Jürgen Wullenweber, Lübecker Hanseat und Gefangener auf der Burg Steinbrück
Es geschah am 24. September 1537 auf der herzoglichen Richtstätte im Lechlumer Holz bei Wolfenbüttel. Ein Mann kniete gesenkten Hauptes nieder, als ihm der Henker den Kopf abschlug. Das Blut schoss aus dem Hals heraus, der Kopf fiel zu Boden und der Körper sackte in sich zusammen. Jürgen Wullenweber war tot.
Diese und noch ein paar andere Informationen, z. B. dass Wullenweber Bürgermeister aus Lübeck war, ein Reformator gewesen sein soll und im Kerker der Burg Steinbrück gefangen gehalten wurde, erfährt man recht häufig.
Aber die Ereignisse um Jürgen Wullenweber sind viel komplexer und nach meiner Meinung verwirrend, insbesondere dann, wenn es um Lübecks Beziehungen zu Dänemark, Norwegen Schweden, die Niederlande, England und den Kaiser geht.
Es gibt interessante Fragen zu beantworten, als da sind: Warum verlor Wullenweber sein Bürgermeisteramt? Welche Rolle spielte die Religion? Warum nahm ihn der Erzbischof von Bremen gefangen? Was hatte er mit Herzog Heinrich von Braunschweig-Wolfenbüttel zu schaffen? Wieso wurde er in Steinbrück eingekerkert? War er ein Politiker, Reformator, Kriegstreiber, Demagoge, Agitator? War er machtbesessen, überheblich, leichtfertig? Kurzum: Was war er für ein Mensch?
Diese Fragen sollen nachfolgend im Rahmen einer kurzen geschichtlichen Darstellung beantwortet werden.
Herkunft
Der Vater Wullenweber, auch Wullenwever genannt, war Wandschneider und stammte aus einer Kaufmannsfamilie in Perleberg. Er ließ sich in Hamburg nieder und gelangte dort zu Wohlstand.
Die Mutter war die Tochter eines Münzmeisters und Wandschneiders. Jürgen war ihr zweiter Sohn. Sie starb bei seiner Geburt im Jahre 1488.
Aus nicht überlieferten Gründen ließ Jürgen sich in Lübeck als Kaufmann nieder. Dort heiratete er die aus einer Patrizierfamilie stammende Lübecker Kaufmannswitwe Elisabeth Peyne. Sie wohnten in der Königstraße 75, im Hause des Schwagers bzw. Bruders.
In einer Urkunde aus dem Jahre 1525 wird Wullenweber als Vollbürger bezeichnet, muss somit zu die-sem Zeitpunkt selbst ein Grundstück besessen haben.
Er gehörte der Nowgorodfahrer-Gesellschaft an und war Mitglied in der Antonius-Bruderschaft.
Trotz seiner familiären Verbindung zu den Patriziern sahen diese in ihm einen Emporkömmling.
Zeitgenössisches Umfeld
Wullenweber lebte und wirkte in einer bewegten Zeit. Es herrschte Aufbruchstimmung.
Gutenbergs Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern eröffnete nie dagewesene Informati-onsmöglichkeiten.
Die (hansischen) Kaufleute wurden immer reicher. Das Feudalsystem verlor an Bedeutung. Viele Grundherren verarmten, überschuldeten sich, wurden zu Raubrittern, gerieten in finanzielle Abhängigkeit zu den Kaufleuten.
Amerika war gerade entdeckt (1492). Engländer und Holländer begannen, den weltweiten Seehandel zu beherrschen. Handelsströme verlagerten sich.
Die Niederländer lösten sich von der Hanse. Holländer versuchten, hansische Kaufleute von ihren angestammten Handelsplätzen an Nord- und Ostsee zu verdrängen.
Die erstarkenden nordischen Länder verfolgten zunehmend eigene Wirtschaftsinteressen und wollten sich von der Hegemonie der Hanse befreien. Das Handelsmonopol der Hanse im Ostseeraum ging verloren. Sie verlor Marktanteile und drohte in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden.
Neid und Machtstreben entzweite die Hansestädte.
Zur gleichen Zeit wurde Lübeck von der Reformation erfasst. Das gewöhnliche Volk, Handwerker, kleine Krämer und Bauern nahmen Luthers Lehre begeistert auf.
Im ganzen Reich verstanden die Menschen die „Freiheit des Christenmenschen“ mehr sozial als religiös. Obwohl Luther revolutionäre Gewalt rigoros verurteilte, ließen sie sich davon nicht abhalten, was letztendlich zu den furchtbaren Massakern des Bauernkrieges führte (1525).
Es ist verständlich, dass vor diesem Hintergrund die einflussreichen großen Familien, die Räte und die Geistlichkeit in Lübeck der Reformation ablehnend Gegenüberstanden. Sie befürchteten Verluste an Einfluss, Macht und Geld. Folgerichtig versuchte der patrizische Rat mit allen Mitteln und bei jeder Gelegenheit die Ausbreitung der Reformation zu unterbinden.
So kam es in Lübeck seit den 1520er Jahren immer wieder zu Auseinandersetzungen und Unruhen.
In dieses Spannungsverhältnis war Wullenweber einbezogen.
Redegewand, rhetorisch begabt und mit agitatorischen Fähigkeiten versehen, wurde er bald zum Wortführer der nach religiösen und sozialen Veränderungen strebenden Lübecker Bevölkerung. Man nannte ihn „der kühne Demagoge“.
Ringen um Lübecks innere Verhältnisse
Im Jahre 1528 verlangte der Rat von der Gemeinde neue Steuern, weil die Stadt durch Fehden sehr verschuldet war. Daraufhin wählte die Gemeinde einen Bürger-Ausschuss zur Aufsicht über die städtischen Finanzen. Ihm gehörten 36 Bürger an. Die konnten aber nicht viel bewirken.
Im Jahre 1529 forderte der Rat erneut Steuererhöhungen. Jetzt wählte die Gemeinde 48 Bürger mit dem Ziel, Steuern gegen Religionsfreiheit zu bewilligen. Aber der Rat lehnte das Ansinnen ab und drohte mit harten Strafen.
Jetzt wählten die Bürger 8 neue Mitglieder zu den 48 hinzu.
Die Verhandlungen stockten. In der Meinung, mehr zu erreichen, überging der Rat den Bürgerausschuss und begann mit der Gemeinde direkt zu verhandeln.
Im Januar 1530 durften zwei evangelische Prediger bestellt werden. Das war der Durchbruch der Reformation.
Jetzt traten Streitigkeiten zwischen den Glaubensrichtungen auf. Der Rat begünstigte die Katholiken. Neue Verhandlungen zwischen Rat und Gemeinde waren die Folge (08.03.1530).
Inzwischen gehörten dem Bürger-Ausschuss 164 Bürger an. Am 18.02.1531 musste der Rat versprechen, dass alle Beleidigungen, die ihm von der Bürgerschaft zugefügt wurden, vergeben und vergessen sein sollten. Das kam einem Sieg der Bürger über den Rat gleich.
Jetzt wählte die Gemeinde 64 Bürger, von denen eine Hälfte Junker und Kaufleute waren und die andere Hälfte aus den Ämtern stammte. Ihr Auftrag bestand darin, die Aufsicht über die Steuern auszuüben und (Rats-) Beschlüsse zu verkünden. Wortführer war der reiche und hoch angesehene Kaufmann Harmen Israhel, bis er von dem Kaufmann Jürgen Wullenweber abgelöst wurde.
Als der Rat die Gefährlichkeit Wullenwebers erkannte, wollte er ihn wegen angeblicher Schulden seines Postens entheben. Das gelang aber nicht.
Ungefähr 100 Jahre zuvor hatte die Bürgerschaft für kurze Zeit die Herrschaft in Lübeck ausgeübt, bis bald darauf der patrizische Rat wieder eingesetzt wurde. Zum mahnenden Gedenken daran veranstaltete der Rat einen Umzug, wodurch sich die Bürger provoziert fühlten. Es entstanden Tumulte, die nicht enden wollten.
Immer öfter wurden schlichtende Verhandlungen zwischen dem Rat und den 64 notwendig. Der Rat war häufig gezwungen, nachzugeben.
Dem Bürgerausschuss gelang es, den katholischen Gottesdienst einstellen zu lassen. Sakrale Gegenstände und 90 Zentner Silber wurden eingezogen und in der Tresorkammer zu St. Marien verwahrt.
Die 64 Bürger hielten den Rat für korrupt. Sie forderten unnachgiebig Rechenschaft über die Finanzen der Stadt. Der Rat sträubte sich. Er weigerte sich auch, die Privilegien zu verlesen, denn er wollte sich nicht in die Karten schauen lassen.
Ein Bruder des Bürgermeisters Nikolaus (Klaus) Brömse hielt sich im Auftrage des Rates beim Reichstag zu Augsburg auf. Gemeinsam erwirkten sie ein Mandat Kaiser Karls. Darin wurde verlangt, zum alten Bekenntnis zurückzukehren, die lutherischen Lehrer zu verjagen, den Ausschuss der 64 Bürger aufzulösen sowie alle Unruhestifter und Aufwiegler hart zu bestrafen.
Es entstand ein gewaltiger Tumult. Brömse behauptete, er wisse nicht auf wessen Veranlassung das Mandat Kaiser Karls ergangen sei. Die 64 wollten ihr Amt niederlegen, aber der Rat verhinderte das, denn er wollte dadurch noch größere Tumulte verhindern.
Nun stellte die Gemeinde 16 Artikel auf, die der Rat am 13. 10.1530 wiederwillig beschloss. Sie besagten u.a. dass,
• dem Kaiser zu gehorchen sei, solange seine Befehle sich nicht gegen Gott und das gemeine Beste richteten,
• der Rat über die Finanzen Rechenschaft abzulegen habe,
• der Rat sämtliche Privilegien zu veröffentlichen habe (kaiserliche und auch Privilegien in Holstein, Dänemark, Schweden und anderen Ländern),
• der Rat keine Bündnisse ohne Zustimmung der 64 vereinbaren dürfe,
• der Rat den Vogt zu Mölln nur mit Zustimmung der 64 bestellen könne,
• Geschütze und Schießpulver in das Gewahrsam der 64 zu geben seien und besonders bestell-te Bürger darüber zu wachen hätten.
• niemand gefangen gesetzt werden dürfe, solange er nicht seiner Schuld überführt und öffentlich gerichtet sei.
Zu Beginn des Jahres 1531 wählten die 64 Bürger aus ihren Reihen 4 Wortführer. Einer davon war Jürgen Wullenweber.
Am 18.02.1531 schlossen Brömse, die drei anderen Bürgermeister und die 4 Wortführer einen allgemein begrüßten Burgfrieden. Der zerbrach, als Lübeck aufgefordert wurde, dem Schmalkaldischen Bund beizutreten. Brömse konnte den Beitritt nicht verhindern. Er und sein Kollege Plönnies fühlten sich bedroht und flohen am Osterabend 1531 heimlich und verkleidet aus der Stadt.
Jetzt entstand wieder Aufruhr. Die Stadttore wurden geschlossen, Wachen zogen auf, marschierten durch die Straßen und trommelten die verbliebenen beiden Bürgermeister und den Rat ins Rathaus. Wullenweber befragte sie, warum Brömse und Plönnies geflohen seien. Weil er aber heimliches Einvernehmen des Rates mit den Geflohenen befürchtete, setzte er die wichtigsten Ratspersonen auf dem Rathaus gefangen und verbot den übrigen bei Verlust ihres Lebens, die Häuser zu verlassen. Das war ein regelrechter Putsch.
Am Ostertage traten die Ausschüsse der 64 und der 100 mit dem Rat zu Verhandlungen zusammen. Der Rat wollte jetzt zurücktreten, weil er kein Vertrauen mehr zur Gemeinde hatte. Das lehnte Wullenweber im Auftrage der Ausschüsse ab und stellte neue Forderungen auf:
• der Rat soll das große Stadtsiegel herausgeben
• der Rat soll die geflüchteten Bürgermeister nicht unterstützen
• der Rat soll völlige Rechenschaft ablegen und bis dahin sich des Amtes enthalten.
Der Rat sagte ja und amen. Bürgermeister Pakebusch verlangte, dass nun auch die Bürger ihr Gelübde halten sollten. Dem entgegnete Wullenweber „Niemand hat es gebrochen“.
Der Rat hatte Ansehen und Autorität verspielt. So kam das Regiment an die 64 Bürger. Wullenweber trug am 27.04.1531 vor, nach dem Vorbilde Heinrichs des Löwen einen neuen Rat bilden zu wollen. Er sollte aus 24 Ratsmännern bestehen, aber niemand aus den Zünften dabei sein.
Die 164 Bürger sollten den bestehenden Rat durch Los auf 24 ergänzen, wobei die beiden Sitze der geflohenen Bürgermeister unbesetzt blieben.
So kamen 6 Bürger in den Rat. Zur großen Enttäuschung der Bevölkerung fiel das Los nicht auf Wullenweber. Es hieß in der Gemeinde „Die Rechten sind nicht getroffen“. Als Wortführer des Bürgerausschusses blieb er aber an der Schaltstelle der Macht. (Lüntzel schrieb: Wullenweber zog es vor, da zu bleiben wo sich die Gewalt befand, im Ausschusse der Bürger).
Nachdem im August 1531 zwei weitere Bürger durch Los in den Rat berufen waren, ließ Wullenweber am 09.09.1531 die vakanten beiden Bürgermeisterstellen wieder zu besetzen. Gewählt wurde ein Patrizier und ein Bürger aus dem Ausschuss der 64.
Nach der Bürgermeisterwahl sorgte ein neues kaiserliches Mandat wieder für Tumult. Es verlangte mit strengen Worten die Wiederherstellung des alten Glaubens und des alten Rates. Daraufhin zog der Pöbel plündernd und zerstörend durch die Stadt. Etliche Patrizier flohen. Den zurückbleibenden wurde kein körperlicher Schaden zugefügt. Aber sie konnten ihre Demütigung und Entmachtung nicht verwinden. Die Gelegenheit zur Rache sollte noch kommen.
Zu Beginn des Jahres 1532 wurde es notwendig, den Rat um 2 abgängige Ratsherren zu ergänzen. Wullenweber berief eine Ratsversammlung ein. Er forderte, jedes Jahr 1/3 der Mitglieder, und zwar die Ältesten, auszuwechseln. Dadurch wurde es ermöglicht, unliebsame Ratsherren ohne besonderes Zutun aus dem Rat ausscheiden zu lassen. Die Bürger stimmten zu.
In der Ergänzungswahl vom 21.02.1533 wurde Wullenweber in den Rat gewählt.
Inzwischen war der Bürgermeisters Luntes verstorben. Durch Wahl vom 08.03.1533 wurde Wullenweber neuer Bürgermeister.
Wullenweber war zweifellos gläubiger und praktizierender Christ. Die religiöse Bewegung war für ihn insoweit von Bedeutung, als er durch sie zu politischer Macht gelangen konnte. Sie half ihm, seine ehrgeizigen politischen Pläne in die Tat umzusetzen. Ein Reformator ist er nicht gewesen. Auch war er von der Radikalität der Wiedertäufer (Erwachsenentaufe, Abschaffung des Privateigentums, Vielweiberei) weit entfernt.
Die religiöse und soziale Aufbruchstimmung des Volkes nutzend, machte er schnell politische Karriere. Dabei kamen ihm seine demagogischen und agitatorischen Fähigkeiten zu gute. Die Bürger waren von dem „kühnen Demagogen“ begeistert, weil er dem verknöcherten Rat und den reaktionären Kräften kraftvoll entgegentrat. Er war ein Volkstribun und im Bürgerausschuss ein gewaltiger Wortführer.
Wullenwebers innenpolitische Absicht war, Lübeck nach dem Vorbilde Zwinglis in ein demokratisch-bürgerliches Gemeinwesen umzuwandeln, darüber hinaus eine Kette solcher Gemeinwesen im westlichen Ostseeraum zu installieren, selbstverständlich unter der Führung Lübecks. Mit einem Wiedertäuferstaatswesen nach dem Vorbilde Münsters (Erwachsenentaufe, Abschaffung des Privateigentums) hatte er nichts gemein.
Außenpolitik und Kriege
Die außenpolitischen Beziehungen Lübecks waren vielschichtig und kompliziert. Der Stoff ist sehr umfangreich und, wie ich meine, verworren und deswegen schwer zu verstehen. Er soll hier nur ganz kurz angerissen werden, soweit das im Zusammenhang mit Wullenweber unbedingt erforderlich ist.
In früheren Jahrhunderten fand der Warenverkehr von West nach Ost und umgekehrt auf dem Landweg zwischen Hamburg und Lübeck statt.
Lübeck besaß das Stapelrecht, erhob Umschlaggebühren und Zölle und gelangte u.a. auch auf diese Weise zu Reichtum. Neuerdings aber segelten Niederländer nach Dänemark und durch den Sund (Skagerrak), um direkt mit den Dänen und anderen Ostseeanrainern zu handeln.
Dänemark war nicht mehr bereit, das zwischen ihm und Lübeck bestehende Handelsmonopol aufrecht zu erhalten.
Lübecks Kaufleute sahen ihren Vormachtstellung und ihren Wohlstand gefährdet.
Wullenweber versuchte nun, Lübeck zu alter Macht und Blüte zu verhelfen. Das konnte nur gelingen, wenn Lübeck die Hegemonie über die skandinavischen Länder wiedererlangte. Dazu war es erforderlich, den Lübecker Stapel in seinen alten Rechten wieder wirksam werden zu lassen und den Direkthandel der niederländischen Städte mit dem Ostseeraum zu unterbinden. Die Niederländer mussten wieder auf die Funktion von Zubringern für den Lübecker Handel herabgedrückt werden.
Da Lübeck militärisch allein zu schwach war, versuchte Wullenweber die holländisch-dänische Allianz zu sprengen.
Der aus seinem Lande vertriebene Dänenkönig Christian II. (genannt Christiern) versuchte im Jahre 1531 mit finanzieller Unterstützung durch holländische Städte und norwegische Bischöfe sowie Kaiser Karl V. (seines Schwagers) das Land zurückzuerobern. Sein Gegenspieler, König Friedrich I., ersuchte den Lübecker Gesandten Wullenweber um Hilfe. Gegen die Zusage, den Holländern die Durchfahrt durch den Sund zu verwehren, entsandte Wullenweber 4 Orlogschiffe (Kriegsschiffe).
Die Lübecker wurden in Kopenhagen mit Jubel empfangen, „die sich in der Not nicht als Nachbarn, sondern als Väter Dänemarks erwiesen hätten“.
Zum Kampf kam es nicht, denn Christierns Flotte geriet in Seenot und ging zu großen Teilen unter. Der Rest rettete sich nach Norwegen. So geschwächt war an eine Rückeroberung Dänemarks nicht mehr zu denken.
Damit war die Gefahr für König Friedrich I. beseitigt. Der dachte jetzt nicht mehr daran, seine Zusage zu erfüllen, denn der Handel mit den Holländern brachte ihm großen Profit. Ähnliches galt für die Hansestädte Wismar, Rostock und Stralsund.
Schließlich erreichte Wullenweber am 02.05.1532 nach langwierigen und schwierigen Verhandlungen, den Niederländern den Zugang zur Ostsee zu sperren. Schiffe, die den Durchbruch versuchten, wurden von den Lübeckern gekapert. Die Niederländer forderten Schadenersatz, Wullenweber machte eine Gegenrechnung auf.
Inzwischen gelang es König Friedrich I., seinen Neffen König Christiern gefangen zu nehmen und auf Schloss Sonderburg zu inhaftieren. Aller Sorgen ledig gestattete er nun vertraglich den Holländern mit 200 Schiffen durch den Sund zu segeln. Gegen Ende des Jahres fuhren diese erneut durch den Sund, aber nicht nur mit 200, sondern mit 400 Schiffen. Aufforderungen Wullenwebers an den dänischen Reichsrat, die früheren Vereinbarungen einzuhalten, führten zu nichts. Es gab nur eine Lösung: Krieg!
Acht Tage nach seiner Wahl zum Bürgermeister berief Wullenweber die Gemeinde auf das Rathaus und schilderte die Gefahren, die dem Handel drohten. Er stachelte in seiner Propagandarede die Gemeinde zum Krieg gegen die Holländer auf und forderte, mit dem eingezogenen Kirchensilber die Rüstung zu finanzieren sowie die Kronleuchter der Kirchen und sonstiges Metall zum Guss von Kanonen zu verwenden. Die Bürger ließen sich manipulieren und stimmten zu.
Mit 5 Orlogschiffen zog man unter der Leitung des Kriegsmannes Marcus (Marx) Meyer aus, um die Holländer bis Bornholm aus der Ostsee zu vertreiben.
Im Frühjahr 1533 fuhr Wullenweber nach Kopenhagen um die Dänen erneut aufzufordern, die Verträge einzuhalten und Lübeck im Kampf gegen die Holländer zu unterstützen. Der dänische Reichsrat vertröstete ihn durch Hinhaltetaktik, bis Wullenweber erfuhr, dass der Reichsrat heimlich mit den Holländern wegen eines Kriegsbündnisses gegen Lübeck verhandelte.
Auch der Schwedenkönig Gustav Wasa verweigerte den Lübeckern die erbetene Unterstützung. Stattdessen hob er die hansischen Privilegien auf.
Wullenweber offenbarte in Kopenhagen zwei deutschen Bürgermeistern seine Pläne: Freiheit für Bürger und Bauern, Freiheit der evangelischen Lehre, Errichtung eines Bundesstaates im Norden, Zusammenschluss aller hansischen Städte unter Lübecks Führung, Befreiung der Bauern aus der Sklaverei der Kirche und des Adels, deutscher Fürst auf Dänemarks Thron, Beseitigung des reaktionären Adels.
Er sagte, man wisse wohl, was Kaiser, Fürsten, Bischöfe und Adel wollten und dass die, die ihre Stimme für das Volk erheben, gering geachtet würden.
Während der Lübecker Flottenkommandant Marx Meyer, der die Holländer bekämpfen sollte, am 15.08.1533 in England landete und dort vorübergehend als Seeräuber festgehalten wurde, befuhren die Holländer ungehindert den Sund. Eine zweite Flotte, die Wullenweber aufstellen ließ, konnte auch nicht viel erreichen.
Der Winter 1533/1534 nahte. Freund und Feind beklagten den gestörten Handel sowie herbe Verluste an Schiffen, Geld und Gut.
Die ausbleibenden Lübecker Erfolge wurden von Wullenwebers Lübecker Feinden genutzt, um Stimmung gegen ihn zu machen. Auch wurde bekannt, dass Gustav Vasa mit Dänemark am 02.02.1534 ein Schutz- und Trutzbündnis gegen Lübeck geschlossen hatte.
Wullenweber hatte jetzt jede Menge Probleme, die es zu meistern galt.
Um gegen Dänen und Schweden vorgehen zu können, brauchte er vorerst Waffenruhe mit den Holländern. Deshalb versuchte er als erstes, mit ihnen einen Friedensvertrag abzuschließen.
Bei den Schweden meinte er, wenn es Lübeck gelungen sei, Wasa für 100 Mark zum Regiment zu verhelfen, so könne er ihn auch für 500 Mark wieder stürzen. Er rief zum Aufruhr gegen Gustav Wasa auf. Der erkannte die Gefahr und bat die dänischen Reichsräte, zu vermitteln. Wullenweber wies die Vermittlungsversuche zurück.
In Bezug auf den inhaftierten, rechtmäßigen dänischen König Christiern machte Wullenweber eine Kehrtwendung und nannte ihn jetzt einen Freund des dänischen Volkes.
Nachdem König Fridrich I. von Dänemark am 10.04.1533 gestorben war, regierte dort interimsweise der überwiegend katholische Reichsrat. Wullenweber beschuldigte ihn, die Freiheit des Volkes und den protestantischen Glauben zu unterdrücken und außerdem bei der anstehenden Königswahl die Thronbesteigung Christians, eines eifrigen Protestanten, verhindern zu wollen.
Wullenweber trat jetzt als Königsmacher auf und versuchte, das Spiel um die dänische Krone für seine Zwecke zu nutzen. Er und die dänischen Städte boten Christian, Herzog zu Schleswig und Holstein, Friedrichs I. Sohn, die dänische Königskrone an. Doch der lehnte zunächst ab. Er wollte nicht von Lübeck abhängig sein. Deshalb wandte er sich, obwohl Protestant und dem schmalkaldischen Bund zugeneigt, wegen der Thronbesteigung lieber an Kaiser Karl V.
Abgesandte des Reichsrates reisten in die Niederlande, um mit dem Hause Burgund ein Bündnis gegen Wullenwebers Hegemoniebestrebungen abzuschließen.
Der ebenfalls nach dort gereiste Wullenweber empfand das als feindlichen Akt und groben Undank der Dänen, weil sie in der Vergangenheit von Lübeck massiv unterstützt worden seien, Holland dagegen den Dänen nur Schaden zufügen würde. Alle Beredsamkeit Wullenwebers half nichts. Die Dänen ließen sich nicht umstimmen. Sie empfanden ein Bündnis mit Holland zukunftsträchtiger als die Abhängigkeit von der Hanse.
Jetzt sah Wullenweber das Lübecker Handelsmonopol in der Ostsee ernsthaft bedroht. Das konnte er nicht dulden.
Hansetag in Hamburg
Im Februar 1534 fand ein Hansetag zu Hamburg statt, um über den Frieden mit Holland zu verhandeln.
Es gab gegenseitige Schuldzuweisungen. Lübeck wurde als Friedensbrecher hingestellt, Holland forderte 600.000 Gulden Schadensersatz. Auch Lübeck forderte Schadensersatz, wollte sich aber schon zufrieden geben, wenn die Holländer die Schifffahrt in der Ostsee auf 12 Schiffe beschränken würden. Jedoch hatte Wullenweber sogar bei den Hansestädten nur wenig Rückhalt. Diese meinten, der Krieg Lübecks richte sich gegen den Bund der Hanse. Das würden sie nicht länger dulden. Der Stralsunder Bürgermeister sprach: „Herr Jürgen, ich bin bei vielen Handlungen gewesen, habe aber nie gesehen, dass man so verfährt, wie ihr; ihr werdet mit dem Kopf gegen die Mauer laufen, so dass Ihr auf dem Hintern sitzen gehet“.
Die Räte von Dänemark und Holstein gaben offen zu, dass sie gekommen seien, den Niederländern zu helfen, weil mit den Lübeckern seit Jahr und Tag nicht gut Kirschenessen sei.
Die Holländer verlasen kaiserliche Strafmandate, die an „den unordentlichen Rat zu Lübeck und die aufrührerischen 164“ gerichtet waren.
Plötzlich war der Krieg kein Thema mehr. Es ging nur noch um den innerstädtischen Aufruhr Lübecks und wie man ihn beseitigen könne. Wullenweber hatte viele Gegner.
Aber auch in Lübeck regten sich die Anhänger des alten, beseitigten Regiments. Unter großem Getümmel forderten alte und neue Feinde, Wullenweber zur Rechenschaft zu ziehen und den alten Rat wieder einzusetzen. Wullenweber, der schnell nach Lübeck zurückgekehrt war, konnte durch seine Redekunst die Pläne der Gegner vereiteln.
Später erfuhr er, dass der Vogt zu Mölln beauftragt war, ihn in seinem Hause zu überfallen und in Ketten zu legen.
Am 11.04.1534 ließ Wullenweber den Bürgermeister Gerken und weitere 6 Gesinnungsgenossen aus dem Amt entfernen und durch ihm wohlgesinnte Personen ersetzen.
Von Lübeck aus griff er wieder in die Hamburger Verhandlungen ein. Als Kompromiss kam ein Waffenstillstand mit den Holländern von 4 Jahren zustande.
Die Hansestädte Wismar, Rostock und Stralsund forderte er auf, ihr Regiment nach dem Vorbilde Lübecks zu verändern. Dort brachen bald revolutionäre Unruhen gegen die alte Herrschaft aus.
Machtkampf
In Lübeck gärte es weiter. Es begannen Versuche, Wullenwebers Macht zu untergraben, und zwar sogar von protestantischer Seite. Es war die Rede von Luthers Warnung vor revolutionärer Gewalt gegen die angestammte Obrigkeit, gegen die Wullenweber verstoßen habe. Superintendent Bonnus wetterte von der Kanzel gegen die stattgefundene Veränderung des Rates. Er warnte vor der drohenden Einführung eines Wiedertäuferreiches nach münsterischem Vorbild, weil dort Gotteslästerung, Vielweiberei und Gemeinschaft aller Güter vorherrschten. Wullenweber erteilte ihm Predigtverbot.
All das war Wasser auf die Mühlen der Katholiken und der entmachteten Patrizier. Die Bürger waren völlig verunsichert, wussten nicht was falsch, richtig oder lediglich Propaganda war.
Am 14.05.1534 hielt Wullenweber vor versammelter Gemeinde eine schwungvolle Rede. Er sprach vom Schaden, den Lübeck seit Jahr und Tag erlitten habe und dass er die alte Lübecker Herrlichkeit wieder herstellen wolle. Vergeltung fordernd wetterte er gegen die Holländer und gegen den undankbaren Gustav Wasa, dem Lübeck zum Thron verholfen habe (König seit 06.06.1523), der jetzt aber danach trachte, den deutschen Kaufmann aus Schweden zu vertreiben. Wullenweber donnerte, seine Stadt könne einen König wieder absetzen, dem sie allein zum Throne verholfen habe.
Das Volk jubelte.
Wullenweber betrieb Machtpolitik ersten Grades, die ihm gefährlich werden musste, weil er nicht dauerhaft die Mittel hatte, sie durchzusetzen.
Krieg gegen Dänemark
Ähnlichen Groll wie gegen Gustav Wasa hegte Wullenweber jetzt auch gegen Christian (Herzog Julius Christian von Holstein), der am 04.07.1534 zum König gewählt worden war.
Wullenweber hatte Graf Christoph von Oldenburg zu seinem Feldherrn auserkoren. Sie einigten sich über Bezahlung und Unterhalt der Truppen, den Feldherrenlohn und die Aufteilung der erhofften Eroberungen (Lübeck sollte Gotland, Helsingborg und Hälsingör erhalten).
Am 14.05.1534 offenbarte Wullenweber dem leicht zu beeinflussenden Volk in begeisternder Rede seine Kriegsziele. Lambert von Dahlen, der vor dem gefährlichen Unternehmen warnte, drohte man aus dem Fenster zu stürzen.
Am 19.06.1534 brach eine Flotte von 21 Schiffen nach Seeland auf. Sie wurde am 22.06. von der aufständischen Bevölkerung als Befreier von Knechtschaft und religiösem Zwang begeistert begrüßt.
Der Krieg verlief für Lübeck zunächst recht günstig. Der gegnerische Widerstand des Grafen Rantzau brach zusammen.
Am 16.07.1534 wurde das belagerte Stockholm eingenommen. Sieg auf Sieg wurde auf Schonen, Hall-and, Falster, Bleking, Langeland, Fünen und Jütland im Verbund mit den dänischen Bauern erfochten, die gegen ihre Herren rebellierten.
In der Stunde höchster Gefahr hatte der dänische Reichsrat der Wahl des Protestanten Herzog Christian zum dänischen König zugestimmt. Das war nicht mehr im Sinne Wullenwebers, weil die Wahl eines Protestanten zur Beruhigung und zum Abfall der protestantischen Aufständischen beitragen konnte.
Er war sich auch bewusst, dass er zum Erreichen seiner Ziele die Hilfe der deutschen Fürsten des schmalkaldischen Bundes benötigen würde. Entsprechende Verhandlungen mit Herzog Albrecht von Mecklenburg und Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen führten nicht zum Erfolg.
Indessen hielt Wullenweber an seiner Idee zur Neugestaltung des Nordens und der Mehrung hansischer Macht fest.
Doch mit des Geschickes Mächten ist kein ew´ger Bund zu Flechten (Schiller).
Der dänische Heerführer Herzog Christian fiel mit seinen Söldnern in Lübecker Gebiet ein und zerstörte, was ihm in die Hände fiel. Die Güter des geflohenen Bürgermeisters Brömse verschonte er.
Zu gleicher Zeit sperrte Graf Rantzau 7 Wochen lang die Trave, so dass die Lübecker von der Ostsee abgeschnitten waren. Dann bekamen sie wieder etwas Bewegungsfreiheit, weil der Gegner die Stadt Mölln belagerte.
Der inzwischen zum dänischen König Christian (III.) gekrönte Herzog rückte wieder gegen Lübeck vor.
Um zur Verteidigung freies Feld zu haben, mussten die Lübecker zu ihrem Verdruss vor der Stadt Obstbäume fällen und Gartenhäuser niederreißen.
Graf Rantzau war ein gefährlicher Gegner. Es gelang ihm, möglicherweise durch Verrat, acht ausgerüstete Lübecker Schiffe auf der Trave zu überrumpeln.
Diese militärischen Erfolge nutzten König Christian aber nicht viel, denn die Lübecker waren immer noch im Besitz aller größeren dänischen Inseln. Seine Landsleute forderten von ihm Hilfe.
Ungeachtet aller Rückschläge war Wullenweber vom Erfolg seiner Mission überzeugt. Aber das Volk war wankelmütig und kriegsmüde geworden. Marx Meyer wäre wegen unbedeutender militärischer Niederlagen fast von den Lübeckern erschossen worden.
Die inneren Lübecker Feinde Wullenwebers standen mit dem holsteinisch/dänischen Feind in Verbindung. Was dem Feinde von Nutzen sein konnte, wurde von Ex-Bürgermeister Brömses Freunden verraten.
Den Lübecker Erfolgen im Norden standen die Misserfolge in der Heimat gegenüber.
Die Bürger wussten nicht, was davon zu halten war. Das nutzten Brömses Freunde aus, um gegen Wullenweber zu agieren. Die Stimmung kippte. Das Volk und sogar die Prediger, die Wullenweber viel zu verdanken hatten, wandten sich gegen ihn. In gedruckten Handzetteln war zu lesen: „Der Teufel hat dich gesandt, dass Gott dich schände“.
Die Holsteiner waren zu Friedensverhandlungen bereit und boten den Lübeckern am 08.11.1534 einen Waffenstillstand an. Wullenweber willigte ein. Aber König Christian kündigte ihn auf, denn man hatte ihm gesteckt, wie die Bürger über ihren Bürgermeister dachten. So wurde unter Kriegsgetümmel verhandelt.
Nach einem Angriff Christians schrien die Widersacher Wullenwebers, er wolle die Stadt verderben. Das Volk glaubte ihnen, wohl auch deshalb, weil es jemanden brauchte, dem man die Schuld an den Schwierigkeiten in die Schuhe schieben konnte. Wullenweber hoffte weiter auf ein gutes Ende.
Die bei den Stockelsdorfer Friedensverhandlungen anwesenden hansischen Gesandten vermittelten am 09.10.1534 eine Einigung zwischen Rat und Bürgern. Die 164 gewählten Bürger hatten ihr Mandat freiwillig niederzulegen, die letzte Ratsveränderung war rückgängig zu machen und Gerken wieder das Amt eines Bürgermeisters zu übergeben. Den Bürgern wurde verboten, Versammlungen oder Zusammenkünfte abzuhalten. Der Krieg gegen Dänemark sollte fortgesetzt werden.
Um einen Bauernaufstand in Jütland niederschlagen zu können, war König Christian jetzt bereit Frieden zu schließen. Gerken und seine Freunde hatten es eben so eilig. Auch Wullenweber hoffte, durch einen Friedensschluss mit Holstein mehr Bewegungsfreiheit im Krieg gegen Dänemark zu bekommen.
Der am 18.11.1534 zu Stockelsdorf geschlossene Frieden hatte das Kuriosum zur Folge, dass Lübeck mit Christian als Herzog von Schleswig und Holstein Frieden hatte, sich aber mit demselben Christian als König von Dänemark weiterhin im Krieg befand.
In Bezug auf Gerken verkündete Wullenweber, er hätte „mehr erreichen wollen, aber die hier herumsitzen haben es anders gewollt“.
Das Jahr 1535 hatte nicht gut begonnen.
Wullenweber schickte alle Soldaten, die in Lübeck verfügbar waren, nach Norden, dem Grafen Christoph von Oldenburg zu Hilfe.
Der Lübecker Oberbefehlshaber Marx Meyer kämpfte gegen die Schweden, wurde besiegt und geriet in Gefangenschaft.
Es begann ein neues Ränkespiel.
Graf Christoph von Oldenburg gab sich in Kopenhagen dem Wohlleben hin. Er war Kriegsmüde und hatte nicht die Absicht, weiterhin die Kastanien für Lübeck aus dem Feuer zu holen. Lieber wollte er selbst König werden. Deshalb nahm er Verhandlungen mit dem Hof in Brüssel, dem Sitz von des Kaisers Statthalterin, auf. Aber auch dort wurden Ränke geschmiedet. Man wollte den Grafen lediglich für militärische Zwecke benutzen.
Wullenweber veranlasste den Zauderer Herzog Albrecht von Mecklenburg, brieflich gegenzusteuern.
Dem Bürgermeister war nicht verborgen geblieben, dass Graf Christoph von Oldenburg abtrünnig zu werden drohte. Er reiste deshalb nach Kopenhagen, um wieder Ordnung zu schaffen.
Durch den Kontakt mit Marx Meyer war Heinrich VIII. von England in einem Vertragsentwurf bereit, den Lübeckern 20.000 Gulden und später noch mehr für den Krieg gegen Dänemark zu geben. Als Gegenleistung verlangte er die Herrschaft über Lübeck und Dänemark. Wullenweber lehnte zunächst ab. Um aber den Krieg zu einem schnellen Ende führen zu können, wollte er jetzt annehmen. Dazu kam nicht mehr.
König Christian hatte inzwischen die aufständischen jütischen Bauern besiegt. Er verbündete sich mit den Schweden um auf die dänischen Inseln überzusetzen.
Jetzt, und weil ihm Wullenweber ins Gewissen geredet hatte, erwachte Graf Christoph von Oldenburg aus seiner Lethargie.
Aber es war schon zu spät. Des Königs Feldherr Graf Rantzau war auf Fühnen gelandet und hatte den Grafen Christoph besiegt.
Wullenweber wollte den zaudernden Albrecht von Mecklenburg zum dänischen König erheben und drängte den Grafen Christoph von Oldenburg, im Interesse der gemeinsamen Sache die Ambitionen auf den dänischen Königsthron aufzugeben. Der war einverstanden. Albrecht von Mecklenburg kam, aber nicht mit dem ersehnten Heer, sondern mit seiner Frau, Dienern, Jägern und Hofschranzen, um den Thron zu erobern. Wullenweber war stocksauer. Graf Christoph gereute es, dem Vorhaben zugestimmt zu haben. Er nahm Verbindung zum kaiserlichen Hof nach Brüssel auf, und bot an, dem gefangenen Christiern und dessen Tochter Dorothea das dänische Reich zu übergeben. Heinrich dem VIII. teilte er mit, er wolle sich von den Lübeckern lösen.
Auf Fünen eroberte Graf Rantzau die Stadt Assens und hatte bald die gesamte Insel in Besitz. Die Städte Kopenhagen und Ellenbogen fielen von Lübeck ab.
Dänische, schwedische und preußische Schiffe vereinigten sich zu einer Flotte von 37 Schiffen. Denen standen 12 Hansen gegenüber, ein anderer Teil lag im Belt. Wullenwebers Rat, die Teile zu vereinigen, wurde ignoriert.
Als es bei Bornholm zum Gefecht kam, zogen sich die Lübecker Schiffe zurück. Der Gegner segelte nach Fünen, um dort den anderen Teil der Lübecker Flotte zu bekämpfen. Deren Besatzungen flohen angesichts des Feindes. Es wurde Verrat vermutet, die Lübecker Flotte vernichtet.
Wullenweber war entsetzt. Er erkannte, dass die verjagten Patrizier mit Erfolg die Macht wieder an sich rissen. Jeder seiner Misserfolge wurde von ihnen genutzt, um die einstige Begeisterung der Bürger in Missgunst umzukehren.
Hansetag in Lübeck und Wullenwebers Entmachtung
Unter diesen Vorzeichen wurde zum 15.07.1535 ein Hansetag nach Lüneburg einberufen, der aber bald nach Lübeck verlegt wurde. Die Tagesordnung lautete „Der Dänische Krieg und Aufruhr, Empörung und Tumult in den Städten“.
Neid, Missgunst und Schwäche der anwesenden Städte waren so groß, dass nicht einmal die von den Fürsten, Bischöfen und Herren drohenden Gefahren sie zusammenschweißen konnten, obwohl besonders Braunschweig zur Einigkeit mahnte.
Vereinigte katholische Bischöfe und Fürsten hatten in Münster das Wiedertäuferreich zu Fall gebracht. Hämische Feinde Wullenwebers brachten jene „Gotteslästerer“ mit ihm in Verbindung, ungeachtet der Tatsache, dass der Rat sich ausdrücklich von den Wiedertäufern distanziert hatte.
Köln, Bremen und Danzig erhoben laute Anklagen gegen Lübeck, welche unterschwellig gegen Wullenweber und sein Regiment gerichtet waren.
So wurde intensiv am Sturz Wullenwebers gearbeitet. Jetzt kam die Stunde des geflohenen Bürgermeisters Brömse.
Im kaiserlichen Exil hatte er stets mit seinen Lübecker Freunden in Verbindung gestanden, von wo aus er gegen Wullenweber und dessen Regiment agierte.
Vom Reichskammergericht war ein Exekutionsmandat vom 07.05.1535 zum Hansetag gelangt. Darin wurde unter Androhung der Reichsacht gefordert, binnen 6 Wochen und 3 Tagen in Lübeck den alten Zustand wiederherzustellen, anderenfalls würde die Stadt in die Reichsacht fallen.
Die Kölner sagten „Bei uns zu Hause hängt, köpft und ersäuft man die Ketzer. Wir wollen bei alter Ge-wohnheit bleiben und fühlen uns wohl dabei“.
Am 14.08.1535 wurde die Gemeinde einberufen und mit dem Exekutionsmandat ganz bewusst in Angst und Schrecken versetzt.
Die Lübecker bekannten, sie wollten der Acht und dem Untergang entgehen, wüssten aber nicht wie. Daraufhin wurde ein Ausschuss gebildet. Der schlug vor, dass die zur Zeit des 164er-Ausschusses in den Rat gekommenen Bürger zurücktreten.
Wullenweber weigerte sich zunächst, aufgrund des Mandates (in Unehren) abzutreten, denn er war der Auffassung, dass ein Rücktritt darin nicht gefordert sei. Von seinen Freunden erhielt er keinerlei Unterstützung.
Jetzt wurden zahlreiche Bürger zu einer Befragung hinzugerufen, die überwiegend Parteigänger des alten Regimes waren. Sie verlangten, dem kaiserlichen Mandat unbedingt zu gehorchen. Die 164 müssten zurücktreten und Brömse in sein Amt zurückkehren.
Brömses Freunde erzeugten zusätzlichen Druck, indem sie fälschlicherweise behaupteten, König Christian ziehe mit einem gewaltigen Heer vor die Stadt.
Wullenweber war auf Dienstreise und konnte in die Debatte nicht eingreifen. Seine Freunde beugten sich dem Druck.
So fand der heimgekehrte Wullenweber seinen Sturz unausweichlich. Er zürnte über den Kleinmut seiner Amtsgenossen und die Wankelmütigkeit des Volkes. Der ehemals mächtige Mann gab nach und machte Brömse Platz.
Am 26.08.1535, dem letzten Tag vor Ablauf des kaiserlichen Ultimatums, hielt Wullenweber vor der Gemeinde eine Rede und trat gemeinsam mit dem Bürgerausschuss und allen anderen, die aus diesem Kreis in den Rat berufen waren, zurück. Schimpfreden und Flüche begleiteten den einst so gefeierten Bürgermeister.
Brömse zog am 29.08.1535 in Begleitung von 150 Reitern mit Glanz und Gloria in die Stadt ein.
Am 20.09.1535 ergänzte sich der Rat mit entschiedenen Gegnern des dänischen Krieges und Feinden Wullenwebers.
Brömse trachtete danach, seinen Erzfeind zu vernichten.
Dennoch wurde Wullenweber der Posten des Amtmanns von Bergedorf angeboten, den normalerweise der dienstälteste Ratsherr innehatte. Er lehnte aber ab.
Letzte politische Aktivitäten und Gefangennahme
Doch auch jetzt konnte Wullenweber nicht von seinen Aktivitäten lassen.
Herzog Albrecht von Mecklenburg war in Kopenhagen in großer Bedrängnis und bat Wullenweber um militärische Verstärkung. Letzterem war bekannt, dass sich im Lande Hadeln 6.000 Landsknechte unter dem Kommando von Hauptmann Uebelacker befanden und ohne Sold waren. Er überreichte dem Rat das Anforderungsschreiben des Herzogs, erklärte sich bereit, mit dem Hauptmann zu verhandeln und selbst die Soldaten nach Dänemark zu führen.
Wullenwebers Feinde waren einverstanden, wohl um ihm eine Falle zu stellen. Sein ehemaliger Amtskollege Gerken witterte die Gefahr und warnte: „Herr Jürgen, ich will euch raten als treuer Freund, bleibt zu Hause und gehet nicht dahin, wo ihr in des Bischofs von Bremen Land kommt, werdet ihr gewiss angehalten“. Auch ein Bürger von Malmö, der aus dem Lande Hadeln kam, versicherte bei hohen Eiden, dass der Erzbischof, ein neuer Freund des dänischen Königs Christian, ihm auflauere. Wahrscheinlich hatte ihn der Erzbischof von Bremen nicht zuletzt deswegen auf die Fahndungsliste gesetzt, weil Brömse mit Geld und guten Worten nachgeholfen hatte.
Wullenweber ignorierte die Warnungen und fuhr nach Hamburg. Dort traf er englische Gesandte, denen 10.000 Gulden zur Befreiung des gefangenen Königs Christiern zur Verfügung standen. Wullenweber wollte mit ihnen über die genannten Söldner aus dem Lande Hadeln verhandeln. Da die vorsichtigen Engländer meinten, die Soldaten seien für den Pfalzgrafen bestimmt, zog Wullenweber im November 1535 über die Elbe um sich Gewissheit über deren Verwendungsmöglichkeiten zu holen.
Inzwischen informierten Eilboten den Erzbischof von Bremen über die Reisewege Wullenwebers und seiner 4 Begleiter. Sobald sich die Reisegruppe auf bremischem Gebiet befand, wurde sie gefangen genommen und auf das Schloss Rothenburg im Stifte Verden gebracht.
Als die Festnahme in Lübeck bekannt wurde, hatten weder Wullenwebers Freunde noch der Rat ein Wort der Fürsprache. Nur der Bruder Joachim verlangte vom Erzbischof Auskunft über die Ursache der Gefangenschaft. Der schrieb ihm am 18.11.1535: „Sein Bruder, der muthwillig wider Gott, Kaiser und geistliche Obrigkeit zu Lübeck gehandelt und ohne sein (des Erzbischofs) Geleit, Wissen und Willen in seinem Lande übernachtet, seines Gefallens durchgezogen, sei von ihm von wegen Römischer Kaiserlichen Majestät als ihrer Majestät Verwandten und Fürsten des Reichs und seiner Kirche halben festgenommen, wie zu seiner Zeit weitere Ursache an den Tag kommen solle“.
Auch König Heinrich VIII. von England verwendete sich in Schreiben vom 13.01.1536 (an den Rat von Bremen) und 15.05. (an den Rat von Hamburg) für seinen „Freund, dessen er sich in wichtigen Angelegenheiten zum Nutzen und Frieden der Deutschen Nation und zur Vermehrung des gegenseitigen Wohlwollens bedient habe“.
Gefangenschaft auf Schloss Rothenburg
Der Gefangene wurde wie ein Schwerverbrecher „in Ketten gelegt, dieSchlösser mit Blei vergossen und mit etlichen eisernen Banden um den Leib angeschmiedet“.
König Christian von Dänemark schickte den Marschall Melchior von Rantzau zum Verhör Wullenwebers auf das Schloss Rothenburg. Aus Bremen war der Folterknecht Meister Kord angereist.
Lüntzel schrieb, Wullenweber sei u.a. 4 Stunden an den Daumen aufgehängt worden. Ob das technisch überhaupt möglich ist, mag man bezweifeln. Meiner Meinung nach liegt hier ein Verständnisfehler vor und es hat sich eher um Daumenschrauben gehandelt.
Laut Rantzau´s Vernehmungsprotokoll hat Wullenweber die ersten 20 Fragen ohne Folter beantwortet. Als er in die „Peine gehen sollte“ bekannte er, dass er beabsichtigt hatte, soviel Adlige wie möglich totzuschlagen. „Auf der Leiter in der Pein“ bekannte er, mit einem Herrn Johann wegen der Wiedertaufe in Verbindung gestanden zu haben, worauf man Wullenweber „von der Leiter aus der Pein gelassen“. Er gab in seiner Not alles zu, was man von ihm verlangte.
Am 27.01.1536 hat Rantzau den Wullenweber erneut foltern lassen und ihn vor, in und nach der Folter abermals verhört. Der Gefangene wurde u.a. gefragt, ob er mit Hilfe der Söldner aus dem Lande Hadeln die Stadt Lübeck einnehmen, den Rat und alle Widersacher töten wollte, außerdem ob er Wiedertäufer wäre und die Wiedertaufe in Lübeck einführen wollte. Tags darauf wurden ihm seine Antworten vorgelesen, die er als richtig anerkennen musste.
Hier kam erstmals Herzog Heinrich der Jüngere von Braunschweig-Wolfenbüttel ins Spiel. Erzbischof Christoph von Bremen, sein Bruder, hatte ihn zum Jahreswechsel 1535/1536 zu sich eingeladen. Er (oder seine Gesandten) waren bei der Verlesung und Anerkennung des Geständnisses anwesend.
Am 26.2.1536 hat Wullenweber in Gegenwart der Beauftragten beider Fürsten ohne Folter seine Aussagen wiederholt und das Protokoll unterschrieben. Er schloss mit den Worten: „Ich habe Gott den allmächtigen Herrn schwer erzürnt und arg gesündigt und nicht einen, sondern viele Tode verschuldet“.
Als er wieder in halbwegs guter körperlicher Verfassung war, ritzte er in die Rothenburger Kerkerwände:
„Kein Dieb, kein Verräter, kein Wiedertäufer auf Erden bin ich niemals gewest, will´s auch nimmer befunden werden. O Herr Jesu Christ, der du bist der Weg, die Wahrheit und das Leben, ich bitte dich durch deine Barmherzigkeit, du wollest Zeugnis von der Wahrheit geben“.
Die fürstlichen Brüder legten vertraglich fest, Stillschweigen über das Geschehene zu bewahren und jeden Kontakt Wullenwebers mit der Außenwelt zu unterbinden. Nur seinem Bruder Joachim, Ratsherr zu Hamburg, durfte er wegen einer Geldforderung einen Brief schreiben.
Der Landgraf Philipp von Hessen sollte insoweit in das Geschehen eingeweiht werden, als das erforderlich war, um eine Versöhnung zwischen dem Erzbischof und König Christian von Dänemark zu vermitteln.
Niemandem sollten die Geständnisse ohne Zustimmung der beiden Brüder zugänglich gemacht werden.
In dem Vertrag stand auch, dass Klaus Brömse einen Schreiber nach Rothenburg schicken sollte, um zu versichern, dass Brömse die Einwohner und Bürger Lübecks unter Kontrolle habe, auf die Knechte aufpasse und das Mühlentor gut bewache.
Es muss mehr hinter dieser Angelegenheit gesteckt haben als persönlicher Hass auf Wullenweber. Vielleicht ging es um irgendwelche konspirativen Staatsgeschäfte.
Gefangenschaft auf der Burg Steinbrück
Unmittelbar nach dem 26.2.1536 lieferte der Erzbischof den Gefangenen an Herzog Heinrich aus.
Der ließ Wullenweber in Ketten auf die Burg Steinbrück bringen.
Lüntzel schrieb: „Die Mauern des Kerkers sind 10 Fuß (2,80 m) dick, der innere Raum 17 Fuß (4,76 m) lang und breit, in der Höhe von 21 Fuß (5,88 m) gewölbt. In der Höhe von 9 Fuß (2,52 m) ist eine Balken-decke eingezogen gewesen, so dass sich ein oberes Gemach von 12 Fuß (3,36 m) Höhe bildete mit zwei schmalen Fenstern, in deren Nischen Bänke standen. Eine Tür ging zum Burgwohnhause, eine Treppe nach dem jetzt verschwundenen Gemache über dem Gewölbe, vermutlich die Verhörstube, während der Kerker ganz dunkel, die Tür nur 2 ½ Fuß (0,70 m) breit war“.
Ohne Anklage wurde Wullenweber auch hier gefoltert. Das muss unmittelbar nach seiner Ankunft geschehen sein, denn Herzog Heinrich übersandte dem Lübecker Rat Geständnisse, die dieser bereits am 11.03.1536 der Bürgerschaft vorlegte. Daraufhin wurde eine Abordnung nach Steinbrück gesandt, um sich die Aussagen bestätigen zu lassen. Als sie in den Kerker traten, war dort der fürstliche Henker anwesend. Der fragte Wullenweber, ob er die verlesenen Artikel bestätige. Wullenweber sagte ja. Um sicher zu gehen, hatte man Wullenweber vorher erneut gefoltert und ihm den Tod auf der Folter angedroht, falls er seine Aussagen wiederriefe.
Wullenweber schrieb an seinen Bruder:
„Gott sei gedankt, ich bin noch gesund; denn ich musste noch eine Reise (Folter) aushalten, da die zu Lübeck hier waren am Sonnabend morgens, musste geloben und schwören, nicht anders zu sagen, als ich gefragt ward; wo ich ein Wort widerriefe, sollt ich in Peinen sterben. Dazu zwang mich Herzog Heinrich mit Klaus Hermelink, jener Amtmann von Thedinghausen, dann zum Lohne Lübeckescher Stadthauptmann, mit dem Büttel von Bremen. – Aber Gott wollte sich über mich erbarmen, weiß ich von burgundisch oder Wiedertaufen. Dies wollest du eilig gute Freunde in Lübeck wissen lassen; dies sei dir gesagt, ich musste nicht ein Wort in Gegenwart der von Lübeck sprechen. …….“.
In einem anderen Brief schrieb er seinem Bruder, der solle aus den Briefen nichts offenbaren, er käme sonst um seinen Hals. Dort heißt es weiter: „Du musst durch den Markgrafen den Herzog stillen, ich komme sonst um meinen Hals ….. Meine Sache kann noch gut werden, wo ich Herzog Heinrich nicht erzürne“.
Wo, wann, wie oft und wie Wullenweber gefoltert wurde, darüber geben die mir zur Verfügung stehenden Quellen keine eindeutige Auskunft. Teilweise wiedersprechen sie sich. Nach Gieseckes Hamburgischer Chronik soll Brömse am 27.3.1536 in Rothenburg gewesen sein um dort das oben für Steinbrück Geschilderte zu beobachten. In der Tat könnte das ebenso gut in Rothenburg stattgefunden haben. Auch Wullenwebers Brief steht dem nicht entgegen. Die Frage dabei ist, ob Wullenweber zu dieser Zeit noch in Rothenburg war oder sich bereits in Steinbrück befand. Um das zu ergründen, müsste eine Quellenforschung vorgenommen werden.
Wenn es stimmt, dass Wullenweber 4 Stunden an den Daumen aufgehängt worden ist, so muss er unbeschreibliche Schmerzen erlitten haben. Die Behauptungen in der Peiner Allgemeinen Zeitung vom 8.8.2015, man habe (Zitat:) „… ihn in seinem Verließ täglich gefoltert“ oder „Er wurde jeden Tag eine Stunde an den Daumen aufgehängt“, sind unglaubwürdig. Monatelange tägliche Folter würde Wullenweber bei den damaligen Methoden nicht überlebt haben. Einen schätzungsweise 60 -70 kg schweren Mann Tag für Tag an seinen Daumen aufzuhängen, dürfte technisch nicht möglich sein, denn die Daumen wären sehr bald abgestorben und/oder abgerissen (wegen unterbrochener Blutzufuhr, zerbrochener Knochen, abgeschabtem Fleisch, Wundinfektion).
Wullenweber hatte immer noch Hoffnung, lebend aus der Sache herauszukommen und die Freiheit wieder zu erlangen.
Maria, die Regentin der Niederlande und Schwester Karls V., schrieb an Herzog Heinrich, er möge Wullenweber dem Erzbischof von Bremen zurückgeben, damit dieser ihn ihr überliefern könne. Heinrich reagierte nicht.
Prozess und Hinrichtung
Merkwürdigerweise ließ Herzog Heinrich das Verfahren mehr als ein Jahr ruhen. Vielleicht hatten sich für ihn alle Probleme durch Wullenwebers Inhaftierung auf der abgelegenen Grenzfeste Steinbrück erledigt.
Aber die rachsüchtigen Lübecker wollten ein Ende mit Schrecken. Sie beauftragten am 19.06.1537 ihren Stadthauptmann Hermeling den König Christian III. von Dänemark mit ins Boot zu holen.
Der erklärte sich bereit, gegen den Mann, der ihn offen bekriegt hatte, als Ankläger aufzutreten. Neben ihm standen unversöhnlich die Lübecker Patrizier, die sich durch Wullenweber in ihren angestammten Rechten verletzt fühlten.
Im September 1537 lud Herzog Heinrich die Lübecker und König Christians Räte zur Fortsetzung des Verfahrens. Die Kläger achteten darauf, dass jede Partei hinfuhr, denn keiner wollte die Sache allein verantworten, sondern jeder wollte im Bedarfsfalle die Verantwortung dem anderen in die Schuhe schieben können. Man war sich über die Zweifelhaftigkeit des Verfahrens durchaus bewusst.
Auch Herzog Heinrich wollte über Wullenweber nicht zu Gericht sitzen. Er ordnete deshalb statt eines regulären Kriminalgerichtes ein „ehrliches Landgericht“ (altsächsisches Volksgericht) unter freiem Himmel am Tollenstein bei Wolfenbüttel an. Es bestand aus 12 Bauern der Umgebung, die sonst über Straßenräuber, Diebe und Ehebrecher zu Gericht saßen.
Die Verhandlung fand am 24.9.1537 statt.
Der dänische Rat verlas nur einige Artikel der Anklage. Die vollständige Vorlesung fand er zu langweilig. Wullenweber protestierte, wollte erst Stellung nehmen, wenn er alle Artikel gehört hätte. Das wurde ihm verweigert. Daraufhin sagte er: „Dass er den Tod wohl verschuldet hätte, er wolle auch gern sterben, doch auch einem jeden in sein Gewissen stellen, durch wessen Befehl solches geschehen wäre. Aber es sei nicht war, dass er den Rat in Holstein mit Rad und Galgen zwingen wollte und gegen den aufgerichteten Vertrag handeln, auch nicht seinen Stuhl zu Kopenhagen setzen, des Sinnes sei er nie gewesen. Auch sei er kein Dieb, kein Verräter und keinem Wiedertäufer je hold noch treu gewesen“.
Jetzt traten die Lübecker mit ihren Artikeln vor. Sie beschränkten sich ähnlich wie die Dänen und verlasen nur 5 Artikel. Wullenweber sagte, es sei alles nicht wahr, was er unter der Folter ausgesagt habe.
Die Bauern erkannten Wullenweber auftragsgemäß für schuldig und forderten den Scharfrichter auf, ein Urteil zu finden. Der Fragte den „Meister Hans“ (Henker) nach dem Strafmaß. Dieser antwortete: „So ich ihm das Urteil finden soll, so will ich ihn hinausführen, und ihn in vier Stücke hauen, und ihn auf vier Räder legen, und ihn richten zwischen Himmel und Erde, dass er solches nicht mehr tue und ein anderer daran gedenke“.
Es stand eine grausame Hinrichtung bevor. Der Verurteilte sollte bei lebendigem Leibe mit der Axt in vier Teile zerhauen werden.
Auf dem Weg zur Richtstätte im Lechlumer Holz sagte Wullenweber zum herzoglichen Vogt, der Herzog habe ihm mündlich versprochen, eines geziemenden Todes sterben zu dürfen (abhauen des Kopfes). Der Vogt war einverstanden.
Auf der Richtstätte wies Wullenweber noch einmal alle Anschuldigungen, die er unter der Folter gestanden hatte zurück und rechtfertigte sein Handeln. Zum Schluss sagte er:
„Sagt euren Herren, dem Rat zu Lübeck, dass ich nie des Sinnes und Willens war, Bund und Ver-trag, den ich mit dem Rate aufgerichtet habe, zu brechen; dazu so sei ich auch kein Dieb, denn ich habe meiner Tage nicht mit meinem Wissen einen lübischen Pfennig genommen, auch kein Verräter und keinem Wiedertäufer weder treu noch hold gewesen. Darauf will ich sterben“.
Jürgen Wullenweber kniete nieder. Meister Hans hieb ihm den Kopf ab, vierteilte den Leichnam und flocht ihn auf Räder.
Klaus Brömse, der Unterdrücker des neuen Regimentes und der lutherischen Lehre, war bis zu seinem Tode noch 6 Jahre im Amt. Aber er konnte Lübeck nicht zu neuem Glanz und neuer Macht führen.
Zusammenfassung und Nachwort
Jürgen Wullenweber, aus Hamburg, von bürgerlicher Herkunft, stieg in Lübeck zum angesehenen Kaufmann auf, besaß große demagogische und agitatorische Fähigkeiten, putsche das Volk auf, entmachtete den aristokratischen Rat, war Kämpfer für bürgerliche und religiöse Freiheiten, wurde Bürgermeister, kämpfte für Lübecks Glanz und Gloria, versuchte den Niedergang der Hanse zu stoppen, kämpfte gegen Dänemark, Schweden und Holländische Seefahrer, wollte die Vorherrschaft Lübecks in Nordsee, Ostsee und Dänemark sichern bzw. wiederherstellen, verkannte die Zeichen der Zeit, überschätzte seinen politischen Rückhalt und seine Wirkungsmöglichkeiten, war impulsiv, überheblich und von übersteigertem Ehrgeiz.
Er wurde von seinen Lübecker Gegnern aus Hass und Rache bekämpft und zum Rücktritt gezwungen, wurde vom Erzbischof von Bremen auf konspirative Weise verhaftet, auf Betreiben seiner lübecker und dänischen Gegner von Herzog Heinrich dem Jüngeren hingerichtet.
Er schwamm auf der reformatorischen Welle und benutzte sie zum Erreichen seiner politischen Ziele, war aber weder Reformator noch Wiedertäufer, auch kein Märtyrer. Er war letztendlich eine gescheiterte Person.
Quellenangabe:
Ludwig Tügel „Jürgen Wullenwever, Lübecks großer Bürgermeister“ (1924);
Hermann Adolf Lüntzel, „Geschichte des Schlosses Steinbrück im Fürstentum Hildesheim und Jürgen Wullenweber“ (1851);
Paul Joachimsen, „Die Reformation als Epoche der Deutschen Geschichte“, Seiten 221 – 224;
D. Zimmerling, „Die Hanse, Handelsmacht im Zeichen der Kogge“, 20. Kapitel.
Bürgerreporter:in:Wilhelm Heise aus Ilsede |
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