Wie Terra Australis (incognita) Australien wurde – Pioniere, Heimweh, Folgen

... Dünenstimmung im Roten Zentrum ...
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Wer an Australien denkt, denkt oft zu allererst an Sydney und Melbourne, dann an den Ayers Rock, an fünfundzwanzig Stunden Flug, Fosters Beer, Bondey Beach, Surfen oder auch an die Olympiade 2000. Dass man dort wunderschöne Opale aus der Erde kratzt und Gold. An Didgeridoos und Aborigines-Folklore und an kilometerlange Sandstrände. Das sind Ziele, für die sich der weite Weg schon lohnt.

Ich will keinen Hehl daraus machen, dass ich ein besonderes Interesse an Australiens Geschichte habe. Seit 1996 bin ich fünfmal dort gewesen. Und heute möchte ich alle myheimat-Leser einladen, mit mir Down Under aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Denn: Der fünfte Kontinent ist einerseits auf geheimnisvolle Weise schön und offen, andererseits verschlossen, schroff bis abweisend und giftig und birgt so viele kuriose Begebenheiten, die wegen ihrer Originalität nur englischen Ursprungs sein können.

Auf verklärende ah’s und oh’s von Reisebeschreibungen über Australien möchte ich verzichten. Australien ist deutlich mehr. Mit einer Fläche von rund acht Millionen Quadratkilometern ist Australien nahezu so groß wie Europa. 22 Millionen Menschen bevölkern den fünften Kontinent. In Europa drängeln sich 500 Millionen auf der gleichen Fläche. Siebzig Prozent der australischen Einwohner leben in den zehn größten Städten; davon rund fünf Millionen allein in Sydney.

Wie kamen nun die Engländer dazu, sich diesen Kontinent unter den Nagel zu reißen? 1606 landeten Holländer auf der Halbinsel Cape York im Nordosten, also nördlich des Great Barrier Reefs. Die Holländer hatten jedoch kein Interesse an ihrer Entdeckung – das unbekannte Land schien ihnen nicht ganz geheuer. James Cook war weniger zimperlich: 1770 hisste er den Union Jack an Botany Bay – die britische Krone hatte eine neue Kolonie. Niemand meldete wie im Fall Falkland Besitzansprüche an. Für die Engländer war das ein Glücksfall, denn zuhause drohten die Gefängnisse aus den Nähten zu platzen und es bot sich an, Sträflinge nach Australien zu deportieren.

1788 wurden die ersten Sträflinge in Sydney Cove angelandet. In den darauf folgenden achtzig Jahren umrundeten 800 Schiffe das Kap der guten Hoffnung. Sie legten zusammen rund 21 Millionen Seemeilen zwischen England und Australien zurück, um 120.000 Strafgefangene nach Down Under zu „entsorgen“.

Mit den Strafgefangenen und ihren Bewachern kamen auch Pioniere ins Land. Expeditionscorps wurden organisiert und erforschten unter unsäglichen Mühen den unwirtlichen Kontinent. Die Urbarmachung begann – Meter für Meter rodeten die Strafgefangenen die Eukalyptuswälder in den fruchtbaren Küstenregionen und bereiteten es für Besiedelung und Nutzung vor. Zu dieser Zeit lebten Angaben von Geschichtsforschern zufolge noch rund 300.000 Ureinwohner in Australien.

Dass die Population der Aborigines bis 1920 auf rund 60.000 sank, verwundert nicht weiter. Ihnen ereilte das gleiche Schicksal wie zuvor ihren indianischen Brüdern und Schwestern in Nordamerika. Das gewaltsam geschrumpfte Volk der Aborigines sollte nach dem Willen der Weißen geformt werden. Den Eltern wurden die Kinder weggenommen. Kirche und weiße Familien lehrten sie Gottesfürchtigkeit, die englische Sprache, das Gehorchen und das Arbeiten in Haushalten und auf Feldern.

Nicht zuletzt beteiligten sich auch deutsche Missionare aus Hermannsburg in der Lüneburger Heide an der Christianisierung der Aboriginals. Hermannsburg, so heißt der Ort heute noch, war die erste Aborigines-Missionsstation im Northern Territory und wurde von den Hermannsburger Lutheranern 1877 im Roten Zentrum nahe Alice Springs aufgebaut.

Heute gibt es wieder etwa 460.000 Aborigines. Sie leben ganz überwiegend in angestammten Gebieten, vor allem im Northern Territory. Im Süden des Northern Territory, dicht an der Grenze zu Südaustralien, liegt das spirituelle Zentrum der Aboriginals, der Ayers Rock oder Uluru, wie er in der Sprache der Ureinwohner heißt. Der Ayers Rock mit seinen vielen Höhlen ist kein Monolith, wie oft gesagt wird, sondern er steht in geologischer Verbindung mit den dreißig Kilometer entfernten Olgas, den Katja Tjuta.

1938 kamen die ersten Touristen zum Ayers Rock und nahmen ungeachtet seiner spirituellen Bedeutung für die Aborigines Besitz von ihm. Auch 1996, als ich das erste Mal am Ayers Rock war, konnte ich ungehindert Höhlen betreten, die heilige Stätten waren. Das ist heute anders. Der Uluru gehört den Aborigines, Touristen sind Gäste, die den Berg noch besteigen dürfen. Es gibt einen Rundwanderweg, den es lohnt, zu gehen. Die heiligen Stätten am und im Berg sind dagegen tabu. Sie dürfen weder fotografiert noch betreten werden.

Über Songlines erreichen die Aborigines auch heute noch die heiligen Orte. Die Songlines sind für die Aboriginals wie eine unsichtbare mythische Landkarte Australiens, die per Gesang von Generation zu Generation weitergetragen wird und die Grundlage der Wanderungen, den sogenannten Walkabouts der australischen Urbevölkerung sind.

Mit dem Aboriginals Land Right Act haben die Aborigines seit den 70er Jahren Wiedergutmachung erfahren. Alte Grund- und Besitzrechte wurden anerkannt. So sind sie beispielsweise an den Erträgen aus dem Abbau von Bodenschätzen – beispielsweise Uran, Kohle, Eisen, Gold, Diamanten – nicht unwesentlich beteiligt.

Aber gelang den Nachkommen der Ureinwohner der Sprung in die weiße Welt. Viele näherten sich zwar der Lebensweise der Weißen an, die Mehrzahl zog es aber vor, in Gruppen unter sich zu bleiben. Ohne feste Quartiere lagern sie in der freien Natur im Schatten von Eukalyptusbäumen und ernähren sich von der Natur, von Toastbrot, Ketchup, Mars und …. Alkohol.

2000 flammte so etwas wie Hoffnung auf, als Cathy Freeman in Sydney olympisches Gold im 400-Meter-Lauf der Frauen gewann. Für kurze Zeit war sie Vorbild für jugendliche Aboriginals. Ändern tat sich jedoch nichts. Wer nach Australien reist, sollte aber nicht voreilig urteilen oder verurteilen. Einem Naturvolk die Integrität zu nehmen, es populär ausgedrückt, zu domestizieren und zu christianisieren, hat zu keiner Zeit funktioniert, wie die Erfahrung immer wieder gezeigt hat, siehe Nordamerika.

Doch wie hat sich Australien von der Strafgefangenenkolonie weiter entwickelt? Den Engländern war bald klar, dass sie ein so riesiges Land wie Australien nicht alleine managen konnten. Sie öffneten sich für „nützliche“ Einwanderer. So kamen 1838 auch Deutsche, die sich vor allem in Südaustralien und Queensland ansiedelten. Wer das Barossa Valley erkundet, kommt an dem 1839 gegründeten Hahndorf nicht vorbei. Die Schlachter dort produzieren immer noch „Leberwurst und Leberkäs“ nach alten deutschen Rezepten.

Nach dem 2. Weltkrieg gab es die letzte große Immigrationswelle aus Deutschland. Auch Verwandte von mir wurden mitgeschwemmt. Nach dem heutigen Wissensstand haben rund 500.000 Australier deutsche Vorfahren.

Australien ist ein bissiger und giftiger Kontinent. Es gibt rund 140, zum Teil giftige Schlangenarten; 1.500 Spinnenarten, von denen 30 sehr giftig sind. Hungrige Süß- und Salzwasserkrokodile mahnen zur Vorsicht. Wer also Australien erkunden will, sollte seine Schularbeiten unbedingt gemacht haben. Mein Rat: Augen auf und Respekt vor allem, was kreucht und fleucht und hüpft.

Mit der Besiedelung Australiens traten Mängel zutage, die die Engländer auf ihre ganz eigene Weise behoben. Die Jagdleidenschaft steckte ihnen im Blut. Was fehlte, war ihnen bekanntes Jagdwild. Also wurden Kaninchen importiert. Nahrung fanden diese in den kultivierten Anpflanzungen der Weißen. Außer den Jägern hatten die Karnickel keine natürlichen Feinde. Sie vermehrten sich quasi ungebremst und wurden so zur zerstörerischen Plage. Also wurden in den Bäuchen der Shuttleschiffe nicht nur Strafgefangene oder Versorgungsgüter transportiert, sondern auch Füchse. Aber Reinecke Fuchs erfüllte nicht die in ihn gesetzten Erwartungen. Stattdessen stellte er sich rasch auf die australische Fauna ein. Er jagte lieber australische Kleinsäuger. Die waren leichter zu fangen. Die kleinen Beuteltiere waren bald weg, die Kaninchen blieben. Die Australier schwangen die chemische Keule Myxomatose; der Bestand wurde zwar reduziert – das Problem blieb.

So löste ein importiertes Problem das nächste ab. Queensland im Osten Australiens eignete sich besonders für den Zuckerrohranbau. Mit den importierten Zuckerrohrpflanzen kam der Schädling Zuckerrohrkäfer ins Land. Auch der hatte in Australien keine natürlichen Feinde. Und Spritzmittel gab es noch nicht. Also musste ein natürlicher Feind der Zuckerrohrkäfer importiert werden in Gestalt der in Südamerika und Mittelamerika heimischen Agakröte, auch Cane Toad genannt. Pflichtgemäß ernährten diese sich von den Schädlingen, hatten aber bald raus, dass die australischen Amphibien, Reptilien, Insekten und Nagetiere leichtere und sättigendere Beute waren als die kleinen Käfer. Wer in Broome einkehrt und ein Glas Wein bestellt, kann unter anderem auch Toad-Killer bestellen.

Die Aga-Kröte legt zwischen 5.000 und 30.000 Eier ab. Sowohl die Eier als auch die Kaulquappen sind sehr giftig, was sicher auch ein Grund für ihre starke Verbreitung sein dürfte, denn wer will die schon fressen. Die Menschen lernten das Fürchten angesichts dieses gigantischen Vielfraßes, dessen Gift auch Menschen schaden kann. Heute werden die Cane Toads in elektrischen Fallen, die mit Solarstrom betrieben werden, gefangen und getötet. Aber es gibt noch subtilere Methoden, diese Riesenkröten im Bestand zu reduzieren. Welche, das möge jeder Australienreisende selbst herausfinden.

Unterdessen hatte die Kaninchenpopulation Überhand genommen. Insbesondere in Queensland mümmelten sie alles weg, was in den von Siedlern angelegten Feldern grün war. Die Antwort: 1880 bauten Farmer quer durch Queensland einen gewaltigen Maschendrahtzaun, um die importierten Kaninchen fernzuhalten. Knapp 40 Jahre später, um 1920, wurden die australischen Wildhunde, auch Dingos, für die australischen Schafzüchter zum Problem. Mit den Schafen hatten die Dingos einen gedeckten Tisch. Sie verloren das Interesse daran, buchstäblich mit heraushängender Zunge australische Kleinsäuger zu jagen. Sie rissen vorzugsweise Schafe und Lämmer, die ihnen nicht entkommen konnten.

Dieser Nahrungsüberfluss förderte die Fruchtbarkeit und Überlebensfähigkeit der Welpen. Die Dingo-Population nahm rasch zu. Zeit und Personal, Dingos zu jagen, war knapp. Zum Schutz ihrer Herden, bauten die Schäfer in nur fünf Jahren den ursprünglichen Kaninchenzaun in einen hohen Dingozaun um.

Dieser Zaun erstreckte sich zu seiner Prachtzeit über eine Strecke von 8.500 Kilometer zwischen den Nullabor Plains im Süden bis hin an die Pazifikküste Queenslands. Damit war der Dingozaun in seiner ursprünglichen Länge nur etwas kürzer als die chinesische Mauer mit 8.851 Kilometern.

Aber damit ist die Kette der Erblasten noch nicht geschlossen. Mit verkannt hoher Geschwindigkeit kam auch eine Kamelplage auf die Australier zu. Die ersten Tiere wurden von Engländern in den 1840er Jahren als Lastentiere zur Erkundung des Landes nach Australien gebracht. Pferde waren für die trockenen und heißen Zonen Australiens ungeeignet und Kamele standen wegen ihrer Anpassungsfähigkeit an extreme Lebensräume hoch im Kurs.

Erst als Eisenbahn und Lastkraftwagen in den 1920er Jahren zur Verfügung standen, verlor sich das Interesse an den Kamelen, die einen Klaps auf die Hinterläufe bekamen und in die Freiheit entlassen wurden. Mangels natürlicher Feinde konnten auch sie sich ungestört vermehren. Die angewachsene Population verkörpert mittlerweile eine Bedrohung der Tierwelt und der Landschaften Australiens und wird als Plage angesehen. Ihr Bestand wird auf rund eine Million geschätzt. Es steht im Gerede, dass rund 350.000 davon abgeschossen werden sollen. Allerdings ist man sich noch nicht über das wie und wann und die Verwertung einig.

Trotz all dieser Anfangsfehler mit ihren weitreichenden Folgen ist und bleibt Australien ein Land mit höchstem touristischen Wert. Es ist einerseits mit seiner überbordenden Lebhaftigkeit in den großen Zentren und andererseits in seiner Kargheit, die anmutet wie eine leere Bettlerfaust, ein mögliches Ziel für jeden, der nicht das Herkömmliche, sondern das Außergewöhnliche sucht. Wer sich sorgfältig auf Abenteuer in Australien vorbereitet, hat in der Regel gute Karten, trifft auf freundliche und offene Menschen. Insbesondere auf den Campingplätzen ist der Kontakt zu Einheimischen Campern schnell geschlossen. Man macht dabei die Erfahrung, dass es überwiegend ältere Menschen sind, die nach einem langen Arbeitsleben endlich „Ihr“ Land erkunden wollen.

Schließlich: Heute kursiert in Australien ein ernst gemeintes „Was bin ich, wo komme ich her“. Junge Australier betreiben Ahnenforschung und versuchen zu ergründen, ob ein Vorfahre Strafgefangener war. Wer das nachweisen kann, ist fein raus. Er darf sich zur Klasse des unadeligen Adels Australiens zählen.

Da uns Kaninchen, Füchse, Kröten, Schafe oder Kamele hinreichend bekannt sein dürften, habe ich zur Illustration einen Querschnitt an Fotos ausgewählt, die abseits von urbaner Betriebsamkeit entstanden sind.

Bürgerreporter:in:

Friedrich Schröder aus Springe

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