Rassismus und Islamismus: Geschwister im Geiste - Erinnern an die Geschehnisse der Reichspogromnacht mündet in weitgehende Mahnung
Islamistisch motivierte Enthauptung Samuel Patys nahe Paris, islamistisch motivierte Ermordung von Menschen in Nizza - und jetzt Wien. Und da ist ja auch noch Dresden. Wird hier eine neue Terrorwelle in Europa losgetreten? Islamismus und Rassismus sind Geschwister im Geiste. Und Rassismus - davon können wir Deutsche in Anbetracht des Dritten Reiches ein trauriges Lied singen. Unsere Erinnerung daran ist längst in eine Mahnung übergegangen, die angesichts der aktuellen Manifestationen von Hass und Menschenverachtung wichtiger denn je ist, eine Mahnung, die sich an alle Menschen richtet, unabhängig von ihrem Glauben und ihrer Weltanschauung.
Reichspogromnacht
Der 9.November, in diesem Zusammenhang ein wichtiges Datum. Die Reichspogromnacht 1938, im wahrsten Sinne das Fanal eines rassistischen und menschenverachtenden Programms des nationalsozialistischen Deutschlands. Das Datum jährt sich in diesen Tagen. In Duisburg findet dazu alljährlich eine Gedenkveranstaltung im Rathaus statt, im Jahre 2020 allerdings coronabedingt nicht, wie an so vielen Orten in Deutschland die Gedenkveranstaltungen ebenso ausfallen. Dabei war alles vorbereitet, schon vor den aktuellen Ereignissen in Paris, Nizza, Dresden und Wien. Diesmal sollte die Veranstaltung im Gemeindesaal der jüdischen Gemeinde Duisburg-Mülheim-Oberhausen stattfinden. Doch nun ist alles abgesagt. Sollen deshalb Gedenken und Mahnung zu kurz kommen, und das in einem Zeitalter digitaler Coronaresistenz?
Hier deshalb der geplante Beitrag einer Duisburger Schule, der nicht in der Schublade liegen bleiben soll.
Schülerinnen und Schüler mit und ohne Migrationshintergrund standen dazu bereit. Ihr Beitrag trägt den schlichten Titel:
Mordmotiv Rassismus
Die Filmtitelmusik "Holocaust" erklingt, als Standbild ist aus dem Vorspann des Films ein brennender Judenstern zu erkennen, sieben Schülerinnen und Schüler (S1-S7) betreten die Bühne, stellen sich in gebührendem Abstand nebeneinander auf, wenden dem Publikum den Rücken zu und neigen ihre Köpfe. Die Schülerinnen und Schüler drehen sich um, gehen abwechselnd zum Mikrofon.
S1: "Wir sind Schülerinnen und Schüler der Realschule Fahrn in Walsum und gehen in die 8.Klasse. Im Geschichtsunterricht kam die Nazizeit vom Stoffplan bisher noch nicht vor, aber unsere Lehrer haben uns in erforderlicher Kürze aufgeklärt, was es mit dem Holocaust, was es mit der Shoa auf sich hatte, auch, was es mit der Reichspogromnacht 1938 auf sich hatte. Diese Nacht vom 9. auf den 10.November war das endgültige, unmissverständliche Zeichen für die systematische Verfolgung der Juden und schließlich deren industriell organisierte Vernichtung. Eine rassistische, menschenverachtende Verblendung noch nie dagewesenen Ausmaßes, für das das Vernichtungslager Auschwitz zum Sinnbild wurde. Ein Verbrechen ungeheuren Ausmaßes an der Menschheit!
Der Rassismus lebt aber immer noch, auch wenn die Ausmaße der Nazizeit längst vorbei sind. Im Folgenden werden wir Schülerinnen und Schüler in die Rollen anderer Menschen schlüpfen, die uns eine Geschichte zu erzählen haben. Dabei stehen diese Menschen stellvertretend für viele andere Menschen, denen Ähnliches widerfahren ist."
S2: "Hallo, ich heiße Shlomo Lewin. Ich spreche zu Ihnen, ich spreche zu euch aus dem Jahr 1980. Ich bin 69 Jahre alt. Ich bin Deutscher und lebe in der bayerischen Stadt Erlangen. Ich bin ein Rabbiner, Seelsorger einer jüdischen Gemeinde."
S3: "Hallo, ich heiße Manuel Antonio Diogo. Ich spreche zu Ihnen, ich spreche zu euch aus dem Jahr 1986. Ich bin 23 Jahre alt, bin ein Mensch mit schwarzer Hautfarbe, bin Mosambikaner, komme also aus dem Südosten Afrikas und lebe derzeit in Coswig in der Nähe von Berlin, wo ich als Vertragsarbeiter tätig bin."
S4: "Hallo, ich heiße Alfred Salomon. Ich spreche zu Ihnen, ich spreche zu euch aus dem Jahr 1992. Ich bin 92 Jahre alt. Als deutscher Jude habe ich die Nazizeit und den Holocaust überlebt und lebe jetzt in einem Altenheim in Wülfrath."
S5: "Hallo, ich heiße Hülya Genc. Ich spreche zu Ihnen, ich spreche zu euch aus dem Jahr 1993. Ich bin 9 Jahre alt, meine Vorfahren sind aus der Türkei nach Deutschland gekommen. Ich lebe mit meiner Familie in Solingen."
S6: "Hallo, ich heiße Said Nesar El Hashemi. Ich spreche zu Ihnen, ich spreche zu euch aus dem Jahr 2020. Ich bin 21 Jahre alt. Ich bin in Hanau geboren und Deutscher, habe deutsche und afghanische Wurzeln. Heute lebe ich noch immer in meiner Heimat Hanau."
S7: "Hallo, ich heiße Wilhelm Schmulowicz. Ich werde mich später vorstellen und Ihnen und euch mehr von mir erzählen."
S1: "Diese sechs, das sind grundverschiedene Menschen, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben. Aber dennoch: Sie vereinigt etwas Entscheidendes, sie wurden Opfer von tödlichem Rassenwahn, der sich über ihnen zusammenbraute."
S2: "Es war der 19.Dezember 1980. Ich, Shlomo Lewin, der 69-jährige Rabbiner von Erlangen, wurde an diesem Tag von einem Mitglied der rechtsextremen Wehrsportgruppe Hoffmann in meinem eigenen Haus ermordet. Meine Freundin tötete der Mörder ebenfalls. Für mich war der 19.Dezember 1980 der letzte Tag meines Lebens. Mordmotiv? Rassismus - ich war ein Jude."
(S2 legt sich rücklings auf den Boden)
S3: "Es war der 30.Juni 1986. Ich, Manuel Antonio Diogo, der 23-jährige mosambikanische Vertragsarbeiter, befand mich nach einem Treffen mit meinem Freund in Ost-Berlin auf der Zugfahrt zurück nach Coswig. Eine Gruppe Neonazis schikanierte mich, fesselte mich im Zug, seilte mich bei voller Fahrt aus dem Zug ab. Mein Körper wurde zerschmetterrt und verstümmelt, Körperteile wurden abgefahren. Für mich war der 30.Juni 1986 der letzte Tag meines Lebens. Mordmotiv? Rassismus - ich war Schwarzer."
(S3 legt sich rücklings auf den Boden)
S4: "Es war der 21.November 1992. Ich, Alfred Salomon, der 92-jährige jüdische Holocaustüberlebende, befand mich in einem Altenheim in Wülfrath, als ich, der ich die Beschimpfung „Saujude“ ja schon gewohnt war, von einem ebenfalls im Heim lebenden Alt-Nazi beschimpft und schließlich auch geschlagen wurde. Das war zu viel für mich. Ich sackte zusammen und verstarb an einem Herzinfarkt. Für mich war der 21.November 1992 der letzte Tag meines Lebens. Motiv des Täters? Rassismus - ich war ein Jude."
(S4 legt sich rücklings auf den Boden)
S5: "Es war der 29.Mai 1993. Ich, Hülya Genc, das 9-jährige türkischstämmige Mädchen, war gerade in meinem Elternhaus in Solingen. Da kam es zu einem Brandanschlag auf unser Haus. 5 Tote, eine Tote war ich. Für mich war der 29.Mai 1993 der letzte Tag meines Lebens. Mordmotiv? Rassismus - ich war türkischstämmig."
(S5 legt sich rücklings auf den Boden)
S6: "Es war der 19.Februar 2020. Ich, Said Nesar El Hashemi, der 21-jährige Hanauer Jung‘, als der ich mich immer empfand, war gerade in einer Gaststätte. Da stürmte ein Rassist herein und schoss wie wild um sich. Mich traf es – tödlich. Für mich war der 19.Februar 2020 der letzte Tag meines Lebens. Mordmotiv? Rassismus - ich sah nicht deutsch aus, was immer das sein sollte."
(S6 legt sich rücklings auf den Boden)
S7: "Von mir wissen Sie, wisst ihr bisher nur meinen Namen: Wilhelm Schmulowicz. Jetzt ist es an mir, Ihnen und euch meine Geschichte zu erzählen. Ich werde am 29.Juli 1877 als Sohn jüdischer Eltern in der Nähe von Thorn an der Weichsel geboren, das damals an der Ostgrenze des Deutschen Reiches liegt. Ich verlasse meinen Heimatort, erlerne das Klempnerhandwerk, werde also im heutigen Sprachgebrauch Installateur. Ich heirate Henriette Jacobson, eine gebürtige Kölnerin. Meine wichtigsten Stationen sind Dortmund, Berlin und schließlich Walsum, das damals noch nicht zu Duisburg gehört. Nach Walsum, genauer nach Alt-Walsum, komme ich mit meiner Frau und unseren vier Kindern Siegfried, Arnold, Rosa und Fanny kurz nach dem Ersten Weltkrieg, in dem ich als deutscher Soldat eingesetzt war. Mit Beginn der Naziherrschaft im Jahre 1933 wird unser Leben zunehmend schwerer. Viele Deutsche wollen mit uns Deutschen nichts zu tun haben. Wir werden geschnitten. 1936 verstirbt meine Frau. Die Kinder sind längst erwachsen und stehen auf eigenen Füßen, haben zum Teil selbst Familien gegründet. Im Jahr 1938 wohne ich mit meinem unverheirateten Sohn Siegfried in einem Haus in Walsum-Wehofen. Noch vor dem 9.November, es ist das Datum, das uns hier zusammengeführt hat, ziehe ich um nach Köln, in die Geburtsstadt meiner verstorbenen Frau. Mein Sohn Siegfried wird in dieser Zeit aus Walsum ins Konzentrationslager Dachau deportiert, wo er im Jahr 1940 ums Leben kommt. Mein Sohn Arnold kommt ebenfalls nach Dachau, wird aber auf Intervention des katholischen Pfarrers aus Walsum-Aldenrade entlassen. Im Jahr 1941 wandert er aus nach Argentinien. Und noch im gleichen Jahr trifft es mich. Ich werde deportiert und komme schon bald als 64-Jähriger im Konzentrationslager von Lodz ums Leben, in der Stadt, die damals den Namen Litzmannstadt trägt. Welcher Tag der letzte Tag meines Lebens war, vermag ich datumsmäßig nicht zu sagen. Mordmotiv? Rassismus - ich war Jude."
(S7 legt sich rücklings auf den Boden)
S1: "Ein Nachtrag zu Wilhelm Schmulowicz: Seine beiden Töchter Rosa und Fanny kamen später auch noch ins Konzentrationslager, und zwar ins Konzentrationslager Theresienstadt. Sie überlebten den Holocaust. Seit 2005 liegen in Wehofen Stolpersteine für die ermordeten Wilhelm und Siegfried Schmulowicz. Zwei von insgesamt 7 Stolpersteinen, die die Realschule Fahrn in Zusammenarbeit mit Gunter Demnig im Jahr 2005 im Walsumer und Hamborner Einzugsbereich der Schule verlegte. Jahre später kam es dann an zentraler Stelle in Walsum zur Errichtung eines menschenfreundlichen Mahnmals, das den Walsumer Opfern der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft gewidmet ist, für das eine konzertierte Aktion gesellschaftlicher Kräfte des Stadtbezirks Walsum sorgte. Lassen Sie abschließend das Mahnmal auf sich wirken im Gedenken der Opfer von Rassismus und Menschenverachtung – gestern und heute."
(Foto des Walsumer Mahnmals wird eingeblendet (vgl. oben), unterlegt von Klaviermusik)
S1: "Die Realschule Fahrn bedankt sich für Ihre, für eure Aufmerksamkeit. Mögen wir alle die Lehren aus unserem Erinnern in unseren Alltag hinaustragen. Die Vergangenheit können wir nicht ändern, aber unseren Beitrag für die Gestaltung unserer Gegenwart und Zukunft leisten – das
können wir. Und – wir sollten es tun. Danke!"
Nachtrag
Rassismus, Menschenverachtung und Hass sind universal. Ihr Ausrotten ist womöglich eine Illusion. Aber dagegen aufzustehen ist das Mindeste, was wir tun sollten.
Bürgerreporter:in:Helmut Feldhaus aus Rheinberg |
8 Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.