Mein Haus

Guten Tag, mein Name ist Tottemham, Toralf Tottemham. Ich möchte Ihnen die Geschichte erzählen, wie ich, ein einfacher kleiner Mann von 35 Jahren, von einem Stadtmenschen, in einer kleinen Mietwohnung lebend, zu einem Bewohner eines großen Hauses mit parkähnlichem Garten mutierte.
Alles fing damit an, daß meine Frau eines Tages mit dem verfänglichen Satz ankam,: " Du, ich glaube, unsere Wohnung ist zu klein. Es muß ein Haus her, mit großem Garten, in dem die Kinder spielen können. Der Hund braucht schließlich ja auch Auslauf." Dies war heute vor etwa drei Jahren. Wir haben zwar auch heute noch keine Kinder, und auch ein Vierbeiner zählt nicht zu unserem Inventar, aber dies soll den Erzählfluß in keiner Weise hemmen, oder Sie in irgendeiner Art beeinflussen.
In der ersten Zeit nach diesem Wortschwall, glaubte ich doch tatsächlich noch daran, daß dieses ein einmaliger verbaler Ausrutscher bleibt. Aber ich sollte mich schwer irren. Der erste Samstag, der folgte war ein heiterer Sonnentag. Alle Welt war auf den Beinen. Meine Frau nahm die Haltung ein, die in den nächsten Wochen ihr eigen wurde. Fragte man bei Robert Lehmke immer nach einer typischen Handbewegung, so fiel es mir mittlerweile leichter, meine Frau über eine bestimmte Sitzhaltung zu definieren. Wie ein Broker, der die Aktienkurse verfolgt, wurden nunmehr alle auf dem Markt befindlichen Immobilienzeitschriften gekauft und gewissermaßen verschlungen. Meine Eddings waren bis auf einige wenige, aufgebraucht, und in unserem Wohnzimmer sah es aus, wie im Bastelzimmer eines, von geschiedenen Elternteilen geplagtes Einzelkindes mit latenter Zerstörungswut.
Das dies alles nur den Anfang bildete, können Sie sich sicher denken. Es ging in der zweiten Phase darum, bei der Häusersuche, die Wirtschaft zu kräftigen, indem wir mit unserem Auto immer wieder in Gegenden vorstießen, die noch nie zuvor ein Mensch gesehen hatte.
Alles hatte zwei Vorteile. Erstens kamen wir mal wieder unter Menschen(wenn auch nur zur Besichtigung durch die Frontscheibe), zweitens habe ich erfahren, wieviele überteuerte Wohnklötze man auf geringer Fläche unterbringen kann. Ich gebe zu, dies hätte ich nicht für möglich gehalten.
Witzig ist allerdings auch noch, welche horrenden Preise man immer noch als Schnäppchen bezeichnen kann, wo man schon einige Schilder künstlich verbreitern mußte, um auch wirklich alle Zahlen mit auf Schild zu bekommen. Nun ja, wenn ein Haus auch nur eine halbe Million kostet, kann man schon mal zuschlagen, ehe ein anderer kommt. Bei solchen Preisen kann man auch ruhig mal an seine Verwandten denken, und für sie auch gleich eins mitnehmen.
Die nächste Runde im Häuser-Monopoly bescherte uns Besuche von netten, mal mehr mal weniger gut durchgestylten, Vertretertypen, die alle nur unser bestes, vor allem aber unsere Telefonnummer haben wollten. Alle Verständnisvoll, und meist mäßig bemüht, witzig zu klingen. Ein Theaterbesuch wäre in den meisten Fällen zwar billiger gekommen, aber dafür auch kulturell niveauvoller. Man machte Scherze, erzählte kleine Anekdötchen, hatte meist schon bald den nächsten Termin, aber blieb sitzen, wie angeklebt. Mir taten nur die Terminhabenden leid, so es solche gegeben hätte. Nach all den ganzen Besuchen war unsere Wohnung nunmehr in dem Zustand, daß sich Totalrenovierung oder Umzug finanziell die Waage hielten. Man konnte dies ohne Übertreibung als Finanztechnisches Disaster bezeichnen.
Wir schauten Kataloge an. Rechneten uns durch Musterhäuser. Füllten die Papiertonne mit bunten Prospekten, der, nicht in Frage kommenden Behausungen. Die Gefahr, daß wir bald eine eigene Abholfirma beauftragen mußten, rückte, im Gegensatz zu unserem Haus, in immer greifbarere Nähe.
Ein Haus war zu klein. (wegen der Kinder), ein Haus war zu groß (wegen des Saubermachens), ein Haus war zu dicht in Berlin (wegen der Hektik), ein anderes war zu weit weg (wegen des Arbeitsweges), ein weiteres stand im Wohnpark und das nächste stand zu einsam. Aber alle hatten eines gemeinsam. Sie waren alle zu teuer.
Meine Gefühle schwankten zwischen "Nun ja, ein Haus wäre schön!" über "Es ist viel zu teuer!" bis hin zu "Jetzt nehmen wir endlich eines, mal sehen, was passiert". Ich wäre mitlerweile auch in ein überdachtes und ausgebautes Hauszelt gezogen, nur um den Zeitungsstapeln und Musterhausbesichtigungen zu entfliehen.
Das die Musterhäuser lediglich dem Dummenfang dienen, und mit dem eigendlichen Verkaufsobjekt wenig zu tun haben, begriff ich spätestens nach dem dritten, schön ausgestatteten, Gebäude, wo uns erzählt wurde, daß im Prinzip außer den Wänden und das Dach alles selber ausgesucht und eingebaut werden kann. Wer läßt sich auch schon gern bevormunden.
Das alles ließe sich noch endlos in die Länge ziehen. Wenn ich Kilometergeld für alle "Sightseeing Tours" bekommen hätte, wäre ich möglicherweise in der Lage gewesen, ohne Kreditantrag zu bauen, so hat es etwas länger gebraucht, bis alles zum Guten stand.
Meine Frau wohnt noch immer in unserer Wohnung. Ohne Kind und ohne Hund. Ich lebe jetzt seit fast 2 Jahren hier. Ein großes Haus im grünen.Manchmal kommt sie mich besuchen. Ich habe es hier sehr schön. Alles wird für mich gemacht. Ich brauche mich nicht einmal um den Rasen kümmern. Das macht ein Gärtner. Genau wie die Blumenpflege. Ich liebe Rosen, und davon gibt es reichlich. Im Sommer sitze ich am Fenster und höre den Vögeln zu. Dann ruft die Köchin und ich gehe zum Abendessen.
Es ist schön hier. Aber das allerschönste ist, daß ich keine Miete zahlen muß. Dies tu'n andere für mich.
Ich habe jetzt ein gutes Leben. Nur manchmal ist es ein wenig stressig. Da stören mich die Gitter am Fenster und der Pfleger, der mich immer mit den vielen Spritzen zur Ruhe bringt.

aus meinem Buch "Suizid für Anfänger" 2006 ISBN-13: 978-3865823168

Bürgerreporter:in:

torsten gostschegk aus Uetze

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