwerk und gemütliche Cafés und Restaurants. Von den wirtschaftlichen Problemen und finanziellen Krisen des Landes, auch von gesellschaftlichen Schwierigkeiten zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen bekommen wir hier wenig mit.
Zahlreiche Jugendstilhäuser in der Nähe unseres Hotels beeindrucken uns während eines Spaziergangs. Girlanden verzieren Fassaden, Blumenranken winden sich um Frauenkörper, dämonische Masken und Göttinnen gleiche überdimensionierte Frauenköpfe lächeln kühl auf die Betrachter herunter. Ende des 19. Jhds. entwickelte sich Riga zu einem der wichtigsten Industriezentren des Zarenreichs. Der Hafen verband West- und Osteuropa. Reiche deutsche, russische, lettische und jüdische Kaufleute ließen sich prachtvolle Bürgerhäuser bauen. Der russische Ingenieur Michail Eisenstein, Vater des Filmregisseurs Sergej Eisenstein („Panzerkreuzer Potemkin“), entwarf zahlreiche Mietshäuser mit üppigen Jugendstilfassaden.
Auf dem Weg in die Altstadt treffen wir auf das wichtigste Denkmal in Lettland. Die Freiheitsstatue wurde Mitte der 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts gebaut. Sie erinnert an die erste unabhängige Republik Lettland, die 1918 gegründet wurde. In der Sowjetzeit hielt sie die Sehnsucht der Letten nach erneuter Freiheit und Selbstständigkeit wach. Als die sowjetische Verwaltung versuchte, das Denkmal abzutragen, weil es wegen des Autoverkehrs brüchig geworden war, erklärte Rigas Stadtverwaltung die Umgebung des Denkmals kurzerhand zur Fußgängerzone. In 42 m Höhe steht eine Mädchenfigur aus Kupfer. Sie verkörpert die Freiheit. Ihre in den Himmel gereckten Arme halten drei goldene Sterne. Sie symbolisieren die drei Provinzen Kurzeme, Vidzeme und Latgale.
Zwei Wochen vor der Parlamentswahl in das repräsentative Gebäude hinein zu kommen, in dem das lettische Parlament (Saeima) tagt, ist fast eine Unmöglichkeit. Alles ist auf die bevorstehende Wahl eingestellt. Einars Alpe gelingt es mit Hilfe der Abgeordneten Skaidrite Pilate von dem „Bündnis der Grünen und Bauern“ für uns einen Termin im Parlament zu bekommen. Das Parlamentsgebäude ist ein Symbol der Unabhängigkeit Lettlands. Vor 20 Jahren kamen Letten aus dem ganzen Land dort zusammen, bauten Barrikaden, brachten den dort Wachenden Lebensmittel vom Lande und gaben sich kampfbereit für den Fall, dass Truppen des Moskauer Innenministeriums das Parlament besetzen und die Zeit zurück drehen würden...
Skaidrite Pilate begrüßt uns und kündigt an, dass uns der Präsident der Saeima, Gundars Daudze zu einem kurzen Gespräch in seinem Arbeitszimmer empfangen wird. In dem Gespräch erfahren wir einiges über die Arbeit der 100 Abgeordneten, die direkt vom Volk gewählt werden. In den kommenden Jahren geht es um die Überwindung der Finanzkrise, um Verbesserungen im Verhältnis der Letten zu den Russen im eigenen Lande und zur Russischen Föderation.
Der Stolz auf die endlich errungene Unabhängigkeit speist sich auch aus der Erinnerung an die jüngere Geschichte. Mit dem Hitler-Stalin-Pakt beginnt der dunkelste Abschnitt in der Geschichte Lettlands. Die Deutschbalten werden „heim ins Reich“ geholt, Letten und Juden zu Tausenden nach Sibirien deportiert, wo viele von ihnen den Tod finden. Die drei souveränen Staaten Estland, Lettland und Litauen werden abwechselnd vom sowjetischen und NS-Terrorregime besetzt und schließlich – bis 1991 – der Sowjetunion einverleibt. Im Okkupationsmuseum in Riga wird dieses halbe Jahrhundert der Unterdrückung und des Widerstandes auf zutiefst berührende Weise dokumentiert.
Besonders die Juden leiden unter der deutschen Besatzung. Von 1941 bis 1944 war Lettland als sogenanntes „Ostland“ Teil des NS-Reichs. Zehntausende Juden aus Westeuropa – auch aus Hannover – wurden ins Rigaer Ghetto deportiert. Mehr als 25000 Menschen jüdischer Abstammung sind am 30. November und 8. Dezember 1941 im Wald bei Rumbula vor den Toren Rigas ermordet worden. Ein Besuch der Gedenkstätte gehört nicht zum normalen touristischen Programm. Mit Einars Alpe waren wir im Jahre 2003 dort, um innezuhalten.
Wir besuchen das Jüdische Museum. Es ist untergebracht in einem großen Gebäude, das der jüdischen Gemeinde Riga nach der lettischen Unabhängigkeit als Kulturzentrum zur Verfügung gestellt worden ist. Alte Männer und Frauen begegnen uns im Foyer. Fröhlich gehen sie aufeinander zu, umarmen einander und streben den Kaffee- und Kuchentafeln zu. Wie bei uns manchmal die UHUs denke ich. Wie schön. Im Treppenhaus beeindrucken die Glasfenster. Sie zeigen Mose, der sein Volk aus der ägyptischen Gefangenschaft durch die Wüste in das Land führt, in dem Milch und Honig fließt.
Im Ethnografischen Freilichtmuseum vor den Toren Rigas tauchen wir bei strömendem Regen ein in die bäuerliche Welt des alten Lettland. Auch dort hören wir wie gebannt einer Lesung von Matthias Knoll zu. Geschichten aus „Straumehni“, einem Buch des lettischen Dichters Edvarts Virza malen uns eindrucksvolle Bilder ländlichen Lebens vor Augen.
Am Ufer des Jugla –Sees sind lettische Bauernhäuser aus allen Provinzen, sind Kirchen, ein Schulhaus und Versammlungsstätten der Brüdergemeine, eine historische Kneipe und Werkstätten aufgebaut. So bleibt der Nachwelt das lettische Leben auf dem Lande erhalten. Auf unseren Ausflügen fällt uns auf, dass es kaum Dörfer mit einem Dorfkern gibt, aber stattdessen viele Einzelgehöfte verstreut in den Wäldern und Feldern liegen. Kirchen stehen deshalb meist nicht mitten im Dorf, sondern auf einem Hügel, zu dem die Einwohner der umliegenden Gehöfte sich zum Kirchgang treffen.
Die Kirche im Gelände des Museums ist aus Holz. Die Decke ist reich verziert mit barocken Malereien, die dem Betrachter den Himmel auf die Erde holen. Und auch Kanzel und Altar sind reich verziert mit Holzschnitzereien..
Einars Alpe hat dazu eingeladen, das 80-jährige Jubiläum der Kirche in Tilza mit zu feiern. Acht aus der Gruppe machen für drei Tage Abenteuerurlaub in Latgale. Tilza liegt in der Diözese Daugavpils, in der Einars Alpe Regionalbischof ist. Sein Schwiegersohn Martins Vaickovskis versorgt außer Balvi in der Nähe der lettisch-russischen Grenze auch die Gemeinde in Tilza.
Der kleinen ev.-luth. Kirche sieht man den architektonischen Einfluss der deutschen Neugotik an. Den langen, liturgisch reichen Gottesdienst gestalten zwei Chöre. So ist es wohl: wo mehr als zwei Letten zusammen sind, singen sie. Diese Freude am Singen und Musizieren belebt auch das kirchliche Leben. Steffen Schlonski spricht ein Grußwort der Wennigser und Brigitte Gödeke überreicht der Gemeindeleitung einen Blumenstrauß.
Ein reichhaltiges Buffet mit landestypischen Leckereien haben die Frauen der Gemeinde aufgebaut. Es hilft dabei, miteinander ins Gespräch zu kommen.
Unbedingt möchte uns Einars Alpe den Gauja-Nationalpark zeigen. Herbstliche Färbung an den Bäumen, weite Hügel und Wälder – ein Paradies für Urlauber und Touristen ist die „livländische Schweiz“. Und unterhalb der Felswand schlängelt sich die Gauja durch die landschaftlichen Schönheiten. Uns bleiben sie im Nebel, Nieselregen und Wolkendichte ein wenig verborgen.
Inmitten des Nationalparks liegt Cesis, wo der Schwertbrüderorden ab 1209 eine Steinburg errichtete. Von hier aus unternahmen die Ordensritter ihre Kreuzzüge gegen die einheimische Urbevölkerung der Liven, Letten, Esten und Litauer, die sich lange gegen die christlichen Eroberer wehrten. Die Burg von Cesis (dt. Wenden) war die zweite des Ordens außerhalb Rigas und stellte vom 13. bis zum 16. Jahrhundert eine der größten Festungen auf dem Gebiet des Livländischen Ordens dar. Sie war zeitweise Residenz des Ordensmeisters und Sitz des Ordenskapitels. Heute ist Cesis ein beliebtes Ausflugsziel für einheimische wie ausländische Touristen – nicht nur wegen der mächtigen Burgruine, sondern auch wegen seiner malerischen Stadtanlage mit viel Holzarchitektur.
Im Gauja-Nationalpark steht in Krimulda die älteste Kirche in Lettland. Von überall her kommen Besucher zu den sonntäglichen Gottesdiensten. Im Anschluß lädt Pastor Ravins in seinem Pilgercafé zu Kuchen, Tee, Kakao und Kaffee ein. In seiner Kirche treffen wir uns zu einer Andacht, in der wir mit dem Reisesegen versehen unsere Fahrt beenden.
Bürgerreporter:in:Dirk Steffens aus Wennigsen |
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