Gegen das Vergessen: Die Zerstörung der Rostocker Christuskirche im Jahr 1971
Trotz deutlich kirchenfeindlicher Absichten bemühten die damaligen Partei- und Staatsorgane vordergründig ein Ideal aus Sicht kommunistischer Ideologie, um den Kirchenabriss zu begründen. In Rostock war es der Plan, sozialistische Großbauten zu errichten, und diese gigantischen Hochbauten und Schnellstraßen würden angeblich durch das Gotteshaus behindert werden. Denn seit 1968 plante die SED (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands) einen monumentalen Aufbau eines neuen Stadtzentrums, und dabei war den Planern die Christuskirche am Schröderplatz im Wege.
Zu den dunkelsten Kapiteln in der Kultur- und Baugeschichte der damaligen DDR (Deutsche Demokratische Republik, 1949 - 1990) gehörte beispielsweise die Zerstörung der wiederaufbaufähigen Kirchenruinen von St. Marien in Wismar und von St. Jacobi in Rostock. Doch die atheistische Weltanschauung, die in der DDR zur Staatsideologie erhoben war, verlangte in Rostock auch den Abbruch von einer gut erhaltenen, von vielen Christen genutzten Kirche.
Groß war das Erschrecken der Rostocker Katholiken, als sie nach der Stadtverordnetenversammlung vom 16. Januar 1969 plötzlich von den Plänen zur Neugestaltung des Stadtzentrums erfuhren, aus denen ganz klar und eindeutig der geplante Abbruch ihrer Kirche am Schröderplatz, der einzigen katholischen Kirche im Stadtzentrum, hervorging. Ein Stadtverordneter hatte bei einer Wohnbezirksversammlung im kleineren Kreis geäußert: „Das machen wir wie in Leipzig. Morgens wachen die Rostocker auf, und dann ist ihre Kirche weg!“
Es kam zu heftigen Kontroversen zwischen den Staats- und Parteiorganen auf der einen und vielen Rostocker Bürgern auf der anderen Seite. Der Protest richtete sich gegen den Abriss des intakten Kirchengebäudes, aber auch gegen das maßlose Bauprogramm, das die Stadt vollständig entstellt hätte.
Da weder ausreichend Baumaterial noch finanzielle Mittel vorhanden waren, scheiterte die Gesamtplanung schon im Jahr 1970. Die Bauvorhaben wurden gestoppt, nur die Kirchensprengung wurde weiterhin betrieben.
Über Nikolaus Schnitzler, den Pfarrer der Christusgemeinde von 1958 bis 1978, waren die SED-Machthaber schon seit Jahren maßlos verärgert. Am 29. Oktober 1963 beschwerte sich der 1. Stellvertreter des Rostocker Oberbürgermeisters über einen Aushang in der Christuskirche und verlangte umgehend dessen Entfernung. Nikolaus Schnitzler antwortete am 30. Oktober 1963 in einem Brief u. a.: „Das Plakat zeigt die Grabsteine verschiedener geschichtlicher Persönlichkeiten, die das Ende der Kirche und der christlichen Religion herbeigesehnt und vorausgesagt haben. Es bringt ferner zum Ausdruck, dass die Kirche diese längst vergangenen Persönlichkeiten immer noch überlebt hat und auch in Zukunft ihre Gegner überleben wird!“
Trotz der atheistischen Kampagnen, trotz der Einschüchterungsversuche, der Überwachung und staatlicher Einschüchterung setzten sich die Christen für den Erhalt ihrer Christuskirche am Schröderplatz ein, für die Fortsetzung im entsprechenden Dienst an den Alten und den Schwachen der Gesellschaft, „weil die caritative Tätigkeit seit Gründung der Kirche zu ihren wesentlichen und unbestrittenen Aufgaben gehört“, teilte Pastor Schnitzler dem Oberbürgermeister mit.
Der Abbruch der Kirche am Schröderplatz durch die damalige Staatsmacht, die Stärke demonstrieren und bald vollendete Tatsachen schaffen wollte, war nicht aufzuhalten. Denn der Abriss war weder verkehrstechnisch noch architektonisch notwendig, sondern es waren nur ideologische Begründungen ausschlaggebend. Letztendlich erhielt die Kirchengemeinde ein neues Gemeindezentrum am Häktweg, das am 12. Juni 1971 eingeweiht wurde. Die Sprengung der alten Christuskirche am Schröderplatz erfolgte am 12. August 1971.
Quellenverzeichnis:
- Georg Diederich, Aus den Augen, aus dem Sinn, Edition Temmen, 2. Auflage, 1997
- Historische Fotos: Ständige Ausstellung in der Rostocker Christuskirche
- Privatarchiv: Porträtfoto des Pfarrers Nikolaus „Klaus“ Schnitzler, der von 1946 bis 1953 Kaplan in Wismar war
Bürgerreporter:in:Helmut Kuzina aus Wismar |
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