Der fliegende Teppich

In einer kalten Winternacht vor vielen Jahren wurde ein kleines Mädchen geboren. Sie hatte wunderschöne braune Augen und ein liebliches Gesicht. Doch ihre Mutter, sie bemerkte ihre Schönheit nicht. Sie hatte schon eine Tochter und diese hatte blonde Locken und blaue Augen, zwei ganz ungleiche Kinder also. Die Schwangerschaft mit dem zweiten Mädchen war sehr schwierig gewesen und jetzt wollte dieses kleine unscheinbare Wesen auch nicht so recht trinken. Es verweigerte die Nahrung.

Der Vater liebte jedoch sein neu geborenes Töchterchen sehr, auch wenn es kein Junge geworden war, wie er eigentlich erwartet hatte. Das Schicksal will es eben manchmal anders. Er beschäftigte sich viel mit dem kleinen Mädchen und zum ersten Weihnachtsfest bekam es einen großen braunen Bär, der fast so groß war wie das kleine Mädchen selbst.

Evelyn, so hieß das kleine Mädchen, wurde größer und nahm mit ihren samtenen Augen alles auf, was so passierte. Sie sprach aber nicht, sehr zum Unwillen der Mutter. Dieses Kind machte nichts als Ärger. Evelyn träumte viel und erschuf sich eine kleine Traumwelt, in der alles schön war.

Um in ihre Traumwelt zu reisen, stellte sie sich vor, dass sie auf einem fliegenden Teppich in die weite Welt fliegen konnte. Dort wollte sie sich eine neue Mutter suchen, eine, die sie herzte, in den Arm nahm und tröstete, wenn sie mal hinfiel, eine, die mit ihr spielte und nicht immer nur die Wohnung putzte, eine, die mit ihr Plätzchen backte in der Weihnachtszeit. Das war ihr Traum wenn sie wieder mal ganz traurig war, dass sich weder ihre Mutter noch ihre Schwester mit ihr beschäftigte. Sie schloss einfach ihre schönen Augen, legte sich in Gedanken auf den weichen rotfarbigen Teppich und flog davon.

Der fliegende Teppich des kleinen Mädchens gab ihrer Fantasie immer wieder neue Ideen, wenn Evelyn mal wieder krank war, was des öfteren vorkam, besonders im kalten Winter, dann mußte sie oft allein in ihrem Bett liegen und die Zeit wurde ihr lang. Sie stellte sich vor, dass sie mit dem Teppich in die Sonne fliegt, in ein schönes Land mit Bergen und Seen und sie versuchte in Gedanken, diese Bilder zu malen, sie zu Papier zu bringen. Sie hatte die Gabe bekommen, auch ohne Stift und Papier malen zu können und so entstanden schöne Bilder von fliegenden Engeln und blühenden Bäumen, die ihr kleines Herz glücklich machten.

Ihre große Schwester Ariane konnte mit ihren Träumen und Fantasien nichts anfangen. Für sie war sie immer nur die „dumme Kleine“, die sich etwas zusammensponn. So erschuf Evelyn immer wieder neue Schwestern, in dem sie sich auf ihren Zauberteppich setzte und dorthin flog, wo es Mädchen gab, die gerne mit ihr spielten, sie nicht als dumm abtaten und Freude an ihren Bildbeschreibungen hatten. Evelyn malte nicht nur Bilder, sie schrieb auch schöne Geschichten. Der fliegende Teppich verhalf ihr in ihrem ganzen Leben dazu, sich in schöne Situationen zu versetzen, wann immer sie traurig war, sich ungeliebt und unverstanden fühlte. Und davon gab es genug in ihrem Leben. Nur diese Gabe, den traurigen Gedanken auf einem wunderschönen Samtteppich davon zu fliegen, die konnte ihr niemand nehmen. Sie ist ihr Schatz zum Glücklichsein!

© H. R.

Bürgerreporter:in:

Henriette Reh aus Siegen

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