Zeitzeugen Berichten

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In doppelter Hinsicht systemkritisch
In dem Beitrag "Mehr als Kristall" in der F.A.Z. vom 9. November schreibt Robert B. Goldmann, die Bezeichnung "Kristallnacht" verharmlose den Terror des 9. November 1938. Man liest immer wieder, die Bezeichnung "Reichskristallnacht" sei ein Zynismus der damaligen Zeit. Dazu möchte ich bemerken, dass die Bezeichnung damals nur hinter vorgehaltener Hand geflüstert wurde, denn sie war doppelt systemkritisch: Zum einen glossierte sie die zum Überdruss praktizierte Übung der Machthaber, vor alles das Wort "Reich" zu setzen. Zum anderen lag in der Bezeichnung auch, dass es sich bei der Zerschlagung der Schaufenster und der Inbrandsetzung jüdischer Geschäfte nicht um eine spontane Äußerung des Volkszorns handelte, wie es die Goebbels-Propaganda behauptete, sondern um eine von "oben" im gesamten Reich organisierte Aktion. Darin lag die politische Gefährlichkeit der Bezeichnung, deren unvorsichtige Verwendung mit Sicherheit zur Verfolgung nach dem Heimtückegesetz oder zum Eingreifen der Gestapo geführt hätte.

Ich war damals zwölf Jahre alt, wohnte in Fallingbostel und besuchte die Oberschule in Walsrode. Dort gab es das jüdische Textilgeschäft Seckel. Als ich nach der Pogromnacht auf dem Wege vom Zuge zur Schule an dem Geschäft vorbeikam, war das Gebäude eine schwelende Ruine, auf der Straße lagen angesengte Stoffballen. Die Feuerwehr war noch zugegen, Schläuche ausgelegt. Der Platz war durch Männer in SA-Uniform gesichert, die eine Handvoll Leute, die alle ernst dastanden, auf Distanz hielten.

Und noch eine Erinnerung: Die Aktion gegen Juden wurde von der Propaganda als Vergeltung für die Ermordung des Pariser Attachés vom Rath dargestellt. Dazu bemerkte einer unserer Lehrer: Was könnte ich eigentlich dafür, wenn hier in Walsrode jemand einen Mord verübt hätte? Das war schon sehr gewagt. Aber die kollektive Inhaftungnahme ist seither leider nicht aus der Mode gekommen.
21.11.2007
GERHARD HABENICHT, OLDENBURG
Aus Frankfurter Allgemeine Zeitung / Sonntagszeitung mit freundlicher Genehmigung des Autors.

Bürgerreporter:in:

Horst Kröger aus Walsrode

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