Andalusien – Oliven, Mountainbikes und Yuri

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Wie er so vor uns stand – ein echter Hingucker. Meinten jedenfalls die Damen unseres Kalifat-Teams. Yuri trug die Fahrradkluft wie ein Ritter die Rüstung. Sein Streitross lehnte lässig an seiner Hüfte. Ein Mountainbike amerikanischer Bauart, Alu, Scheibenbremsen und stoßgedämpft. Solche Räder bekommt ihr auch, sagte er in fehlerlosem Deutsch. Kein Wunder, seine Mutter ist Deutsche. Sie hat ihre sechs Kinder in Spanien mit einer Sondererlaubnis selbst unterrichtet.

Yuri ist ausgebildeter „Técnico en Conducción de Actividades Físico-Deportivas en el Medio Natural“. Kurz und Deutsch: Sporttechniker, Berg- und Radführer, ist er. Hierzulande darf man sich nach einem Wochenkurs Wanderführer nennen. Yuri’s Ausbildung dauerte zwei Jahre. Doch das ist nur eines seiner Standbeine. Er ist auch Ökobauer und bewirtschaftet einen zwanzig Hektar Hof, auf dem er Avocados, Mangos und Orangen anbaut. Während der Reifezeit der Früchte müssen die Bäume bewässert werden, aber dafür kann auch mal sein Bruder einspringen. So hat Yuri die Möglichkeit, für Baetica-Reisen, ein deutsches auf Rad- und Wanderreisen spezialisiertes Unternehmen, unser aus fünfzehn Damen und Herren bestehendes Team zu betreuen.

Das Ziel war schon vor der Anreise gesteckt. Das Kalifat zwischen Córdoba und Granada, dem geschichtsträchtigen Teil Andalusiens. Das Kalifat von Córdoba war ein islamischer Staat auf dem Gebiet der Iberischen Halbinsel und existierte von 929 bis 1031. Wir sollten auf aufgelassenen Bahntrassen, die zum Radweg umgebaut sind und verkehrsarmen Straßen kreuz und quer durch das Kalifat radeln, über Stock und Stein, über Höhen und durch Täler. Unser Treffpunkt: Fuengirola, ein Badeort, nur einen Mützenwurf von Afrika entfernt. Großes Hallo, als ich Ulla, Peter und Paul treffe. Wir vier sind schon vor drei Jahren den Jakobsweg von Leon nach Santiago de Compostela gemeinsam gefahren.

Von Fuengirola fahren wir mit dem Teambus hinauf nach Montilla, dem Ausgangspunkt unserer ersten Etappe. Während Yuri sich um die Mountainbikes kümmerte, besichtigten wir die Bodega ALVEAR. Hinter weißgekalkten Mauern erstreckten sich lang gezogene Gebäude. Es sind Stapelhäuser für hölzerne Weinfässer, den sogenannten Barrils oder Botas, die jedes rund sechshundert Liter fassen. Sie sind in vier Etagen übereinander gestapelt und werden im Zuge des Reifeprozesses quasi von oben nach unten umgefüllt und schließlich gelangt der Wein in unterirdische Tanks, bereit zur Abfüllung.

Man kommt aus dem Staunen nicht heraus. In einer Halle stehen hochaufgerichtet Edelstahltanks. 10.000 @ Fassungsvermögen haben sie. Jetzt fragt sich der geneigte Leser, was bedeutet das @ bei der Mengenangabe. Das @, spanisch arroba, ist die Maßeinheit für 16,133 Liter Wein. Diese Mengeneinheit haben die Spanier aus dem arabischen übernommen. So fasst ein Edelstahltank also rund 160.000 Liter Vino. Der Wein dieser Bodega wird auf 8.000 Hektar Land angebaut. 6.000 Hektar werden von Hand geerntet; 2.000 Hektar maschinell. Jedes Jahr verlassen sieben bis zehn Millionen Flaschen Rot- und Weißwein die Kellerei sowie rund eine Million Flaschen Vermouth. Brandies, Essig und Liköre vervollständigen das Programm der Bodega.

Endlich sitzen wir auf unseren Drahtrössern. Wir fahren durch das Weinbaugebiet Montilla-Moriles. Abseits der großen Straßen halte ich Zwiesprache mit Olivenbäumen, die schon deutlich mehr als hundert Jahre auf dem "Buckel" haben. Immer häufiger halte ich an, um Fotos zu machen und immer wieder stelle ich mir die Frage, was diese Bäume mir erzählen könnten. Doch die knorrigen Stämme schweigen und überlassen es meiner Fantasie, die Geschichte der Bäume zu denken.

Olivenhaine werden im Wechsel von Weinbergen abgelöst. Und obwohl die eine oder andere kräftezehrende Steigung kurzzeitig die Sicht versperrt, ist der Blick zum Horizont zumeist frei. Immer wieder stoßen wir auf Ruinen von verlassenen Bauernhöfen. Sie sind Zeitzeugen kleinbäuerlicher Landwirtschaft, die einer industriellen Agrarwirtschaft weichen musste. Nach gut vierzig Kilometern haben wir unser Tagessoll erfüllt. In Lucena erwartet uns ein Hotel, das einstmals ein Kloster war.

Von Lucena führt die nächste Etappe durch den Naturpark Sierra Subbetica nach Córdoba. Doch neben der schroffen Natur dehnen sich Monokulturen an Olivenbäumen. Bis zum Horizont leuchten blank geschabte Hügel mit grünen Tupfern von jungen Olivenbäumen. Die erntefreundlichen Jungoliven, unter denen kein Kraut mehr wächst, haben nichts mehr gemein mit der knorrigen Anmut alter Olivenbäume.

Yuri, der Biobauer, erzählt, dass in den Hügellandschaften früher Steineichen wuchsen, deren Eicheln natürliche Nahrung der schwarzen iberischen Schweine war. Dass die agroindustrielle Revolution auch vor Spanien nicht Halt gemacht hat, ist unübersehbar. Welche Wunden solcher Wandel in Kulturlandschaften schlägt, ist nicht zuletzt auch bei uns zu beobachten. Heute ist das andalusische Olivenöl wichtiges Standbein des spanischen Exports.

Wir fahren an ehemaligen Kalifenorten vorbei. Auf einer aufgelassenen Eisenbahntrasse, die zum Radweg umgebaut ist, fahren wir zwar verkehrsfrei, aber der Antritt auf dem nicht asphaltierten Untergrund hat es in sich. Kilometer um Kilometer treten wir uns schweißtreibend vorwärts. Wir passieren historische Wachtürme und holperige Eisenbahnbrücken, die Schluchten überspannen. Schließlich verlassen wir die „Via Verde“, um in Baena eine Bio-Olivenmühle zu besichtigen. Über eine halbe Million Tonnen Olivenöl werden jedes Jahr in Andalusien produziert. Dass diese Mengen nicht mehr nach überlieferten Methoden produziert werden können, darf nicht verwundern. Doch es gibt noch Familienunternehmen wie Nunez de Prado in Beana, die mit historischem Equipment arbeiten. Das native Olivenöl Extra „Flor de Acite“ (Blume des Öls) von Nunez de Prado gilt als das beste Olivenöl der Welt.

Trotz aller Wehmut, die bei der Fahrt durch die flurbereinigte Welt des Olivenanbaus aufkam, ist das eigentliche Erlebnis aber nicht zu kurz gekommen. Die kühne Behauptung, alles Glück dieser Erde liege auf dem Rücken der Pferde, greift nämlich zu kurz. Man kann auch in anderen Sätteln eine gute Figur machen und sein Glück finden, etwa im Sattel eines Mountainbikes. Und so genieße ich die Fahrt bei Temperaturen, wie sie bei uns nur im Hochsommer gemessen werden, lasse Oliven Oliven sein und freue mich über ein gelegentlich über den Weg hoppelndes Kaninchen oder über ein Rebhuhn im Schatten eines Olivenbaums und auf Córdoba.

Die Moschee-Kathedrale von Córdoba, die Mezquita, ist eine der wichtigsten Sehenswürdigkeiten Andalusiens. Viele Geschichten ranken sich um dieses großartige Bauwerk arabischer Architektur. 856 Säulen aus Marmor und Granit geben der Moschee-Kathedrale ihren unverwechselbaren Charakter. Unsere Führerin erzählt, dass immer mehr Moslems nach Córdoba kommen, um „ihre“ Moschee zu besichtigen, in deren Kern eine Kathedrale hineingepflanzt worden ist. Wäre es vor diesem Hintergrund abwegig zu fragen, warum dieser Ort noch nicht Begegnungsstätte aller Glaubensrichtungen geworden ist?

Und weiter geht’s auf der Via Verde, vorbei an aufgelassenen Bahnhöfen, Wachtürmen, Burgen und Schlössern. Die Fahrt ist körperlich anspruchsvoll und doch – im Durchschnitt sind die Biker, Frauen wie Männer Mitte sechzig. Keiner gibt auf. Jeder prüft sich selbst. Jeder bestimmt sein Tempo. Keiner ist einem Gruppenzwang unterlegen. Wer anhalten will, um zu schauen und zu hören, hält an. Und keiner geht verloren. Dafür ist gesorgt. Denn Yuri ist allgegenwärtig. Schließlich greifen wir die Königsetappe der Reise an. Im Schatten der maurischen Festung „Castillo de Moclin“ checken wir unsere Räder für den finalen Ritt nach Granada. Granada und Alhambra werden immer in einem Atemzug genannt. Die Alhambra setzt den malerischen Schlusspunkt unserer einwöchigen Reise durch das Kalifat.

Granada, die Alhambra, das arabische oder jüdische Viertel beschreiben zu wollen, hieße, ein Buch zu schreiben. Aber dafür gibt es Reiseführer. Für die Zivilisation entdeckt wurde die Alhambra von dem amerikanischen Schriftsteller Washington Irving, der Anfang bis Mitte des neunzehnten Jahrhunderts Spanien und Granada bereiste und zeitweise dort lebte. Die Faszination der Alhambra, das fremdartige, gleichwohl fesselnde Ambiente nahm den Amerikaner gefangen und inspirierte ihn, die „Erzählungen der Alhambra“ niederzuschreiben. Sie fanden weltweite Beachtung, die bis heute ungebrochen blieb. Für jeden Besucher ist nicht zuletzt der Löwenbrunnen inmitten der Alhambra prägender Eindruck einer längst vergangenen Epoche die durch Irvings Erzählungen lebendig gehalten wird.

Bürgerreporter:in:

Friedrich Schröder aus Springe

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